Alter Ego

I am not at home, but as far away as I could possibly be – down under again. Talking to my friends here in Australia is easy because we connect as we did 31 years ago. On the second day our conversation touches the concept of `alter ego´. What does this even mean in German, I ask myself, let alone in English. I struggle a little, but still we have this kind of philosophical discussion. How our inner self, our true personality (or our inseparable friend as the English dictionary puts it) sometimes gets buried underneath the person we have to be: on duty, functioning, (overly) polite, and also not able or willing to reveal everything about us towards anybody we get together with … and so on and so forth.

Our talk lasts half an hour or longer, all the while my host makes a cake, her daughter going in and out the garden, and also her mother putting her book away and contributing to our conversation. After a while we assume that to be away from our normal everyday life can help to find our alter ego and to engage with our inner personality. For the whole time I enjoy myself a lot: probably because part of my alter ego is this philosophical person – a quality in me which appears while I am not at home but as far away as I could possibly be.

It will be interesting what other qualities will resurface while I´m here.

Hallo Kookaburra!

Ich lande in Brisbane – früh am Morgen mit acht Stunden Zeitverschiebung. Beim Landeanflug verzieht sich meine Müdigkeit nach 24 Stunden Reise und zwei durchwachsenen Nächten im Flieger. Der Fensterplatz beschert mir einen wunderbaren Blick auf die Weite unter mir. Ein Freund von vor 31 Jahren holt mich ab; wir erkennen uns sofort. Eine Stunde später bei ihm zu Hause: Ich höre einen für Australien typischen Vogel; er singt oder zwitschert nicht, er lacht – der Kookaburra oder Lachender Hans. Ich bin sowohl berührt als auch begeistert, dass mehrere seiner Art im `Garten´ meiner Freunde wohnen und sich hören und später auch sehen lassen. Ein noch besseres Willkommen hätte ich mir nicht ausdenken können.

Die Einäugige

Ich bin am Flughafen – und doch ziemlich aufgeregt. Obwohl ich weiß, dass ich alles dabei habe (und weil ich noch mehrere Stunden Zeit habe), überprüfe ich x-mal den Inhalt meiner Handtasche und frage mich:

ob das mit dem Check-in wohl klappt,
ob das `granted´ auf meinem Visum tatsächlich bedeutet, dass sie mich down under reinlassen,
ob es eine gute Entscheidung war, die Kopfhörer meiner Tochter zu Hause zu lassen …

Gegen all die Profi-Flieger bin ich ein Amateur, denke ich. Dann treffe ich eine junge (sehr aufgeregte) Frau, die noch nie geflogen ist, nur jemanden abholen möchte und sich fragt, ob sie das mit dem Shuttle-Bus zum Terminal 2 schafft. Als nächstes helfe ich zwei älteren Damen. Sie suchen auf ihren Flugtickets erfolglos die Nummer ihres Terminals und finden den Frankfurter Flughafen verwirrend groß. Mit dem Flughafen haben sie Recht; ihr Terminal ist dasselbe wie meins: Terminal 1.

In dieser Gesellschaft bin ich die Einäugige unter den Blinden oder – wenn man so will – der Spatz unter den Emus.

Nur eine Mücke?

Abends im Bad, eine Mücke umschwirrt mich. Sie schwebt lautlos um mich herum und landet sanft auf meinem Oberschenkel. Ich möchte nicht gestochen werden – weder jetzt noch später – und erschlage sie. Ich könnte sie leben lassen, schätze ich und ahne, dass mancher mir meine unnötige Brutalität vorwerfen würden. Konsequente Tierschützer treten nicht nur für Rehe auf die Bremse, sondern dulden auch Schnecken in ihrem Garten und Spinnen jeglicher Größe in ihrem Haus. Die ganz radikalen unter ihnen töten auch keine Fliegen oder Mücken und begründen dies mit dem Begriff der schützenswerten Schöpfung.

In Afrika erkrankte mein Sohn zweimal an Malaria. Er hat es gut überstanden – weil er schnell Zugang zu den richtigen Medikamenten hatte. Das geht nicht allen so; ich schätze, ein Moskito gilt in manchen Regionen in Afrika nicht als ein schützenswertes Geschöpf. Tierschutz muss man sich leisten können, denke ich: nicht unbedingt finanziell.

Im Werden

Wir verändern uns im Laufe unseres Lebens, lese ich in einem Buch. Wir merken das sogar, nämlich wenn wir unser heutiges Ich mit dem von vor zehn Jahren vergleichen. Weniger klar ist uns, dass es ebenso weitergehen wird: Unser Ich in zehn Jahren wird ebenso anders sein als das heutige. Wir bleiben erkennbar, sind aber eben nicht irgendwann fertig – sondern denken das nur. „… we are works in progress claiming to be finished“, steht da: Wir sind unvollendete Werke, die für sich in Anspruch nehmen, fertig zu sein.

Für mich ist das nicht nur äußerst attraktiv, sondern auch motivierend: offen zu bleiben für Kritik, bei aller Erfahrung flexibel und neugierig, schließlich auch mutig, wenn es darum geht, etwas Neues auszuprobieren. Dann wundern wir uns heute weniger über Anderslebende – und in zehn Jahren nicht über uns selbst.

Vom Wegfahren

Ich fliege am Wochenende für viereinhalb Wochen nach Australien; das wirft seine Schatten voraus: Ich schreibe Zettel mit Hinweisen zum Haushalt, notiere meine Flugnummer und Notfall-Kontaktdaten vor Ort, falls das mit dem mobilen Telefonieren außerhalb von Europa zu kompliziert ist für mich. Ich bügele, sauge, wasche … – alles ein VORERST letztes Mal; morgen gehe ich noch einmal einkaufen.

Heute habe ich meine Sachen zurechtgelegt; es hat nicht lange gedauert. Normalerweise beschäftigt mich das Packen sehr, weil ich fürchte, etwas zu vergessen – und viel zu viel mitnehme. Dieses Mal ist es anders: Ich möchte gern mit so wenig wie möglich auskommen. Dort ist es warm, es gibt Waschmaschinen und man kann Dinge kaufen oder leihen. Schwieriger wird es, mich innerlich auf die Reise zu machen. Es wird ein paar Tage dauern, bis ich gedanklich nicht mehr bei meinen Lieben bin, sondern ganz bei mir – und bei denen, die ich dort treffe. Darauf freue ich mich am meisten; es ist eine Weile her, dass ich das zum letzten Mal erlebt habe.

Deutsche Sprache, schwere Sprache

„Bitte kein Fahrrad vor dem Geschäft stellen“, lese ich auf einem selbst geschriebenen Schild in der Innenstadt. Das, denke ich, vor das Geschäft stellen, muss es heißen. Oder aber kein Rad vor dem Geschäft ab– oder hinstellen – und sich selbst bitte gern anstellen oder auch in dem Geschäft vorstellen.

Ich kann jeden Nicht-Muttersprachler verstehen, der hier durcheinanderkommt.

Weniger ist kein Verlust

In der Gemeinde fällt die Technik aus, direkt vor dem ersten Lied: E-Gitarre, Schlagzeug, Bass, Mikrofone – alles ohne `Saft´. Da der Liedtext schon angeschlagen und das Lied wohl bekannt ist, fangen wir ohne Unterstützung von vorn an zu singen. Das Ergebnis klingt vollmundig und kraftvoll – wunderbar.

Nach der zweiten Strophe ist das Problem behoben und der Strom fließt wieder. Der Gemeindegesang tritt in den Hintergrund; vordergründig spielt und hört man die Band – auch wunderbar, aber anders. Schade, denke ich, in diesem Fall war weniger (von vorn) mehr (von uns). Manchmal bewirkt der Ausfall von Technik keinen Verlust.

Ein Auto

Eine Glühbirne am Auto ist defekt; im nahenden Herbst und Winter sind die vorderen Scheinwerfer wichtiger als an langen, hellen Sommertagen. Wenn wir ohnehin in die Werkstatt müssen, wollen wir gleich die Reifen wechseln lassen – nur die beiden hinteren. Dabei entdecken die Leute in der Werkstatt eine gebrochene Feder, es dauert also länger …

Am nächsten Tag können wir das Auto abholen; der Werkstattinhaber geht mit uns durch die Reparaturleistungen: Das Licht funktioniert wieder, die Räder sind montiert, die alten Reifen entsorgt, die dazugehörigen Felgen im Kofferraum. Die Federn und Stoßdämpfer wurden ausgetauscht – rechts und links; man erneuert nie nur eine Seite. Logisch. Ach ja, es handelte sich nicht um einfache Federn, sondern um verstärkte. Klar, denken wir und erleben mal wieder: Ein Auto ist eine Geldvernichtungsmaschine.

alter weißer mann

An einem Brückengeländer bei uns in der Nähe sind seit kurzem Aufkleber in neon-orange angebracht: `alter weißer mann´ steht da drauf. Was das aussagen soll, frage ich mich – und wem hilft das? Alte weiße Männer müssen herhalten für alles Mögliche: Ihretwegen sind Frauen nicht gleichberechtigt und alle Nicht-Weißen strukturell diskriminiert – was auch immer DAS genau heißt und woran man dieses Phänomen festmacht. Wahrscheinlich ist es sogar kulturelle Aneignung, wenn alte weiße Männer es wagen, sich zum Karneval als Indianer zu verkleiden.

Ihr armen alten weißen Männer, denke ich, ihr tut mir leid: Euch geschieht Unrecht! Zum einen seid ihr gar keine homogene Gruppe; die wenigsten unter euch sind dominant, rassistisch oder kulturell übergriffig. Zum anderen seid ihr aufgewachsen in einer Zeit, in der Dinge so waren, wie sie waren – wie alle anderen Menschen auch. Manches war gut, manches nicht; von manchem haben einige von euch profitiert. Im Großen und Ganzen gestaltet ihr euer Leben nach guten Prinzipien. Euer Arbeitsethos beispielsweise treibt heutigen Chefs Tränen des Neides in die Augen; ihr haltet Frauen die Tür auf – ohne auf deren Hautfarbe zu achten. Wer von euch sich als Indianer verkleidet, hat in jungen Jahren vielleicht Karl May gelesen und Cowboy und Indianer gespielt: Männer aus Fleisch und Blut waren rar in eurer Kindheit, also musstet ihr selbst schnell zu Männern werden. Heute sind viele der Werte von damals verpönt; ihr müsst euch rechtfertigen für das, was lange als `normal´ galt (und der gesamten Gesellschaft nutzte).

Dabei könnt ihr als alte weiße Männer heute nur verlieren: Prallt die Kategorisierung an euch ab – dann geltet ihr als ignorant. Wehrt ihr euch dagegen – bestätigt das euer ohnehin schon schlechtes Image, uneinsichtig zu sein (vielleicht sogar intolerant). Sucht ihr (halb einsichtig, halb verunsichert) nach einem Mittelweg, bringt dieser die Debatte wahrscheinlich nicht zu einem versöhnlichen Ende. Die Deutungshoheit über die letzten Jahre eures Lebens, liebe alte weißer Männer, liegt in der Hand anderer.

Ich bin noch zu jung für alt und außerdem eine Frau; ich teile mit euch nur die Hautfarbe. Aber, frei nach Voltaire: „Ich bin zwar in einem völlig anderen Boot unterwegs, aber ich mache Ihnen gern Platz, damit Sie Ihre eigene Weiterfahrt frei gestalten können.“

PS: Direkt neben den `alter weißer Mann´-Aufklebern hängen andere: `amazon nein danke´. Das passt, finde ich. Alte weiße Männer nutzen Amazon wahrscheinlich ohnehin nicht.