Manuell

Die meisten Autos in den USA haben ein Automatik-Getriebe. Auch einige meiner Verwandten in Deutschland schwärmen mittlerweile: „Einmal Automatik – immer Automatik.“ Aber mindestens ein Amerikaner, nämlich Malcolm Gladwell, schätzt es, wenn Menschen manuell schalten können (oder es lernen möchten). Ich kann ihn verstehen, obwohl ich nicht so Auto-begeistert bin wie er. Für Malcolm Gladwell haben Menschen, die manuell schalten können (wollen) eine gewisse Einstellung: Sie möchten gern etwas können, was nicht jeder kann, und erleben dadurch, wie eine Routine-Aktivität zu einem Ereignis wird. Auch mir gefällt es, aktiv und `nah dran´ am Fahrvorgang zu sein und selbst zu schalten – auch wenn das für Vielfahrer im Stadtverkehr eine Last ist.

Manuelle Arbeit hat einen Wert; wenn ich weiß, wie´s geht, kann ich mir guten Gewissens von einer Maschine helfen lassen – nicht nur beim Autofahren:

Obwohl es laut Zahnarzt mit der elektrischen Zahnbürste besser geht, war es mir wichtig, dass unsere Kinder auch mit einer Hand-Zahnbürste gründlich putzen lernen.
Ein Taschenrechner erleichtert und beschleunigt das Rechnen in der Schule – und wird gern benutzt. Dennoch halte ich Überschlag- und Kopfrechnen sowie das Wissen um Rechenwege für unerlässlich.
Wir leben in Zeiten von Autokorrektur, Rechtschreibprogrammen und Abkürzungen; ein großer Teil der schriftlichen Kommunikation erfolgt digital. Für mich bleibt es trotzdem erstrebenswert, mit der Hand sowohl leserlich als auch korrekt schreiben zu können.

Zeitgemäß digital

Die eine ist 66, die andere 71, sie sind Freundinnen. Die Jüngere erzählt mir, sie hätten kürzlich `miteinander Kaffee getrunken´. Das freut und wundert mich zugleich: Seit Anfang des Jahres wohnen beide Frauen hunderte Kilometer voneinander entfernt. Es funktioniert trotzdem – `irgendwie digital.´ Ob ich mit 66 Jahren so auf der Höhe der Zeit sein werde, bleibt abzuwarten … 

Inflation

Das Geld ist von Tag zu Tag weniger wert – ich merke es bei jedem Einkauf. Eine Freundin meint dazu, jetzt komme dem Geld endlich der Stellenwert zu, den es hat: Es gibt nur vermeintlich Sicherheit und macht auf jeden Fall nicht glücklich. Den Armen in unserem Land fallen (nicht nur Extra-)Ausgaben noch schwerer; die Reichen werden täglich sehr viel ärmer – und versuchen vielleicht, zu retten, was zu retten ist. Für diejenigen, die weder arm noch reich sind, ist `genug´ mittlerweile deutlich weniger, als sie noch vor einer Weile dachten. Hoffentlich macht uns das vor allem dankbar und großzügig denen gegenüber, bei denen es `hinten und vorne´ nicht reicht. 

Peinlicher Gewinn

Es erfordert Mut, anderen Menschen gegenüber einzugestehen, welche Schwächen man hat. Aber obwohl es sich peinlich und wie ein Gesichtsverlust anfühlt, gewinnt man den Respekt und die Hochachtung anderer.

Peinlich ist es dagegen, wenn man zu feige ist, die eigenen Schwächen zuzugeben, obwohl jeder sie ohnehin wahrnimmt. Indem man dadurch vermeintlich sein Gesicht wahrt, verliert man den Respekt und die Hochachtung anderer.

Von wegen `wahrscheinlich´

Seit einiger Zeit spielen wir mit Freunden unregelmäßig regelmäßig Doppelkopf. Die ersten beiden Begegnungen endeten damit, dass ich Letzte wurde. Das ist grundsätzlich kein Problem – ich bin über 50 und kann zivilisiert verlieren. Außerdem beruhigte mein Mann im Nachhinein meine aufkeimenden Selbstzweifel: „Kartenspiele sind immer auch Glückssache: Du hattest wahrscheinlich einfach `schlechte Karten´ und dann auch noch Pech mit den Bockrunden. Das lässt sich schlecht wieder aufholen.“ So weit, so gut – und Balsam für meine angeknackste Spielerseele. Mittlerweile haben wir uns ein paar weitere Male getroffen; das Resultat bleibt immer dasselbe: Sehr verlässlich werde ich Letzte. Das könnte natürlich in der Tat an `schlechten Karten´ liegen – ebenso wie die konstante Siegesserie einer Mitspielerin sich auf ihr `Kartenglück´ schieben ließe. Allerdings verstehe ich genug von Stochastik, um zu ahnen: Es ist sehr wahrscheinlich, dass bei einem Kartenspiel jeder mal `gute Karten´ bekommt. Eher un-wahrscheinlich ist es dagegen, dass nur ein Mitspieler immer `schlechte Karten´ auf der Hand hat. Von daher lassen sich meine Niederlagen nicht ausschließlich mit `Pech gehabt´ erklären – so tröstlich das für mich wäre.

Bei unserem letzten Spiel-Abend wurde ich Vorletzte. Ich werte das als einen Schritt in die richtige Richtung, der mir wahrscheinlich aufgrund `guter Karten´ gelang. Die bisherige Dauer-Siegerin hatte allerdings noch bessere – und blieb unerreichbar auf ihrem Thron. Ich kann zivilisiert verlieren, aber ein bisschen frustriert es mich doch.

Der Schrecken um Corona 

Das Corona-Virus beherrscht seit zwei Jahren die Welt, die Nachrichten und das politische Handeln. Nur sehr langsam `verlässt es´ die große Bühne. Ebenso hat es sich ausgebreitet im persönlichen Denken, war dominierendes Thema in fast jeder Diskussion – und polarisiert noch immer wie kaum etwas anderes. Zwei Jahre sind lang: Man könnte meinen, es sei genug. Es gibt andere und wichtigere Themen als ein Virus, das die Atemwege befällt. Ein Freund von mir entschied sich daher, `nicht mehr darüber nachzusinnen´, wie er mir in einer Mail schrieb.

Ich versuche, seinem Rat zu folgen, aber es fällt mir schwer. Denn: In meinem Bekanntenkreis sind Menschen, die noch immer sehr verängstigt sind und eine Gefahr in jeder Begegnung sehen. Das erschreckt mich und erschwert das unkomplizierte Miteinander. Andere hielten sich in der Vergangenheit nur deswegen an alle Vorgaben, um abends essen gehen zu können. Diese Kritiklosigkeit erschreckt mich ehrlich gesagt auch. Dass Masken im täglichen Leben für manche fast `normal´ geworden sind, erschreckt mich ebenso wie das mit Corona verbundene Schubladen-Denken: Wer Maßnahmen hinterfragt, gilt schnell als undemokratischer Leugner oder unsolidarischer Gegner.

Die einen schreckt das Virus, mich schrecken die gesellschaftlichen Folgen des Umgangs damit. Jesus sagt: „Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.“ (Johannes 14, 27) Wo auch immer wir uns hinsichtlich Corona positionieren: Wir tun besser daran, uns nicht durch die Umstände ablenken zu lassen von dem, was uns eigentlich beherrschen sollte: „In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“ (Johannes 16, 33)

Ich möchte gern zu denjenigen gehören, die es schaffen, so weiterzuleben, als spiele das Virus (oder andere widrige Umstände) in ihrem Leben nicht die Hauptrolle. Sie kommen am besten durch diese Zeiten – von denen wir nicht wissen, wie lange sie andauern werden.

Regen-Tropfen

Vor ein paar Tagen hatte es nach wochenlanger Trockenheit nachts geregnet; morgens sah mein Garten schön frisch und grün aus. Spontan freute ich mich – auch für die Bauern. Einige Stunden später erzählte mir meine Freundin, dass ihr Mann (ein Bauer) morgens vor lauter Frust im Bett geblieben war. Zumindest vorerst. Der Regenmesser zeigte zwei Millimeter; darüber kann sich höchstens eine Gartenbesitzerin freuen: Für einen Bauer mit 120 Hektar Land sind zwei Millimeter nur ein sprichwörtlicher Tropfen auf den trockenen Acker.

Perspektive

Im Zimmer meines Sohnes finde ich in den Schubladen sieben bis zehn Tüten – sortiert nach süß (und leer) beziehungsweise salzig (und angebrochen). Ich bin mindestens erstaunt, wenn nicht ein bisschen frustriert, wie viel Junk-Food er sich nebenbei gönnt. Eine Freundin, der ich davon erzähle, ist mindestens ebenso erstaunt, wenn nicht sogar ein bisschen begeistert: „Der hat System da drin, wie süß!“ So könnte ich auch reagieren, denke ich. Mal wieder ist alles eine Frage der Perspektive.

Kühe ohne Stress

Ich treffe eine Bekannte, die mit dem Rad zur Arbeit fährt – durch die Wiesen und Felder. Wir gehen ein Stück gemeinsam. Sie erzählt mir, wie gut ihr morgens diese halbe Stunde auf dem Rad tue: „Da hinten stehen Kühe auf der Weide, da halte ich manchmal an“, sagt sie. „Die holen mich runter, wenn ich Stress habe, die stehen da einfach.“ Letztes Jahr habe sie die Kühe sogar fotografiert und das Foto dann gerahmt. Sie hätte es dem Bauern gern gegeben mit ein paar Pralinen, erzählt sie. „Die machen sich solche Arbeit, die Bauern, damit die Tiere es gut haben – und ihr Anblick ist dann auch noch eine Wohltat für mich.“ Weil sie aber nicht weiß, welchem Bauern die Kühe gehören, steht das Foto jetzt bei ihr zu Hause – und erinnert sie daran, dass Stress nichts bringt.

Glück

„Es gibt kaum ein beglückenderes Gefühl, als zu spüren, dass man für andere Menschen etwas sein kann.“
Dietrich Bonhoeffer

Vor einer Arztpraxis treffe ich eine Frau, zu der ich nur selten und wenig Kontakt habe. Wir fragen uns gegenseitig, wie es uns geht: Sie antwortet erstaunlich ehrlich. Ihre Familie ist – auch durch zwei Jahre Pandemie – noch mehr zerbrochen als zuvor, sie lebt jetzt allein und kämpft sich durch ihren Alltag. Ich spüre eine große Traurigkeit bei ihr und frage, ob ich sie spontan umarmen und für sie beten darf. Sie nickt, und ich bete darum, dass Gott sie tröstet und sie ihn als Vater erlebt, der für sie sorgt. Hinterher weint und lächelt sie zugleich und bedankt sich: „Wie schön, dass wir uns heute hier getroffen haben!“ Wir fahren beide beglückt nach Hause.