Überlebenstraining?

„Ein Überlebenstraining für alle ab 50“ lautet der Untertitel eines Buches, das ich gerade lese. Ich finde es amüsant – aber leider nicht mehr. Ein Teil der Ratschläge zielt darauf ab, sich mit dem eigenen Alter zu arrangieren; weiterhin wimmelt es von Hinweisen, wie sich die äußere Erscheinung „verjüngen“ lässt: Botox spritzen, Haare färben, permanentes Make-up auftragen, Beinenthaarung für 50-jährige ungelenke Frauen, Fingernägel-Styling …

All diese Maßnahmen sind nicht verwerflich; nur finde ich sie für mich absolut nicht hilfreich. „Wie überlebe ich die 50, ohne dass ich so aussehe?“, ist nicht die Frage, auf die ich eine Antwort suche. „Wie werde ich 50 und fühle mich auch so?“, steht viel drängender im Raum. Dass ich nicht mehr jung bin und mich optisch dementsprechend verändere, weiß ich und finde es nicht problematisch. Mein Lebensgefühl dagegen scheint nicht Schritt zu halten mit den verfliegenden Jahren: Als 50-Jährige sollte ich Anzeichen von Altersweisheit zeigen, denke ich. Stattdessen fühle ich mich in mancher Hinsicht unsicherer und weniger kompetent, als mein Alter vermuten lässt. Woran das liegt? Ich weiß mehr als früher; vor allem weiß ich mittlerweile, dass ich ganz viel nicht weiß.

Altersweise sind diejenigen, die viel wissen; als altersstarrsinnig gilt jemand, der meint, alles zu wissen. Die Grenze ist ein feiner Grat. Vom Wissensumfang her nähere ich mich weder dem einen noch dem anderen. Das ist vielleicht nicht das Schlechteste – und es bestätigt, dass man mit 50 zwar „nicht mehr jung“, aber noch lange nicht „alt“ ist. „Überlebenstraining“ kommt später, viel später!

Ein Herz

Normalerweise lese ich Bücher, selektiv die Zeitung, selten Zeitschriften, keine Blogs oder gar Twitter-Nachrichten. Ausnahmen gibt es, aber oft verwirren sie mich. Gerade las ich zwei, drei Artikel auf der Seite einer sogenannten Elternbloggerin – inklusive vieler freigeschalteter Kommentare. Diese enthielten fast alle keinen Text, sondern sahen so aus:

 von IchtragekeineJeans (oder anderer Fake-Name) auf twitter.com

Ich kenne mich nicht aus mit Twitter und ähnlichen Social Media. Entsprechend VERSTEHE ich diese Medien nicht. Vielleicht geht es auch nicht darum, sie zu verstehen; trotzdem frage ich mich: Was bedeutet ein Herz auf Twitter – und für wen?

Anders lesen

„Liest du keine Zeitung?“, fragt mich mein Mann mit einem ungläubigen Blick. „Doch“, will ich sagen, „ich lese Zeitung, aber anders als du.“ Mir bleibt der Artikel im Gedächtnis über die Frau in einem Altersheim. „Corona ist mir egal“, hatte sie gesagt und auch, dass sie nicht gefragt worden sei, ob sie davor geschützt werden wolle. Ihre Worte sind mir noch einige Wochen später präsent und machen mich nachdenklich.

Ich erinnere mich auch noch an die herrlich lustige Kolumne, in der ein Journalist aus Hannover sein Leben ohne Friseur schilderte: Mit einer Tube Gel am Tag würde er das nicht geschnittene Haupthaar bändigen, schrieb er, aber nach einigen Wochen könne er die Frisur abends abnehmen wie bei einem Playmobil-Männchen. Ich musste so intensiv lachen über seine Überzeichnung, dass ich noch heute schmunzele, wenn ich daran denke.

Was ich nicht weiß – was aber auch in der Zeitung steht -, sind die Informationen, die mein Mann darin findet: Welchem Unternehmen in der Region es gut geht und welchem nicht, zum Beispiel. Oder auch, welcher Politiker von welcher Partei sich gerade merkwürdig wozu auch immer geäußert hat. Wirtschaft und Politik interessieren mich nur sehr begrenzt.

Das große Bienen- und Insektensterben in Deutschland nehme ich schon eher wahr – auch davon berichtet unsere Tageszeitung. Ich bringe es jedoch nicht – wie mein Mann – mit den wenigen in unserem Lavendel herumschwirrenden Hummeln in Zusammenhang. Wespen, die unser Grillfleisch mögen, gibt es meinem Empfinden nach so viele wie letztes Jahr auch. Ich ärgere mich höchstens, wie ausschließlich die Landwirte verantwortlich gemacht werden für das Verschwinden der Artenvielfalt – und aber kaum jemand mehr Geld für Lebensmittel ausgeben möchte.

Ich lese auch Zeitung, aber anders.

Ein Pflänzchen

Die Außenanlagen unserer Gemeinde brauchen Pflege – wie jeder andere Garten auch. Besonders das üppige Grün an den Parkplatzrändern und in den Pflasterfugen ist kein schöner Anblick. Ein erster Einsatz am Samstagvormittag zeigt einen schönen Vorher/Nachher-Effekt: Der Rasen ist gemäht, die Büsche beschnitten und das Unkraut aus den Ritzen gekratzt. Ein Pflänzchen haben wir stehenlassen. Inmitten all der anderen wuchernden Unkräuter war es vorher kaum zu sehen. Jetzt gibt es dem ansonsten öden, grauen Parkplatz eine freundliche Note.

Hinkriegen

„Werde ich das jemals richtig gut hinkriegen?“, frage ich mich. In Form eines „Vs“ kontrolliert auf dem Boden zu sitzen (Beine und Oberkörper schön im 45 Grad Winkel), ist auch nach zehn Jahren Pilates-Training kein Kinderspiel für mich. Pilates ist nichts, was man lernt, ausübt und irgendwann beherrscht: Einige Übungen bleiben schwierig oder sogar unmöglich korrekt zu bewältigen. Nicht umsonst ist die V-Übung, der sogenannte Teaser (teaser = harte Nuss), für mich kein Spaziergang.

Die Tagesform ist entscheidend, aber auch die ganz persönliche Anatomie. Eine Übung gut zu beherrschen, hängt eben nicht davon ab, wie regelmäßig ich laufe oder wie körperlich fit ich mich fühle. Eine 1+ in Pilates gibt meine Wirbelsäule nicht her. Meist kriege ich den Teaser irgendwie hin, aber „gekonnt“ sieht anders aus. Heute lief es nicht so toll, ich hatte schon bessere Versuche. Hinkriegen ist nicht gleich hinkriegen.

20 Jahre „ohne Arbeit“

Vor fast 20 Jahren verlor ich meinen letzten „richtigen“ Job und wurde schwanger. Seither bin ich offiziell „ohne Arbeit“. Stattdessen haben wir ein renovierungsbedürftiges Haus erworben – inklusive eines vernachlässigten Gartens – sowie eins, zwei, drei, vier, fünf Kinder bekommen. Heute ist das Haus grundrenoviert und der Garten pflegeleicht, sind die Kinder nicht mehr klein. In Haushaltsdingen bin ich versierter als früher und verfüge über den Mut zum Unperfekten. Ich könnte immer etwas machen, tue es aber nicht.

Bei mir als Hausfrau und Mutter verläuft die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit fließend – beide Bereich sind nicht klar voneinander zu trennen. Ungeplante Extra-Aufgaben schieben sich gern dazwischen und sorgen für eine gewisse Eigendynamik meiner Tage. Feierabend kenne ich nicht, auch nicht am Wochenende. Dafür bin ich selbstständig, unabhängig (nur nicht finanziell) und gut in dem, was ich tue.

Seit fast 20 Jahren bin ich – so intensiv und bewusst es geht – Hausfrau und Mutter. Vielleicht hätte ich einen „richtigen“ (Teilzeit-)Job auch noch „untergekriegt“ – man wächst ja schließlich mit seinen Herausforderungen. Ich wollte es nie und musste es nicht – das macht mich sehr dankbar. Ich habe mich all die Jahre „ohne Arbeit“ sehr gut beschäftigt.

Ansichtssache

1) Freiwilliger Verzicht ist leichter durchzuhalten als ein aufgezwungener.
2) Aufgezwungener Verzicht ist leichter hinzunehmen als ein freiwilliger.

Wahrheit ist Ansichtssache.

Pippi und Lotta

In unserer Nähe wohnt eine Familie mit zwei Töchtern, nennen wir sie Pippi und Lotta. Pippi ist elf, normal begabt und geht in die Schule; Lotta ist ungefähr acht, geistig behindert und spricht kein Wort – außer „Mama“. Die beiden Mädchen wohnen im Grünen und sind viel draußen. Kürzlich ging ich spazieren und hörte Pippi schon von weitem: „Lotta, nein!“ Es folgten ein paar unverständliche Worte und dann der Ausruf: „Los, geh` die Hühner ärgern!“

Ich wurde nachdenklich. Lotta wird sich weiterentwickeln und viel lernen. Wahrscheinlich wird sie weiter unterbrechen und „stören“, wenn sie mitspielen oder auf sich aufmerksam machen möchte. Sie wird auf ihre Weise und in ihrer Welt Grenzen erleben (und einige überwinden) – und manchmal verärgert sein, manchmal trotz oder wegen ihrer Begrenzungen unbekümmert und glücklich. Pippi wird sich ebenfalls weiterentwickeln und viel lernen – unter anderem, herausfordernden Menschen etwas anderes zu entgegnen als: „Such dir ein anderes Opfer.“ Auch in Pippis Leben wird es Grenzen geben: Einige wird sie überwinden, andere muss sie akzeptieren – das wird sie zum Teil ärgern, zum Teil glücklich machen.

Auf den ersten Blick sind die Möglichkeiten der beiden sehr unterschiedlich, im Kern ähneln sie sich. Weil sie Schwestern sind, werden sie immer wahrnehmen, dass es nicht nur ein „normal“ gibt. Wer kann sagen, welches das erfülltere Leben ist?

Die Letzte

Wir sind mit dem Fahrrad unterwegs. Es dauert nicht lange, und ich bin die Letzte von allen. Ich betrachte meine Kinder und meinen Mann und denke an die zurückliegenden Radfahr-Jahre: Das jüngste Kind war meist auch das langsamste, bildete aber nur ungern das Schlusslicht. Also fuhr ich hinterher. Es machte mir nichts aus, die Letzte zu sein – ich war es freiwillig.

Inzwischen hängen die Kinder mich ab: Ich staune, wie schnell aus mir die Langsamste wurde. Es macht mir noch immer nichts aus, die Letzte zu sein – allerdings geschieht es weniger freiwillig als notgedrungen.

Selbstanalyse: Dazwischen

Einerseits: Ich kann keine Tänzerin mehr werden und bin nicht mehr besonders spritzig unterwegs. Bei einer U40-Party darf ich nicht mehr mitfeiern und werde nicht mehr ohne Probleme eine weitere Fremdsprache lernen. In Bezug auf die digitale Entwicklung gilt für mich: „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr.“

Andererseits: Ich komme noch aus eigener Kraft überall hin und fast nie zu spät. Ich bin grundsätzlich überlebenstauglich und habe aufgrund meiner Lebensdauer eine Menge Erfahrung, auf die ich zurückgreifen kann. Auch weil ich ohne Smartphone aufgewachsen bin, kann ich improvisieren und weiß, dass Lösungen nicht nur im Internet zu finden sind.

Ich bin nicht mehr jung und noch nicht alt, ich bin genau dazwischen.