Eigendynamik

Wenn wir uns gut fühlen, haben wir Lust, etwas für uns zu tun: Sport zum Beispiel oder einen Spaziergang, Menschen treffen, Kultur … so etwas in der Richtung. Danach fühlen wir uns dann erst recht gut – körperlich und mental. Toller Kreislauf mit eigener Dynamik.

Wenn wir uns aber von vornherein schon nicht gut fühlen, fällt es uns sehr schwer, uns zu irgendetwas zu motivieren, was uns gut tun würde. Und dann fühlen wir uns nicht nur weiter körperlich schlecht, sondern ärgern uns vielleicht sogar noch über unsere Trägheit. Blöder Kreislauf mit eigener Dynamik.

Fotokunst

Bei meinem Freund stehen Fotos auf der Kommode – von seinem Ur-Opa vor 100 Jahren aufgenommen: Sie zeigen diesen und seine Freunde zum Beispiel mit Bier (Paragraph 11 illustrierend), andere Leute beim Baden. Die Aufnahmen sind in schwarz/weiß beziehungsweise sepia – natürlich; die Männer tragen die für das frühe 20. Jahrhundert typischen Anzüge beziehungsweise Badeanzüge – natürlich; die Bilder sind scharf und gut belichtet – natürlich? In Zeiten von Autofokus und digitaler Fotografie sind gut belichtete, scharfe Fotos selbstverständlich. Jedes Kind fabriziert heutzutage gelungene Aufnahmen. Vor 100 Jahren dagegen war das Fotografieren alles andere als kinderleicht. Deshalb bewundere ich die Handwerkskunst, die hinter den Aufnahmen steckt. Mein Freund auch: Nicht umsonst stehen die Fotos – in groß – in seinem Wohnzimmer auf der Kommode.

Jeder kann malen – mit der richtigen Anleitung

Die Überschrift soll ermutigend sein und vielleicht sogar für einen Malkurs werben. Bei mir löst sie heftiges Kopfschütteln aus: Sie ist nicht wahr und deshalb irreführend.

Erstens müsste man `kann malen´ erstmal näher definieren: Einen Stift halten kann wahrscheinlich jeder, der Finger hat. Meiner Meinung nach reicht das aber nicht aus. Können kommt von üben, sagt ein Lehrer meiner Kinder – und hat damit ganz recht. Talent kann sogar eine Menge Übung ersetzen, aber ohne Talent wird es richtig schwer.

Zweitens kenne ich mindestens eine Person, die wirklich nicht malen kann: ich. Malen kann ich noch schlechter als Chemie – und da half neben viel Übung vor allem der Lehrer, der in den Klausuren immer vorsagte. 

Drittens will nicht jeder malen können. Auch das gilt für mich, was vielleicht aus Punkt zwei folgt. Eine noch so tolle Technik (wie in dem Artikel beschrieben), kinderleicht und so, reizt mich nicht und macht aus mir keinen Maler. Lieber gehe ich in den Garten, laufen, tanze im Wohnzimmer, schreibe einen Brief oder fange doch noch einmal mit dem Klavierspielen an. Jeder andere vielleicht; aber die Chancen stehen schlechter als schlecht, dass es irgendwann heißen könnte: Dagmar kann malen.

Unsortiert

Früh am Morgen habe ich manchmal noch ganz frische Gedanken; ich fasse sie in Worte, mein Mann hört zu. Es geht drunter und drüber – ich merke es selbst. Entsprechend verständnislos (aber freundlich) schaut er mich an. „Menno, manchmal wenn ich dir mein Gedanken-Chaos erzähle, verstehst du mich“, sage ich frustriert, „und dann …“ „… verstehst du dich selbst?“ „Ja, nein, aber du bringst das dann alles in einen schönen Satz, und dann wissen wir beide, was ich eigentlich sagen wollte!“ Er schüttelt den Kopf: „Diesmal nicht, mein Schatz, diesmal nicht.“ Wie schade!

Warum es gut sein kann, keine Wahl zu haben.

Eine meiner Töchter wird zum nächsten Schuljahr Chemie und Biologie abwählen – und investiert sich schon jetzt entsprechend zurückhaltend in diese Fächer. „Ich kann Chemie überhaupt nicht“, sagt sie, „gut, dass ich das abwählen kann.“ Ich kann sie verstehen, weiß aber, dass `überhaupt nicht können´ nur möglich ist, weil sie überhaupt nicht muss. Zu meiner Zeit und in meinem Land ging das nicht – Fächer abwählen. Wir durften in der Oberstufe lediglich entscheiden zwischen Kunst und Musik, das war´s. Weil es keine Abwahl-Alternative gab und diese dann eben in meinem Denken auch nicht vorkam, merkte ich: Ein bisschen Chemie konnte ich eben doch. Ich war (und bin) nicht schlauer oder naturwissenschaftlich begabter als meine Tochter, glaube ich. Ich hatte nur keine Wahl – und das mobilisierte Energien in mir, die mir sonst verborgen geblieben wären.

Das System war nicht besser oder schlechter als das heutige. Aber es hat mir weder geschadet noch das Genick gebrochen, alle Fächer bis zum Abitur belegen zu müssen.

Allergie, Heuschnupfen und mehr

Vor mir radeln eine Mutter und ihr etwa achtjähriger Sohn; sie reden über Heuschnupfen. „ … eine Allergie gegen Gräser“, erklärt sie, und ich denke, dass man ja genau genommen gegen Pollen allergisch ist. Der Sohn weiß das offenbar auch schon: „ … eine Allergie gegen Pollen“, antwortet er nämlich. Ich lächle – aber nur kurz, denn die Mutter beharrt auf ihren Gräsern. Aber dann bin ich auch schon vorbei geradelt und höre die beiden nicht mehr. Es heißt ja, dass man Fragen von Kindern möglichst einfach beantworten soll – und kurz: keine Fremdworte und wenig Drumherum. Aber da hat diese Frau schon mal einen gescheiten Sohn im Grundschulalter. Er weiß nicht nur, was eine Allergie ist, sondern auch, dass man bei Heuschnupfen nicht auf Gräser reagiert, sondern auf Pollen (Blütenstaub, nicht nur von Gräsern). Und was macht diese Mutter mit ihrem kleinen neugierigen Kind, das beim Radfahren neues Wissen einfach so aufsaugt wie ein Schwamm? Sie schickt ihn – vielleicht unwissentlich – in die Info-Wüste.

Sehen und tun

In der Geschichte vom barmherzigen Samariter hilft dieser einem Verletzten, der am Wegesrand liegt – von Räubern bestohlen und geschlagen. Bevor der Samariter anhält und hilft, passierten schon zwei andere Männer die Stelle. Beide sehen den Verletzten und gehen vorbei, so steht es da (Lukas 10, 31+32). Die beiden sind Priester beziehungsweise Levit, also von Berufs wegen beauftragt, Menschen Gott nahe zu bringen. In dieser Hinsicht versagen beide jämmerlich: Sie sehen den zerschlagenen Mann – und sehen ihn doch nicht. Es rührt sie nicht, wie es ihm geht.

Als der Samariter hingegen den Verletzten sieht, `jammerte er ihn´ – er hatte Mitleid. Das ist alles, was ihn von den anderen beiden Männern unterscheidet. Der Samariter sieht den armen Mann dort liegen und öffnet sein Herz; er hilft ihm. Die anderen sehen dasselbe, aber sie verschließen ihr Innerstes. Sie wollen keine Zeit haben für den Mann, wollen ihm nicht helfen müssen und schon gar kein Geld investieren. Sie sind nicht per se total böse und der Samariter total gut; der Unterschied ist geringer: Die einen sehen nur mit dem Verstand, der andere auch mit dem Herzen – und reagiert entsprechend.

Vielleicht ärgert der Samariter sich hinterher, weil alles länger dauert, als er dachte. Vielleicht kommt er zu spät zu seiner Verabredung und bekommt auch das Geld nie zurück, mit dem er die Herberge für den Verletzten bezahlt (Vers 35). Wir erfahren es nicht, weil es darum nicht geht. Entscheidend ist, dass wir sein sollen wie er: uns bewegen und anrühren lassen von dem, was andere durchmachen. Dann werden wir etwas tun. Wir können jederzeit entscheiden, wie viel wir helfen und wie stark wir das Leid unserer Mitmenschen mildern wollen; es existiert keine Vorschrift zur Selbstaufgabe. Aber wir sollen die Not um uns herum wirklich sehen – und nicht einfach daran vorbeigehen.

Praktischer Luxus

„Das ist der schönste Laden, den ich je gesehen haben“, platzt es aus einem Erstkunden heraus. „Das stimmt“, lautet die lakonische, aber selbstbewusste Antwort des Mannes hinter dem Tresen. Ich bin in einem auch aus meiner Sicht ganz besonderen Feinkostgeschäft – im originalen Charme des 19. Jahrhunderts, aber Klima-gekühlt. Die Regalböden sind dieselben wie schon vor 150 Jahren und biegen sich buchstäblich unter der Last der Waren: Gläser mit Honig, verschiedenste Senfsorten, feine Pasteten, Schokoladenartikel, Kräutermischungen zum Anrühren, Öl und Essig in vielen Aromen … und natürlich vor Ort gerösteter Kaffee. Alles steht dicht an dicht, die Auswahl ist außergewöhnlich – und exquisit. 

Wer ein originelles Mitbringsel benötigt, eine raffinierte Spezialität, ein einzigartiges Aroma – irgendetwas, das man sich nur in Ausnahmefällen selbst kauft: In diesem Laden findet man Geschenke für Menschen, die sonst alles haben (aber nicht dekadent). Hier gibt’s praktischen Luxus zum Mitnehmen; auch heute gehe ich nicht mit leeren Händen nach Hause.

Vor uns

In der Zeitung lese ich einen Kommentar: „Die digitale Revolution ist eine Revolution wie keine vor ihr. Die Erfindung des Buchdrucks durch Johannes Gutenberg ist nichts dagegen. Ähnliches gilt für die Erfindung des Automobils. Die Digitalisierung mit der Künstlichen Intelligenz als Krönung umfasst sämtliche Lebensbereiche.“ Zunächst kann ich nicht konkret benennen, was an diesen Worten so ungeheuerlich klingt – aber in mir schreit es förmlich: Welch eine Arroganz!

Ein paar Tage später sehe ich ein kurzes Video, in dem sich ein junger Amerikaner über Christoph Kolumbus ereifert. Dieser habe zwar Amerika entdeckt, aber dabei ganze Stämme ausgerottet, unterdrückt oder versklavt. Das sei verwerflich und er selbst sowie seine Errungenschaften daher abzulehnen. Ähnlich bewerten wir Deutschen von unserem heutigen Standpunkt aus Martin Luthers Judenschriften, Hitlers willige Vollstrecker, die Mitläufer in der ehemaligen DDR etc. … Zu all den Gestalten der Vergangenheit und ihren Taten kann man geteilter Meinung sein; keine davon wird ihnen in Gänze gerecht. In besagtem Video reagierte ein nicht mehr ganz so junger Amerikaner auf die Anschuldigungen gegenüber Christopher Kolumbus. Unter anderem sagte er einen Satz: nämlich dass die heute Geborenen auf seinen Schultern stehen würden – wer weiß, wo Amerika heute stände, wäre Kolumbus nicht ins Ungewisse aufgebrochen. Ohne all die schlauen, wagemutigen, neugierigen, entschlossenen … Menschen vor uns, wären wir nicht da, wo wir heute sind.

Man kann die digitale Entwicklung als Revolution bezeichnen oder nicht; man mag sogar von ihr denken, sie sei wie keine vor ihr. Sicher ist: Sie wäre nicht möglich ohne all die revolutionären Entwicklungen vor ihr. Dass wir heute so leben können, wie wir es tun, verdanken wir Generationen von Menschen vor uns. Diese haben zum Teil Großartiges bewirkt – unter deutlich größeren Opfern, als die digitale Weiterentwicklung sie uns heute abverlangt. Es täte uns gut, das einerseits nicht zu vergessen und andererseits respektvoll und wertschätzend an die zu denken, auf deren Schultern wir stehen.

Vertikutreiben

Das Frühjahr ist die beste Zeit zum Vertikutieren – jedenfalls in unserer Nachbarschaft. Es dauert deutlich länger (und ist deutlich lauter), als den Rasen zu mähen, aber dafür macht man es natürlich nicht so häufig. Das Wetter sollte trocken sein und der Boden nicht so nass: Samstagnachmittag passt es.

Für Nachbars Rasen ist das Vertikutieren sicherlich ganz hervorragend: Es beseitigt Moos und Mulch und fördert das Wachstum.
Auf unseren Rasen hat das Vertikutieren der Nachbarn keinen Einfluss: Er zeigt Zonen mit Moos und Mulch – wächst aber trotzdem.
Leider können wir die Zeit, die wir sparen, nicht auf der Terrasse verbringen: Die Vertikutier-Klänge aus der Nachbarschaft treiben uns selbst an die (Garten-)Arbeit – oder ins Haus.