Warteschleife? Schön wärs!

Ich versuche vergeblich, verschiedene Ärzte telefonisch zu erreichen. Das Muster ist immer gleich: Gleich am Morgen läuft meist noch für zehn Minuten das Außerhalb-der-Öffnungszeiten-Band mit dem entsprechenden Hinweis. Wenn man es geduldig wieder und wieder probiert und endlich durchdringt, landet man bei einer anderen sehr freundlichen Ansage: Momentan seien alle Leitungen belegt, gleich werde sicherlich eine frei, heißt es und – man solle sich gedulden. Dann ertönt ein weiterer Klingelton, etwas anders diesmal; und ich rechne tatsächlich damit, dass gleich oder bald eine echte Person den Hörer abnimmt. Nach zwei, drei oder vier weiteren Minuten wechselt das hoffnungsfroh stimmende tuuuuut, tuuuuut in ein kurzes, hektisches tut, tut, tut, tut – und dann ist Schluss. Gespräch abgebrochen, ach, was sage ich: Hör-Einheit beendet. 

Manchmal wird auch noch eine Art verbale Schleife gedreht: „Für Termine nutzen Sie bitte unsere Online-Funktion auf der Homepage. Wenn Sie ein Rezept anfordern möchten oder eine Überweisung, drücken Sie bitte die 1; wenn Sie einen Befund abfragen wollen, drücken Sie bitte die 2; für alle anderen Anliegen bleiben Sie in der Leitung.“ Dann klingelt es eine Weile hoffnungsfroh stimmend tuuuuut, tuuuuut, bevor ein kurzes, hektisches tut, tut, tut, tut ertönt … siehe oben.

Früher ärgerte ich mich über Warteschleifen mit nervtötender Musik-Untermalung. Heute wäre ich dankbar für dieses altmodische Zeug, an deren Ende meist tatsächlich jemand den Hörer abnimmt. So ändern sich die Zeiten.

Entweder Mutter oder Mensch?

Da regt eine Journalistin sich darüber auf, dass Mütter sich in den Sozialen Medien verbal gegenseitig die Augen aushacken. Die Nur-Mutter-oder-in-Teilzeit-arbeitende-Fraktion auf der einen und die in Vollzeit arbeitenden auf der anderen Seite. Die einen stöhnten den lieben langen Tag über die Anstrengungen des Mutterseins; die anderen seien einfach besser organisiert – und würden beneidet. Die Kolumnistin regt sich wortreich darüber auf, wie Mütter sich beschimpfen. Und gleich darauf wirft sie mit pauschalen Aussagen um sich, die genau dasselbe tun: schimpfen. 

Arbeiten zu gehen, vertreibe ihrer Meinung nach die Langeweile, die man als Mutter haben müsse, wenn man sich auf seine Kinder konzentriert. Und ohne Langeweile bleibe für Social-Media-Shitstorms keine Zeit mehr … Kinder bräuchten ihrer Meinung nach Mütter, die in der Welt Erfolge feiern … Es gebe nämlich etwas Wichtigeres, nämlich das Leben außerhalb ihrer Mutterschaft. „Denn in Wirklichkeit ist das Leben als Mutter nicht besonders erfüllend … Mutterschaft ist dröge. Dröge im tiefsten Sinne“, schreibt sie und hat gleich die Lösung parat: „Raus aus dem Leben als Mutter und rein ins Leben als Mensch.“

Ich bekam von diesem Gezanke auf Social Media bisher nichts mit – und mir hat nichts gefehlt. Jetzt darf ich mir bei der Zeitungslektüre die Leviten lesen lassen.

Wegen Reichen?

`Wegen Reichen gibt es Armut`, heißt es in einem Graffiti an der Wand. Spontan stelle ich die Aussage gedanklich in Frage: Es kommt wohl darauf an, wie man Armut definiert. Natürlich sind einige Leute ärmer, wenn sie weniger besitzen als andere. Aber sind für diese Diskrepanz automatisch die verantwortlich, die mehr haben – und wenn ja, warum? Außerdem ist nicht jeder von Armut betroffen, der nicht reich ist, und überhaupt: Wo ist die Grenze zwischen arm und reich?

Was mich fast noch mehr zum Grübeln bringt, ist die Formulierung: `wegen Reichen´. Zwar liest sich `wegen der Reichen´ auch nicht viel besser – sieht aber in meinen Augen grammatikalisch korrekter aus.

Ein einfaches Graffiti, nicht besonders schön, Aussage fragwürdig. Und ich grübele eine halbe Stunde darüber nach. Wenn das der Sprüher wüsste …

Abgewatscht: Schäm dich!

Ich schreibe eine Mail und trete darin jemandem zu nahe – bin mir aber dessen überhaupt nicht bewusst. Die Reaktion kommt prompt und ist scharf. Es sei unglaublich, wie könne ich so etwas schreiben etc. Ich entschuldige mich sofort, schreibe, dass es mir leidtut und bitte um Verzeihung. Als Antwort kommt noch eine zweite vorwurfsvolle Mail, weniger scharf, dafür ironisch bis spöttisch.

In der Sache hat der Mann recht und kann mich als indiskret verstehen. Sein Tonfall trifft mich sehr. Ich spüre seine Wut körperlich, zittere und fühle mich wie ein abgewatschtes Kind. Jetzt, da ich weiß, wie man meine Worte auch auffassen kann, würde ich diese gern zurücknehmen – was natürlich nicht geht. Es dauert lange, bis ich mich wieder beruhigen kann; die Situation beschäftigt mich noch Stunden.

Interessanterweise fühle ich mich nur bedingt schuldig. Ich habe einen Fehler gemacht und dieser tut mir leid – ja. Aber bin ich wirklich ganz allein verantwortlich für diese Reaktion? Gibt es einen allgemein-gültigen Wertekanon, was man wie schreiben kann und was nicht? `Nicht mit Absicht´ ist keine Entschuldigung; auch muss mein Gegenüber mir nicht verzeihen. Aber das bedeutet nicht, dass ich jetzt bis an mein Lebensende mit einer Schuldenlast leben muss, die ein anderer definiert. Dieser Gedanke repariert unsere Beziehung nicht, bewahrt mich aber vor bodenloser Scham.

Vom Schreiben

An manchen Tagen mühe ich mich ab und kann am Ende doch nichts oder nur kaum etwas vorweisen. Damit einhergehend werde ich unzufrieden und zweifle schnell an meiner grundsätzlichen Eignung. So ein Tag ist heute; er wirkt demotivierend und bremst meinen Antrieb.

Ich weiß, dass Momentaufnahmen eben nur den Moment wiedergeben. Dennoch passiert es, dass ich dem daraus folgenden Gefühl der Unzulänglichkeit mehr Raum gebe, als mir lieb und als gerechtfertigt ist.

Das Ergebnis des heutigen Tages in Schriftzeichen ist einerseits ernüchternd – kaum messbar. Andererseits tut die erfolglose Texterei mir gut: Kreativität habe ich nicht im Griff, sie ist ein Geschenk. Trotzdem hoffe ich, dass morgen unter einem anderen (Schreib-)Stern stehen wird.

Buchstäblich falsch

In einer Arztpraxis hängt ein Monitor, über den verschiedene Informationen laufen. Unter anderem werden diverse Ausbildungsberufe vorgestellt. Unter anderem kann man Medizinische:r Technolog:in für Radiologie werden. Es ist ein super Beispiel dafür, wohin eine scheinbar bis ins letzte Schriftzeichen individualisierte Anrede führen kann: zu einem unansehnlichen und buchstäblich falschen Buchstabensalat.

Unverhofft

„Wenn ihr mal wieder in der Gegend seid, dann kommt vorbei“, sage ich zum Abschied am Telefon – mehr im Scherz. Wir haben sie lange nicht gesprochen, unsere alten Freunde, geschweige denn gesehen; in `unsere Gegend´ kommen sie höchst selten. Und dann stellt sich heraus, dass wir alle eingeladen sind zu der Geburtstagsfeier einer gemeinsamen Freundin am 1. Juni. In Gedanken zähle ich die Wochen bis dahin: ein Klacks.

Kritisch

Im Eingangsbereich unseres Supermarkts stehen Kübel mit Schnittblumen, die den Durchgang verengen. Ich will raus; ein Mann will rein. Zwischen uns inspiziert ein Ehepaar die Blumen – es geht weder vor noch zurück. „Ich glaube wir stehen hier ungünstig“, sagt die Frau zu ihrem Mann und drängt ihn, weiterzugehen. Ich lächle sie an und signalisiere, dass ich Zeit habe. Als ich an dem Mann vorbeigehe, der von draußen rein will, höre ich dessen gemurmelte Antwort: „Seh´ ich genauso …“ Holla, denke ich, das ist ein bisschen frech, oder? Zwar klingt der Mann nicht besonders unhöflich und bestätigt er die Frau nur – trotzdem empfinde ich seine Worte als unangemessen.

Die eigene Erkenntnis: „Ich glaube, ich stehe im Weg“, vertragen wir besser, denke ich, als Kritik von außen: „Sie stehen im Weg!“ Außerdem wollen wir mit manch selbstkritischer Äußerung wohl vor allem eins erreichen: dass uns jemand deutlich widerspricht.

Von jetzt auf gleich: Sendepause!

Zur Zeit sind wir ein Herz und eine Seele, alles ist super. Doch dann kommen wir im Urlaub auf ein bestimmtes Thema – und unsere traute Eintracht erfährt ein jähes Ende. Nur weil wir uns in der Sache nicht einig sind und zudem unterschiedlich darüber kommunizieren, klafft zwischen uns von jetzt auf gleich ein Graben. Ein Wort gibt das andere – bis wir frustriert verstummen.

Sie ist eine heilsame Erfahrung, diese latent aggressive Sprachlosigkeit. Es ging uns offenbar zu gut. Fast glaubten wir, nichts könnte uns entzweien. Und – Voila! – kam uns unser Menschsein in die Quere: unser Egoismus und unsere Unfähigkeit, aus uns heraus großzügig, barmherzig und liebevoll zu sein.

Nach einer Sendepause tasten wir uns vorsichtig wieder heran ans Gespräch. Mit Humor und Ehrlichkeit geht es dann auch; wir ahnen aber, dass dieses Thema schwierig bleibt und werden es in der nächsten Zeit meiden. Was mich daran am meisten fasziniert: wie schnell es gehen kann.

Er oder sie?

Eine Freundin von mir ist Lehrerin. Für einen ehemaligen Schüler musste sie kürzlich das Zeugnis neu ausstellen, weil er neuerdings eine Frau ist und anders heißt. Es war eine langwierige Prozedur, weil die Schule inzwischen mit einem anderen Computerprogramm arbeitet. Noch immer ist meine Freundin froh, dass sie das hinbekommen hat. „Inzwischen will er Lokführerin werden“, erzählt sie zum Abschluss. Man kann schon mal durcheinanderkommen; es ist kein böser Wille, und wir schmunzeln. Gut, dass er, nein sie, nicht da ist.