Drei Gründe

In einem Gespräch mit einer Freundin nennt diese mir drei Gründe, warum es ihrer Meinung nach so wichtig ist für Frauen, berufstätig zu sein: Ohne Job bleibt eine Frau abhängig (und unfrei), fehlt ihr zunehmend ein eigener Horizont und ist sie dadurch irgendwann kein Gegenüber mehr für ihren Mann.

Ihre Worte sind ehrlich – und brutal. Ich kann spontan nichts entgegnen, denn sie hat ja Recht (ein bisschen): Ich bin finanziell abhängig (wenn ich mich deswegen auch nicht automatisch unfrei fühle); mein Horizont erweitert sich nicht durch einen Beruf (sondern nur durch Menschen, Themen und Tätigkeiten, mit denen ich in meinem berufslosen Leben zu tun habe); mein Mann wirkt mit mir als Gegenüber keineswegs gelangweilt, sondern mehr als ausgelastet. Im Nachhinein frage ich mich, wie man derart unsensibel formulieren kann. Nie würde ich so abfällig das Lebenskonzept eines anderen bewerten. Dennoch ärgert mich ihre Bemerkung nur ein bisschen – und auch erst, als ich sie mir später noch einmal durch den Kopf gehen lasse. Das hat drei Gründe:

Weil ich die Argumente verstehen kann: Erfolg im Job gehört heutzutage für viele Frauen zur Identität – fehlt bei mir aber.
Weil ich außerdem weiß, dass kein Lebenskonzept das Nonplusultra ist, aber meines auch wichtig: Die Gesellschaft braucht Menschen wie mich, die nicht verplant sind, sondern Zeit haben und ein Ohr für Spontanes und scheinbar Unwichtiges.
Und wahrscheinlich am wichtigsten: Weil ich dankbar und meist sehr zufrieden bin damit, wie ich mein Leben füllen kann.

Ich weiß nicht, ob meine Freundin dasselbe von sich sagen könnte.

Mähdrescher-Amüsement

Ich sehe meinen ersten Mähdrescher in diesem Sommer; es staubt und riecht typisch nach trockenem Getreide. Gibt es eigentlich Bauern mit Heuschnupfen?, frage ich mich. Sofort denke ich an mein Arbeitsjahr nach dem Abitur: Im zweiten Sommer saß ich selbst auf dem Mähdrescher und half bei der Getreide-Ernte – manchmal, bis es schon dunkel war. In den Fahrerhäusern staubte es nicht viel weniger als draußen; außerdem sind Mähdrescher sehr laut. Nach diesen langen Tagen waren wir verschwitzt, dreckig und k.o. Trotzdem sprangen wir nicht direkt unter die Dusche, sondern meist erst in einen Kiesteich: erfrischen, abspülen und den Arbeitstag ausklingen lassen. Bei jungen Leute ist auch nach viel Pflicht noch genügend Energie für Amüsement vorhanden. Über einige Wochen ging das so; Regentage waren als Pause zwar willkommen – aber wegen des dreschreifen Getreides dann doch wieder nicht. Es ist befriedigender, die Ernte einzubringen, als zu sehen, wie ein heftiges Sommergewitter sie ruiniert.

Fast hätte ich Lust, noch einmal auf einen Mähdrescher zu steigen; ich könnte das schnell wieder lernen, schätze ich. Allerdings wäre ich wahrscheinlich nicht mehr für den Kiesteich zu haben: Nach viel Pflicht lockt mich heute weniger das Amüsement und dafür mehr das Bett.

Vom Gendern

Die korrekte Anrede ist derzeit ein höchst umstrittenes Thema: Die einen finden sie unabdingbar, den anderen geht sie auf den Keks. Der Gedanke dahinter scheint berechtigt: Menschen sichtbar machen, die sonst nicht gesehen werden. Ob das jedoch dadurch geschieht, dass man jeden ganz genau richtig anredet – ich bezweifle es. Persönlich halte ich das Gendern in den meisten Fällen für ein Luxusproblem von Menschen, die keine echten Probleme haben. 

Natürlich wird niemand gern übergangen. Und keiner möchte in eine Schublade gestopft werden, in die er nicht zu gehören meint – auch klar. Aber es ist meiner Meinung nach keine gute Idee, deswegen für jeden eine eigene Schublade einzurichten. Als wäre das Schlimmste, was uns passieren kann, dass wir im öffentlichen Sprachgebrauch zu einer großen Menge gehören – oder in ihr untergehen. Wer so denkt, hat den Kern menschlichen Zusammenlebens nicht verstanden: Viele schwache Individuen profitieren idealerweise davon, Teil einer starken Gemeinschaft zu sein.

Ob der Einzelne gesehen wird, hat wenig zu tun mit der korrekten Anrede auf einem Briefkopf oder in den Nachrichten, im Gegenteil: Diese bemühte Anpassung der Sprache – letztlich gegen den Wunsch einer großen Mehrheit – erweist der Integration der betroffenen Minderheit einen Bärendienst. Menschen individuell gerecht zu werden findet im persönlichen Miteinander statt: andere ernst nehmen (wie abgefahren auch immer sie mir vorkommen), respektvoll zuhören, Rücksicht nehmen, nachfragen, Interesse zeigen …

Der Wolf ist da – und jetzt?

Wie alles begann weiß vielleicht keiner mehr. Jetzt lebt er wieder in Deutschland, der Wolf. Und natürlich müssen wir jetzt mit ihm `umgehen´ – ebenso wie wir mit allem umgehen, was die Balance beeinflusst: Es existiert ja auch eine Jagdsaison für Rehe und eine Anleinpflicht für Hunde; Autos ohne Umweltplakette fahren nicht in Innenstädte und Bauern dürfen nicht endlos bewässern. Und vieles mehr.

Von Anfang waren einige dafür und andere dagegen, den Wolf wieder anzusiedeln in unserem Land. Inzwischen heißen sie Wolfsgegner und Wolfsschützer; sie diskutieren nicht mehr sachlich miteinander, sondern reagieren höchst emotional: Politiker bekommen wütende (und teils bedrohliche) Mails, wenn sie sich für Wolfsentnahmen aussprechen. Andererseits reißen Wölfe Schafe und versetzen auch Menschen in Angst und Schrecken. Ich weiß von einem Bauern, der einen Wolf selbst durch lautes Rufen nicht vertreiben konnte – auf dem Feld, während der Knoblauchernte.

Das Problem ist, dass auch Menschen mitreden wollen, die nichts spüren von den direkten Konsequenzen bei uns lebender Wölfe. Was auf dem Land passiert, das lässt sich nur schwer am Schreibtisch festlegen. Dafür muss man die Stadt verlassen – und dahin gehen, wo die `Öffentlichen´ nicht alle zehn Minuten fahren. Dort lebt der Wolf, aber vor allem wohnen dort Menschen: Manche halten Tiere, andere sind in der Feldmark unterwegs oder schicken ihre Kinder durch die Walachei zur Schule. Sie muss man fragen (ganz sachlich), ob sie ihn wirklich als Nachbarn haben möchten, den Wolf.

Störgeräusche

In unserer Nachbarschaft arbeiten Dachdecker; auf der Baustelle läuft laut das Radio: „Bei Ihnen geht’s ja schwungvoll zu“, sage ich im Vorbeigehen zu einem älteren Kollegen, der im Auto Frühstückspause macht. „Viel zu laut“, sagt er, „mich nervt das, aber den Kollegen gefällt´s.“ Er tut mir leid – ich empfinde dauerhafte Beschallung auch als störend.

Ich kann ja verstehen, dass absolute Stille für manche schwer auszuhalten ist – man hört dann buchstäblich jeden Pups. Aber hier draußen gibt es genug Geräusche gegen eventuell peinliche Momente: Vögelzwitschern, Blätterrauschen, gelegentlich ein vorbeifahrendes Auto, Kindergeschrei – so Töne halt, die nicht stören beim Stillsein, Denken und Konzentrieren.

Viel zu hören

„Der Herr sprach: `Geh heraus und tritt hin auf den Berg vor den Herrn! Und siehe, der Herr wird vorübergehen.´ Und ein großer, starker Wind, der die Berge zerriss und die Felsen zerbrach, kam vor dem Herrn her; der Herr aber war nicht im Winde.
Nach dem Wind kam aber ein Erdbeben; aber der Herr war nicht im Erdbeben.
Und nach dem Erdbeben kam ein Feuer; aber der Herr war nicht im Feuer.
Und nach dem Feuer kam ein stilles, sanftes Sausen. Als das Elia hörte, verhüllte er sein Antlitz mit seinem Mantel und ging hinaus und trat in den Eingang der Höhle. Und siehe, da kam eine Stimme zu ihm und sprach: `Was hast du hier zu tun, Elia?´“
1. Könige 19, 11-13

Ich kann die Geräusche fliehen und auch den Trubel meiner Tage. Aber wie bringe ich mich selbst so zum Schweigen, dass ich Gott hören kann?

Mit Geduld und Demut, täglich neu einzuüben.

Gefühl

Immer öfter lese ich, dass Menschen sich in ihrem Körper nicht richtig fühlen: „Ich fühle mich wie eine Frau“, erklärt zum Beispiel ein (muss ich jetzt schreiben: biologischer?) Mann. Um die äußerlichen Merkmale, ein Körper-Gefühl im gebräuchlichen Sinn, scheint es dabei nicht zu gehen. Aber worum geht es dann und woran kann man dieses Frau-Gefühl festmachen? Fühle ich mich weiblich, wenn (oder weil) ich emotionaler reagiere, mich Autos weniger interessieren und ich mehr rede als die meisten Männer? Und was heißt es dann eigentlich, ein Mann zu sein oder sich wie einer zu fühlen – unabhängig von den rein körperlichen Merkmalen? Sind etwa Sachargumente für Männer überzeugender, macht ihnen Wettbewerb mehr Spaß und kämpfen sie lieber als die meisten Frauen? Damit komme ich heute nicht mehr durch: Stereotype sind zwar eindeutig, aber vollkommen überholt. Nicht stereotype, neue Klassifizierungen sind dagegen häufig unkonkret und – ganz schön beliebig. Das wundert mich nicht, macht aber das mit dem `Fühlen wie ein(e) …´ ziemlich schwierig.

Gefühle sind kompliziert, schwer zu begreifen und nicht besonders stabil. Das weiß jeder, der es schon einmal mit einem Teenager zu tun hatte. Aber auch im Erwachsenenalter tut sich emotional einiges. Ich jedenfalls (dachte und) fühlte vor 30 Jahren noch anders als heute: Das Muttersein, das Alter, meine Erfahrungen, viele Gespräche und Begegnungen mit Menschen und nicht zuletzt mein Umfeld haben mich beeindruckt, geprägt und verändert. Manches, was in meinen Zwanzigern dringlich für mich war, empfinde ich heute als unwichtig. Außerdem kenne ich Frauen, die offenbar ganz anders (denken und) fühlen als ich: Ich sehe unterschiedliche Begabungen und konzentriere mich gern auf meine eigenen; sie wittern Abhängigkeit und männliche Dominanz. Wo ich mich über zuvorkommende Männer freue, fühlen sie sich belehrt und bevormundet. Wie also fühlt man sich als Frau? Ich habe keine Ahnung, aber ich weiß, dass ich eine bin.

Will ich gar nicht wissen!

Auf dem Parkplatz vor einem Supermarkt steigt eine junge Frau aus einem Auto, von dessen Heckscheibe mir ein kurzer Satz ins Auge springt. Er ist vulgär, oberflächlich und provokativ. Die Frau sieht selbstbewusst und cool aus – wie es in ihrer Seele aussieht, weiß ich natürlich nicht. Mir wäre es eher peinlich, aus diesem Auto zu steigen. Denn weder mag ich solch obszöne Formulierungen noch würde ich sie derart sendungsbeflissen auf meinem Auto spazieren fahren. An die Frau kann ich mich schon ein paar Tage später nicht mehr erinnern; aber der kurze Satz begleitet mich noch eine ganze Weile: Gerade blöde Sprüche sind unnötig, bleiben aber leider gut im Gedächtnis hängen (und werden deshalb jetzt und hier nicht wiedergegeben). 

Ansprechendes Drumherum

Bei Frederick Buechner lese ich, dass die ersten zwei Minuten einer Rede oder einer Predigt die entscheidenden sind: Am Anfang sind die Zuhörer noch ganz Ohr. Mit dem Einstieg, mit den ersten Worten, schreibt Buechner, entscheidet sich, ob die Leute uns wirklich zuhören oder stattdessen gedanklich abschweifen.

Ich glaube, Buechner hat Recht. Man kann seine Zuhörerschaft schneller verlieren, als man einen interessanten Gedanken formuliert hat. Es gilt: Das Drumherum, das `Wie´ – lustig, persönlich, provozierend, optisch anspruchsvoll illustriert – muss ansprechend sein. Denn es ist fast ebenso wichtig wie der Inhalt, um den es geht. Darüber kann man traurig sein oder erschrecken; es bleibt eine Tatsache: Wenn wir die Menschen langweilen, werden sie uns nicht zuhören, selbst wenn wir etwas GANZ WICHTIGES zu sagen haben. Deshalb sollten wir uns auf eine Präsentation nicht nur inhaltlich, sondern auch auf das Drumherum gut vorbereiten.

Ohne mich – kein Problem

Bevor ich fürs Wochenende das Haus verlasse, habe ich eingekauft, ist die Wäsche gewaschen und das Essen gekocht, sind die Mülleimer geleert … Niemand erwartet das von mir; natürlich kommen meine Leute auch ohne mich gut zurecht. Aber ich kann halt schlecht aus meiner Haut.

Als ich nach dem Wochenende wiederkomme, darf ich mich über geputzte Fenster auf drei Etagen freuen. Ich bin gespannt, womit meine Familie mich überraschen wird, wenn sie im Herbst vier Wochen ohne mich auskommen darf.