Geschenkpapier

In Sachen Geschenkpapier bin ich spartanisch aufgewachsen: Es wurde mehrmals wiederverwendet, dementsprechend sorgsam behandelt, und beim Auspacken möglichst nicht zerrissen.

Mit der Wende lernte ich sehr dekoratives, für jeden Anlass passendes Geschenkpapier kennen – und dass es dieses im Überfluss gab. Selbst übergroße Kartons wurden üppig eingewickelt und das Papier beim Auswickeln gedankenlos zerstört.

Seit einiger Zeit herrscht ein gewisses gesellschaftliches Umdenken: Papier muss gespart werden – zu sehr leiden die Regenwälder unter unserem gedankenlosen Verbrauch. Ein „ökologisches Gewissen“ gebietet es fast, Geschenkpapier möglichst gar nicht mehr zu benutzen. Stattdessen zweckentfremden wir Zeitungspapier oder sonstiges anfallende Verpackungsmaterial: In Grundschulzeiten meiner Kinder hätte ich problemlos alles einwickeln können in alte, nur spärlich beschriebene Arbeitsblätter meiner Kinder. Aber charmant und wertschätzend sieht anders aus – ich kann mich mit Resten aus dem Altpapier als Alternative jedenfalls nicht anfreunden.

So bemühe ich mich an jedem Geburtstag um einen Kompromiss: Ich verpacke Kleinigkeiten schön und versehe größere Teile nur mit einer Schleife. Dadurch spare ich zusätzlich Klebeband – aus ökologischen Gesichtspunkten sicherlich auch sehr lobenswert.

Jeder?

„Jeder Tote ist einer zu viel.“ Seit das Corona-Virus uns beschäftigt, habe ich diesen Satz schon mehrmals in Leserbriefen in unserer Tageszeitung gelesen. Er impliziert, dass jeder Tote im Zusammenhang mit Corona vermeidbar ist. Das sehe ich anders – und bin unsicher, ob ich das „darf“. Wenn jemand von meinen Lieben sterben würde, wäre meine Trauer groß. Und dennoch denke ich: Nicht jeder Tote (durch Krankheit) ist einer zu viel, denn nicht jeder ist vermeidbar, auch nicht jeder Corona-Tote. Ebensowenig wie all die Toten vermeidbar sind, die an Herz-Kreislauf- oder verschiedenen Atemwegserkrankungen sterben, oder die vielen, die sich jedes Jahr das Leben nehmen.

Nicht immer ist der entscheidenden Faktor, ob jemand „Risikopatient“ ist. Zwar können wir statistisch vorher Schlüsse ziehen, wie wahrscheinlich jemand verstirbt. Diese Voraussagen treffen häufig ein – aber eben nicht immer. Es sterben Menschen, von denen wir es nicht gedacht hätten, an Krankheiten, die wir für nicht tödlich gehalten hätten. Es ist nicht wahr, dass jeder Tote einer zu viel ist. Der Tod lässt sich letztlich nicht verhindern – nicht einmal in unserer medizinisch hervorragend versorgten Gesellschaft. Tote gehören zum Leben dazu.

Ein alter Brief

Meine Mutter schickt mir einen 22 Jahre alten Brief von mir. Damals lebte ich anders als heute, aber es waren mir dieselben Dinge wichtig – oder einen Brief wert: Ich berichte nicht nur von einer stressigen Situation, sondern auch, wie ich diese empfand und darauf reagierte. „Ich war die ganze Zeit ganz ruhig; ich wusste, ich kann das schaffen – das tat richtig gut“, lese ich. Es geht mir heute noch genauso: Wenn es brennt, werde ich ruhig und tue etwas.

Natürlich ist dieser eine Brief nur eine Momentaufnahme; dennoch bestätigt er, was ich schon länger denke: Wir bleiben uns selbst treu – so sehr die Jahre, das Leben und unsere Beziehungen uns auch prägen, zurecht schleifen und verändern. Im Kern bleiben wir, wer wir sind. Wahrscheinlich tritt unser wahres ICH mit den Jahren sogar deutlicher hervor. Scheinheiligkeit und Oberflächliches verschwinden – jedenfalls hoffe ich das. Je älter wir werden, umso bedeutungsvoller werden zwei Dinge: Wir wollen authentisch leben und uns auf das Wichtige konzentrieren.

Nicht dazu gekommen?

„Ich bin nicht dazu gekommen, mich früher zu melden“, beginne ich meinen Brief und muss lächeln: Es klingt passiv – so, als könne ich nichts dafür. Dabei ist es ein sehr aktiver Vorgang, „zu etwas zu kommen“ oder eben nicht. Ich bin nicht früher zu diesem Brief gekommen, weil ich andere Dinge lieber tun wollte oder wichtiger fand. Meine Prioritätenliste lege ich selbst fest – auch wenn ich natürlich gewissen Zwängen unterliege.

Für mich jedenfalls gilt: Zum Joggen bin ich in den vergangenen 30 Jahren fast durchgängig gekommen – zum Klavierspielen nicht. Viele Briefe habe ich (früher oder später) geschrieben, Zeit mit unseren Kindern verbracht, mich draußen aufgehalten, Bücher gelesen und einiges mehr.

Wenn uns etwas wirklich wichtig ist, kommen wir auch dazu. Was wir lieben, vernachlässigen wir nicht.

Betriebstemperatur

„Wenn du so weitergehst, drehe ich um“, sagt meine Tochter und meint das ganz ernst: „Sonst bekomme ich Seitenstechen!“ Ich gehe zügig und merke das erst, wenn jemand mit mir unterwegs ist. Es ist keine Absicht; ich will die anderen nicht abhängen: Ich habe einfach meine Wohlfühl-Geschwindigkeit.„Du gehst ganz schön flott“, sagt auch mein Mann bei gemeinsamen Spaziergängen und fragt, ob ich einen Gang runter schalten kann.

Im Sommer gehe ich nach Aufforderung problemlos ein wenig langsamer und passe mich an. Im Winter ist das schwieriger, vor allem in einem kalten Winter wie jetzt: Bewegung wärmt. Eine für mich angenehme Betriebstemperatur erreiche ich offenbar erst ab einem gewissen Tempo. Schade, dass es meinen Lieben anders geht. Ich friere schnell und nicht gern. Allein spazieren zu gehen, macht mir weniger aus… Um der Gemeinschaft willen hoffe ich auf einen baldigen Frühling!

Herdenimmunität

Kein Baby-Gnu kann es mit einem Löwen aufnehmen – geschweige denn mit einem ganzen Rudel. Aber kein Löwen-Rudel kann es mit einer Gnu-Herde aufnehmen. Gegen Angreifer schützt eine Gnu-Herde deshalb ihre Jungen, indem sie diese in die Mitte nimmt und zusammenrückt.

Jede menschliche Gemeinschaft ist wie eine Herde; Herdenimmunität ist unser Ziel im Kampf gegen Corona. Allerdings: Wir meiden die Gemeinschaft, rücken in vielerlei Hinsicht auseinander und sind nicht einer Meinung, welches der beste Schutz ist. Wie wir am Ende als Gesellschaft wieder zusammen finden werden, bleibt abzuwarten.

Richtig kalt?

Bei uns im Norden wird es normalerweise nicht so kalt. Diese Tatsache kann schneeverwöhnte Süddeutsche dazu verleiten, uns für Frostköttel zu halten. Sie scheinen zu denken: `Wer in Norddeutschland im Winter friert, weiß nicht, was „richtig kalt“ ist.´ Fast würde ich es selbst glauben; aber es ist Quatsch: Tiefst-Temperaturen um den Gefrierpunkt herum klingen milde – fühlen sich aber „richtig kalt“ an, wenn die Luft feucht ist oder es sogar nieselt oder regnet.

Auf meinem Spaziergang heute Morgen habe ich deutlich weniger gefroren als sonst, obwohl es sehr kalt war (-10°). Die geschlossene Schneedecke machte alles hell und still – es war wunderbar. Mit dem „richtig kalt“, das wir hier im Norden gewohnt sind, ist so ein Wintertag nicht zu vergleichen.

Nur die Ostfriesen kennen es noch ungemütlicher: Die haben norddeutsche Winter und dazu unerbittlichen Wind – richtig kalt eben.

Was man darf und was man muss

Auch ohne Studie weiß ich, dass zu viel digitale Medien uns nicht nur gut tun. Ich habe Kinder und erlebe bei ihnen und mir selbst, welche Sogwirkung von Bildschirmen ausgeht – und wie sich das auf sie und mich und unser familiäres Miteinander auswirkt: Verringerte Konzentrationsspanne, ein gewisses Aggressionspotential und vor allem weniger Kompetenz in Konfliktlösungen.

Daher begrenzen wir die Zeit, die unsere Kinder „digital unterwegs“ sind. Aus Sicht unserer Kinder ist das ärgerlich. Abgesehen vom privaten Bereich sind Mobiltelefone und Computer willkommene Hilfsmittel für Schulaufgaben. Egal, was digital gemacht werden kann: Sie hätten gern mehr davon, als sie dürfen.

Momentan ist unseren Kindern die Nutzung digitaler Medien sozusagen vorgeschrieben – deutlich umfangreicher, als wir normalerweise erlauben. Interessanterweise gehen ihnen die Treffen und das Lernen „nur digital“ mittlerweile eher auf die Nerven. Stattdessen sehen sie sich nach analogem Unterricht und echten Begegnungen. Egal, was digital gemacht werden muss: Sie hätten gern weniger davon, als sie müssen.

Nicht so einfach

„Nun aber legt alles ab von euch: Zorn, Grimm, Bosheit, Lästerung, schandbare Worte aus eurem Munde; belügt einander nicht; denn ihr habt den alten Menschen mit seinen Werken ausgezogen und den neuen angezogen, der erneuert wird zur Erkenntnis nach dem Ebenbild dessen, der ihn geschaffen hat.“
Kolosser 3, 8-10

Als wenn das so einfach wäre: die schlechten Gewohnheiten „ablegen“. Als wäre der alte Mensch ein Kleidungsstück, das man beliebig ausziehen und wechseln kann. Mir zumindest fällt es schwer, alte Muster nicht mehr zu bedienen:

Zorn und Grimm? Es geht noch immer furchtbar schnell, dass ich mich ärgere und zornig werde – und nicht so schnell vergessen kann.
Bosheit? Ich würde gern sagen, dass ich nicht boshaft bin; aber einigen mächtigen, aber mir höchst unsympathischen Zeitgenossen gönne ich ihr Scheitern allemal.
Lästerung und schandbare Worte? Darin bin ich deutlich freundlicher geworden in den vergangenen Jahren, was aber vielleicht nur an einer bereits einsetzenden Altersmilde liegt. Und in meinem Herzen erhebe ich mich noch immer über Leute, die ich als schwierig empfinde.
Lüge? Ich lüge nicht, das kann ich sagen; aber ich sage auch nicht immer die Wahrheit.

Aber dann geht der Text noch weiter:
„So zieht nun an als die Auserwählten Gottes, als die Heiligen und Geliebten, herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld; und ertragt einer den andern und vergebt euch untereinander, wenn jemand Klage hat gegen den andern; wie der Herr euch vergeben hat, so vergebt auch ihr!
Kolosser 3, 12+13

Allgemein und in einer konkreten Situation kann ich mich entscheiden – für oder gegen ein bestimmtes Verhalten. Das funktioniert nur, wenn ich weiß, dass ich geliebt bin von Gott. Dann werde ich anders leben wollen und entscheide mich:
für das Erbarmen – und gegen den Zorn,
für die Freundlichkeit – und gegen die Bosheit,
für Demut, Sanftmut und Geduld – und gegen schandbare Worte,
für die Wahrheit – und gegen die Lüge.

Das ist immer noch nicht so einfach; ich werde es manchmal besser, manchmal schlechter hinbekommen. Aber mit fortwährendem (An-)Probieren werden mir die neuen (Verhaltens-)Kleider besser passen als die alten – und besser stehen.

Gesprächig

Es ist nicht gut oder schlecht, viel oder wenig zu reden – beides hat seine Berechtigung, Menschen sind unterschiedlich. Mir fällt es nicht schwer, ein Gespräch anzufangen und am Laufen zu halten. Es reicht ein Telefonanruf einer Freundin oder ein Treffen mit jemandem, den ich länger nicht gesehen habe. Schon sprudele ich los: über mein Leben, gelesene Bücher, interessante Ansichten schlauer Leute. Ich spekuliere oder verbinde Erfahrungen anderer mit meinen eigenen. Während ich rede, sortiere ich meine Gedanken.

Das war schon immer so, aber erst seit einigen Jahren nehme ich mich als gesprächig war. Wahrscheinlich rede ich sogar weniger als früher, aber heutzutage weiß ich, dass mein Redebedarf eher hoch ist. Deshalb frage ich mich heute manchmal nach einem Gespräch, ob ich zu viel geredet habe. Woran liegt das?

Mein Bezugssystem hat sich verändert: Ich bin mit einem Mann verheiratet, der sparsam mit Worten umgeht. Verglichen mit ihm bin und fühle ich mich sehr gesprächig, manchmal sogar zu gesprächig – selbst wenn er gar nicht dabei ist.