Schärf deine Säge!

Eine Familie ist relativ neu in unserer Nachbarschaft und noch sehr beschäftigt, Haus und Garten nach ihren Vorstellungen umzubauen beziehungsweise zu gestalten. Der Hausherr ist geschickt und motiviert und macht ganz viel selbst. Letztens zerlegte und fällte er einen Baum von der Hebebühne aus und mit ziemlich stumpfer Motorsäge – mühselig, schweißtreibend und langsam. Es wäre eine gute Idee, die Säge zu schärfen, dachten wir beim Vorbeigehen.

Die Säge zu schärfen, weiß ich von meinem Mann, ist ein universelles Prinzip: das Prinzip der Pause, in der man seine Ressourcen erneuert (=schärft). Es gilt für Material, aber auch für den Körper und, wie ich jede Woche merke, für den Geist.

Seit einiger Zeit löse ich gern das Um-die-Ecke-gedacht-Rätsel in der ZEIT. Es ist nicht einfach – vor allem der Anfang. Ich rätsele fast immer in zwei Etappen: Oft fange ich am Freitagabend an und muss irgendwann aufhören, weil ich nicht weiterkomme. Am nächsten Tag habe ich dann (fast wie `von selbst´) einen frischen Blick und bin neu konzentriert. Und das, was am Abend zuvor noch völlig außerhalb meiner mentalen Reichweite lag, wird plötzlich machbar. Bis zur endgültigen Lösung dauert es dann nicht mehr lange.

Es fasziniert mich jedes Mal wieder neu und bestätigt: Pausen sind kein Zeitfresser, sondern ein doppeltes Geschenk! Einerseits tut mir eine Pause währenddessen gut. Zusätzlich verleiht sie mir für das Danach neuen Schwung. 

Fassungslos und sehr dankbar

Mein Mann erzählt mir von einem schwierigen Gespräch, das er geführt hat. Ich staune über sein Geschick. Spontan lasse ich mich hinreißen zu einem ehrlichen: „Du bist großartig!“ Er lacht sich schlapp. Ich bin fassungslos, was für eine Perle ich da geheiratet habe – und nach fast 27 Jahren sehr dankbar.

Leider fachfremd

„Dafür bin ich zu wenig Orthopäde …“, sagt meine Frauenärztin und ich stutze einen klitzekleinen Moment. Denn glücklicherweise ist sie kein Fachidiot, wie man so sagt, sondern hat einen vertrauenerweckend ganzheitlichen Blick auf die Physis. Aber wieso mein Oberarm bei bestimmten Bewegungen schmerzt, kann sie mir leider nur ganz grob beantworten. Irgendwas von entzündeter Sehne weiß sie zu berichten. Die dadurch ausgelösten, von ihr beschriebenen Symptome passen zu dem, was ich erlebe. Mit den Wechseljahren hat die ganze Sache ihrer Meinung nach nichts zu tun – eher mit meinem Alter an sich. Und was sich dagegen tun lässt, will und kann sie mir auch nicht sagen. Denn dafür sei sie zu wenig Orthopäde. Schade eigentlich! 

Bleib? Nö!

Hundebesitzer sind ebenso bei Wind und Wetter draußen wie Eltern kleiner Kinder oder Läufer. Die meisten sind freundlich – ob sie ihren Hund nun im Griff haben oder nicht. Manche reden nur mit ihrem Hund, nicht aber mit dem Menschen, dem der Hund gerade hinterherrennt. Damit kann ich inzwischen leben, sofern das Tier aufgrund des Geschimpfes irgendwann von mir ablässt.

Ein Hundebesitzer, dem ich – glücklicherweise – sehr selten begegne, redet jedoch überhaupt nicht: auch nicht mit seinem Hund. Stattdessen bleibt er, also der Hundebesitzer, stehen, wenn er mich sieht. Ohne Blickkontakt stellt er sich vor seinen vierbeinigen Liebling. Verständlicherweise ist dieser umso neugieriger und starrt mir gespannt entgegen. Wenn ich ehrlich bin, macht das keinen besonders vertrauenerweckenden Eindruck. Entsprechend nervös gehe (oder jogge) ich dann an beiden vorbei – zurecht: In einer fließenden Bewegung drängelt sich der Hund hinter seinem Herrchen vorbei und springt mir vor die Füße, soweit es die dann plötzlich straff gespannte Leine zulässt. Und noch immer: kein einziges Wort.

Der Mensch könnte wissen, dass ein zufällig vorbeilaufender Spaziergänger mit seinem Hund weder um die Wette rennen noch spielen möchte. Aber der Hund? Der weiß das nicht, dem muss man das sagen, meinetwegen mit einem: „Bleib!“ oder: „Hiergeblieben!“ Irgendetwas, es ist mir egal. Aber ganz ohne Kommunikation macht der Hund eben, was ER will.

Wunderbar!

„Das kannste dir nicht ausdenken!“, sagt mein Sohn, wenn etwas wortwörtlich wunderbar ist: eine Situation 100-prozentig passt oder etwas einfach super läuft etc. Jemand anderes spricht dann vielleicht von einem tollen Zufall; aber wir wissen, was er meint – nämlich dass Gott seine wunderbaren Finger im Spiel hat.

Einige Job-Möglichkeiten der letzten Monate kamen nicht zustande – oft aus mir nicht ersichtlichen Gründen. Der Job, den ich jetzt habe, ist Neuland für mich. Ich muss mich konzentrieren und kann und muss täglich viel dazulernen. Aber die meisten meiner Aufgaben passen zu mir, als hätte jemand sie genau zugeschnitten auf meine Gaben und Interessen. Einfach wunderbar – das kannste dir nicht ausdenken.

Die Schulen werden´s schon richten – irgendwie

Das Land lehnt ein Handyverbot an Schulen ab; das sei `rechtlich nicht durchsetzbar´, heißt es. Stattdessen vertraue man auf die Fachkompetenz und Eigenverantwortung der Schulleitungen, Lehrkräfte und Elternräte. Die sollen richten, was die Eltern nicht schaffen – und man fragt sich: Was sollen die Schulen denn NOCH machen?

Ein paar Tage später lese ich, dass eine Schule es dann doch gewagt hat, Handys aus dem Schulalltag zu verbannen. Sie wird glatt zurückgepfiffen und der Beschluss rückgängig gemacht. Gut so, sagt ein dort lernender Schüler, so ein Verbot gehe an der Lebensrealität der Schüler vorbei. Schließlich habe nun mal fast jeder ein Handy – auch schon in der Grundschule. Alles klar, denke ich. Und weil sie nun mal da sind, die mobilen Handgeräte, muss man sie auch überall mit sich führen und benutzen dürfen. Schließlich leben wir in einem freien Land. Egal, ob der IST-Zustand fragwürdig ist, darf er doch nicht infrage gestellt werden.

Eine andere Schülerin argumentiert noch interessanter: Für sie sei ihr Handy ein nötiger `Rückzugsort im stressigen Schulvormittag´. Eine Generation, die digitale Reizüberflutung als Rückzugsort im analogen Miteinander empfindet – finde nur ich das bedenklich?

In echt!

Auf dem Weg zur Arbeit überquere ich meist ein kleines Flüsschen. Eines Morgens kreuzt ein Vogel meine Route – ganz dicht vor mir, ungefähr auf Höhe meines Vorderrades. Er ist klein, das Gefieder auf seinem Rücken strahlend blau.

Ich bin kein Ornithologe, aber ein eifriger Beschreiber verschiedener Foto-Postkarten-Serien. Deshalb erkenne ich ihn sofort: ein Eisvogel. Was für eine unerwartet besondere Begegnung; so nah werde ich ihm `in echt´ wohl nicht wieder kommen!

Je nachdem – so oder so beschränkt

„Warum waren Sie noch nie da?“, fragt mich meine Frauenärztin. Mein Schulterzucken beantwortet sie mit einer ausführlichen Erklärung: Nicht umsonst werde das Mammografie-Screening angeboten, weil dadurch zuverlässiger auch kleinste Knoten gefunden würden: „Die kann ich gar nicht ertasten.“ Und dann sagt sie noch viel mehr, fast ohne Luft zu holen, während sie mich unverwandt anschaut. Dabei bewegen sich ihre Augen nur minimal, sie blinzelt kaum. Ihr Blick irritiert mich ein wenig, so dass ich Mühe habe, ihren Ausführungen zu folgen. Ich höre was von `quetschen´ und `blaue Flecken am Schienbein´ und frage mich, was das alles mit meinem Busen zu tun hat. Schlussendlich verabschiede ich mich mit dem Eindruck, ich sollte mich mal um einen Termin fürs Mammo-Screening kümmern.

Nachmittags treffe ich eine gute Freundin. Vor einigen Jahren hatte sie Brustkrebs – inklusive Bestrahlung und Chemo. In dieser Zeit haben wir uns oft gesehen, geredet und gebetet. Als ich von der Empfehlung zur Mammografie erzähle, hebt sie abwehrend die Hände: „Das würde ich nicht machen“, sagt sie, „die Brust wird so stark gequetscht, das soll manchmal Brustkrebs überhaupt erst auslösen!“

Interessant, denke ich, und auch unglaublich. Aber die Vorbehalte gegen das Quetschen beim Mammografie-Screening scheinen weit verbreitet zu sein. So weit, dass meine Frauenärztin selbstverständlich davon ausgegangen war, ich würde sie kennen und deswegen skeptisch sein. Außerdem stimmt es mal wieder: Du kannst zehn Leute fragen und zehn Meinungen erhalten. Es hängt von mir ab, wem ich glaube und vertraue. In dem Fall bin ich sicher, dass beide Frauen mein Bestes wollen. Je nachdem also, wen ich als nächstes frage, wird sich die eine Sicht bestätigen oder die andere.

Meiner Freundin und meiner Ärztin geht es da ebenso wie mir: Hinsichtlich des Mammografie-Screenings beziehen sie ihre Informationen aus dritter Hand. Die eine ist Ärztin – und schulmedizinisch qualifizierter. Die andere ist Betroffene und sicherlich empfänglicher, was jenseits der Schulmedizin diskutiert wird. Und beide Sichtweisen sind auf ihre Weise beschränkt.

Wie nett ausbaldowert!

In einem Artikel in der Zeitung wird der Sprecher irgendeiner Staatsanwaltschaft zitiert – indirekt: Die drei Terroristen hätten `die Gegend ausbaldowert´, steht da. Ausbaldowert, ich muss lächeln: Wie lange habe ich dieses Wort nicht mehr gehört, geschweige denn gelesen!

Besagter Sprecher ist wohl nicht mehr der Jüngste, denke ich, und er redet, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Juristensprech hört sich anders an – Zeitungsdeutsch auch. Welcher Journalist das wohl ausbaldowert hat, diese Aussage so ungeglättet zu übernehmen … 

Der Klassiker

Laut einer Erhebung geht mittlerweile jedes siebte bis fünfte Kind ohne Frühstück in die Schule, also: ohne gefrühstückt zu haben UND ohne Brote im Gepäck. Und dann sitzen sie da, diese Schüler, und können sich nicht konzentrieren, weil sie Hunger haben – ein klassisches und oft zitiertes Beispiel für Vernachlässigung. Die Ursache liegt bei den Eltern, die entweder nicht darauf achten wollen oder können.

Erwischt, denke ich mir. Frühstück vor beziehungsweise in der Schule war und bleibt auch in unserer Familie ein schwieriges Thema. Und das, obwohl wir mit gutem Beispiel vorangehen und morgens gemeinsam am Essenstisch sitzen. Als unsere Kinder klein waren und sich noch nicht so gut wehren konnten, nötigten wir sie zu einigen Bissen oder wenigstens zu einem Glas Milch. Spätestens bei den Schulbroten kam unsere Einflussnahme jedoch an ihre Grenzen: Die Kinder brachten sie oft unangetastet wieder mit nach Hause und aßen sie dann hier vor dem Mittagessen. Manchmal fand ich die Klappstullen Wochen später beim Unkrautjäten in der Hecke vor dem Hause – oder sie wurden auf dem Heimweg irgendwo im Nirgendwo entsorgt.

Unser Jüngster ist 15, und auch er steht lieber spät auf, als sich Zeit fürs Frühstück zu nehmen. Die paar Minuten, bis er losmuss, verbringt er am Handy, das dann hierbleibt – damit er sich in der Schule besser konzentrieren kann. Ob das klappt, ist angesichts des verpassten Frühstücks natürlich fraglich.

Ich weiß, wie wichtig laut irgendwelcher Ernährungsexperten das morgendliche Frühstück gerade für junge Menschen ist. Ein Gehirn, das arbeiten soll, braucht Energie. Außerdem sollte man während der Kindheit gute Gewohnheiten entwickeln: Was wir essen und trinken sollten, wie viel wovon, in welchen Abständen … Das Internet ist voll mit `gesunden und schmackhaften Ideen für ein abwechslungsreiches Frühstück´. Aber was soll ich sagen? Sie prallen an mir ab. Denn auch ich hatte ein ambivalentes Verhältnis zu meinen Schulbroten. Meine Lösung war Condor, der Schäferhund meines großen Bruders. Er war nicht mäkelig, immer hungrig – und ein verlässlicher Abnehmer für meine Pausenbrote.