Keine große Sache

Auf Äpfeln aus dem Supermarkt klebt oft ein kleines Schild – meiner Meinung nach unnötig, aber nicht zu ändern. In jedem Fall muss das Schild abgezogen werden, bevor man den Apfel waschen und essen kann. Es gehört in den Müll; das ist keine große Sache. Dennoch finde ich diese Schildchen fast täglich irgendwo anders: auf der Arbeitsplatte direkt neben der Spüle, auf einem benutzten Frühstücksbrettchen, an der Klinke der Kellertür. Es ist einerseits faszinierend, wie konsequent die Kinder sich der Müllentsorgung in diesem Fall verweigern. Sie wählen den Weg des geringsten Aufwands. Andererseits ist es frustrierend, wie konsequent die Kinder die Müllentsorgung in diesem Fall jemand anderem überlassen – meistens mir. 

Ich sollte die Schildchen konsequent ignorieren, bekomme das aber nicht hin. Es macht mir weniger aus, den Kindern ihren Müll hinterher zu räumen, als den Müll der Kinder in meinem Wohnraum zu ertragen. Konsequent wäre es, die Schildchen direkt in die Zimmer der Kinder zu bringen – so wie ihre anderen Besitztümer, die sie anstrengungslos fast täglich irgendwo liegen lassen. Allerdings scheinen meine (Auf-)Räumaktionen meine Kinder NICHT zu beeindrucken; und der Weg zum Mülleimer ist für mich kürzer. Also entsorge ich die Schildchen selbst, es ist keine große Sache: Ich wähle den Weg des geringsten Aufwands.

Von Kindern und Müttern

Wir fahren selten mit dem Auto durch die Waschanlage, sehr selten. Daher war ich gestern ehrlich überrascht, wie laut es da drin ist – und erinnerte mich an eine ähnlich einprägsame Erfahrung vor einigen Jahren. Damals war mein jüngster, etwa dreijähriger Sohn dabei. Er saß ruhig und erwartungsvoll in seinem Kindersitz, allerdings nur wenige Sekunden. Mit diesem Lärm hatte er nicht gerechnet und fing an zu weinen. Ich nahm ihn auf den Schoß – sofort wurde er wieder still: Kleine Kinder haben kleine Sorgen, gegen die mütterlicher Trost und körperliche Nähe wie eine Wunderwaffe wirken.  Das ist super – auch für die Mutter.

Heute kam meine fast 16-jährige Tochter aufgewühlt nach Hause. Sie hat seit Monaten Stress mit einer Person: Manchmal ist diese freundlich, oft aber unberechenbar unfreundlich, genervt und vorwurfsvoll. Meine Tochter belastet diese gestörte Beziehung mal mehr, mal weniger – heute brach sie deswegen in Tränen aus. Ich nahm sie in den Arm, aber ihr Frust und ihre Trauer blieben: Große Kinder haben große Sorgen, gegen die mütterlicher Trost und körperliche Nähe leider nur wenig ausrichten können. Das ist höchst bedauerlich – auch für die Mutter.

Kinder und Wetter

In anderen Landkreisen fällt heute wegen des Wetters die Schule aus – es drohen orkanartige Winde. Auch bei uns ist es stürmisch; von Entfall ist keine Rede. Die Kinder schauen morgens skeptisch aus dem Fenster. „Wir werden nicht ankommen, Papa, kannst du uns mit dem Auto bringen?“, fragen sie. „Ihr müsst den Lenker gut festhalten“, rät er ihnen. Sie kennen solche Ratschläge schon; das Auto ist keine Alternative, zu der wir schnell greifen. Im Winter heißt es: „Der Schnee ist gar nicht so tief“, und angesichts heftiger Regenfälle hat sich ein Satz mittlerweile zum `running gag´ entwickelt: „Das hört gleich auf!“ Also kämpfen die Kinder sich durch den Wind, schieben manchmal ein Stück des Weges durch den Schnee oder werden eben nass. Meist tragen sie unsere Entscheidung mit Fassung und schimpfen vor sich hin: „Wenn ich mal Kinder habe, werde ich das ganz anders machen!“ Warten wir´s ab.

Kindermund

„Wir können Dinge unter der Bettdecke verschwinden lassen, an den Schritten erkenne, wer kommt, und ziemlich glaubhaft so tun, als ob.“ Mit diesem Satz beschreiben meine Kinder den kleinsten gemeinsamen Nenner – von Kindern `strenger Eltern´.

Störfaktor

Unsere großen Söhne sind IMMER hungrig: Sie würden sich gern öfter zwischendrin ein paar Nudeln kochen, ein Lachssteak braten oder (mindestens) vier Eier in die Pfanne schlagen. Wir unterbinden derartige Zwischendurch-Kochversuche meistens, empfehlen einen Apfel, ein Brot oder Müsli und verweisen auf die nächste Mahlzeit.

„Es ist so doof, dass ihr immer zu Hause seid“, findet der Älteste. Er ist fast ein bisschen neidisch auf seinen Freund, dessen Eltern den ganzen Tag arbeiten: „Der kann sich immerzu etwas zu essen machen – wann und was er will.“

Ich lächle über die Entwicklung: Anfangs sind präsente Eltern unabdingbar, in den weiteren Jahren wirklich praktisch (als Ansprechpartner und für Wäsche etc.), bei auf dem Papier erwachsenen Kindern phasenweise fast überflüssig, und gleich danach – im Weg. Es ist der Moment erreicht, in dem die Kinder ausziehen sollten …

Kinder im Haus

Manchmal nervt mich die Lautstärke hier im Haus, das andauernde Reden, die ständige Auseinandersetzung mit den Kindern. Immerzu Menschen um mich herum. Andere Eltern empfehlen mir, ich solle die Zeit genießen, sie gehe unwiederbringlich vorbei. Irgendwann werde ich mich zurücksehnen nach dem Leben mit Kindern im Haus, sagen sie.

Ich weiß nicht. Ich weigere mich, den Auszug der Kinder als das Ende der besten Phase meines Lebens zu betrachten. Vielleicht wird es ohne Kinder auch toll? Anders, aber auch gut: Es wird etwas fehlen, was lange „normal“ war. Etwas anderes wird möglich sein, was heute noch nicht geht. Ist doch auch schön. Jede Phase hat ihre guten und weniger guten Seiten. Ich kann mir gar nicht alles schön reden jetzt; manches ist einfach anstrengend. Darf ich das nicht sagen? Bin ich gleich undankbar, wenn ich benenne, was mir Kräfte entzieht?

Sicher ist es doch möglich, ohne im Haus lebende Kinder ein zufriedenstellendes und erfüllendes Leben zu führen. Eins, in dem der Trubel begrenzt ist, in dem zu viel Zeit zum Lesen da ist und dafür zu wenig verbaler Austausch etc. Es wird etwas fehlen, das werde ich benennen. Aber etwas anderes wird an seine Stelle treten. Hoffe ich. Solange ich mit Haben und Nicht-Haben zufrieden sein kann, ist es doch gut.

Zeitsprung

Vor einigen Wochen bin ich mit meinen beiden älteren Söhnen (16 und 15 Jahre alt) spazieren gegangen. Nicht ganz freiwillig (ihrerseits), sondern verordnet. Vor etwa zehn Jahren haben wir das auch öfter gemacht: `Kinder lüften´ habe ich das genannt. Sie sind damals gern mitgekommen, aber zum Zeitvertreib war eine ausgedachte Geschichte von Mama eine willkommene Zugabe. Einen hatte ich mindestens an der Hand, und die beiden jüngeren Schwestern waren sicherlich auch dabei.

Letztens waren sie weder an einer Geschichte noch am Handhalten interessiert – wie peinlich. Sie sind zehn Jahre älter und gefühlt einen Meter größer als damals. Aber – bin ich auch zehn Jahre älter? Ich kann es nicht glauben! Wir machen dasselbe, aber es fühlt sich ganz anders an.