„Sie fliegen nicht …“, erzählt eine Freundin, „… es sei denn, sie fliegen doch“, ergänzt ihr Mann. „Nun ja, eigentlich fliegen sie nicht“, nimmt seine Frau ihre Bekannten in Schutz. „Kann sein“, sagt ihr Mann, „aber letztens waren sie in New York.“ Es sei denn, sie fliegen doch, trifft es also ganz gut.
Er oder sie?
Eine Freundin von mir ist Lehrerin. Für einen ehemaligen Schüler musste sie kürzlich das Zeugnis neu ausstellen, weil er neuerdings eine Frau ist und anders heißt. Es war eine langwierige Prozedur, weil die Schule inzwischen mit einem anderen Computerprogramm arbeitet. Noch immer ist meine Freundin froh, dass sie das hinbekommen hat. „Inzwischen will er Lokführerin werden“, erzählt sie zum Abschluss. Man kann schon mal durcheinanderkommen; es ist kein böser Wille, und wir schmunzeln. Gut, dass er, nein sie, nicht da ist.
Wenn (und) überhaupt
„Wenn ich eins kann“, fange ich an, und schon schüttelt mein Mann den Kopf, „dann ist es, unsere Vorräte im Blick zu behalten“, fahre ich leicht irritiert fort. „Jaja, mach dich nur klein“, sagt er, „wenn du überhaupt etwas kannst …“ Es ist interessant, was er heraushört aus meinen Worten, die total positiv gemeint waren – in meiner Wahrnehmung fast schon stinkend nach Eigenlob. Für meinen Mann klingen sie, als würde ich mein Licht unter den Scheffel stellen.
Ich gebe zu, dass ich mir wahrscheinlich eher weniger zutraue als mehr. Vor Jahren las ich einen Artikel zu dem Thema: Diese etwas verzerrte Selbstwahrnehmung findet sich anscheinend eher bei den Ostdeutschen. Wenn ich mich richtig erinnere, ging es um zwei Universitätspräsidenten – die einzigen, die aus dem ehemaligen Osten kamen. Damals fühlte ich mich bestätigt und gar nicht schlecht. Abgesehen davon, dass ich offenbar nicht aus meiner Haut kann, bin ich gar nicht so unglücklich mit diesem Charakterzug: Wenn überhaupt irgendwie, werde ich lieber als zu bescheiden wahrgenommen, als dass man mich für einen überheblichen Schaumschläger hält.
Etwas Großes!?
Der Sohn eines Models hat es erstmals auf die Cover-Seite eines Magazins geschafft, lese ich in der Zeitung. Seine Mutter sagt dazu, das sei ein `unglaublicher Meilenstein´, es mache sie `sehr stolz´ und: Sie habe immer gewusst, dass er `zu etwas Großem bestimmt´ sei.
Ich verstehe es, wenn man stolz auf seine Kinder ist. Die namentliche Erwähnung meines Sohnes in der Zeitung im Zusammenhang mit einem Fußballspiel hat mich erfreut – vor allem für ihn. Er war damals 14 oder 15. Stolz machte mich weniger sein Erfolg, als dass er klaglos, verlässlich und ausdauernd trainierte und wie fair und mannschaftsdienlich er spielte. Denn insgesamt ist es mir wichtiger, wie menschlich-sozial sich unsere Kinder verhalten und benehmen. Allerdings kommt man damit in der Regel nicht in die Zeitung, geschweige denn auf die Titelseite eines Modemagazins.
Kenn ich, weiß ich, war ich schon
Es ist mir suspekt, wenn jemand auf alles eine Antwort hat und in großer Unbescheidenheit davon berichtet, wie die Welt funktioniert. Wer den Irrtum für sich selbst ausschließt, rennt bei mir mit seinen Überzeugungen keine offenen Türen ein: Natürliche Autorität kann man nicht für sich in Anspruch nehmen, man muss sie sich verdienen, finde ich – Bescheidenheit ist ein guter Anfang.
Kein Gemüse?
Ein Freund meiner Schwester ist Orthopäde. Ich frage ihn manchmal um Rat, diesmal wegen meiner Arthrose im Daumensattelgelenk. „Schonen“, sagt er unter anderem, „alles vermeiden, was reizen könnte.“ Ich muss mich vergewissern, ob ich ihn richtig verstanden habe. Wie soll ich bitte den Daumen meiner linken Hand schonen, wenn ich ihn für fast jeden Haltegriff benötige – zum Gemüseschnippeln zum Beispiel? „Kein Gemüse“, ist seine trockene Antwort, „bis auf weiteres jedenfalls.“ Das ist keine Alternative für mich. Ganz kurz schießt mir das Wort Haussklave durch den Kopf – völlig unangemessen, geradezu absurd. Meinen Großmüttern wäre das im Traum nicht eingefallen; ich schäme mich. Es bleibt also nur eins, weitermachen wie bisher, Orthopäden-Rat hin oder her.
Im Märzen der Bauer …
Nach meiner Erfahrung der vergangenen Jahre ist der Winter im März noch nicht vorbei. Es ist zwar schon länger hell und morgens zwitschern Vögel, die in den Monaten bisher die Schnäbel hielten. Einige sonnige und vergleichsweise warme Tag fühlten sich außerdem schon sehr nach Frühsommer an. Verlässlich ist jedoch nichts davon, weshalb ich meine Winterkleidung vor April sicher nicht in den Schrank packe. Die nächtlichen Temperaturen momentan geben mir recht.
Entsprechend habe ich noch keine Lust auf Gartenarbeit, bin aber froh, dass es unseren Bauern anders zu gehen scheint. Auf meinen Spaziergängen kann ich sehen, dass sie die vergangenen Wochen gut genutzt haben: Es wächst und grünt – das macht Hoffnung. „Solange die Erde steht …“, schießt es mir durch den Kopf, „… soll nicht aufhören Saat und Ernte …“, den Bauern sei Dank, „… Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht“, Gott sei Dank! (1. Mose 8, 22)
Zeitgeist: Last minute
Eine Mutter möchte ihrem Kind in weiter Ferne etwas nachschicken, was es zu Hause vergessen hat. Der Karton fürs Paket steht schon bereit; es ist Dienstag. Da schreibt das Kind, ein Freund würde am Wochenende ohnehin kommen: Dem könnte die Mutter das Vergessene mitgeben. Oh, wie praktisch, freut sich die Mutter und geht nicht zur Post.
Am Freitagmorgen meldet sich der Freund. Er warte noch auf Rückmeldung eines anderen Freundes, dann könne es konkrete Absprachen geben. Eine halbe Stunde später kommt eine Sprachnachricht, der andere Freund fahre nicht mit. Allein habe er keinen Bock auf die weite Fahrt, vielleicht ein andermal – sorry.
Die Mutter packt das Paket und bringt es zur Post.
Zwei Stunden später meldet sich der Freund wieder: Der andere Freund komme doch mit – wann würde es passen, das Zeug abzuholen?
„Machst du Witze?“, schreibt die Mutter zurück. Eines ihrer anderen Kinder sitzt unbeteiligt (und an der Misere unschuldig) auf dem Sofa. Es ist krank, kann nicht weg und muss ihn sich anhören, den mütterlichen Rat: „Im Umgang mit älteren Personen wären eine gewisse Planung und Verbindlichkeit sehr freundlich und angebracht.“
Ob´s was nützt? Keine Ahnung.
Manchmal fragt die Mutter sich, inwiefern man ihm widerstehen kann, dem Zeitgeist.
Gestern – heute – morgen
Die Post ist heute geschlossen; glücklicherweise kann ich im Vorraum trotzdem Geld abheben. Eine Frau tritt ein und bleibt erwartungsvoll vor der Tür stehen. „Es ist heute geschlossen“, sage ich. Die Frau schaut mich verständnislos an. „Nix verstehen“, sagt sie – ehrlich. „Heute“, versuche ich es wieder und zeige mit meinen beiden Zeigefingern nach unten, als wäre das Hier und Jetzt genau da, wo ich stehe. Sie schaut mich weiter ratlos an. Also krame ich Zettel und Stift hervor und notiere das heutige Datum: „13.3. … heute … geschlossen“, erkläre ich und beschränke mich auf die Kernaussagen. Sie schaut auf ihre Uhr, nickt und geht. „13.3., das ist heute“, rufe ich ihr noch hinterher. Wahrscheinlich ist auch das vergebens; die Frau reagiert überhaupt nicht.
Auf dem Nachhauseweg denke ich, dass ich vom Datum hätte sprechen sollen: Gestern war der 12.3. und morgen wird der 14.3. sein. Vielleicht hätte sie mein heute dann verstanden. Wahrscheinlich erfordert Deutsch für Ausländer mehr Struktur und Zeit; vielleicht sind Begriffe wie gestern, heute und morgen viel zu abstrakt für den Einstieg. Mein Trost: Dass die Post geschlossen war, hat die Frau verstanden. Ob sie morgen damit rechnet, dass das nur für heute, äh, dann gestern, galt – ich weiß es nicht.
Familie anders
Unser Miteinander verändert sich. Der älteste Sohn hatte mit 16 Jahren ein komplett anderes Familienleben als der jüngste heute in demselben Alter. Zwar haben beide vier Geschwister, dieselben Eltern und dasselbe Zuhause. Man ist hier tagsüber manchmal ganz allein. Wenn bei gemeinsamen Mahlzeiten einer fehlt, sitzen eben nur noch drei am Tisch und nicht mehr sechs. Und ein Glas Gewürzgurken reicht auch ohne Beschränkung für mehr als ein Abendessen. Natürlich kommt der Einzelne jetzt leichter zu Wort, wenn er das denn will. Durch meinen Job außerhalb erlebe ich zum ersten Mal, was mit Qualitätszeit gemeint ist – und fühle mich in meiner Ahnung bestätigt: Sie ist eine Illusion. Du kannst den so wichtigen Langzeit-Kontakt innerhalb der Familie nicht komprimieren und ans Ende des Tages verlagern. Bei uns jedenfalls funktioniert das nicht mit den `guten Gesprächen nach Feierabend´: Sicherlich geht es auch ohne. Es ist, wie es ist, und nicht alles ist schlecht – sondern mal wieder nur anders.