Eine gute Mischung

Wir haben ein Smoothie-Gerät. Du füllst diverse Zutaten ein; das Gerät zerkleinert diese in zwei Minuten und vermischt alles gründlich. Vor dem Mixen sehen die einzelnen Komponenten einzigartig aus und schmecken jede für sich lecker – und einseitig: nach Banane oder Himbeeren oder Körnern oder Wasser. Nach dem Mixen sieht das Gesamtergebnis gleichförmig aus (bräunlich, rötlich oder grünlich), schmeckt lecker – und komplex: nach einer wunderbaren Mischung aus Bananen und Himbeeren und Körnern und Wasser.

Ebenso funktioniert ein Chor, ein Orchester, ein Theater-Ensemble, eine Familie, eine Fußballmannschaft, eine Handwerkertruppe, eine Gesellschaft … Jeder ist wichtig und bringt sich ein, gibt aber auch den anderen Raum. Kein einzelner Beitrag sorgt für ein gutes Gesamtergebnis – die Mischung macht`s.

Minderheiten

Immer wieder geht es zur Zeit um korrekte Sprache; jeder soll sich angesprochen fühlen (und auch jede oder besser: jede:r). Das Ziel dabei ist, Minderheiten gegenüber rücksichtsvoll zu formulieren. Diese werden dabei gern zusammengefasst unter LGBTQIA – oder (für die Minderheit unter uns, die mit dem Englischen nicht so vertraut ist: LSBTIQ für Lesbisch-Schwul-Bisexuell-Transgender-Intergeschlechtlich-Queer). Sprache soll sich an alle richten: Das hört sich sehr positiv an, den Ansatz kann ich verstehen. Wie viele Menschen sich hinter dieser Minderheit verbergen – ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass sich 85 Prozent als heterosexuell bezeichnen. Von den restlichen 15 Prozent machen die meisten keine Angaben. Dennoch wollen sie sprachlich berücksichtigt werden – und fordern dies vehement ein.

Immer wieder geht es zur Zeit auch ums Impfen; auch hier werden alle angesprochen: Der Tenor lautet, dass die Geimpften sich solidarisch verhalten. Auf die Ungeimpften wird verbal – und künftig wahrscheinlich auch finanziell – Druck ausgeübt. Ein Journalist schrieb in diesem Zusammenhang, die Mehrheit (= die Geimpften) sollten sich nicht länger von einer Minderheit bestimmen lassen müssen. Rücksichtsvolles Formulieren würde ich das nicht nennen. Wie viele Menschen sich hinter dieser Minderheit der Ungeimpften verbergen – ich weiß es: Die Daten dazu gehen fast täglich durch die Presse. Mittlerweile sind 63 Prozent der Deutschen zumindest einmal gegen das Corona-Virus geimpft – 37 Prozent also noch nicht, ein Drittel.

Sicherlich kann man die Größenordnung für eine „Minderheit“ unterschiedlich festlegen. Es mögen 15 oder 37 Prozent sein, das ist mir egal. Aber ich wünschte mir, mit allen Minderheiten würde gleichermaßen rücksichtsvoll umgegangen werden.

Frage und Antwort

Wir schreiben eine Mail an einen Bundestagsabgeordneten unseres Wahlkreise. Darin schildern wir, wie wir als Bürger die Corona-Politik der Regierung empfinden, und formulieren konkrete Fragen.

Zwei Tage später erhalten wir eine Antwort. Der Abgeordnete (oder sein Mail-Schreiber) bezieht sich nicht konkret auf unsere Fragen, sondern verliert sich in allgemeinen Aussagen. Um unsere Anliegen geht es nicht; wir fühlen uns nicht gehört oder gesehen.

Es ist schön, dass wir eine Antwort erhalten haben – und irgendwie doch nicht. Der Inhalt enttäuscht uns und bestätigt zweierlei: Zum einen können Politiker viel reden, ohne etwas zu sagen. Zum anderen scheinen sie sich nicht wirklich für die Fragen von Bürgern zu interessieren.

Normalerweise ist es gut, wenn eine Mail beantwortet wird. DIESE Antwort hat wahrscheinlich niemandem und nichts so richtig gut getan …

Leben in der Bude – zwei Seiten

Vier Kinder kommen (nach einer Woche) wieder nach Hause. Die Freude ist groß, wir hatten sie vermisst. Einerseits: Plötzlich ist wieder Leben in der Bude – das Kochen lohnt sich, das Waschen auch. Von Stille und Langeweile sind wir weit entfernt.

Andererseits: Das Leben in der Bude ist laut und wuselig – zum Teil reden alle durcheinander; überall liegt Zeug herum. Die Halbwertzeit des Putzens hat sich dramatisch verkürzt. Von Ordnung und Muße sind wir weit entfernt.

Bleib so, wie du bist! Oder?

„Ich will so bleiben, wie ich bin“, hieß es vor Jahren in einem Werbeslogan; die Antwort war ein gehauchtes: „Du darfst!“ Es ging dabei `nur´ um das körperliche Erscheinungsbild – heutzutage, hierzulande und vor allem für junge Menschen ein sehr wichtiges Thema. „Bleib so, wie du bist!“ ist ein Zuspruch, der sich eher auf das Innenleben befasst. Im ersten Moment freut man sich darüber, denn darin stecken Lob und Wertschätzung. Aber der Satz ist sicherlich nicht ganz ernst gemeint – und geht ein wenig an der Realität vorbei: Menschen entwickeln sich weiter, machen Fehler, lernen dazu und verändern sich mit der Zeit – sie reifen. Das ist normal und gut so. „Bleib so, wie du bist!“ ist zu allgemein und greift zu kurz.

Für mich jedenfalls ist Stillstand nicht die erste Wahl: Ich bin froh, dass ich von mancher starren Sichtweise abrücken konnte und heute öfter das große Ganze sehe, anstatt mich über Kleinigkeiten zu ärgern. Meine Meinung muss ich nicht immer sagen; ich kann inzwischen ganz gut nur zuhören. Solche Dinge fallen unter `reifer geworden´, aber nur im Sinne eines Zwischenfazits. Bei mir ist durchaus weiteres Wachstumspotential vorhanden: Ich wäre gern geduldiger und gelassener, zufriedener und dankbarer, ausgeglichener und mehr um Frieden bemüht. Noch immer nehme ich mich manchmal selbst zu wichtig, habe in Diskussionen eine klare Vorstellung vom Ergebnis, scheue kontroverse Gespräche und kann nicht gut mit Kritik umgehen. In all dem möchte ich nicht so bleiben, wie ich bin, sondern mich verändern. Irgendwann kann ich hoffentlich fröhlicher andere Positionen stehenlassen, mutiger meine Meinung sagen und demjenigen danken, der mich auf meine Fehler und Schwächen hinweist. Fertig werde ich damit nie sein, denn das innere Wachstum geht lebenslang weiter: Glücklicherweise bleibe ich nicht so, wie ich gerade bin.

Nichts für mich

Oft denke ich, dass ich für verschiedene Lebenskonzepte begabt bin und Freude dabei hätte. Ich wäre auch als Bäuerin oder Gartengestalterin glücklich geworden – ich arbeite gern praktisch. Ebenso gern beschäftige ich mich mit Sprache und Worten, kann gut organisieren und mich in Büro-Abläufe einarbeiten. Tatsächlich arbeite ich seit vielen Jahren zu Hause und bin damit (trotz aller Gleichförmigkeit) sehr zufrieden.

Heute jedoch habe ich mal wieder gemerkt, welche Tätigkeit nichts für mich ist: Wir haben die Küche gestrichen. Es sieht jetzt viel besser aus als vorher und hat mit allem Drumherum nur einen Tag gedauert. Ich kann das – aber es macht mir überhaupt keinen Spaß.

Leider keine Kunst – kann weg

Eine meiner Töchter parkt ihre Stallschuhe meist draußen vor der Tür – dort stört mich weder ihr Anblick noch ihr Geruch. Ein besonders schmutziges Paar steht dort schon ein paar Wochen: Meine Tochter zieht sie momentan nicht an. Einer unserer Nachbarn bringt uns täglich die Zeitung; er ist ein kunstinteressierter Mann. Vor einiger Zeit dekorierte er diese Schuhe mit zwei Tannenzapfen. Mir gefiel das; ich betrachtete die Schuhe seither als Kunst-Installation – nicht direkt schön, aber interessant. Heute sprach mich derselbe Nachbar an: „Wem gehören denn diese hässlichen Schuhe vor eurer Haustür? Und wie lange sollen sie da noch stehenbleiben? Ich hatte ja schon vor einiger Zeit versucht, darauf hinzuwirken, dass sie verschwinden – leider ohne Erfolg. Mir wäre das peinlich so direkt vor der Haustür.“

Klassischer Fall von Missinterpretation: So waren die Tannenzapfen also gemeint; so hatte ich sie nicht verstanden. Was tue ich jetzt? Mir sind diese Schuhe `direkt vor der Haustür´ nicht peinlich; aber meinem Nachbarn vergrausen sie womöglich seinen täglichen Gang zu uns. Ich werde sie wegräumen. In diesem Fall gilt dann wohl: Ist keine Kunst, kann weg.

Altersgerecht

Ich bin zu alt für Leistungssport, für spartanische Extrem-Urlaube oder für das Begreifen neuester Technik. Auf manches verzichte ich gern – um meinetwillen. In anderen Fällen fällt es mir nicht leicht, meine körperlichen und geistigen Grenzen zu akzeptieren. Wenn ich es doch tue, ist es befreiend – vor allem für meine Mitmenschen.

Andererseits sind zum Beispiel Jungen unter zwölf zu jung für weiße Turnschuhe. Und bestimmte Filme oder Informationen sind nichts für jüngere Kinder – um ihretwillen. Dass unser zwölfjähriger Sohn nicht mitfährt auf eine Jugendfreizeit ab 14 Jahren, dient erst in zweiter Hinsicht ihm selbst. Er hätte Lust, wäre aber schwer zu integrieren und auszuhalten. Es ist gut, dass er zu Hause bleibt – vor allem für die anderen.

Die Gründe sind vielfältig, die Grenzen fließend; aber manchmal stimmt die Aussage: „Du bist zu jung/zu alt dafür und kannst das noch nicht/nicht mehr tun.“ Das ist nicht unfreundlich, diskriminierend oder unfair – es ist altersgerecht.

Der Dukatenbaum

Wir haben einen Dukatenbaum geschenkt bekommen – jedenfalls denke ich, dass die Pflanze so heißt. Sie befand sich zunächst in einem viel zu kleinen Topf und wuchs schief. Nach dem Umtopfen hatte der Dukatenbaum noch mehr Schieflage und saß sehr locker in der Erde. Ich steckte zur (Unter-)Stützung einen Stab in die Erde. Das sah zwar nicht gut aus, hielt das Bäumchen aber aufrecht – wenn auch noch immer nur lose im Erdreich verwurzelt. Einige Wochen später entfernten wir den Stab und der Dukatenbaum kippte um, jedenfalls nahezu. „Wart`s ab“, sagte mein Mann, „wir lassen die Stütze trotzdem weg. Entweder er schafft es ohne oder überhaupt nicht.“

Keine zwei Wochen später hat sich der Dukatenbaum merklich aufgerichtet – und ist erstmals fest im Boden verankert. Endlich geschieht etwas: Die Wurzeln wachsen in die Tiefe und die oberirdischen Teile in die Höhe. Jetzt, da all unsere Hilfe weg ist, sieht die Pflanze viel besser aus als am Anfang.

Ich glaube, bei Kindern funktioniert das ebenso: Zu viel Hilfe macht Kinder unselbstständig und abhängig. Erst wenn wir uns zurückhalten, entwickeln sie eigene Kräfte und werden selbst aktiv. Anfangs mag das unbeholfen aussehen – manches misslingt vielleicht auch. Wir müssen das aushalten: Langfristig ist unser Nicht-Eingreifen die beste Unterstützung, die wir ihnen bieten können.

Selbsteinschätzung

Unsere Selbstwahrnehmung ist immer eine subjektive Einschätzung und hängt außerdem davon ab, wie ehrlich wir sind und an wem wir uns messen. All das unterliegt vielen Faktoren – unter anderem der Prägung, mit der wir großgeworden sind. In einem Artikel las ich von den einzigen zwei Hochschul-Präsidenten in Deutschland, die in der ehemaligen DDR aufgewachsen sind. Beide hatten gemeinsam, dass sie sich ihre Karriere so nicht zugetraut hätten: Ihre heutigen Posten versehen sie, weil andere sie dazu ermutigt und gefördert haben. Mir geht es ähnlich – nur ohne Hochschulvorsitz. Tendenziell bin ich mir meiner Schwächen bewusst und bezüglich meiner Stärken unsicher. Ich vergleiche mich eher mit Menschen, die `mehr auf Tasche´ haben als ich: im Politikverständnis mit meinem Mann, beim Kochen mit meiner Schwägerin, hinsichtlich meiner Belastbarkeit mit Menschen, die zusätzlich zu Familie und Gemeinde noch einen Job und diverse Ehrenämter `wuppen´, und in Sachen Musik mit jedem, der besser singt, Klavier spielt oder sonstiges.

Von dieser ziemlich klaren Selbstwahrnehmung lasse ich mich nur schwer abbringen – auch wenn mir Gegenteiliges gespiegelt wird. Daher überrascht (und freut) es mich immer wieder, wenn jemand mich um Rat bittet, meine Intuition schätzt oder mir mehr zutraut als ich mir selbst.