Hitze

Die August-Hitze der vergangenen Tage hat eines meiner Kinder so ausgeschaltet, dass es vorgestern mit Kopfschmerzen nach Hause kam und später fiebrig und dennoch frierend ins Bett gegangen und 15 Stunden später noch nicht wieder aufgetaucht war. Gestern also keine Schule für sie: Das Schulgebäude, ein typischer 70er Jahre Betonbau, bietet derzeit keine Abkühlung, sondern eher Hitze pur plus extrem stickig. Die anderen Kinder fuhren mutig wieder hin; aber man könnte darüber nachdenken, sie prophylaktisch einfach zu Hause zu lassen. DAS wäre eine alternative „Fridays for Future“-Demonstration: Wir finden uns mit der Erderwärmung nicht ab, wir verweigern uns und bleiben zu Hause.

Wie wichtig ist (mir) „schön“?

Ausgeblichen und nicht mehr schön – das gilt für Sandalen von mir. Sie haben ihre besten Zeiten eindeutig hinter sich, aber funktional sind sie nach wie vor. Ich ziehe sie noch an, stoße damit aber in meiner engeren Familie auf leichte Missbilligung. Das Dilemma ist folgendes:

Zum einen steckt der Grundsatz in mir drin, dass Zweckmäßigkeit wichtiger ist als die Optik. Ich bin geprägt durch „wehret dem Konsum“ und von der Idee einer Dominanz innerer Werte über Äußerlichkeiten. Lieber außen pfui und innen hui als andersherum. Zudem fällt es mir schwer „erfüllt noch seinen Zweck“ nur auf Dinge anzuwenden, die irgendwo verschwinden (wie zum Beispiel alte Schrauben) beziehungsweise zum Spielen und Benutzen gedacht sind (Roller, ein Grill oder ein Wäscheständer mit Roststellen und teilweise verbogenen Stangen).

Andererseits lebe ich heute in einer Welt und Umgebung, in der „schön“ sehr wichtig ist – oder jedenfalls nicht so unwichtig, wie es mir lieb wäre.

In Bezug auf meine Sandalen: Wer entscheidet, wann etwas „nicht mehr schön“ ist? Ich ganz allein oder zum Teil auch die Gesellschaft, in der ich lebe? Und: Was ist es mir wert, nicht nur mit funktionalen, sondern auch schönen Schuhen durch mein Leben zu rennen? Der Preis von neuen Sandalen? Noch nicht ganz.

Will Hänschen wirklich wissen, was Hans weiß?

Im Post-LP-Alter höre ich ab und an Lieder von Bands, die mich in den Jahren zwischen 12 und 18 intensiv begleitet haben – oder ich sie, wie man`s nimmt. Eine davon war nicht Mainstream – BAP. Zunächst als Anhängsel meines älteren Bruders, später eigenständig hörte ich ihre Musik, lernte ihre Texte, war erklärter Fan, aber nie bei einem ihrer Konzerte. Vor dem Mauerfall war es nicht möglich, danach verteilte sich meine Begeisterung auf mehr als auf Musik – und Großveranstaltungen wurden immer weniger meine Sache.

Nach langer BAP-Abstinenz hörte ich vor ein paar Tagen „Verdamp lang her“ – ein Lied, an dem auch „halbe“ Fans nicht vorbeikamen damals. „Do kanns zaubre“ dagegen war und ist weniger bekannt. Es verblüffte mich, wie klar der Text dieses Liedes mir noch präsent ist nach so langer Zeit. Was Hänschen lernt, vergisst Hans nicht mehr. In manchen Fragen kann die Zeit der Erinnerung nichts anhaben. Normalerweise. Das gilt nicht in gleichem Maße für Dinge, die ich in der Schule lernen musste; aber ein bisschen schon. Vier meiner Kinder sind in dem Alter zwischen 12 und 18; es wäre schön, sie würden die Aufnahmekapazitäten ihres Hirns gerade jetzt gut ausnutzen – für das, woran sie sich in 30 Jahren noch erinnern möchten. Leider interessiert sie das heute in Bezug auf Schule erschreckend wenig…

Am besten – nicht jetzt

„Darauf kann ich meinen Mann nicht ansprechen, wenn er von einem stressigen Arbeitstag nach Hause kommt. Da muss ich warten, bis sich ein günstiger Zeitpunkt bietet“, sagt eine Freundin, deren Computer den sachverständigen Blick ihres in Technikfragen bewanderten Mannes gebrauchen könnte.

Bei uns ist es genauso: Es gibt geeignete und ungeeignete Momente für Anfragen von mir an meinen Mann. Ich weiß das, ich bin nur noch immer nicht erwachsen und geduldig genug, auf die geeigneten zu warten, wenn mich irgendwo der Schuh drückt…

Blase

Eine jährlich stattfindende Begegnung mit der erweiterten Familie macht mich regelmäßig nachdenklich. Mit meinen fünf Kindern und meiner altmodischen Art, NUR Mutter zu sein und am Berufsleben nicht wirklich teilzunehmen, fühle ich mich auch dort wie ein Auslaufmodell. Offenbar kann ich mich nicht hineinversetzen in dieses andere Leben, das gekennzeichnet ist von einer starken Dominanz des Berufs im Leben. Arbeit – in Form eines Jobs – gehört für die meisten zum Leben; aber bei vielen von ihnen bleibt daneben wenig Raum für andere Dinge. Entweder der Beruf ist zeitlich ausfüllend oder so kräftezehrend, dass Zeitmangel oder eine tiefe Müdigkeit andere Interessen im Keim erstickt. Oder sogar beides.

Es scheint kaum Stellschrauben zu geben. Wenn ich den Erzählungen glauben darf: Weniger arbeiten, weniger verdienen und dafür mehr Zeit zur Verfügung zu haben – so einfach ist es nicht. Es geht nicht nur ums Geld, es geht auch um berufliche Zufriedenheit, um Projekte oder Aufträge, die man gern bekommen würde. Und ein bisschen auch um die Sicherheit des Arbeitsplatzes.

Natürlich arbeitet niemand 24/7, natürlich haben alle Berufstätigen auch ein Privatleben, für das der Rest der Zeit und Kraft eben reichen muss. Mit allen Zwängen und persönlichen Ansprüchen, die man diesbezüglich hat – Beziehungen zu Kindern, Ehepartnern oder Freunden, Hobbys, persönliche Weiterentwicklung. Was (und in welchem Maße) für den Einzelnen zu einem erfüllten Leben dazugehört, ist sehr unterschiedlich.

Meine Fragen waren unbequem oder zu wenig einfühlsam – zumindest empfand ich es so. Ich wollte verstehen, aber das konnte ich nicht vermitteln. Es fehlte die gemeinsame Schnittmenge: Es ist nicht so, dass ich nicht arbeite, aber ich übe keinen Beruf aus und kann nicht mitreden. Dennoch hätte es mich interessiert, wie Berufstätige mit dem Zuviel an Pflicht zurechtkommen. Meine Unwissenheit durch interessiertes Nachfragen zu beseitigen, funktionierte nicht. Stattdessen kam ich mir im Nachhinein zu provokant vor – und vielleicht auch ignorant ob der beruflichen Realitäten in unserem Land.

Wahrscheinlich rede ich wirklich wie die Blinde von der Farbe, denn meine Aufträge scheinen alle frei gewählt – kein Chef sagt, was ich wann tun soll. Ohne Zwänge lebe ich aber noch lange nicht. Trotzdem oder gerade deswegen frage mich von Zeit zu Zeit, ob mein persönlicher Aufgaben-Kanon noch passt. Mein eigener Kampf um ein gutes Maß zwischen Tun und Nichtstun, zwischen Selbst- und Fremdbestimmung, zwischen Pflicht und Kür in meinem Alltag scheint hausgemacht und leicht zu gewinnen – als Nichtberufstätige sitze ich in einer sehr individuellen Blase der Ahnungslosigkeit. Was uns verbindet: Egal wie wir unser Leben gestalten, es geht unaufhaltsam vorbei.

„Und dann muss man ja auch noch Zeit haben, einfach da zu sitzen und vor sich hin zu schauen.“
Astrid Lindgren

Wunderbar! Natürlich sind Sätze nicht automatisch richtig und wahr, nur weil Astrid Lindgren sie gesagt hat. Und natürlich hat die Autorin in einer anderen Zeit gelebt – und auch im beschaulicheren Schweden. Aber sie war – ebenso natürlich – eine vielbeschäftigte Frau, und dieser Satz ist ihr (für mich) bewundernswertes Bemühen um gute Prioritäten.

Spontan

Ein Samstag im August. Das Wetter ist wunderbar – spätsommerlich warm, sonnig und windstill. Spontan haben wir die Idee zu grillen und laden dazu ein. Wir telefonieren nicht den ganzen Tag, aber doch häufig. Freunde, Kollegen, Nachbarn – wir arbeiten uns voran von denjenigen, die uns sehr vertraut sind, zu denjenigen, die noch nie bei uns waren: Alle sagen ab. Am Ende schauen wir uns an und wissen, wir haben alles gegeben.

Wir waren zu spontan. Jedenfalls ist das unser Trost. Alle Absagen klangen nach Bedauern: „Schon was anderes vor!“ „Zu kaputt.“ „Noch so viel vorzubereiten für den Gottesdienst morgen.“ Manch potentieller Gast war nicht erreichbar. Wir nehmen es nicht persönlich; der Abend wird auch ohne Besuch sehr schön – entspannt und familiär. Wahrscheinlich lag es nicht an uns, es sollte einfach nicht sein.

Keine 24 Stunden später: Nach dem Gottesdienst nehmen wir spontan(!) alte Freunde mit zu uns, um das angefangene Gespräch in unserem Garten fortzusetzen. Sie gehen mit – und noch ein paar andere. Es wird ein besonderer Nachmittag, wir gehen nach fünf Stunden alle beschenkt auseinander. Wahrscheinlich lag es wieder nicht an uns, es sollte einfach so sein.

Ungewollte Folgen

Ein Busch in unserem Garten blühte diesen Mai so intensiv wie noch nie zuvor. Offenbar hat das dauernde Zurückschneiden durch meinen Mann – nach vielen eher erfolglosen Versuchen – dieses Jahr dazu geführt, dass überall Blüten kamen und dann auch blühten. Jetzt, im August, fängt es wieder an. Es sind nur die äußersten Spitzen der Äste, die Blüten tragen; aber ich kann mich nicht erinnern, dass dieser Busch überhaupt schon einmal zwei Mal in einem Jahr Blüten trug.

Es ist eindeutig: Mein Mann hat einen grünen Daumen. Ich sollte ihm den Garten in seiner ganzen Fülle überlassen! Ob er sich an dieser Konsequenz ebenso freuen kann wie ich mich über den zweimal blühenden Busch freue – ich bezweifle es. Des einen Freud ist des anderen Leid?

Langfristig

Es ist August; ich habe Arzttermine gemacht – für nächsten Januar.

Zwei Freundinnen werden 50 und haben eingeladen – für Mai und Juni 2020.

Ich werde 50 und bin gefragt worden, wie ich denn dieses denkwürdige Datum begehen möchte – nächsten Sommer.

Die Planungen für ein Familientreffen in einem Jahr werfen schon jetzt ihre Schatten voraus – August 2020.

Könnte diese Planungswut die Ursache sein dafür, dass wir uns um Silvester immer ganz kurzfristig kümmern?

Waffenschein

In der Zeitung stand vor ein paar Tagen, die Niedersachsen würden aufrüsten und auch bundesweit gebe es einen Trend zur Bewaffnung. Es ging um Waffenscheine für alle möglichen – nicht scharfen – Waffen. Ein angenommener Grund für das verstärkte Beantragen von Waffenscheinen ist die von Menschen angestrebte Prophylaxe gegen mögliche Attacken, Terrorangriffe, Überfälle. Schreckschusspistolen sehen echten Schusswaffen wohl täuschend ähnlich, weshalb sie zur Abschreckung sehr gut geeignet sind. Aus nächster Nähe abgefeuert erschrecken sie den „Gegner“ zudem nicht nur, sondern können ihn auch verletzen.

Ich bin unsicher, ob ich mich nicht unsicher genug fühle – aber eine Bewaffnung kam mir bisher noch nicht in den Sinn. Vor allem auch, weil ich mich vor dem Gebrauch einer Schusswaffe ebenso sehr fürchte wie davor, mit einer solchen bedroht zu werden. Mich zu bewaffnen, das ist keine Sache, die ich einfach mal so mache. Wenn ich so ein Ding spontan in die Hand nehmen müsste, in einer Notsituation – ich würde wahrscheinlich auf ganzer Linie versagen. Mich intensiv damit auseinanderzusetzen und auf einen möglichen Waffengebrauch vorzubereiten – die Idee ist mir noch nicht gekommen. Ich lebe in einer Welt, in der eine Waffe nicht zu meinen Gebrauchsgegenständen gehört. Und ich werde mich gegen diese Art der Prophylaxe wehren, solange es geht.

Feiner Unterschied

Wir haben Stühle in der Küche,
die sind teilweise von IKEA
(drei Jahre alt, und wahrscheinlich sind sie nicht die letzten,
auf denen wir sitzen werden)
und teilweise von meiner Oma
(100 Jahre alt, und wahrscheinlich sind wir nicht die Letzten,
die auf ihnen sitzen werden).