Tatsächlich ergebnisoffen

Das Ideal jeder Verhandlung, jedes Streits, ist, wenn wir tatsächlich bemüht sind, dass jeder der Beteiligten zu Wort kommt und jedermanns Sicht der Dinge gleichermaßen geschätzt wird. Tatsächlich erfordert es aber Größe und ist schwierig, vorher nicht zu wissen, wo wir enden – also ergebnisoffen zu diskutieren.

Das Normale bei jeder Verhandlung, jedem Streit, ist es, wenn wir sehr bemüht sind, unsere eigene Sicht der Dinge möglichst so überzeugend darzulegen, dass diese am meisten geschätzt wird. Tatsächlich fällt es uns nämlich leichter, vorher genau zu wissen, wo wir enden – also nicht ergebnisoffen zu diskutieren.

Sportlich?

Ich unterhalte mich mit einer schwangeren jungen Frau. Sie ist im vierten oder fünften Monat; schon jetzt hänge sie viel rum, sagt sie. Ich schlage ihr vor, doch Rad zu fahren – denn bei mir war das bis direkt zur Geburt das Fortbewegungsmittel meiner Wahl. „Oh, nein“, antwortet sie, „so sportlich bin ich nicht.“ Ich bin sprachlos: Sportlich? Rad fahren? Du musst nicht sportlich sein, um Rad fahren zu können, würde ich ihr am liebsten sagen, aber ich weiß nicht, ob das besonders verständnisvoll wäre.

Ich wüsste gar nicht, was ich täte ohne mein Rad. Es ist mir wichtiger und ich verbringe mehr Zeit damit als mit und in unserem Auto. Ich hoffe, das bleibt auch dann so, wenn ich für wirklichen Sport nicht mehr sportlich genug bin.

Noch immer und doch anders

Ich erinnere mich genau: Mit Anfang 20 war ich wahrscheinlich genauso `öko´ wie heute, definierte mich aber stärker über mein ökologisches Bewusstsein: Rad fahren, vegetarisch essen, auf Märkten und Höfen einkaufen, ein entsprechender Kleidungsstil, inklusive besonderer Sandalen – mit Korkfußbett und Leder-Riemen, teuer, aber ihr Geld wert. Sie passten zu mir: qualitativ hochwertig, langlebig, weniger schick als viel mehr ein Öko-Statement.

Im Laufe der letzten immerhin 30 Jahre ließ ich die Sohlen erneuern, ersetzte das ganze Paar (mehrmals), kaufte mir ein zweites (und später drittes). Ich blieb der Marke treu – nicht ohne Grund: Die Schuhe sind noch immer qualitativ hochwertig, langlebig und teuer, wahrscheinlich auch noch immer ihr Geld wert. Nur eins ist anders: Heutzutage gelten sie eher als schick, denn als Öko-Statement.

Wichtig

Wer ist wichtig für mich? Nicht derjenige, der sich darauf konzentriert, wichtig für mich zu sein, sondern derjenige, der sich auf das konzentriert, was mir wichtig ist.

Wohin?

Wir fahren mit dem Auto, das Navi ist eingeschaltet: allerdings nicht auf dem neuesten Stand. Ein neues Autobahnteilstück ist unserem Navi daher noch `unbekannt´: Laut Display fahren wir scheinbar direkt über nicht asphaltierte grüne Wiesen – obwohl wir tatsächlich auf einer nagelneu gebauten Autobahn unterwegs sind.

Ich halte es mit Churchill und `vertraue nur einem Navi, das ich selbst aktualisiert habe´ – oder eben doch lieber der guten alten Straßenkarte. Andere scheinen das Wohin komplett ihrem Navi zu überlassen, selbst wenn sie dadurch in einem Hafenbecken enden oder noch schlimmer …

Endlich

Wenn etwas eintrifft, worauf man lange gewartet hat, freut man sich und ist gleichzeitig erschöpft: Endlich ist die Anspannung vorbei. Das Neue, was kommt, kann zwar herausfordernd werden – ist aber trotzdem befriedigender als die Warterei vorher. Die Geburt am Ende einer Schwangerschaft ist ein wunderbares Beispiel dafür, eine Job-Zusage nach vielen erfolglosen Bewerbungen ein anderes.

Was mein Leben reicher macht …

… wenn wir aus freudigem Anlass spontan mit den drei noch zu Hause lebenden Kindern essen gehen und diese im Restaurant unisono sagen, dass es noch schöner wäre, wenn die beiden schon ausgezogenen großen Söhne auch dabei sein könnten.

Sanftmütigkeit ist sein Gefährt

Eine Freundin von mir meinte kürzlich, Aggression sei eine gute Kraft als Reaktion auf negative Umstände. Ich schüttele den Kopf: Aggression und gut passen für mich nicht zusammen – selbst wenn sie `nur´ die Antwort auf Ungerechtigkeiten oder Angriffe ist. Weil ich es genau wissen will, schlage ich das Wort nach und entdecke den lateinischen Ursprung: aggressio, was so viel bedeutet wie auf jemanden losgehen, heranschreiten, sich nähern, überfallen und angreifen. Aggression ist eine feindselig angreifende Verhaltensweise eines Organismus. Es mag noch so aus uns herauskommen und sich gerechtfertigt anfühlen, aggressiv gegenüber jemandem zu sein, der uns Unrecht getan hat. Das macht es vielleicht naheliegend und verständlich, aber noch lange nicht gut oder richtig.

Jesus dagegen reagierte anders; handgreiflich wurde er meines Wissens nur ein Mal: als er die Händler aus dem Tempel warf und ihre Tische umschmiss. Auf Angriffe antwortete er besonnen – sogar kurz vor dem Gang zum Kreuz. Als einer der Knechte des Hohepriesters ihn ins Gesicht schlägt, redet Jesus mit ihm: „Habe ich übel geredet, so beweise, dass es böse ist; habe ich aber recht geredet, was schlägst du mich?“ Es stimmt, wenn es in einem alten Kirchenlied heißt: `Er ist gerecht, ein Helfer wert; Sanftmütigkeit ist sein Gefährt.´

Billigmacher im Skat

Von meinem Vater kenne ich den Begriff `Billigmacher im Skat´. In der Regel meinte er damit einen Buben, den man erst nach mutigem Reizen im Skat fand – und sich durch ihn vollkommen überreizt hatte: `Ohne drei, Spiel vier´ wird mit einem gefundenen Pik-Buben plötzlich zu `ohne einen, Spiel zwei´. Will man Kreuz spielen, hätte man also schon bei 24 aussteigen müssen aus dem Reizen – es sei denn, man kann die Gegner vernichtend schlagen. Das geschieht allerdings deutlich häufiger im Fußball als beim Skat und war mir meist auch mit gefundenem Pik-Buben nicht möglich, im Gegenteil: Mein sicher geglaubter Sieg wurde durch ihn mehr als unwahrscheinlich – der Fortlauf des Spiels dafür aber sehr interessant!

Ähnlich geht es mir, wenn ich zügig etwas schaffen will, sagen wir den Rasen mähen oder ähnliches, und dann muss ich zunächst lauter faule Äpfel aufsammeln. Oder aber für einen Kuchen fehlen mir die Eier. Ausgebremst werde ich manchmal auch durch: eine längere Telefon-Warteschleife, völlig unerwarteten Besuch oder den meist unklugen Entschluss, an einer Telefon-Umfrage teilzunehmen. Derartige Dinge fallen für mich unter `Billigmacher im Skat´. Sie verhindern oder verzögern meine vorher ausgeklügelten Pläne – machen den Fortlauf des Tages dafür aber sehr interessant!

Gemeinde

Was mich in der Gemeinde hält? Es ist nicht das Konstrukt Gemeinde mit seinen Ämtern und Hierarchien; es ist in erster Linie auch nicht die Zugehörigkeit zu einer Gruppe Menschen, die ich so schätze. Es geht mir um Jesus; seinetwegen habe ich Gemeinde immer priorisiert. Kein Verein, kein Hobby, keine noch so schöne regelmäßige Freizeit-Aktivität konnte jemals konkurrieren: In der Regel entschied und entscheide ich mich für Gemeinde – Gottesdienste, Kleingruppen, Gebetstreffen. Ihm, Jesus, will ich begegnen; er verbindet uns als Glaubensgeschwister, ist unsere Mitte und der eigentliche Grund, Gemeinschaft zu leben und Gemeinde zu bauen.

Das bleibt auch so, wenn Menschen die Gemeinde verlassen, die ich sehr schätze, oder andere hinzukommen, die mich herausfordern. Solange es um Jesus geht, ist Gemeinde Heimat und Familie für mich: mit mir sehr nahestehenden Menschen ebenso wie mit denen, die mir trotz unserer gemeinsamen Basis fremd sind.