Brauchen wir noch?

„Kann man immer mal gebrauchen“ ist ein guter Grund, Dinge aufzuheben. „Leben mit leichtem Gepäck“ ist ein ebenso guter Grund, Dinge nicht aufzuheben. Bei zwei Erwachsenen und fünf Kindern sammelt sich eine Menge an, wenn man nicht regelmäßig aussortiert. Daher verschenken oder entsorgen wir regelmäßig – so wie vor etwa zwei Wochen unsere letzten verbliebenen Holz-Schlitten. Nach fünf Wintern ohne nennenswerte Schneemengen schien das eine gute Entscheidung zu sein.

Gestern Morgen beim Schneeschieben traf mein Mann eine Nachbarin, die keine Kinder hat und offenbar nicht so regelmäßig aussortiert. Sie besitzt drei Schlitten und borgt sie uns gern. Wir leben gut mit leichtem Gepäck – aber manchmal nur, weil andere Menschen Dinge aufheben, die man immer mal gebrauchen kann.

So etwas wie eine Fahrradstraße

Fahrradstraßen können von Autofahrern mit benutzt werden, sind aber vor allem für Fahrradfahrer gedacht: Diese dürfen nebeneinander fahren und – manchmal auch – entgegen der eigentlichen Fahrtrichtung. Fahrradstraßen sind selten, daher kennen sich Autofahrer mit und auf ihnen nicht sonderlich gut aus. Das ist verständlich und zu verzeihen.

Gestern durchfuhr ich eine neue Fahrradstraße in unserer Stadt, es herrschte dichtes Schneetreiben. Was soll ich sagen? Die mir entgegenkommenden Autofahrer schienen zu denken, was sie normalerweise denken: „Uns gehört die Straße; es verschwinde, was keine vier Räder hat!“ Das ist mir unverständlich, aber ich bin es gewohnt.

Ich quetschte mich am Fahrbahnrand an die Seite und startete einen zweiten Versuch, als die Straße frei (von Autofahrern) war. Für einen Moment gehörte sie nur mir und meinem Fahrrad. Es war so etwas wie eine Fahrradstraße – nur mit der eigentlichen Bedeutung hatte das nichts zu tun…

„Immer und Nie“ sind nicht übertrieben

Manchmal bekomme ich Kommentare von Unbekannten auf meine Text-Einträge. Diese sind (bisher) IMMER auf Englisch und IMMER voller Lob. Sie gehen runter wie Öl. Dennoch veröffentliche ich sie NIE – denn sie sind NIE ernst gemeint.

Zum einen beziehen sich diese englischen Kommentare IMMER auf meine deutschen Texte und haben inhaltlich NIE etwas mit diesen zu tun. Zum anderen sind sie IMMER so wertschätzend und lobend, dass ich sie bei allem Wunsch nach Lob und Anerkennung NIE glauben kann.

Als ich kürzlich darüber schrieb, dass ein Liedtext mich erinnert an 30 Jahre alte Erlebnisse, kommentierte jemand: „It`s hard to come by exerienced people for this topic, but you sound like you know what you`re talking about! Thanks!“ (Es ist schwer, Menschen zu finden, die sich mit diesem Thema auskennen; du aber weißt offensichtlich, wovon du sprichst. Danke!)

Lasst sie stecken, diese Lobhudeleien, liebe Leute (oder liebe Computer). Ihr wisst offensichtlich nicht, wovon ihr sprecht. Das wird nicht besser, wenn ihr es trotzdem versucht.

Gleichgesinnte

Auf dem Bauernhof meiner Freundin hole ich Heu. Es duftet herrlich nach Sommer und ist mit dem Gestrüpp aus dem Tierfutter-Laden nicht zu vergleichen. (Ob die Kaninchen meiner Tochter das würdigen können, weiß ich nicht – sie kennen nur diese 1a-Variante.) Normalerweise komme ich auch ohne Heu-Wunsch regelmäßig hier vorbei; aber durch das Home Schooling gehe ich zu anderen Zeiten spazieren. „Ich habe dich schon vermisst“, ruft meine Freundin mir deshalb zu. Als Bäuerin ist sie oft nur „auf ihrer Scholle“ unterwegs und bekommt wenig Besuch. Das ist normal und stört sie nicht weiter. Was sie trotzdem manchmal vermisst, ist das Gespräch „zwischendurch“ mit einer Gleichgesinnten.

Wir beide leben sehr verschieden – und doch „ticken“ wir ähnlich: Es hilft, dass wir beide aus dem Osten kommen und eine Affinität zur Landwirtschaft haben – aber das ist nicht alles. Wir denken und bewerten das Leben ähnlich. Beide sind wir pragmatisch und vertrauen unserem eigenen Gespür – manchmal mehr als den Fakten. Es kommt uns mehr auf den Inhalt an als auf die Verpackung: Lebenstauglich, ehrlich, verlässlich und zufrieden rangieren weit vor einem super Schulabschluss oder einem wohlklingenden Titel. Angst halten wir beide nicht für einen guten Ratgeber, auch nicht momentan. Stattdessen vertrauen wir unserer Lebenserfahrung und Intuition – und erlauben uns eine gesunde Skepsis.

Und deswegen tut es uns beiden gut, ab und an zwischen Hoftor und Stall miteinander zu reden – und zu merken: Wir sind Gleichgesinnte.

Geschichte – lebendig

Meine Tochter redet gern über ihre Hausaufgaben. Ich diene als Projektionsfläche für ihre Gedanken – und manchmal sucht sie auch die schnelle Antwort. Zu Plan- und Marktwirtschaft schüttele ich die Vor- und Nachteile beider Systeme aus dem Ärmel und ignoriere die Texte in ihrem Geschichtsbuch: Es kommt nicht oft vor, dass jemand so offensichtlich davon profitiert, dass ich knapp zwanzig Jahre in der DDR aufgewachsen bin und seit drei Jahrzehnten in der BRD lebe.

Drei Wochen Disziplin

Beim Bäcker: Vor mir warten zwei Leute darauf, eintreten zu dürfen. Sie unterhalten sich, ich höre unfreiwillig zu: „Die Maßnahmen nerven, man sehnt sich den Zustand von vorher herbei.“ „Ja; wenn sich einfach jeder drei Wochen an alle Regeln halten würden, wäre es bald vorbei.“ Es klingt, als läge die Lösung für das Corona-Virus in mehr Disziplin.

Das glauben Sie doch wohl selbst nicht, möchte ich am liebsten sagen – lasse es dann aber. Vielleicht braucht diese Frau – wie wir alle – eine konkrete Hoffnung, um die Einschränkungen klag-arm zu akzeptieren. Womöglich halten wir so leichter durch, bis der Frühling kommt: Wenn die Temperaturen steigen, werden die Infektionszahlen sinken und die Maßnahmen hoffentlich gelockert. Das wird vielleicht die Frage in den Hintergrund rücken lassen, ob unsere Disziplin einen signifikanten Beitrag geleistet hat.

Wichtig

Zur Zeit reduzieren wir alles auf das Nötigste – Kontakte, Kultur, Konsum, Bildung… Was analog nicht möglich ist, ersetzen wir teilweise digital oder streichen es ersatzlos. Dadurch merken wir zweierlei: dass nichts wirklich selbstverständlich und nicht viel wirklich wichtig ist.

Nicht selbstverständlich? Diese Erfahrung ist grundsätzlich gut und öffnet uns die Augen: Wir werden dankbar für das, was wir normalerweise gar nicht mehr als besonders wahrnehmen.

Nicht wirklich wichtig? Wir brauchen wenig, um glücklich und zufrieden zu sein. Wenn wir ehrlich sind, gilt das nur für kurze Zeit. Langfristig möchten wir so nicht leben – reduziert auf das wirklich Wichtige. Denn die scheinbar nicht wichtigen Dinge sind wunderbar und machen unser Leben bunt und leicht und fröhlich.

Down Under

In „Down Under“ von Men at Work heißt es: „And he just smiled and gave me a Vegemite sandwich“. Wenn ich das heute höre, tanze ich und singe mit – und denke an diejenige, die mir mein erstes Vegemite Sandwich gab. Nach 30 Jahren bekomme ich beim Hören dieses Liedes noch immer Gute Laune. Es erinnert mich an meine längst vergangenen Monate in Down Under – und all die wunderbaren Menschen, die mir dort begegnet sind.

Therapie-Möglichkeiten

Durch jahrelange Fehlbelastung bin ich verspannt – im Rücken, im Becken, im Schulterbereich. Lange hat mich das kaum gestört: Der menschliche Körper ist bewundernswert anpassungsfähig und kompensiert viel. In den letzten zwei Jahren behindern die verspannten Muskeln meinen alltäglichen Wunsch, mich schmerzfrei zu bewegen. Es ist zwecklos, auf wundersame Spontan-Entspannung zu hoffen. Krankengymnastik tut gut, reicht aber nicht: Ohne mein eigenes aktives Tun lösen sich die Probleme (in meinem Fall die Muskeln) nur kurzfristig.

Im Grunde scheint es zwei Dinge zu geben als ergänzende Therapie: Ich soll regelmäßig zu Hause etwas tun – nämlich dehnen und lockern. Das macht mir wenig Spaß, kostet etwas Zeit und zeigt nicht sofort einen Effekt.

Ich kann mich auch (wenn möglich) auf ein Pferd setzen – und dabei selbst möglichst nichts tun. Gestern habe ich es ausprobiert. Das macht Spaß, kostet viel Zeit und zeigt nicht sofort einen Effekt.

Was ich auch tue – kurz und ohne Spaß oder länger mit Spaß: Ich hoffe, dass sich meine Muskeln langfristig wieder entspannen.

Ein Nebeneffekt

Ich bin nicht gern krank; aber ich weiß, dass Erkältungskrankheiten zum Leben dazu gehören und mir letztlich dienen: „Grippale Infekte aktivieren das Immunsystem und halten es in Schuss – das ist wie Immun-Jogging. Damit das Immunsystem funktioniert, muss es immer wieder trainiert werden – wie ein Muskel. Die einzige Möglichkeit für so ein Training bietet der erneute Kontakt mit Viren“, lese ich in einer Zeitschrift. Außerdem tut es dem Immunsystem gut, wenn wir ausreichend schlafen, Drogen und Stress meiden, uns regelmäßig bewegen und gesund ernähren. Wir wissen das und berücksichtigen es – sofern es sich in unser normales Leben integrieren lässt.

Spätestens seit Corona ist wenig normal und viel Ausnahme – psychisch und körperlich. Wir sorgen und ängstigen uns, meiden das gesellige Zusammenkommen mit anderen, sind wenig draußen unterwegs, treiben unregelmäßig (wenn überhaupt) Sport und achten penibler als bisher auf Hygiene. Dadurch „schützen“ wir uns vor dem Corona-Virus und als Nebeneffekt auch vor anderen Viren. Dabei sind diese wichtig für unser Immunsystem: „Grippale Infekte aktivieren das Immunsystem und halten es in Schuss – das ist wie Immun-Jogging. Damit das Immunsystem funktioniert, muss es immer wieder trainiert werden – wie ein Muskel. Die einzige Möglichkeit für so ein Training bietet der erneute Kontakt mit Viren.“