Geroblond?

„Ich bin blond“, sage ich und ernte skeptisch bis mitleidige Blicke, ein kurzes Schweigen und schließlich ein klares „Nein, bist du nicht“ meiner Kollegin. Ich versuche zu widersprechen, gebe ein „bisschen grau“ gern zu, bestehe aber auf „hauptsächlich noch blond“. Meine Chefin grätscht dazwischen. Wohl um uns beide zufriedenzustellen, sagt sie: „Du bist geroblond.“ Jetzt bin ich es, die skeptisch guckt, kurz schweigt und dann gern etwas erwidern würde. Mir fällt nichts Schlaues ein – wahrscheinlich hat sie recht.

Nicht so einfach

Momentan ist Spargelzeit. Auch bei uns um die Ecke steht einer der kleinen Holzverschläge, in denen man das `weiße Gold´ sowie Erdbeeren und Kartoffeln kaufen kann. Am Samstagmorgen stehen die Leute Schlange, einige haben vorbestellt; der junge Mann hinterm Thresen wirkt dadurch etwas gestresst. Ein Kunde vor mir möchte vier Kilo geschälten Spargel, für drei davon benötigt er eine Quittung – erhöhter Schwierigkeitsgrad für den Verkäufer: Als er den Quittungsblock endlich gefunden hat, tut er sich schwer mit der Handhabung. Nach einigem planlosen Herumhantieren erkläre ich ihm, wie er die Trennpappe zwischen die aktuelle Rechnung und die dahinter liegenden platzieren muss. Das Kopfrechnen überlasse ich ihm – ich will nicht übergriffig sein. Glücklicherweise hat er ein Handy parat und schreibt 64 Euro, bis der Kunde ihn erinnert, dass er die Quittung nur für drei der vier Kilo benötigt. „Ach, stimmt ja“, und es geht noch einmal von vorn los: Pappe dazwischen, neu rechnen, Handy zücken. Endlich zieht der Kunde zufrieden ab. Ich stelle meine Erdbeer-Schälchen auf die Waage. „Moment noch“, sagt der junge Mann und füllt eine weitere Quittung aus, wieder über 48 Euro – als Beleg für die Kasse vielleicht? Wo die Kopie des Originals gelandet ist, frage ich mich, sage aber nichts. Stattdessen nehme ich zwei Kilo Spargel zu jeweils zehn Euro – ohne Quittung. Der junge Mann atmet durch …

Keine Ahnung?

Das `Theater der Nacht´ in Northeim hat ein besonderes Treppenhaus: Es ist dem Skelett eines Drachen nachempfunden. Von ganz unten im Keller kann man bis unters Dach schauen; die Windungen der Drachen-Wirbelsäule werden immer enger. Für mich ist das eine interessante Gestaltungsidee – aber nicht mehr. Ein anderer Besucher ist dagegen ganz begeistert von der Konstruktion. Er ist Bauingenieur und hat einen vollkommen anderen Blick. Die zugrundeliegende Idee an sich fasziniert ihn ebenso wie die Tatsache, dass Beton dazu verwendet wurde. Für diesen brauche man eine Schalung, sagt er, und in solch einer Spiralform sei das schwierig. Außerdem müssten die Steinchen in der Betonmischung bleiben, wo sie sind – was genau die richtige Konsistenz voraussetzt.

Weil er weiß, was machbar ist und was nicht, kann er viel besser wertschätzen, was er hier sieht. Ich sehe dasselbe wie er – und doch nicht. Im schlimmsten Fall erlaube ich mir sogar ein völlig unqualifiziertes Urteil: weil ich keine Ahnung habe.

Ausgehungert? Wohl kaum!

Vergangenes Jahr war ein Sichtschutzgitter an unserer Terrasse total verrottet war. Es hielt noch, aber nur durch den an ihm rankenden Efeu. Mein Mann schlug vor, nicht nur das Gitter zu erneuern, sondern gleich auch die Pflanzen auszutauschen: irgendetwas anderes als Efeu. Dazu schnitten wir diesen kurz über dem Boden ab und häckselten in mühseliger Kleinarbeit alle Ranken. „Über den Winter hungern wir den Efeu einfach aus“, sagte mein Mann. Ich lächelte angesichts seiner Zuversicht.

Eine Plane sorgte in Herbst, Winter und Frühjahr dafür, dass die Wurzeln auf dem Trockenen saßen. Wie ich ahnte und wir jetzt sehen, lässt sich der Efeu davon nicht beeindrucken und vor allem nicht am Wiederaustreiben hindern. Die ersten grünen Blättchen sind schon da. Wir können uns darüber ärgern und es weiter mit Aushungern versuchen. Oder aber wir akzeptieren den Ist-Zustand und bauen dem Efeu ein neues Rankgitter über die lebenshungrigen Wurzeln.

Das Haus, die Lücken und ich

In den vergangenen 25 Jahren bauten wir so einiges um und an: So wie die Familie sich vergrößerte, wuchs das Haus mit. Jetzt zieht ein Kind nach dem anderen aus; das Haus und ich, wir spüren die Lücken, die sie hinterlassen. Manche davon kann man so und so sehen …

Momentan stehen vier von fünf Kinderzimmern leer – drei endgültig, eins gerade noch ein letztes Mal vorübergehend.
Die Handtuchhaken im Badezimmer sind die meiste Zeit ohne Funktion.
Ich koche aus Macht der Gewohnheit fast noch so wie früher – und wir müssen drei Tage dasselbe essen.
Schon beim Reinkommen im Flur sieht es unbewohnt aus bei uns: kein einziges Paar Schuhe da.
Die Stille im Haus ist ungewohnt und manchmal schwer auszuhalten.

Aus den leerstehenden Kinderzimmern quillt keine Unordnung.
Ich kann von allen Hausbewohnern die Handtücher wechseln, ohne sofort eine Waschmaschine anwerfen zu müssen.
Was ich koche, reicht meistens für zwei Tage.
Im Flur herrscht auch dann Ordnung, wenn das verbliebene Kind zwei Paar Schuhe dort abstellt.
Die Stille im Haus ist ungewohnt und manchmal sehr angenehm.

Der Weg ist das Ziel?

„Wenn einer eine Reise tut, so kann er was erleben.“
Matthias Claudius

Ein Kind fährt mit einem Busunternehmen nach Spanien. 24 Stunden sind für die Hinreise anvisiert – aus meiner Sicht keine schöne Vorstellung, aber das Kind ist zuversichtlich, dass es lustig wird. „Viel schlafen werden wir nicht“, sagt es; das schätze ich auch. Nach zehn Stunden sind sie kurz vor Köln, und es ist klar, dass sie mit 24 Stunden nicht auskommen werden. Am Ende sind sie 32 Stunden unterwegs; davon schlafen sie in der Tat sehr wenig: „… vielleicht eine halbe Stunde“, berichtet das Kind am Telefon. Es hört sich müde an – wen wundert´s. Es sei so ziemlich alles schiefgelaufen, was schieflaufen kann, sagt es noch. Aber insgesamt überwiegt die Freude, jetzt endlich da zu sein.

Vor der Gruppe liegen jetzt eine hoffentlich erholsame Nacht, vier Tage vor Ort und dann die – schätzungsweise 24-stündige – Rückreise. Aus meiner Sicht stehen Aufwand und Nutzen schon jetzt in keinem guten Verhältnis zueinander. Das Kind sieht das hoffentlich anders.

Pflicht oder Spaß

Es hat geregnet, alles sprießt und wächst, auch das Unkraut. Wie immer sieht man es erst dann in seiner ganzen Fülle, wenn man davor auf die Knie geht oder in die Hocke. „Unkraut jäten macht mir Spaß“, sagte ich früher, „man kann gut abschalten und sieht hinterher, was man geschafft hat.“ Der Satz war nicht gelogen, hat sich aber über die Jahre verändert. Ich kann noch immer abschalten und sehe, was ich geschafft habe, nur der Spaß hält sich in Grenzen. Selten und überschaubar ist Gartenarbeit in Ordnung – mehr aber auch nicht. Während ich das denke, fühle ich mich fast ein bisschen schlecht: Darf ich das, keine Lust mehr haben zur Gartenarbeit oder zumindest nur begrenzt?

Schließlich bin ich sozusagen `vom Fach´, habe Landwirtschaft studiert und konnte mir damals ein Leben auf dem Bauernhof vorstellen. Daraus wurde nichts – vielleicht zum Glück? Denn 30 Jahre später lebe ich höchst zufrieden ohne Acker oder `Acker light´. Ich habe weder einen Gemüsegarten noch eine Kräuterspirale und ziehe nicht jedes Jahr meine eigenen Tomaten. Mein Leben spricht seine eigene Sprache, was mir wichtig und ein Anliegen ist. Ausgiebiges Gärtnern gehört nicht dazu, obwohl ich den Garten an sich genieße und nicht missen möchte.

Ein wenig liegt es sicher an den veränderten Umständen: Ich habe weniger Zeit und mehr Rückenprobleme. Damit einhergehend haben sich meine Vorlieben und Interessen verschoben. Was mich früher begeisterte – vielleicht auch aus Gewohnheit, passt heute einfach nicht mehr so gut rein in mein Leben. Und deshalb bin ich froh, dass der Garten inzwischen relativ pflegeleicht ist und meiner Arbeitskraft nur gelegentlich und kurz bedarf. Sonst würde zu einer leidigen Pflicht, was ich früher als spaßige Abwechslung empfand.

Nicht mehr krank genug

Ich bin erkältet, schniefe rum und huste. Die Krisis war am Mittwochnachmittag. Seit gestern geht es besser; der Kopf ist nicht mehr so müde, das hilft. Meine Kräfte kommen zurück und ich reagiere angriffslustig auf eine kritische Bemerkung meines Mannes. Es geht ein bisschen hin und her; wir müssen beide lachen: weil wir beide wissen, dass unser `Streit´ an meiner überschüssigen Energie liegt. „Solltest du mal laufen gehen und kannst aber leider noch nicht?“, fragt er mich denn auch. Er hat recht, DAS wäre eine Möglichkeit. Ich bin deutlich ausgeglichener, wenn ich regelmäßig meine Runden drehen kann. Daran ändert auch ein Atemwegsinfekt nichts – zumindest nicht, wenn er schon im Abklingen ist.

Tage gibt´s …

An einem solchen Tag, an dem ich mittags von der Arbeit nach Hause radele – mit Regenhose – und es sofort anfängt, stark zu regnen, und ich nach zehn Minuten nasse Füße bekomme – Gamaschen vergessen – und auch die Unterschenkel langsam feucht werden, ich mich dann doch für den Schlenker über den Supermarkt entscheide, weil erstens der Regen etwas nachlässt und ich zweitens unbedingt einkaufen muss vor dem Feiertag, auch weil die beiden, immer hungrigen Studenten nach Hause kommen, und mir ist auch noch einigermaßen warm – wenn ich auch kaum noch ein trockenes Fleckchen an mir fühle, und ich dann ganz schnell mit dem Einkaufen fertig bin und wieder auf mein Rad steige und der Regen prompt wieder so richtig lospladdert und mir all das einfällt, was ich in der Eile vergessen habe, ich aber erstmal nach Hause fahre, was auch gut so ist, denn mehr hätte nicht in meine Einkaufs- und Satteltaschen gepasst und ich bin inzwischen sehr ausgekühlt, also an einem solchen Tag …

… freue ich mich, dass ich ein trockenes Haus habe und mir eine Wärmflasche machen kann,
… bin ich dankbar, dass ich den späteren Einkauf mit Schirm und zweiter Regenjacke absolvieren kann,
… wünsche ich mir ein Auto, weil das alles ein ganz klitzekleines bisschen einfacher machen würde.

Gebraucht

Wir kaufen manches gebraucht: unser Haus, unsere Autos, Fahrräder für wachsende Kinder, Bücher, Mobiltelefone … Dabei achten wir auf ein gutes Preis-Leistungsverhältnis und einen angemessenen Zustand.

Auch das, was wir neu kaufen und gebrauchen, nutzt sich irgendwann ab: mein Fahrradanhänger, der Küchentisch, die Kissen auf dem Wohnzimmersofa, Handtücher … Nichts bleibt `wie neu´, so sehr wir uns auch bemühen. Aber unsere Perspektive ändert sich. An den Verschleiß, den wir selbst herbeiführen, gewöhnen wir uns und übersehen ihn leicht. Erst wenn wir mit den Augen eines anderen hinschauen, sehen wir, dass aus gebraucht manchmal schon verbraucht geworden ist.