Intellektuell – oder praktisch

Nicht jeder Universitätsabsolvent ist automatisch intellektuell: Auf mich zum Beispiel trifft dieses Attribut nicht zu. Ich verfüge über einen sachlichen Verstand und ein (wie auch immer geartetes) Denk- und Erkenntnisvermögen, ja; aber ich bin keine Intellektuelle. Denn ich bin nicht kopfgesteuert, auf hohem geistigen Niveau unterwegs oder verstandesbetont.

Nur wenige Menschen in meinem Umfeld würde ich intellektuell nennen, obwohl einige kluge Leute dabei sind. Die meisten von ihnen sind aber auch pragmatisch – und darin liegt meiner Meinung nach das „Problem“: Ich will zwar nicht behaupten, dass ein praktischer Mensch nicht auch intellektuell begabt sein kann. Aber ein Intellektueller hat seine Stärken vor allem im Geist. 

The one and only peace

„Don`t worry about anything, instead, pray about everything. Tell God what you need, and thank him for all he has done. Then you will experience God`s peace, which exceeds anything we can understand. His peace will guard your hearts and minds as you live in Christ Jesus.“
Philippians 4, 6+7

This peace of God is so different from what we could create ourselves. It is beyond grasp and explanation. It needs to (and can only) be received.

Entweder – oder

In der Adventszeit dürfen wir uns nur in zwei Halshalten und maximal zu fünft treffen. Diese Verordnung war vielleicht nicht ganz ernst gemeint und sehr kurzlebig, aber ich kann auch im Nachhinein nicht darüber lachen. Wer sich so etwas ausdenkt und aufschreibt, scheint weit entfernt von der Realität am Schreibtisch zu sitzen. Ich gebe zu, dass wir mit sieben Personen (sechs über 14 Jahre) ein – für deutsche Verhältnisse – eher großer Haushalt sind. Aber selbst bei Familien mit zwei Kindern dürfte diese Regelung schwer zu befolgen sein: Entweder wir treffen uns mit Opa oder mit Oma, beide gehen nicht.

(Meinungs-)Vielfalt

Wir reden über Corona und können uns nicht einigen. Ich kenne kaum ein Thema, zu dem es so viele unterschiedliche Positionen gibt. Vielleicht offenbart Corona aber auch nur die Vielfalt unserer Meinungen. In unserer von Informationen gefluteten Welt sind heute wichtige Themen normalerweise schnell wieder „Schnee von gestern“ – Corona hält sich hartnäckig: Das Virus beherrscht seit Monaten unsere Gespräche, unser Denken, Tun und Fühlen. Wir haben Zeit, eine eigene Position zu finden; diese wird beeinflusst von einer unüberschaubaren Menge an Faktoren: Verschiedene Sach-Informationen spielen eine Rolle, aber auch emotional gefärbte Kommentare in Zeitungen, dem Internet und beim Nachbarn und nicht zuletzt unsere eigene Befindlichkeit und Prägungen. Außerdem müssen wir wöchentlich auf neue Verordnungen reagieren. Dem einen gelingt das besser, dem anderen schlechter.

Wir könnten uns also trefflich streiten über dieses Virus und die Maßnahmen zu dessen Eindämmung – nur bringt das nichts. Ob wir es wollen oder nicht, wie auch immer wir zu Corona stehen: Wir müssen leben mit dem Virus und mit dem, was es direkt und indirekt auslöst in unserem Land und Leben. Nicht viel davon können wir beeinflussen – selbst wenn wir täglich auf die Straße gingen und unsere Meinung öffentlich verkündeten. Mal wieder ist unser Umgang mit den Umständen das Einzige, was wir in der Hand haben. Und auch das gelingt dem einen besser und dem anderen schlechter.

Chaos-Zeit

Ich bin ein ordentlicher Mensch, nur mein eigenes Zimmerchen auf dem Dachboden unterliegt diesbezüglich Schwankungen. Unaufhaltsam wie eine zunehmende Welle verändert sich der Raum von aufgeräumt und überschaubar zu unübersichtlich und nicht sortiert. Das hat Gründe: Hier ist einfach zu wenig Platz, und nicht alles lässt sich sofort sortiert ablegen. Außerdem stört die Unordnung hier oben nicht die alltäglichen Abläufe unten – für dieses Luxus-Aufräumen fehlt mir meist die Energie. Wird die Chaos-Welle zu hoch, breche ich sie – spontan und auch für mich selbst überraschend. Als gäbe es einen nicht greifbaren Scheitelpunkt, an dem ich die Unordnung einfach nicht mehr aushalte. Das kann jederzeit passieren – nur nicht zwischen Ende November und Ende Dezember. In dieser Zeit ähnelt die Welle einem Tsunami: Ich kann sie nicht brechen, sondern muss mit ihr schwimmen. Dann kümmere ich mich um Adventskalender, Weihnachtsgeschenke und die Weihnachtspost. Normalerweise schaffe ich alles rechtzeitig, aber ordentlich bin ich dabei nicht.

Feiner Unterschied

Zu wandern ist kein Spaziergang: Spazierengehen geht nebenbei, beim Wandern muss ich mich auf den Weg konzentrieren. Es dauert in der Regel länger und findet eher in unberührtem Geländer statt. Um die Umgebung zu betrachten, muss ich den Blick heben – und möglichst stehenbleiben. Einen Spaziergang kann ich gut in meinen Alltag einbauen; zum Wandern brauche ich Zeit – und gewinne Abstand vom Tagesgeschäft: Beim Spaziergang schalte ich kurz ab; mit einer Wanderung gönne ich mir eine Auszeit.

Zu wandern ist kein Spaziergang – es sieht nur genauso aus.

(Nicht) effektiv

„Wenn ich viel um die Ohren habe, bin ich effektiver“, sagt eine alte Schulfreundin am Telefon. Momentan ist sie (nicht effektiv) in Quarantäne und hat Zeit. Drei Wochen ist sie (mit Mann und zwei Söhnen) schon zu Hause; ihr fehlt der Job. Das Nebeneinander von Beruf und Familie strengt sie zwar an. Schon lange schwingt in unseren Gesprächen mit, dass ihr Leben zu voll ist und sie zu viel zu tun hat. Dennoch ändert sie nichts daran, denn: Sie will arbeiten (gern auch viel), Geld verdienen und für ihre Rente sorgen; sie will die Karrierestufe halten, die sie erreicht hat. 

Sie könnte die Zwangspause genießen und nach drei Wochen erholt sein und entspannt. Stattdessen ist sie unruhig – und froh, dass sie bald wieder arbeiten gehen kann. Morgen fangen sie wieder an, die langen Tage im Job und zusätzlich zu Hause das große Haus mit dem noch größeren Garten. Und das jüngere Kind, das Unterstützung braucht – und sie nicht will. Dann wird meine Freundin wieder gestresst sein, aber eben auch effektiv: Das ahnt sie und freut sich darauf.

Sie ist für das zu Hause-Sein so verdorben, wie ich verdorben bin für einen geregelten Beruf – schießt es mir durch den Kopf. Ich bin auch beschäftigt, aber effektiv bin ich dabei nicht. Was heißt das schon – effektiv? Ich denke nicht in dieser Kategorie, sie kommt in meinem Leben nicht vor. Stattdessen praktiziere ich die sogenannten „soft skills“: Ich bin belastbar, kann mich in andere hineinversetzen, kommunizieren und halte Konflikte aus, bin vertrauenswürdig, kann meine Zeit gut einteilen, mich selbst beherrschen, bin neugierig, motiviert und flexibel – und all das nicht immer gleich gut. Jeder andere braucht diese Fähigkeiten auch, aber ich brauche sie nicht für einen Job: Mein Job besteht darin, sie auszuleben.

Es ist nicht effektiv, hier zu Hause die Basisstation für meine Familie zu bilden, mit einer einsamen alten Frau spazieren zu gehen, Gespräche am Gartenzaun zu führen oder ermutigende Karten zu schreiben. In Gesprächen wie mit meiner Freundin denke ich, das sei zu wenig. Nach einer Weile weiß ich wieder: Mir reicht es; für mich ist es genug, nicht effektiv zu sein.

Vorsichtig

In einem Kommentar zur Wirksamkeit der Corona-Maßnahmen lese ich: „Die ohnehin Vorsichtigen werden vorsichtig bleiben. Diejenigen, die sich bisher eher leichtsinnig oder gar fahrlässig im Umgang mit dem Virus verhalten haben, werden dies ebenfalls bleiben.“ Geht`s noch?, denke ich. Das klingt, als sei der einzig mögliche Gegensatz zu `vorsichtig´ eben `leichtsinnig oder gar fahrlässig´. Als gäbe es dazwischen nichts anderes – wie zum Beispiel `mutig´, `entschlossen´ oder `angstfrei´. Es schwingt auch eine Wertung mit: als wäre `vorsichtig´ die beste Haltung im Leben. So etwas würde ich nie behaupten – und wenn doch, dann nur sehr vorsichtig.

Alternativlos

Meine Waschmaschine ist kaputt. Insgesamt eine ganze Woche kann ich sie nicht benutzen. Ich suche temporär nach einem anderen Gerät, denn: Wir haben schlicht nicht so viele Unterhosen und Socken; der Dreckwäsche-Berg wächst entmutigend schnell; es ist keine Alternative, mit der Hand zu waschen. Ein Freund in unserer Straße hilft mir aus der Misere. Jedes Waschen ist mit Absprache, einem Gang und einem Gespräch verbunden. Ich bin dankbar. Ich kann auf eine Menge verzichten, aber ohne Waschmaschine geht es für mich nicht.

Horizonterweiternd

Meine Landwirt-Freunde haben genaue Auflagen, wie viel sie beregnen dürfen. Bei Zuwiderhandlungen werden Strafen fällig. Für die Bewässerung des Sportplatzes daneben gelten andere Regeln. Darüber kann man staunen oder sich ärgern – je nachdem.

Der ehemalige Fußballtrainer meiner Tochter – um die 40, kurdische Wurzeln – erzählt mir, dass seine Mutter langsam durchdreht: Der November-Lockdown fällt mit einigen Trauerfällen in der erweiterten „Familie“ zusammen, zu denen sie aufgrund der Kontaktbeschränkungen nicht fahren darf. In seiner Kultur sei das im Grunde undenkbar und fast unverzeihlich, sagt er – jedenfalls für die Generation seiner Mutter.

Eine Frau in der Nachbarschaft fegt Laub auf ihrer Straße. Ich bleibe kurz stehen und erfahre von den Schwierigkeiten, „in dieser besonderen Zeit“ ihre Goldene Hochzeit mit den drei Kindern und deren Familien zu feiern.

Seit einiger Zeit begleite ich eine ältere Dame manchmal bei ihren Spaziergängen; wir unterhalten uns sehr ehrlich miteinander: Ihr Leben ist durchzogen von Zerbruch, Entzweiung und kaputten Beziehungen. „Ich habe mir mein Leben anders vorgestellt“, sagte sie kürzlich. Mich macht das traurig – für sie – und dankbar für das gute Miteinander, in dem ich seit 50 Jahren „zu Hause“ bin. 

Spaziergänge sind horizonterweiternd!