Durststrecke

Ich liebe Bücher – sie erweitern meinen Horizont und regen meine Phantasie an. Außerdem lese ich gern – und begeistere mich für schöne Formulierungen. In unserem Regal stehen Romane und Sachbücher in Deutsch und Englisch. Viele davon habe ich gelesen, einige gehören meinem Mann und sind für mich eher uninteressant.

In einem extra Fach liegen Bücher „in der Pipeline“, die ungelesenen. Ich habe sie selbst gekauft oder geschenkt bekommen. Manchmal rutscht ein Buch in den Hintergrund, weil mich das Thema jetzt doch nicht mehr so brennend interessiert wie noch vor Wochen. Oder ein anderes drängt sich wie von selbst in den Vordergrund – als hätte es einen eigenen Willen. Es gibt keine richtige oder falsche Reihenfolge: Ich lese einfach eins nach dem anderen, parallel lesen ist schwierig.

Momentan stauen und stapeln sich die ungelesenen Bücher, ich komme mit dem Lesen nicht hinterher: Meine Lesezeit wird durch Aufgaben und die ständige Gemeinschaft mit gesprächsbereiten Personen eingeschränkt. Meine Leselust kämpft mit meinem Bedürfnis nach frischer Luft und Bewegung. Solche Phasen gibt es. Wenn die derzeitige Durststrecke vorüber ist, gilt wieder: Ich liebe Bücher…, außerdem lese ich gern.

Kollektive Sympathie-Punkte

Professor Christian Drosten ist in den letzten Wochen in Deutschland zu einer „bekannten Größe“ geworden. Vor Corona war er „nur“ der Chef der Virologie an der Charité in Berlin und einem gewissen Kreis von Menschen bekannt. Heute ist er auch denjenigen ein Begriff, die sich für Viren (und Virologen) normalerweise überhaupt nicht interessieren. In einem Kommentar zu einem seiner Podcasts las ich kürzlich den Vorschlag für ein neues Verb: „ich droste, du drostest, er, sie, es drostet…“ Es beschreibt die unaufgeregte und sachliche Weitergabe von Information.

Fast ganz Deutschland scheint sich einig zu sein, dass Professor Drosten kompetent ist, in seinen Ausführungen um Ausgewogenheit bemüht und „einfach ein sympathischer Typ“. Äußerlich gefällt er durch seine jungenhaft verwuschelte Frisur; außerdem wirkt er herrlich bodenständig und normal. Noch konnte der Medientrubel um seine Person dem nichts anhaben, was wir an ihm mögen. Hoffen wir, dass das so bleibt – bis er nach Corona wieder „nur“ der Chef der Virologie an der Charitè in Berlin sein darf.

Die Katze im Sack

Als wir vor vor 21 Jahren unser Haus kauften, hatten wir keine Erfahrung mit Grundbesitz. Bei der Kaufentscheidung halfen uns die Antworten auf einige Fragen: Wie teuer ist das Objekt, wie ruhig ist die Gegend, in welchem Zustand ist die Bausubstanz? Wir informierten uns, wägten ab und suchten Rat bei vermeintlich erfahreneren Menschen. Schließlich kauften wir und hatten den Eindruck, an sehr viel gedacht zu haben.

Im Nachhinein würde ich sagen: „Wir haben die Katze im Sack gekauft.“ Heute gibt es einige Dinge, die wir gern anders hätten – ein bestehendes Haus erfordert Kompromissbereitschaft hinsichtlich der eigenen Träume. Allerdings überwiegt die Haben-Seite: Dieses Haus ist alt, hat aber einen gewissen Charme. Das Haus ist normal groß, aber durch diverse Um- und Ausbaumaßnahmen ist es mit der Familie „mitgewachsen“. Wir hätten es gern ein wenig offener und großzügiger, aber dafür haben wir viele Zimmer (praktisch bei vielen Kindern). Der Garten ist groß und macht Arbeit, aber er weist in den Süden, ermöglicht körperlichen Ausgleich und schenkt uns „Raum draußen“. Die Innenstadt ist nicht um die Ecke, es sind viereinhalb Kilometer, aber per Rad sind wir schnell da – und haben die schönsten Spazierwege in unbebauter Natur direkt vor der Tür.

Damals wussten wir nicht, auf welche Details wir achten sollten. Im Nachhinein können wir dankbar sagen: „Mit der Katze in unserem Sack können wir sehr gut leben.“

Vielschichtig

Seit Januar gehe ich (un)regelmäßig zur Physiotherapie; ich habe immer dieselbe Therapeutin. Wir sind uns sympathisch und reden sehr ehrlich über alles Mögliche – während der halben Stunde der Behandlung. Mit jedem Gespräch verändert sich das Bild, das ich mir nach unserem ersten Treffen gemacht hatte. Ihre Persönlichkeit offenbart sich mir langsam: So wie bei den einzelnen Schichten einer Zwiebel erfahre ich immer mehr von ihr, was ich nicht wusste.

Bald werden unsere verordneten Treffen vorbei sein. Ich bin gespannt, ob die Beziehung dann privat weiterbestehen wird. Es wären noch viele Schichten zu entdecken.

Weniger kann mehr sein

Derzeit wird das Lebenstempo gebremst und auf das Nötigste runtergefahren. Das ist herausfordernd – in negativer und positiver Hinsicht:

Wir dürfen vieles nicht machen, zum Beispiel uns in Gruppen treffen, organisiert Sport treiben oder uneingeschränkt bewegen. Dasselbe gilt für kulturelle Aktivitäten. Einige Menschen dürfen nicht arbeiten oder ihre Läden öffnen. Manches davon ist (nur) höchst bedauerlich, anderes für einige sogar existenziell bedrohlich.

Man kann die bestehenden Einschränkungen auch anders erleben: Wir müssen vieles nicht machen, zum Beispiel Chor, Sport, Kultur, Treffen mit Freunden. All das ist schön – keine Frage, aber wie viel davon ist wirklich gut? Inwiefern können wir die Reduzierung positiv bewerten und annehmen als hilfreiche Zäsur in dieser schnelllebigen Zeit?

Ich wünsche uns allen, dass wir diese Krise gesund durchstehen und möglichst viele Geschäfte und Gastronomie-Betriebe überleben. Für mich persönlich und für mein privates Leben erlebe ich den Ausnahmezustand jetzt aber auch als „schön entleert“. Wann auch immer er vorbei sein wird, möchte ich bewusst entscheiden, was wieder selbstverständlich meinen Alltag füllt. Weniger Aktion kann mehr Inhalt bedeuten.

Vertrauen

Beim Blick auf Corona gibt es zwei Sichtweisen:

Das Corona-Virus ist gefährlich. Fast noch gefährlicher ist die schnelle und flächendeckende Ausbreitung desselben. Es gibt eine hohe Dunkelziffer an Infizierten und die Symptome sind nicht so leicht von denen einer „ganz normalen“ Erkältungskrankheit zu unterscheiden. Außerdem gibt es (relativ viele?) schwere Fälle, teilweise mit tödlichem Ausgang: Immer wieder geht es in den Nachrichten um den Bedarf an Beatmungsbetten. All das verunsichert und kann Angst machen.

Dennoch kann es nicht das Ziel sein, dass sich möglichst niemand mit dem Virus infiziert. Wenn ich es richtig verstehe, haben wir als ganzes Volk nur eine Chance, wenn wir aufgrund durchgemachter Erkrankungen bei vielen jungen und gesunden Menschen eine sogenannte Herden-Immunität entwickeln können. Die Gefährdeten – Alte, Immunschwache, Grunderkrankte – müssen solange geschützt werden, bis wir einen Impfstoff haben. Daher soll die Infektionsrate durch die laufenden Maßnahmen nicht gestoppt, sondern möglichst verlangsamt werden.

Es ist also gut und wichtig, das Virus ernst zu nehmen, ohne Angst zu haben – denn das ist weniger gut, wenn nicht sogar gefährlich für die Psyche. Die Grenze dazwischen ist ein schmaler Grat, ich will sie nicht überschreiten. Verdrängung erscheint mir keine gute Methode zu sein. Stattdessen kann man sich informieren und befolgen, was unsere Politiker empfehlen. Aber das einzige wirklich hilfreiche Mittel gegen Angst ist Vertrauen. Ich kann der Regierung vertrauen oder darauf, dass ich schon nicht schwer erkranken werde. Ich persönlich vertraue Jesus als letzter Instanz; denn ich weiß, dass es auch in dieser Situation eine dritte Perspektive gibt:

„Das habe ich mit euch geredet, damit ihr in mir Frieden habt. In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“
Johannes 16, 33

Weltweit – neu definiert

Egal, mit wem man derzeit Kontakt hat – wir haben ein gemeinsames Thema. Corona ist kein angenehmes, aber besonderes Ereignis: Es vereint uns jetzt weltweit im Kampf gegen die schrecklichen Folgen einer unkontrollierten Pandemie. Hoffen wir, dass die gemeinsamen Erfahrungen uns weltweit in guter Weise schlauer machen. Dann wären diejenigen, die Corona jetzt bewusst miterleben, gute Ratgeber für alle anderen – weltweit.

Einsetzen, was wir haben

„So ermahne ich euch nun, ich, der Gefangene in dem Herrn, dass ihr der Berufung würdig lebt, mit der ihr berufen seid, in aller Demut und Sanftmut, in Geduld.“
Epheser 4, 1

Eugene H. Peterson, ein inzwischen verstorbener Theologe, den ich sehr schätze, sagt zu diesem „würdig leben“, dass es einer Waage gleichkommt: Gott beruft uns zu einer Aufgabe und stattet uns aus mit dem, was wir dafür benötigen. Unserer Berufung würdig zu leben bedeutet, unsere Gaben einzusetzen und unseren Platz gut auszufüllen. Dabei ist es egal, was uns gegeben wurde oder wie viel; wichtig ist, dass wir einbringen ins Leben, was Gott uns anvertraut hat. Das kann alles mögliche sein. Neben den sogenannten eher geistlichen Gaben wie Lehre, Prophetie, Unterscheidung der Geister sind meiner Meinung nach auch ganz praktische Fertigkeiten gemeint: Hilfsbereitschaft, Gasfreundschaft, Freundlichkeit, Zuhören-Können, Organisationstalent, praktisches Geschick und all dieses.

Vor einigen Tagen hörte ich eine Rede von Denzel Washington, die er vor Jahren auf der Abschlussfeier eines Colleges hielt. Darin sagte er unter anderem: „It`s not how much you have, it`s what you do with what you have.“ (Es geht nicht darum, wie viel du hast; es geht darum, was du damit tust, was du hast.)

Genau. Mit dem, was wir haben, sollen wir freigebig umgehen und nicht hinter dem Berg halten. All unsere Fähigkeiten entfalten erst dann ihre Wirkung, wenn wir sie anwenden und die Menschen um uns herum teilhaben lassen daran.

Alles wie immer – nur in Gesellschaft

„Was machst du jetzt eigentlich den ganzen Tag?“, fragte mich vor einigen Wochen jemand, „Deine Kinder sind doch vormittags alle in der Schule.“ Ich zögerte mit der Antwort, denn: Es stimmt, die Kinder sind nicht mehr IMMER zu Hause. Es stimmt nicht, dass ich deswegen nichts zu tun habe. Zum einen haben fünf Kinder nicht immer alle gleichzeitig Schule, da fällt auch mal was aus, es gibt Freistunden aufgrund der Kurse in der Oberstufe etc. Die Vormittage sind manchmal ein überraschendes Kommen und Gehen. Zum anderen wohnen die fünf Kinder weiter hier, das ist ihre Basisstation. Sie hinterlassen Spuren und brauchen Nahrung, saubere Klamotten sowie einen Ansprechpartner.

Ich bin nicht plötzlich ohne Beschäftigung, nur weil die Kinder einige Zeit des Tages in der Schule verbringen. Diese Beschäftigung ist nicht so leicht zu beschreiben, ohne dass sie nach ein „bisschen Haushalt“ klingt. Meine Antwort auf diese Frage, was ich tue, fiel daher zaghaft aus und ausweichend: „Ich weiß auch nicht so genau; aber es ist nicht so, dass ich mich langweile.“

Gestern passierte es wieder: Ein (kinderloser) Freund rief an und fragte, was wir in Zeiten von Corona den ganzen Tag machen würden. Ja, was denn eigentlich? Die Kinder gehen ausnahmsweise nicht zur Schule und müssen dafür Aufgaben erledigen, die sie von ihren Lehrern bekommen. Ich gehe – wie immer – nicht zur Arbeit und langweile mich nicht, im Gegenteil. Es läuft alles ruhiger, klar, von außen gibt es keine Termine und eine gewisse Kontaktsperre. Aber dadurch sind alle viel zu Hause – wohnen hier, essen und verschmutzen sowohl Wohnraum als auch Kleidung. Das „bisschen Haushalt“ macht sich genau wie sonst noch nicht „von allein“: Ich helfe nach und habe dabei ständig Gesellschaft.

Irgendwie erhalte ich bei solchen Fragen den Eindruck, ich müsste mich erklären…

Gerade jetzt

Persönliche Treffen sind gerade jetzt nur noch eingeschränkt angesagt. Gleichzeitig sollen wir uns weder isolieren noch zulassen, dass allein lebende Menschen vereinsamen. Was tun? Soziale Medien können Verbindungen schaffen, das gebe ich zu; aber man kann auch in anderer Weise die von außen aufgezwungene Kontaktbegrenzung aktiv, sinnvoll und zur beiderseitigen Freude nutzen. Ich plädiere für das Medium „Brief“ – wieder oder erstmalig.

Gerade jetzt haben die meisten Menschen Zeit, einen Brief zu schreiben. Ebenso haben die meisten Menschen gerade jetzt den Wunsch nach menschlicher Zuwendung wie Anteilnahme, Ermutigung und Interesse. Als Alternative zum persönlichen Gespräch ist ein Brief hervorragend geeignet: Beim Schreiben wird man in der Regel nicht unterbrochen, kann in Ruhe Ordnung in die eigenen Gedanken bringen und sich intensiv auf das Gegenüber einlassen. Neben Werbung, Rechnungen und den vornehmlich negativen Schlagzeilen, die uns täglich aus dem Briefkasten entgegen fallen, sind persönliche Briefe eine erfreuliche Besonderheit. Es ist keine Kunst, jeder kann es ausprobieren: Schreibt Briefe – gerade jetzt!