Bei Eile hupen?

Kürzlich fuhr ich mit dem Auto auf der Hauptstraße und wollte links abbiegen. Von dort kamen einige, die ebenfalls links abbiegen wollten – und weil die Straße ansonsten frei war, es sich anbot, ich es nicht eilig hatte, ich vielleicht freundlich sein wollte(?), ließ ich zwei dieser Linksabbieger vor. (Aus dieser Nebenstraße nach links heraus zu fahren, erweist sich erfahrungsgemäß als schwierig.) Während ich also die zwei Autos herauswinkte, hupte der Mann im Fahrzeug hinter. Er wollte ebenfalls links abbiegen, musste nun aber etwa vier bis fünf Sekunden länger darauf warten – und hupte etwa ebenso lang.

Meine Tochter fragte mich, warum er hupe und ob ich das auch machen würde. Nö, ich mag die Hupe nicht so wirklich. Ich werde auch nicht gern angehupt: Es erschreckt mich; und normalerweise denke ich mir was dabei, wie ich fahre. Es gibt kaum eine Situation, in der ich selbst die Hupe nutzen würde. Vielleicht wenn ich – wie auch immer – merken würde, dass ein anderer Verkehrsteilnehmer kurz vor dem Sekundenschlaf ist. Oder wenn mich einer überholen will, während ich gerade ein Kind über die Straße lasse. Oder wenn meine Bremsen versagen. Oder so.

Ich würde wahrscheinlich hupen, um andere auf eine Gefahrensituation hinzuweisen, nicht aber, um meiner Eile Nachdruck zu verleihen.

Elternabend

Elternabende sind ein Kapitel für sich, immer für eine Überraschung gut, bieten die Möglichkeit für interessante Sozialstudien, haben ein hohes Potential für völlig unnötige Auseinandersetzungen, können wunderbar glatt laufen und Momente für kollektives Fremdschämen schaffen. Sie spiegeln glücklicherweise nicht unbedingt das Klima innerhalb der Schülerschaft wider, sind manchmal kurz- und manchmal langweilig, stellen die moderierende Lehrkraft bisweilen vor unerwartete Herausforderungen, folgen einem gewissen Regelwerk und sorgen hinterher für Gesprächsstoff in der Familie.

In der vergangenen Woche besuchte ich zwei solcher Veranstaltungen; eine zum Vergessen, die andere zum Erinnern: Ein sympathischer neuer Klassenlehrer mit der Gabe, nicht zu viele treffende und informierende Worte zu finden; eine Elternschaft, die sowohl dem Lehrer als auch einander mit großem Wohlwollen begegnet; Menschen, die gern Verantwortung übernehmen, und andere, die ihnen diese gern übertragen; ein früher Abschluss in freundlicher Atmosphäre. Es ist nicht so, dass ich Elternabende vermissen werde, wenn die Zeit anbricht, in der ich zu keinem mehr eingeladen werde. Dennoch, der letzte war einer, der den Gedanken auslöste: So geht es also auch!

Ablenkungsmanöver

In unserem Sommerurlaub an der Küste war das Wetter dieses Jahr sehr kühl und windig, nicht sommerlich genug für den Strand. Das hielt mich nicht davon ab, ein Eis zu essen – etwas, was ich mir eher im Urlaub gönne als im Alltag. Der Italiener vor Ort hatte so interessante Sorten wie Erdnuss oder Karamell – jeweils mit Salz. Offen für Neues nahm ich zwei Kugeln und schlenderte mit meiner Eistüte durch die (Gras-)Dünen in Richtung Strand. Lecker war das Eis, entspannt war ich. Bis von hinten ein Möwenschwarm heranrauschte und ein Exemplar dieser erstaunlich großen Vögel bedrohlich nah an mir vorbeiflog. Alles, was ich danach noch in der Hand hielt, war das leere Drittel meiner Eistüte.

Andere Touristen, die mir entgegenkamen, lächelten mich wissend an und hatten die ganze Aktion interessiert – und leicht amüsiert – beobachtet. Wieder zu Hause berichtete ich davon und erntete Ausdrücke wie: „Ja, das hab`ich auch schon gehört, dass man aufpassen muss. Möwen klauen alles: Eis, Pommes, Fischbrötchen.“ Hinterher schickte mir einen Freundin einen Artikel aus dem Spiegel, in dem von einem „einfachen Kniff“ gegen räuberische Möwen berichtet wird. Man solle die Tiere anstarren, dann sinke die Wahrscheinlichkeit, dass sie zum Angriff übergehen.

Sehr witzig: Dieser Rat lässt sich schwer in die Tat umsetzen, wenn die Möwen von hinten kommen! Ich hatte erst Gelegenheit, die Möwe anzustarren, als sie sich mit meinem Eis davonmachte. In demselben Artikel wurde auch ein Fischkutter-Betreiber interviewt, der schon sein Leben lang Möwen beobachtet. Er sagte, er habe den Eindruck, die Vögel hätten sich taktisch weitergebildet und würden jetzt zusammenarbeiten. Eine Möwe schreie und lenke das Opfer ab, eine andere schlage zu. Stimmt, genau so wars! Ein ganzer Schwarm lenkte mich ab – aber das wäre gar nicht nötig gewesen: Das eigentlich ablenkende Möwen-Geschrei war für mich angenehmer Bestandteil der Urlaubsstimmung mit Meer-Atmosphäre und Eis vom Italiener…

Hitze

Die August-Hitze der vergangenen Tage hat eines meiner Kinder so ausgeschaltet, dass es vorgestern mit Kopfschmerzen nach Hause kam und später fiebrig und dennoch frierend ins Bett gegangen und 15 Stunden später noch nicht wieder aufgetaucht war. Gestern also keine Schule für sie: Das Schulgebäude, ein typischer 70er Jahre Betonbau, bietet derzeit keine Abkühlung, sondern eher Hitze pur plus extrem stickig. Die anderen Kinder fuhren mutig wieder hin; aber man könnte darüber nachdenken, sie prophylaktisch einfach zu Hause zu lassen. DAS wäre eine alternative „Fridays for Future“-Demonstration: Wir finden uns mit der Erderwärmung nicht ab, wir verweigern uns und bleiben zu Hause.

Wie wichtig ist (mir) „schön“?

Ausgeblichen und nicht mehr schön – das gilt für Sandalen von mir. Sie haben ihre besten Zeiten eindeutig hinter sich, aber funktional sind sie nach wie vor. Ich ziehe sie noch an, stoße damit aber in meiner engeren Familie auf leichte Missbilligung. Das Dilemma ist folgendes:

Zum einen steckt der Grundsatz in mir drin, dass Zweckmäßigkeit wichtiger ist als die Optik. Ich bin geprägt durch „wehret dem Konsum“ und von der Idee einer Dominanz innerer Werte über Äußerlichkeiten. Lieber außen pfui und innen hui als andersherum. Zudem fällt es mir schwer „erfüllt noch seinen Zweck“ nur auf Dinge anzuwenden, die irgendwo verschwinden (wie zum Beispiel alte Schrauben) beziehungsweise zum Spielen und Benutzen gedacht sind (Roller, ein Grill oder ein Wäscheständer mit Roststellen und teilweise verbogenen Stangen).

Andererseits lebe ich heute in einer Welt und Umgebung, in der „schön“ sehr wichtig ist – oder jedenfalls nicht so unwichtig, wie es mir lieb wäre.

In Bezug auf meine Sandalen: Wer entscheidet, wann etwas „nicht mehr schön“ ist? Ich ganz allein oder zum Teil auch die Gesellschaft, in der ich lebe? Und: Was ist es mir wert, nicht nur mit funktionalen, sondern auch schönen Schuhen durch mein Leben zu rennen? Der Preis von neuen Sandalen? Noch nicht ganz.

Will Hänschen wirklich wissen, was Hans weiß?

Im Post-LP-Alter höre ich ab und an Lieder von Bands, die mich in den Jahren zwischen 12 und 18 intensiv begleitet haben – oder ich sie, wie man`s nimmt. Eine davon war nicht Mainstream – BAP. Zunächst als Anhängsel meines älteren Bruders, später eigenständig hörte ich ihre Musik, lernte ihre Texte, war erklärter Fan, aber nie bei einem ihrer Konzerte. Vor dem Mauerfall war es nicht möglich, danach verteilte sich meine Begeisterung auf mehr als auf Musik – und Großveranstaltungen wurden immer weniger meine Sache.

Nach langer BAP-Abstinenz hörte ich vor ein paar Tagen „Verdamp lang her“ – ein Lied, an dem auch „halbe“ Fans nicht vorbeikamen damals. „Do kanns zaubre“ dagegen war und ist weniger bekannt. Es verblüffte mich, wie klar der Text dieses Liedes mir noch präsent ist nach so langer Zeit. Was Hänschen lernt, vergisst Hans nicht mehr. In manchen Fragen kann die Zeit der Erinnerung nichts anhaben. Normalerweise. Das gilt nicht in gleichem Maße für Dinge, die ich in der Schule lernen musste; aber ein bisschen schon. Vier meiner Kinder sind in dem Alter zwischen 12 und 18; es wäre schön, sie würden die Aufnahmekapazitäten ihres Hirns gerade jetzt gut ausnutzen – für das, woran sie sich in 30 Jahren noch erinnern möchten. Leider interessiert sie das heute in Bezug auf Schule erschreckend wenig…

Am besten – nicht jetzt

„Darauf kann ich meinen Mann nicht ansprechen, wenn er von einem stressigen Arbeitstag nach Hause kommt. Da muss ich warten, bis sich ein günstiger Zeitpunkt bietet“, sagt eine Freundin, deren Computer den sachverständigen Blick ihres in Technikfragen bewanderten Mannes gebrauchen könnte.

Bei uns ist es genauso: Es gibt geeignete und ungeeignete Momente für Anfragen von mir an meinen Mann. Ich weiß das, ich bin nur noch immer nicht erwachsen und geduldig genug, auf die geeigneten zu warten, wenn mich irgendwo der Schuh drückt…

Blase

Eine jährlich stattfindende Begegnung mit der erweiterten Familie macht mich regelmäßig nachdenklich. Mit meinen fünf Kindern und meiner altmodischen Art, NUR Mutter zu sein und am Berufsleben nicht wirklich teilzunehmen, fühle ich mich auch dort wie ein Auslaufmodell. Offenbar kann ich mich nicht hineinversetzen in dieses andere Leben, das gekennzeichnet ist von einer starken Dominanz des Berufs im Leben. Arbeit – in Form eines Jobs – gehört für die meisten zum Leben; aber bei vielen von ihnen bleibt daneben wenig Raum für andere Dinge. Entweder der Beruf ist zeitlich ausfüllend oder so kräftezehrend, dass Zeitmangel oder eine tiefe Müdigkeit andere Interessen im Keim erstickt. Oder sogar beides.

Es scheint kaum Stellschrauben zu geben. Wenn ich den Erzählungen glauben darf: Weniger arbeiten, weniger verdienen und dafür mehr Zeit zur Verfügung zu haben – so einfach ist es nicht. Es geht nicht nur ums Geld, es geht auch um berufliche Zufriedenheit, um Projekte oder Aufträge, die man gern bekommen würde. Und ein bisschen auch um die Sicherheit des Arbeitsplatzes.

Natürlich arbeitet niemand 24/7, natürlich haben alle Berufstätigen auch ein Privatleben, für das der Rest der Zeit und Kraft eben reichen muss. Mit allen Zwängen und persönlichen Ansprüchen, die man diesbezüglich hat – Beziehungen zu Kindern, Ehepartnern oder Freunden, Hobbys, persönliche Weiterentwicklung. Was (und in welchem Maße) für den Einzelnen zu einem erfüllten Leben dazugehört, ist sehr unterschiedlich.

Meine Fragen waren unbequem oder zu wenig einfühlsam – zumindest empfand ich es so. Ich wollte verstehen, aber das konnte ich nicht vermitteln. Es fehlte die gemeinsame Schnittmenge: Es ist nicht so, dass ich nicht arbeite, aber ich übe keinen Beruf aus und kann nicht mitreden. Dennoch hätte es mich interessiert, wie Berufstätige mit dem Zuviel an Pflicht zurechtkommen. Meine Unwissenheit durch interessiertes Nachfragen zu beseitigen, funktionierte nicht. Stattdessen kam ich mir im Nachhinein zu provokant vor – und vielleicht auch ignorant ob der beruflichen Realitäten in unserem Land.

Wahrscheinlich rede ich wirklich wie die Blinde von der Farbe, denn meine Aufträge scheinen alle frei gewählt – kein Chef sagt, was ich wann tun soll. Ohne Zwänge lebe ich aber noch lange nicht. Trotzdem oder gerade deswegen frage mich von Zeit zu Zeit, ob mein persönlicher Aufgaben-Kanon noch passt. Mein eigener Kampf um ein gutes Maß zwischen Tun und Nichtstun, zwischen Selbst- und Fremdbestimmung, zwischen Pflicht und Kür in meinem Alltag scheint hausgemacht und leicht zu gewinnen – als Nichtberufstätige sitze ich in einer sehr individuellen Blase der Ahnungslosigkeit. Was uns verbindet: Egal wie wir unser Leben gestalten, es geht unaufhaltsam vorbei.

„Und dann muss man ja auch noch Zeit haben, einfach da zu sitzen und vor sich hin zu schauen.“
Astrid Lindgren

Wunderbar! Natürlich sind Sätze nicht automatisch richtig und wahr, nur weil Astrid Lindgren sie gesagt hat. Und natürlich hat die Autorin in einer anderen Zeit gelebt – und auch im beschaulicheren Schweden. Aber sie war – ebenso natürlich – eine vielbeschäftigte Frau, und dieser Satz ist ihr (für mich) bewundernswertes Bemühen um gute Prioritäten.

Spontan

Ein Samstag im August. Das Wetter ist wunderbar – spätsommerlich warm, sonnig und windstill. Spontan haben wir die Idee zu grillen und laden dazu ein. Wir telefonieren nicht den ganzen Tag, aber doch häufig. Freunde, Kollegen, Nachbarn – wir arbeiten uns voran von denjenigen, die uns sehr vertraut sind, zu denjenigen, die noch nie bei uns waren: Alle sagen ab. Am Ende schauen wir uns an und wissen, wir haben alles gegeben.

Wir waren zu spontan. Jedenfalls ist das unser Trost. Alle Absagen klangen nach Bedauern: „Schon was anderes vor!“ „Zu kaputt.“ „Noch so viel vorzubereiten für den Gottesdienst morgen.“ Manch potentieller Gast war nicht erreichbar. Wir nehmen es nicht persönlich; der Abend wird auch ohne Besuch sehr schön – entspannt und familiär. Wahrscheinlich lag es nicht an uns, es sollte einfach nicht sein.

Keine 24 Stunden später: Nach dem Gottesdienst nehmen wir spontan(!) alte Freunde mit zu uns, um das angefangene Gespräch in unserem Garten fortzusetzen. Sie gehen mit – und noch ein paar andere. Es wird ein besonderer Nachmittag, wir gehen nach fünf Stunden alle beschenkt auseinander. Wahrscheinlich lag es wieder nicht an uns, es sollte einfach so sein.

Ungewollte Folgen

Ein Busch in unserem Garten blühte diesen Mai so intensiv wie noch nie zuvor. Offenbar hat das dauernde Zurückschneiden durch meinen Mann – nach vielen eher erfolglosen Versuchen – dieses Jahr dazu geführt, dass überall Blüten kamen und dann auch blühten. Jetzt, im August, fängt es wieder an. Es sind nur die äußersten Spitzen der Äste, die Blüten tragen; aber ich kann mich nicht erinnern, dass dieser Busch überhaupt schon einmal zwei Mal in einem Jahr Blüten trug.

Es ist eindeutig: Mein Mann hat einen grünen Daumen. Ich sollte ihm den Garten in seiner ganzen Fülle überlassen! Ob er sich an dieser Konsequenz ebenso freuen kann wie ich mich über den zweimal blühenden Busch freue – ich bezweifle es. Des einen Freud ist des anderen Leid?