Immer mit dem Rad … 

Mein Jüngster ist mit einem Klassenkameraden verabredet – um ein Referat vorzubereiten. Logischerweise ist er nur eingeschränkt motiviert, sich auf den Weg zu machen. Der Junge wohnt etwa elf Kilometer von uns entfernt; mein Sohn geht davon aus, dass ich ihn hinbringe. Ich schlage das Rad vor – und ernte ungläubige Blicke. Seinen Ärger äußert er sowohl lautstark: „Immer mit dem Rad, schön an der frischen Luft …“, aber vor allem mit nachdrücklichen Tritten in die Pedale. Gut dass er in meiner Nähe bleiben muss, weil er nicht genau weiß, wo es langgeht: Mit dem entschlossenen Fahrtempo eines ungehaltenen Teenagers könnte ich sonst nicht mithalten.

Ich persönlich genieße die Tour: Wir wohnen in einer sehr hügelarmen Gegend; die Strecke führt uns zum Teil abseits der Straßen quer durch die Feldmark. Außerdem haben wir den Wind im Rücken – und ich versuche, nicht an meinen Rückweg zu denken.

Nach einer halben Stunde sind wir da. Jetzt kennt er den Weg, und wir beide wissen, dass die Strecke keine Überforderung für einen 14-Jährigen ist. Um es mir nicht vollends mit ihm zu verscherzen, werde ich ihn abends mit dem Auto abholen. Dieses Mal jedenfalls.

Ab und zu

„Ich kam, ich sah, ich siegte“, soll Cäsar gesagt haben. Er kommentierte damit auf eindrückliche Weise den kurzen und vernichtenden Sieg über eine befeindete Armee. Der Satz ist so einfach wie außergewöhnlich treffend, dass er seither viel zitiert wurde und sich zu einem geflügelten Wort entwickelt hat – allerdings ohne Schlacht: `Veni, vidi, vici´ funktioniert heutzutage eher, wenn zum Beispiel charismatische Menschen einer Abendgesellschaft ihren individuellen Stempel aufdrücken oder ein Sportler bei seinem Ironman-Debüt die Goldmedaille ergattert. `Kam, sah und siegte´ klingt auch deshalb noch immer so gut, weil es eben nur ganz außergewöhnliche Situationen beschreibt: Es passt nur ab und zu.

Mir sagt mein Mann nach, ich käme, sähe und annektierte – und zwar seine Aufmerksamkeit: JEDESMAL wenn ich vom Dachboden herunter ins Wohnzimmer schlendere, sei ich ziemlich deutlich ANWESEND. Es scheine mir in diesem Moment egal oder nicht bewusst zu sein, dass er bis dahin ohne mich auch gut beschäftigt war – mit der Zeitung, einem Buch oder seinen Gedanken. Ich würde, ohne Rücksicht auf Verluste, präsent sein und ein Gespräch beginnen. Wahrscheinlich hat mein Mann Recht; der Satz passt – aber nur ab und zu, nicht jedesmal.

Maria und Marta

„Als sie aber weiterzogen, kam er in ein Dorf. Da war eine Frau mit Namen Marta, die nahm ihn auf. Und sie hatte eine Schwester, die hieß Maria; die setzte sich dem Herrn zu Füßen und hörte seiner Rede zu.
Marta aber machte sich viel zu schaffen, ihm zu dienen. Und sie trat hinzu und sprach: `Herr, fragst du nicht danach, dass mich meine Schwester lässt allein dienen? Sage ihr doch, dass sie mir helfen soll!´ Der Herr aber antwortete und sprach zu ihr: `Marta, Marta, du hast viel Sorge und Mühe. Eins aber ist not. Maria hat das gute Teil erwählt; das soll nicht von ihr genommen werden.´“
Lukas 10, 38ff

Weil dies eine bekannte Geschichte ist, weiß ich, worum es geht: Marta sorgt sich um die Gäste, Maria hört Jesus zu. Marta ärgert sich darüber; Jesus meint, Maria habe das gute Teil erwählt, das ihr keiner wegnehmen könne. Wir sind alle ein bisschen zu viel Marta und sollten mehr wie Maria sein. Und insgeheim denke ich, dass die Arbeit ja erledigt werden musste und Jesus gut Reden hat. Wie soll das denn funktionieren mit dem Nichtstun, wenn da doch so viel zu tun ist? Vielleicht nacheinander: erst die Arbeit, dann das Vergnügen?

Natürlich ist das total verkürzt. Beim weiteren (sehr ausführlichen) Nachdenken darüber kommen mir zwei Gedanken in den Sinn:

Zum Einen: Aus Jesu Perspektive ist es weniger wichtig, was wir für ihn tun, und stattdessen entscheidend, was wir von ihm empfangen. Das ist leichter gesagt als getan – im wahrsten Wortsinn. Denn wir definieren uns nun mal darüber, was wir leisten, und hätten auch gern, dass andere uns als geschäftig und umtriebig wahrnehmen.

Andererseits geht es nicht ums bloße Nichtstun. Wir können mit einem Marta-Herzen zu Jesu Füßen sitzen – und die Zeit mit ihm noch immer nach unserer Agenda füllen. Besser wäre es, mit einem Maria-Herzen unseren Aufgaben nachzugehen: und alles Wollen und Gelingen (und Frieden für unsere Seele) von Jesus zu erwarten. Dafür täte es uns ganz gut, ab und an buchstäblich alles sein zu lassen – auch das `Schon-Wissen´ – und Jesus einzuladen, zu uns zu sprechen.

Inhalt und Verpackung

Auf den Inhalt kommt es an, heißt es, aber in Meinungsverschiedenheiten ist die Verpackung mindestens genauso wichtig. Ich kann noch so gute Argumente haben und genau wissen, wie es besser geht: Wenn ich möchte, dass jemand mir wirklich zuhört, muss ich mich um ein gutes Drumherum bemühen. Freundlich, wertschätzend und respektvoll sollte ich meinem Gesprächs-Partner begegnen, bestenfalls mit einem demütigen Herzen. Sonst werde ich mit meinen tollen Argumenten keinen konstruktiven Dialog anstoßen, sondern einen Schlagabtausch anzetteln.

„Wer unvorsichtig herausfährt mit Worten, sticht wie ein Schwert; aber die Zunge der Weisen bringt Heilung.“
Sprüche 12, 18

Stört nicht?

„Denn `wer das Leben lieben und gute Tage sehen will, der hüte sein Zunge, dass sie nichts Böses rede, und seine Lippen, dass sie nicht betrügen …“
1. Petrus 3, 10

Eine kleine Schummelei – stört nicht; ein bisschen lügen, um gut dazustehen – stört nicht; kurz über jemanden lästern, der nicht da ist – stört nicht; einmal mit einem verheirateten Mann flirten – stört nicht … Wirklich? 

Ich weiß nicht. Heute beim Unkrautjäten zupfte ich lauter Zeug aus den Beeten, das – in kleiner Menge – grün aussieht und neben all den gewollten Pflanzen nicht stört. Manches davon vermehrt sich über Samen, manches unterirdisch – aber alles stetig und doch recht penetrant. Ließe ich es wachsen, nähme es Überhand; also lasse ich es nicht. Etwas bleibt immer drin, was sich wieder vermehren und ausbreiten kann: Ich erwische NIE ALLES und muss dranbleiben: Jahr für Jahr, oft mehrmals. Nur so bleibt mein Garten so, wie ich ihn haben will und schön finde.

Genauso ist es mit ethisch zweifelhaften Gewohnheiten, die in kleiner Dosierung nicht zu stören scheinen: Ließe ich sie zu und gewöhnte mich sogar an sie, nähmen sie überhand – und mein Leben sähe nicht so aus, wie Gott es haben will und schön findet.

Mitbringsel

Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen – manchmal schon vorher. Ich möchte in ein paar Monaten nach Australien fliegen. Vor 31 Jahren war ich schon einmal dort und lernte (ein wenig vom) Land und (ein paar seiner) Leute kennen. Diesen Herbst passt es gut und ich mache mich ein zweites Mal auf den Weg. Weil ich mich so sehr darauf freue, habe ich meine Pläne herumerzählt. Bisher freuen sich alle mit mir; heute erhielt ich die erste Bestellung für ein Mitbringsel: Meine Nachbarn würden sich über ein Känguru freuen …

Das mit dem Beuteltier wird schwer, aber dieser (nicht ganz ernst gemeinte Wunsch) löst eine Erinnerung aus: Damals hatte ich auf dem Hinweg tatsächlich ein Mitbringsel im Gepäck: Die Frau, die mir Ruck- und Schlafsack für meine Tour verkaufte, bat mich, etwas für ihren Freund in Sydney mitzunehmen. (Ich war vertrauensvoll und rechnete nicht damit, als Drogenkurier missbraucht zu werden.) Es war ein Beutel Tiere: Gummibären von Haribo. Die Übergabe an meinem ersten Abend in Sydney mündete in einer Kneipentour mit einem sehr freundlichen australischen Haribo-Fan.

Ein Känguru darf sicher nicht mit ins Flugzeug; ich werde sehen, welches Mitbringsel sich stattdessen anbietet – mindestens: `was zu erzählen´.

Wurzeln

Vor Ostern kaufte ich Tulpen, sehr viele Tulpen: meine ganz persönliche, schokoladenfreie Oster-Deko. Mittlerweile sind die gelben, roten und pinken Exemplare aus den Vasen längst verwelkt und auf dem Kompost. Nur die lilafarbene Tulpen-Pflanze im Topf blieb deutlich länger frisch – und ich konnte sie danach im Garten eingraben. Nächstes Jahr wird sie sicher wieder lilafarbene Blüten tragen.

Ohne Wurzeln landet man irgendwo, mit Wurzeln findet man ein Zuhause.

Bequem

Um der Kinder willen, damit sie nicht unkontrolliert viel Zucker essen, habe ich die Schokolade weggeräumt, die von Ostern noch übrig ist. Sie ist noch immer leicht zu finden, lagert nur nicht mehr bequem zugänglich im Küchen- beziehungsweise Kühlschrank. Es funktioniert; keiner hat Lust, die Schokolade erst suchen zu müssen: Die Kinder (und wir mit ihnen) essen deutlich weniger Süßes – und vermissen nicht viel. Mal sehen, wie lange diese unbequeme Phase anhält, die uns allen so gut tut.

Vorübergehend nicht erreichbar

Eine Freundin meiner Tochter hat ihr Handy in unserem Auto liegen lassen – wir müssen es ihr zurückgeben. Allerdings können wir ihr nicht sagen, dass wir es gefunden haben: Denn ihr Mobiltelefon ist ja bei uns; einen Festnetz-Anschluss besitzt sie nicht. Wir überlegen kurz, wo die Freundin genau wohnt: Selbstredend steht sie nicht im Telefonbuch.

Viele, vor allem junge Menschen sind übers Handy immerzu und ohne Handy fast gar nicht zu erreichen. Vielleicht ist es manchmal eine Segen, das Gerät irgendwo zu vergessen – und vorübergehend nicht erreichbar zu sein.

Ironisch unbegabt

Es ist schwer für mich, die Worte zynisch, ironisch und sarkastisch genau zu definieren. Natürlich kann ich nachlesen – und kenne den groben Unterschied: Ironie ist ein eher freundliches Stilmittel; Sarkasmus und Zynismus dagegen sind eher unfreundlich motiviert. Im Gespräch kann ich unterscheiden zwischen ironischen und sarkastischen Bemerkungen: Über die einen kann ich meistens lachen und erkenne sie doch nicht immer auf Anhieb. Die anderen sind eindeutig, aber selten – zum Glück: Sie erschrecken und verletzen mich gleichermaßen.

Ich beobachte immer wieder Menschen, die Ironie `können´, ohne sich anzustrengen – mein Mann zum Beispiel und (wahrscheinlich genetisch bedingt) auch einer meiner Söhne. Letzter war schon als kleiner Junge unbewusst ironisch und setzt diese Gabe auch als Teenager gezielt und gern ein. Ich selbst bin dagegen zu wenig schlagfertig und im Formulieren zu vorsichtig; ich muss mich um Ironie bemühen – vergeblich: Sie funktioniert am besten spontan und ungeplant.