Kinder

Ich erlebe eine Mutter mit ihrem 17-jährigen Sohn. Er verabschiedet sich mit einem „Bis morgen, kurz nach eins an der Schule“ von ihr. Offensichtlich geht er davon aus, dass sie ihn dort abholen wird. Sie lächelt: „Wir arbeiten noch daran, wie er ohne Rad von der Schule nach Hause kommt.“ Es klingt entspannt und liebevoll. Zum Abschied drückt sie ihm einen Kuss auf die Wange.

Mir ist, als würde ich in einen Spiegel schauen: Auch mich amüsiert es immer wieder, von welchen Gefälligkeiten die Kinder ausgehen, ohne mit der Wimper zu zucken. Fragen kostet schließlich nichts; es könnte ja klappen – und wenn nicht, finden sie eine andere Lösung. Dabei meinen sie es gar nicht böse; sie suchen nur instinktiv den Weg des geringsten Widerstandes. Erwachsen und selbstständig werden sie trotzdem, es dauert nur seine Zeit. Auch ein noch so erzieherisches `sieh zu, wie du das allein hinbekommst´ beschleunigt diesen Prozess wahrscheinlich kaum. Deshalb fühle ich mich angesichts ihrer Wünsche und Nachfragen nicht ausgenutzt, wenn ich auch innerlich manchmal mit dem Kopf schüttele.

Die Beziehung zu den Kindern war und ist mir immer wichtiger als ein vermeintliches Erziehungsziel; was uns wichtig ist, sehen sie in unserem Leben. Zwar setzen wir klare und bisweilen vergleichsweise enge Grenzen – und die Kinder reiben sich daran wie die Bache am Baum. Dafür dürfen sie selbstverständlich davon ausgehen, dass der heimische Laden ohne ihre Mithilfe läuft. Sie brauchen noch ein paar Jahre, bis sie freiwillig und unaufgefordert die Wäsche abnehmen. Kinder halt.

Jetzt, wo sie älter sind und das Gros an Erziehung schon gelaufen ist, ernten wir: ein respekt- und liebevolles Miteinander trotz unterschiedlicher Ansichten. Sie lieben uns – ob wir ihre Wünsche erfüllen oder nicht; wir lieben sie auch: sowieso.

Entdecke mehr von mehr.klartext-schreiben

Jetzt abonnieren, um weiterzulesen und auf das gesamte Archiv zuzugreifen.

Weiterlesen