Gestresst – genervt – gelassen

In der Wochenmitte: Jemand wünscht mir einen schönen Nachmittag: Ich solle mich vom Stress des Vormittages erholen. Nach kurzer Überlegung antworte ich, dass mich der Arbeitsvormittag nicht stresst – weder der Zeitdruck oder meine eigene Unzulänglichkeit noch das manchmal knirschende Miteinander. All das ist für mich nicht so wichtig, dass es mich stressen würde. Solange mit meiner Familie alles in Ordnung ist (ohne dass alles super läuft), bleibe ich gelassen.

Zwei Tage später fahre ich genervt von allem Möglichen einkaufen. Vor dem Supermarkt treffe ich eine Freundin, die mich fragt, wie´s mir geht. Ich sage, dass mein Tag bisher suboptimal läuft – in etwas drastischeren Worten. Sie zögert ein bisschen und erzählt mir dann, zu welcher Familie das verunglückte Kleinkind gehört, von dem ich kürzlich in der Zeitung las. Sogleich werde ich kleinlaut und still und denke an meine eigenen Worte: Solange mit meiner Familie … 

Unerwartet: mehr als eine Notiz

Im alten Kinderzimmer meines Sohnes suche ich eine Facharbeit von ihm. Zwischen allerhand Papier finde ich sie – und einen abgerissenen Notizzettel, auf dem er notiert hat, wofür die Kinder mir dankbar sind:

Schuhe kaufen,
kochen + Wäsche,
hinter uns herräumen,
Hausaufgaben und Schreibübungen,
zu Freunden gefahren,
immer hinter uns gestanden + motiviert,
geduldig gewesen,
Extras für uns gekauft (Guthaben, Klamotten),
getröstet

Ich suche eine Facharbeit und finde: viel mehr als das.

Für und Wider

Es ist ungemütlich, zwischen den Stühlen zu sitzen: nicht zu wissen, wie man sich entscheiden oder wem man es lieber recht machen sollte.

Es ist auch unangenehm, zwischen die Fronten zu geraten: als unbeteiligter Dritter hineingezogen zu werden in den Streit von zwei anderen.

Einerseits: Auf den ersten Blick hört sich `zwischen den Stühlen´ besser an – die Konsequenzen bleiben eher harmlos; `zwischen den Fronten´ sind Kollateralschäden oft unvermeidlich.
Andererseits: Um das Machtgerangel anderer kann ich einfach einen Bogen machen; die inneren Kämpfe der Entscheidungsfindung lassen sich nicht ebenso leicht lösen.

Was mir in jedem Fall weiterhilft: Mut zur Lücke!

Wer weiß?

Im Eifer des Tagesgeschäfts nehmen wir uns oft nicht die Zeit, etwas Positives zu sagen: Abläufe müssen funktionieren; und es scheint oft wichtiger zu sein, das aus dem Weg zu räumen (und zu benennen), was nicht läuft. Und das, obwohl gerade dann ermutigende Worte allen gut täten.

Ich will verschwenderisch mit Lob umgehen, Menschen ermutigen und wertschätzen – selbst wenn ich nur sehr selten erfahre, was meine Worte bewirken. Wer weiß denn, ob sie nicht doch guttun? Die Alternative, nämlich gar nichts zu sagen, bewirkt auf jeden Fall: nichts. 

Aber!

Wir gehen spazieren. Mein Mann bedauert, dass etwas, das ihm wichtig ist, momentan nicht in sein Leben passt. Ich versuche, den Druck aus dem Kessel zu nehmen und ihn zu beruhigen: Ich würde sein Bedauern verstehen, das sei wirklich schade, es habe eben alles seine Zeit, im Moment bedeute nicht für immer … etc. Bevor ich das eine Wort aussprechen kann, dem all meine Gegenargumente folgen würden, unterbricht er mich: „Jetzt kommt´s gleich, das Lieblingstier meiner Frau – der A-Bär!“ Stimmt ja auch: Es gibt immer ein Aber.

Ich weiß (wenigstens), dass ich nichts weiß!

Ein hochrangiger Politiker gibt ein Interview. Da er auch `Lehrer ist´, gehen einige Fragen natürlich in Richtung Schule – ohnehin ein beliebtes Thema. Manches finde ich gut:
dass er zum Beispiel meint, Lehrer zu sein, sei heute schwieriger als früher.
Eine ganze Reihe seiner `guten Ratschläge´ finde ich weniger gut:
dass es öde sei, wenn Lehrer heutzutage immer wieder nach mehr Lehrern und kleineren Klassen riefen;
dass Medien in die Schule gehörten, damit Kinder verständen, was jetzt `Welt´ bedeute und wie man sich verlässlich informiere;
dass wir mehr Ganztag bräuchten und fächerübergreifendes Lernen;
dass Rechtschreibung ebenso unnötig sei wie eine zweite Fremdsprache – schließlich gebe es korrigierende Schreibprogramme und Handys, die in Echtzeit `übersetzen könnten´. 

All das kann ich nicht teilen; aber natürlich bin ich keine Lehrerin, also ohne Expertise, und werde nicht gefragt. Spaßeshalber erlaube ich mir, nachzuschauen, wie lange und wann dieser Berufspolitiker als Lehrer tätig war: mit Unterbrechungen von 1988 bis 1995 – danach nicht mehr. Aha. Unwillkürlich fällt mir ein anderer Berufspolitiker ein, der mal Medizin studiert, aber nie als Arzt praktiziert hat. Auch er wird (noch Jahrzehnte später) um seine ärztliche Meinung gebeten, als wäre einmal erworbenes Wissen ewig abrufbar.

Mich überzeugt derartige Expertise jedenfalls nicht und das hat einen Grund: Nur weil ich fünf Kinder habe, werde ich in 30 oder 40 Jahren nicht automatisch Expertin in Sachen `Mutter kleiner Kinder´ sein. Das hatte sich schon erledigt, als mein Jüngster neun Jahre alt war: Damals wollte ich die dreijährige Tochter unseres Besuchs allein auf die Straße schicken, um meinen Kleinen zu suchen … Auch mein Wissen als studierte Agraringenieurin qualifiziert mich nicht dazu, Landwirten Ratschläge zu geben.

Ich weiß, wovon ich rede, wenn ich sage, dass Expertenwissen ohne direkten Praxisbezug eben keins ist. Stattdessen sollte man lieber diejenigen fragen und zu Wort kommen lassen, die ihren Job tatsächlich erledigen!

Heiße Eisen

Manche Themen sind heikel, umstritten oder schwierig, zum Beispiel:
wenn Kollegen Mundgeruch haben oder ihr Parfüm uns nicht gefällt;
Vollzeit-Mütter in Deutschland, die eine Journalistin in einem Artikel (nicht ganz so liebevoll) `Daheimchen´ nennt;
ganztägige Kinderbetreuung für unter Dreijährige;
Zweifel an den Klima-Kipp-Punkten;
zwei oder mehr Geschlechter … 

`Heiße Eisen´ nennt man solche Themen – doch kürzlich erfuhr ich, dass junge Leute diese Redewendung nicht mehr kennen. Mein Sohn kann sich denken, was ich meine, aber auch für ihn ist ein `heißes Eisen´ kein so feststehender und sich selbst erklärender Begriff wie für mich.

Jetzt frage ich mich: Sollte ich derartige Redewendungen nicht mehr verwenden, weil junge Menschen nichts damit anfangen können? Oder ist es gerade gut, weiter von `heißen Eisen´ zu sprechen, damit der Begriff nicht ausstirbt? Schließlich gibt es noch immer genug heikle, umstrittene beziehungsweise schwierige Themen, vielleicht sogar mehr als jemals zu vor: genug Gelegenheit also, sie als das zu bezeichnen, was sie sind – heiße Eisen. 

Ein Geburtstag und ein Länderspiel … 

Geschenkidee – Recherche – Hinfahren – Erwerben – Zurückfahren –Auspacken – Zusammenbauen: fertig, und zwar innerhalb von zwei Stunden und vier Tage vor DEM Tag. Es ist wunderbar, wenn etwas `läuft wie ein Länderspiel´. Den Rest des Tages über freue ich mich.

Oh, ich bin mit dem Fahrrad da!

„Oh, du bist mit dem Fahrrad da“, bedauert mich meine Kollegin, als es zu meiner Feierabendzeit stark regnet. Ja, denke ich, ich bin immer mit dem Fahrrad da; unser Auto ist mit meinem Mann unterwegs. Ich krame meine Regenhose hervor, mache mich ohne Selbstmitleid auf den Weg und denke leicht nostalgisch an meine Kindheit und Jugend. `Damals´ und im Osten der Republik besaßen die meisten Familien nur ein Auto; in meinem Heimatort fuhren viele mit dem Rad. Bei schlechtem Wetter war das natürlich einigermaßen lästig; aber so denkt man nicht über etwas nach, was eben so ist. Dafür sparte man Geld, und auf den Straßen war deutlich weniger los – beides schöne Nebeneffekte eines Normalzustandes.

Heute wohne ich absichtlich und sehr gern in einer Stadt, in der ich alle Wege mit dem Rad erledigen kann. Das ist für mich Anlass zu großer Freude; Frust über schlechtes Wetter hat daher eine geringe Halbwertzeit. Viel bedauerlicher fände ich es, wäre ich für meine alltäglichen Wege auf das Auto angewiesen.

Momentan wärmt manchmal die Sonne schon, die Vögel zwitschern und es riecht nach Frühling. Wenn ich Feierabend habe, geht mir daher meistens ein Gedanke durch den Kopf: „Oh, ich bin mit dem Fahrrad da!“ 

Gewinn- und Verlustrechnung

Ich lagere einiges im Keller: Nudeln, Reis, passierte Tomaten, Öl, Toilettenpapier …: verschiedene Vorräte, die man im Fall von Hunger oder Putzwut gut gebrauchen kann. Normalerweise habe ich einen super Überblick über das, was noch da ist, und das, was ich auffüllen muss. In letzter Zeit kaufe ich manchmal eine Sache zu oft – und vergesse dafür eine andere. Es liegt nicht an meinem nachlassenden Gedächtnis, sondern an der zunehmenden Freundlichkeit meiner Familie: Neuerdings packt nämlich fast immer jemand mit an, meine Einkaufsbeute zu verstauen. Die zusätzlichen helfenden Hände dezimieren meinen bislang guten Überblick. Es hat eben alles zwei Seiten; ich finde, der Gewinn überwiegt den Verlust bei weitem.