Erschütternd

Wir schauen `Die Wannseekonferenz´ in der Mediathek: ein erschütternder Film. Die Männer, die damals an einem Tisch saßen, wollten Deutschland zur größten Macht Europas (wenn nicht der Welt) machen – und dabei die Juden vernichten. Ihr Anliegen war schrecklich und moralisch verwerflich; man könnte es dämonisch nennen. Diese Männer waren ehrgeizige Karrieristen im deutschen Regierungsapparat – sehr kluge Zivilisten, exzellente Strategen unter den Vertretern des Militärs. Alle hatten unterschiedliche Aufgaben: die Wirtschaft am Laufen halten, die Bevölkerung beruhigen, einen Krieg gewinnen … Im Focus auf ihre jeweiligen Arbeitsbereiche war die Vernichtung der Juden `nur´ Mittel zum Zweck.

Die Männer sind auch Ehemänner, Väter, Freunde etc. mit klaren Werten und Moralvorstellungen. Erschütternd ist, dass ihnen in Bezug auf die Vernichtung der Juden jegliche Moral fehlt. Hier zählt nur Effektivität: möglichst günstig, möglichst schnell, ohne Unruhe in der Bevölkerung auszulösen … Es geht zivilisiert zu bei diesem Treffen, bei dem über die Ermordung von elf Millionen Menschen geredet wird: Die Männer argumentieren `logisch´ und gehen respektvoll miteinander um, einige von ihnen sind einem fast sympathisch – ein erschütternder Nebeneffekt.

Die Wahrheit – gleich beim `ersten Mal´?

„Dein Kleidungsstil passt nicht zu dir!“ Ein solcher Hinweis kann (subjektiv und objektiv) wahr und sogar hilfreich sein – aber nicht, wenn ich jemanden zum ersten Mal treffe. Andererseits bin ich lieber gleich beim ersten Mal ehrlich, wenn mir jemand zum Beispiel mit einem Kokos-Riegel eine Freude machen möchte. Sonst kann es passieren, dass ich wieder und wieder etwas bekomme, was ich überhaupt nicht mag.

Es stimmt, wenn Jesus sagt: „… und die Wahrheit wird euch frei machen.“ (Johannes 8, 32) Trotzdem braucht es manchmal Mut, ehrlich zu sein – und Fingerspitzengefühl, vor allem beim `ersten Mal´.

Keine Ahnung!

Wir treffen uns zum Doppelkopf-Spielen mit Freunden. Ich mag das Spiel, es ist nicht so komplex wie Skat – und trotzdem nicht nur eine Frage `guter Karten´. Manche Runde läuft super: Ich weiß genau, was ich spielen muss. Aber dann sind da die Momente, in denen ich `ahne´, dass von meiner nächsten Karte viel abhängt, aber keine Ahnung habe, welche das sein könnte: `Wie komme ich raus?´, frage ich mich – und weiß erst hinterher (oder nicht einmal dann), ob ich mich richtig entschieden habe. Die drei anderen scheinen klarer zu wissen, wie man schlau spielt.

Zwischendrin zögert mein Mann und wirft einen (für mich) überraschenden Satz in die Runde: „Manchmal habe ich keine Ahnung, wie ich rauskommen soll!“ Die anderen beiden bestätigen, dass es ihnen genauso gehe. Ich staune und frage mich, wie ich diesbezüglich auf sie wirke …

Dennoch: An diesem Abend werde ich Letzte – mit reichlich Abstand zum Vorletzten. Es hatte nichts mit meinem Können zu tun; ich hatte einfach nicht so `gute Karten´!

On being polite, helpful or/and honest

“I felt I could help ease things for you a bit by bringing something (and it would also be the polite way of doing things …)”, a friend of mine writes in a text message. I smile. We invited her and her husband over to our place for an evening together – and for a shared meal of Raclette. Immediately after accepting the invitation she asked whether they could bring anything. I declined her offer – hence her surprisingly honest reply.

I know how it is: you are invited to someone else’s home, you have to get the kids ready for bed and the babysitter, you haven’t yet shaken off the stresses of the working week and you are looking forward to an evening out. Sometimes, having to bring something is the last thing on earth you want to do. Out of politeness you still offer your help, but actually you want to be just a guest with no responsibility for two hours – not even having to take back the leftovers of your little contribution to the evening.

On the other hand: as parents of younger kids you sometimes want to invite someone over for an evening. Perhaps you feel a bit daunted by the work it involves – but, out of politeness, you don´t feel free to ask for help. Because of this, I sometimes ask (especially the hosts who have younger kids): “Can I bring anything?” I don’t want to be polite, I want to help ease things a bit for the other one. Sometimes I get an honest answer.

Vom Überarbeiten

Ein Freund bittet mich um einen Gefallen: Ich soll einen Text für ihn überarbeiten und darf `alles verändern´. Normalerweise mache ich so etwas gern – und habe nach einiger Zeit ein Ergebnis, mit dem wir beide zufrieden sind. Diesmal stoße ich an meine Grenzen. Ich verstehe nur rudimentär, was er sagen will; außerdem empfinde ich seine Vorlage als redundant und frage mich: „Darf der Text nachher nur noch halb so lang sein?“ Nach zwei Stunden bin ich einer verständlichen, gut lesbaren Fassung keinen Schritt näher als vorher und mache eine Pause.

Richtig hinter mir lassen kann ich diesen Auftrag jedoch nicht: Ich formuliere im Kopf hin und her und schlage mich einen halben Tag lang gedanklich damit herum; dann setze ich mich erneut hin. Jetzt wird mir schnell klar, dass die Vorlage zu unvollständig ist. Ich kann sie nicht überarbeiten, sondern muss ganz neu schreiben – `alles verändern´ eben. Dazu kenne ich mich aber im Thema zu wenig aus, weshalb ich beschließe, abzusagen. Ich könnte auch kein Auto durch Waschen wieder zum Glänzen bringen, das nicht lackiert ist. DAS allerdings wäre mir sofort klar gewesen …

Dienst-Herr

Per Mail wünscht mir eine liebe Freundin – als verspäteten Neujahrsgruß – den `spürbaren Segen unseres gemeinsamen Dienstherrn´. Sie ist deutlich älter als ich, wohnt weit entfernt, hat ein vollkommen anderes Lebenskonzept als ich, ist gemeindlich anders sozialisiert … – alles unwichtig: Unser gemeinsamer Freund (und Dienstherr) ist Jesus.

Was für ein altertümliches Wort – Dienstherr! Aber es verbindet auf wundersame Weise, wer Jesus ist: Herr auf der einen Seite; und (andererseits) darin der größte Diener, den wir uns vorstellen können. Wir wollen ihm gern ähnlich sein, aber das ist nicht so leicht: Jesus hat es zwar perfekt vorgemacht; aber wir sind eben nicht wie Jesus. Wir wissen vielleicht von seinen Taten – wie er seinen Jüngern die Füße gewaschen hat – und kennen seine Worte: dass er nicht zum Herrschen, sondern zum Dienen gekommen ist. Aber unserer menschlichen Natur entspricht ein herrschender Geist eher als ein dienender. Insofern verstehe ich diesen Neujahrsgruß auch dahingehend, dass Jesus mich segnet mit dem Wunsch, anderen Gutes zu tun: schön und herausfordernd zugleich.

Wunderbare Schöpfung

Angesichts der Niagarafälle sagte kürzlich ein Bekannter von uns, die `Natur lasse ihre Muskeln spielen´. Es ist eine passende Formulierung. Ebenso beeindruckend sind Dinge wie Bienenwaben, die fragile Stabilität von Eiern, rückwärts laufende Krabben, Chamäleons, die ihre Farbe ändern können, und die Tatsache, dass ein Specht 18 bis 20 mal pro Sekunde seinen Schnabel gegen den Baumstamm hämmert … All das nehmen wir einfach so hin, vielleicht staunen wir darüber. Für mich sind es wunderbare Beweise für einen allmächtigen und sehr kreativen Schöpfergott. Entspränge irgendetwas davon einem menschlichen Gehirn – der Nobelpreis wäre das Mindeste.

Schnell

Gerade habe ich mir noch Gedanken über das Unwort des Jahres 2021 gemacht (`Pushback´, das passt insofern, als ganz viele Menschen es nicht verstehen) – da ist der Januar des Jahres 2022 schon fast wieder vorbei. Es ist unfassbar, wie die Zeit vergeht. Einziger Trost dabei: Bald schon ist Sommer – und vielleicht fällt den Verantwortlichen für 2022 wieder ein verständlicheres Unwort ein!

Auf- und Abrüstung

Kürzlich sagte Dr. Andreas Gassen, Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, in einem Interview, in den letzten zwei Jahren hätten Politiker zum Teil `rhetorisch aufgerüstet´. Sie sollten jetzt so langsam wieder `semantisch abrüsten´. Wunderbare Formulierung – und ganz meine Meinung.

Die Sippe

In einem biografischen Buch über Nina Schenk Gräfin von Stauffenberg lese ich davon, wie es deren Mutter nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler erging. Die Tat ihres Schwiegersohnes kam für diese Freifrau Anna von Lerchenfeld völlig überraschend – und machte sie von einem Tag auf den anderen zu einer `Verbrecherin´: Schon fünf Tage nach dem 20. Juli 1944 kommt sie ( aufgrund von Sippenhaft) ins Gefängnis, später ins KZ Ravensbrück und zuletzt in ein Straflager der SS in Matzkau. Dort stirbt sie im Februar 1945 an Typhus. Mit ihrer Tochter und den Enkeln kann sie nicht mehr sprechen; einen Prozess bekommt sie nicht.

In ihrem Buch `Wir müssen über Kevin reden´ beschreibt Lionel Shriver eine Mutter, deren Sohn bei einem Amoklauf mehrere Menschen erschossen hat. Sie kann die Tat ihres Sohnes weder verstehen noch gutheißen; sie ist ebenso entsetzt wie alle anderen – und doch sucht sie die Schuld an seinem Verhalten auch bei sich selbst. Bei allem Wunsch, sich von ihm als Mörder zu distanzieren: Am Ende weiß diese Mutter, dass sie ihren Sohn noch immer liebt.

In unserer Gegend wohnen viele Kurden. Die meisten, die ich kenne, sind in Deutschland geboren und komplett integriert. Hochzeiten oder ähnliche besondere Ereignisse feiern sie jedoch in einem deutlich größeren Rahmen, als bei uns üblich: 300 Gäste sind keine Seltenheit; alle gehören irgendwie zur Familie – und sind den Gastgebern zum Teil gänzlich unbekannt.

Die Sippe ist ein interessantes Phänomen …