Der erste Schritt

„Ich will euch trösten, wie einen eine Mutter tröstet …“
Jesaja 66, 13

Väter sind lösungsorientiert, das ist großartig. Sie ermutigen durch Worte und bleiben dabei schön sachlich. Dadurch helfen sie, die Perspektive zu wechseln – und dann spiele ich vielleicht morgen doch wieder mit dem Mädchen, das mich heute so blöd angemacht hat. Aber letztlich machen Väter dadurch oft den zweiten Schritt vor dem ersten.

Wenn die Seele weint, braucht sie erstmal keine Ablenkung („Anderen geht es noch schlechter.“), keine pauschale Ermutigung („Wird schon wieder.“) und auch keine gute Alternative („Dann gehst du eben nicht zur Bahn, sondern zur Polizei.“). Ein trauriges Herz braucht Trost, den es spüren kann. Wieso sagt Gott dann hier nicht: „Ich will euch so trösten, dass ihr es im Herzen spürt“? Gott spricht oft in Beispielen zu uns; wir verstehen ihn dann besser. Und weil Trost eine zutiefst empathische Aktion ist, sagt „wie eine Mutter tröstet“ alles.

Denn in Empathie sind Mütter besser. Zwar fehlen uns manchmal die Worte, und wir haben selten eine Lösung: So ticken wir nicht. Stattdessen wagen wir uns hinein in das Elend des anderen – durch eine Umarmung, durch Zuhören und dadurch, dass wir die Verzweiflung des anderen zulassen. Dadurch vermitteln wir Nähe und sagen ohne Worte: „Deine Traurigkeit darf sein, ich ertrage sie mit dir zusammen.“ Genau dadurch erfährt die Seele Trost und Annahme. Und das ist der erste Schritt. Danach kann der zweite kommen – gern mit Ablenkung, Ermutigung und Alternativen. Darin sind Väter super; aber trösten können Mütter besser.

(Zwei Ermutigungen für Väter: Es gibt Ausnahmen; und der zweite Schritt ist genauso wichtig wie der erste.)

Wunderbare Vielfalt

In unserer Tageszeitung sind zwei Leserbriefe zu den Corona-Maßnahmen im November abgedruckt – sie könnten unterschiedlicher nicht sein. Der eine Schreiber empfindet diese als zunehmend unerträglich und unschön hinsichtlich der persönlichen Freiheit. Dem anderen reichen die Maßnahmen nicht weit genug: Er fordert deutlich drastischere Einschnitte – nämlich zwei Wochen radikale häusliche Abschottung, medizinische Notversorgung und einen Lieferdienst für Lebensmittel durch Einsatztrupps.

Egal, was ich von beiden Briefen halte: Sie offenbaren den tiefen Graben, den das Virus in unserer Gesellschaft ausgehoben hat. Ich frage mich, wie wir ihn wieder schließen können und dabei trotzdem gut und respektvoll miteinander umgehen. Meinungsvielfalt ist großartig – und anstrengend. Wir müssen sie wahrnehmen, aushalten und für ein gutes Miteinander nutzen. Dabei können wir uns wunderbar ergänzen oder herrlich streiten; der Ton (in der Auseinandersetzung) macht die Musik (des gemeinsamen Kompromisses). Demokratisches Verhalten ist nicht den Politikern vorbehalten. Es fängt nicht erst in Ämtern oder Parlamenten an, sondern direkt in meiner Nachbarschaft.

In der heutigen Zeit

Im Supermarkt an der Brot-Selbstbedienung liegt ein Einmal-Handschuh von meinem Vorgänger: Ich benutze ihn und lege ihn wieder hin – für meinen Nachfolger. Als ich weitergehe, spricht jemand hinter mir: „Man kann seinen Müll auch wegwerfen.“ Ich drehe mich um. Tatsächlich: Ich bin gemeint – also antworte ich: „Ich habe den Handschuh verwendet, der dort schon lag. Und ich habe ihn nicht weggeworfen, weil ich dachte, er könnte noch einmal benutzt werden.“ Der Mann hebt kaum den Blick: „In der heutigen Zeit?“ Ich bedanke mich für seinen Hinweis.

Die Begegnung ist kurz, trotzdem beschäftigt sie mich noch eine Weile. In der heutigen Zeit sollen wir uns möglichst voneinander fern halten und wahrscheinlich nicht dieselben Einmal-Handschuhe benutzen – es soll gut sein für uns alle. Außerdem achten wir in der heutigen Zeit wieder mehr darauf, was der andere tut – das ist gut bis umstritten. Offensichtlich üben wir uns in der heutigen Zeit auch verstärkt darin, anderen Anweisungen zu geben – das kann man für gut halten (Zivilcourage) oder für übergriffig.

Wir werden sehen, was davon typisch ist für die heutige Zeit und was uns in Zukunft noch begleiten wird. Auf jeden Fall wünsche ich mir, dass wir uns direkt ansprechen und in die Augen schauen, wenn wir etwas zu sagen haben. Von hinten und ohne Blickkontakt werde ich weder heute noch morgen gern kritisiert.

„Last minute“-Kunstprojekt

Montagmorgen, wir frühstücken. Unsere Tochter erzählt von einem Kunstprojekt für die Schule. Aus einem T-Shirt und Büroklammern soll etwas entstehen – was, bleibt den Schülern überlassen. Sie arbeiten in Zweierteams, aber die Partnerin meiner Tochter ist diese Woche in Quarantäne. Daher bittet meine Tochter den Familienrat um eine „last minute“-Idee. Wir überlegen miteinander, was sich gestalten ließe. Ein Lampenschirm zum Beispiel oder ein Drache?

„Wie lange seid ihr schon dabei?“, frage ich. Stille. „Eine Doppelstunde?“ – Kopfschütteln. „Zwei?“ – Kopfschütteln. „Drei oder vier?“ – Keine Reaktion. „Was habt ihr denn bisher gemacht?“ Sie – ein wenig kleinlaut: „Wir haben den anderen Teams geholfen.“ Sie haben geholfen – großartig. „Und wie lange habt ihr noch Zeit?“, frage ich zum Abschluss. „Zwei Doppelstunden“, lautet die Antwort. Oh je: Ad hoc-Kreativität ist schwierig, ich brauche dazu Muße und Zeit – und halte mich ab jetzt raus.

Einen Tag später weiß die Tochter zumindest schon, was sie machen wird: einen Mülleimer. Bis zur nächsten und letzten Doppelstunde am kommenden Montag kann sie sich nun ganz entspannt um andere Dinge kümmern. Für die Umsetzung muss „last minute“ reichen – ebenso wie für die Idee.

Mein Fokus

„Gott ist unsere Zuversicht und Stärke, eine Hilfe in den großen Nöten, die uns getroffen haben. Darum fürchten wir uns nicht, wenngleich die Welt unterginge und die Berge mitten ins Meer sänken, wenngleich das Meer wütete und wallte und von seinem Ungestüm die Berge einfielen. Dennoch soll die Stadt Gottes fein lustig bleiben… Gott ist bei ihr drinnen, darum wird sie fest bleiben; Gott hilft ihr früh am Morgen.“
Psalm 46, 1-5a+6

Wo man hinschaut und hinhört: Der Fokus liegt auf dem Corona-Virus. Seit Monaten geht es darum, mal mehr und mal weniger – gerade wieder mehr. Es ist nicht so leicht, sich gedanklich mit etwas anderem zu beschäftigen, obwohl es genug anderes gäbe. Alles erscheint unwichtig, Corona scheint wichtiger zu sein. Das Virus hat sich breit gemacht in unserer Welt – egal was wir persönlich davon halten und welche Meinung wir dazu vertreten. Diesem „Corona-Fokus“ etwas entgegen zu halten, tut gut.

Gestern im Gottesdienst ging es vor allem um Jesus – wie wohltuend. Dort haben wir Corona den Raum versagt, den dieses Virus in unserem Leben und unserem Denken beansprucht. In den Fokus meiner Gedanken und meines Lebens gehört kein Virus – und auch nicht die `ergriffenen Maßnahmen´. In den Fokus meiner Gedanken und meines Lebens gehört Jesus selbst. „Die Stadt Gottes“ (die Gemeinde Gottes) kann „fein lustig bleiben“, denn „Gott ist unsere Zuversicht und Stärke, eine Hilfe in den großen Nöten, die uns getroffen haben“. Noch versinken die Berge nicht im Meer oder fallen ein; aber selbst dann gälte für die Gemeinde Gottes: „Gott ist bei ihr drinnen, darum wird sie fest bleiben …“

Mein Karten-Dilemma

Ich kaufe immer wieder neue Post-Karten, obwohl ich viele besitze. Warum? Einige Karten habe ich geerbt; sie sind kitschig-hässlich: Ich kann sie nicht guten Gewissens verschicken und sollte sie wegwerfen, aber das fällt mir schwer. Andere Karten sind wunderschön. Ich hänge an ihnen und verschicke sie nur zögerlich – auch wenn ich weiß, dass es der Zweck einer Karte ist, beschrieben und verschickt zu werden. Gegen dieses Dilemma hilft nur: neue Karten kaufen, beschreiben – und gleich weg damit.