Einer kann (nicht), ein anderer kann´s einrichten … 

„Wenn du wirklich gar nicht kannst, kann ich das übernehmen …“, schreibt eine Bekannte. Und ich denke unwillkürlich, das ist ein Wolf im Schafspelz beziehungsweise eine Absage verpackt in einer Zusage. Ich empfinde ihre Worte als freundlich, aber dennoch unmissverständlich – und leicht manipulativ. Habe ich eine Wahl? Ja, man hat immer eine Wahl, aber diese hat einen Preis: Entweder ich sage zu und setze mich in diesem Fall fünf Stunden ins Auto, obwohl ich meinen Samstag auch zu Hause gut füllen kann. Oder ich sage ab und riskiere ein schlechtes Gewissen. Denn, wer kann schon `wirklich gar nicht´? Ich kann manchmal (und so auch dieses Mal) höchstens `nicht so gut´, was soviel heißt wie: „Ich hätte eine bessere Alternative!“ Von dort bis `wirklich gar nicht´ kann ich eine ganze Menge einrichten.

Im Wandel

Wir sind schon jetzt nur noch zu viert im Hause und unser einstmals wuseliges Familienleben ist ziemlich ruhig. Einerseits fehlt mir das Leben in der Bude, andererseits wäre ich auf Dauer vielleicht gar nicht mehr dafür gemacht. Mit zunehmendem Alter mag ich Pausen ganz gern; trotzdem hinke ich der familiären Veränderung emotional immer ein paar Wochen (oder Monate) hinterher. Insgesamt aber passt das leerer werdende Haus zu meinem wachsenden Bedürfnis nach Ruhe beziehungsweise Unabhängigkeit. Oder umgekehrt: Vielleicht wächst mein Bedürfnis nach Ruhe auch deshalb, weil das Haus leerer wird. Wäre es anders, würde ich auch damit klarkommen – wenn auch zeitversetzt.

Von Listen und Ideen

In einem Magazin lese ich, dass jemand ein Listen-Mensch ist. `Ich auch´, denke ich; ich mache auch gern Listen. Vor allem arbeite ich gern Listen ab: Es tut gut, etwas geschafft zu haben und dann streichen zu können von der To-do-Liste. Logischerweise sind die Aufgaben auf meinen Listen unterschiedlich schwierig beziehungsweise zeitaufwendig, so dass ich nie chronologisch vorgehe. Stattdessen erledige ich zunächst die Dinge, die sich leicht oder schnell abarbeiten lassen oder die unbedingt dran sind. Folglich bleiben immer ein paar Dinge stehen und die übertrage ich regelmäßig auf eine neue Liste, wenn die alte zu unübersichtlich geworden ist. 

Auf meiner aktuellen Liste stehen zwei Dinge schon seit Monaten. Das ist frustrierend und auch ein bisschen doof. Mit solchen To-do-Ladenhütern ist es nämlich immer gleich. Zunächst schreibe ich sie ganz enthusiastisch auf (tolle Idee: umfangreich zwar, aber großartig), dann verschiebe ich den Start erwartungsgemäß einige Male und schleppe die Idee von Liste zu Liste. Das wiederholt sich einige Male, bis der Punkt kommt, an dem ich entscheiden muss: Entweder ich verwerfe das Projekt komplett; vielleicht vergesse ich es sogar. Oder aber ich ärgere mich über mich selbst und über mein Herumgedruckse. Dieses latent schlechte Gewissen hilft mir dann, den ersten Schritt zu machen – und der ist ja bekanntlich der halbe Weg. Die zweite Hälfte des Weges lege ich meist schneller zurück, als ich gedacht hatte.

Im Nachhinein frage ich mich fast immer, wieso ich so lange gebraucht habe, überhaupt anzufangen. Man könnte denken, dass ich daraus lerne und keine Ideen mehr aufschiebe. Leider ist es soweit doch noch nicht – wie ich an den beiden Überhängen auf meiner aktuellen Liste erkennen kann … Nächste Woche fange ich an mit meinen Fotobüchern für 2023 und 2014! 

Ehrlich wohlwollend

„Kann man mich anders als wohlwollend ansehen?“, frage ich meine Freundin; sie lacht schallend und stimmt mir vorbehaltlos zu. Bisweilen korrigiert und kritisiert sie mich auch, aber heute ist etwas anderes wichtiger.

Ich bin total dankbar für unsere Freundschaft; wir begegnen uns wohlwollend und können sehr ehrlich miteinander sein – manchmal auch ganz unbescheiden.

Nur begrenzt vergleichbar!

Abends im Bett mache ich eine falsche Drehung und meine Kniescheibe springt aus ihrer Führung – völlig unerwartet. Die Schmerzen und meine Bewegungsunfähigkeit erinnern mich an die Geburten meiner Kinder, nur anders. Ich fühle mich hilflos und schreie. Nach gefühlt sehr langen zwei Minuten rutscht die Kniescheibe von allein wieder rein und alles ist wieder gut. Auch dieses abrupte Ende des Schmerzes ist so ähnlich wie am Ende einer Geburt, nur anders. Ich bin total erleichtert und erschöpft.

Am nächsten Tag schleppe ich zwar kein Baby mit mir herum, aber mindestens ein instabiles Knie: Ich bin vorsichtig und wage mich nicht auf meine Laufrunde. Der Verstand vergisst die Intensität der Schmerzen schnell; der Körper wird noch ein paar Tage brauchen, bis er wieder auf `wie vorher´ umschaltet. Das allerdings ist mit der Geburt eines Kindes nicht zu vergleichen!

Es fließt!

Unser Urlaub führte uns nach Nordosten – fünf Stunden über Landstraßen und vergleichsweise wenig frequentierte Autobahnen: „Wunderbar, wenn der Verkehr fließt; das machen wir wieder“, sagt mein Mann.

Zwei Wochen später wollen wir zu einer Geburtstagsfeier 180 Kilometer nördlich von uns. Die A7 ist an einem Samstag sicher zu voll für fließenden Verkehr, denken wir, und entscheiden uns wieder für die Landstraße. Allerdings ist der Norden deutlich dichter besiedelt als der Nordosten der Republik: Ein Dorf folgt aufs andere, Geschwindigkeitsbegrenzungen aufgrund von Baustellen `reichen sich die Hand´, einige Schnarchnasen bringen den Verkehr fast zum Erliegen. Glücklicherweise sitze ich am Steuer und bleibe gelassen. Im Gegensatz zu meinem Mann; er zieht bereits nach anderthalb (von insgesamt drei) Stunden eine vernichtende Bilanz: „Das machen wir nie wieder; die Strecke ist von vorn bis hinten Grütze.“ Wir haben keine Ahnung, wie es zeitgleich auf der A7 aussieht – hier fließt jedenfalls nichts.

Den Rückweg mitten in der Nacht übernimmt mein Mann; ich döse. Wir nutzen die jetzt weitgehend leergefegte A7 und brauchen die Hälfte der Zeit – es fließt.

Stolz – aber wie!

Thomas Müller sei stolz ein Deutscher zu sein, hieß es während der EM. In Zeiten großer Ereignisse kommen solche Aussagen häufiger vor und verwundern nicht. Einfach so redet hierzulande selten jemand vom Stolz auf seine Nation. Dabei ist Thomas Müller während seiner Deutschland-Spiele nicht deutscher als im Trikot des FC Bayern oder wenn er redet, wie ihm der deutsche Schnabel gewachsen ist.

Wir sind immer und überall gleich deutsch: ob wir mit den Nachbarn am Gartenzaun stehen, am Pool eines all-inclusive-Hotels unseren Bauch in die südosteuropäische Sonne halten oder entlang der Hurtigruten vor der norwegischen Küste dahin schippern. In jedem dieser Momente können wir stolz auf unsere Nation sein – und innerlich den Hut ziehen vor dem, was viele Deutsche vor uns geleistet haben. Noch wichtiger ist, wie wir diesem Stolz Ausdruck verleihen: Gepaart mit Respekt und Bescheidenheit für andere ist Stolz ein großartiger Ansporn, selbst auch sein Bestes zu geben.

Von Macht, Mut und Zahnschienen

Vor 15 Jahren bekam ich eine Zahnschiene gegen Rückenschmerzen und trug diese zunächst 23/7. Seitdem habe ich meine Rumpfmuskulatur gestärkt und keine weiteren Kinder mehr bekommen. Die Rückenschmerzen von damals sind Geschichte; aber die Schiene trage ich aus Gewohnheit noch immer – allerdings nur nachts. Dennoch amüsiert sich mein Mann in regelmäßigen Abständen darüber, wie beharrlich ich daran festhalte: aus seiner Sicht sinnfrei.

Ob die Schiene überhaupt noch einen Effekt habe, fragt er sich – und auf Nachfrage gelegentlich auch mich. Ich weiß es nicht; ohne Ausprobieren kann ich es gar nicht wissen! Was würde passieren, wenn ich die Zahnschiene von heute auf morgen Nacht wegließe? Vielleicht funktioniert mein Rücken ebenso weiter wie bisher. Oder eben auch nicht; niemand kann das vorhersagen. Steter Tropfen höhlt den Stein, und der leise Spott meiner besseren Hälfte erschüttert meinen Stoizismus. Noch gehorche ich der Macht der Gewohnheit, aber die Versuchung zum Mut zur Lücke wird stärker. Am liebsten wäre es mir, der Zahn der Zeit würde mir die Entscheidung abnehmen. Aber offenbar habe ich ein dentales Qualitätsprodukt erwischt!

Nicht mein Verdienst!

„Du hast was Besseres verdient“, sagt jemand zu mir und ich schäme mich. Ich gehe, sie bleibt – es ist eine Frage der Entscheidung und nicht des Verdienstes. Dass diese Frau auch nur ansatzweise meint, weniger `verdient´ zu haben als ich, macht mich fertig. Den Eindruck will ich nicht hinterlassen. Er ist nicht nur allgemein völlig verkehrt; auch in dem konkreten Fall passt ihre Einschätzung nicht: Wo ich vielleicht mutiger bin als sie, hat sie dafür größeres Durchhaltevermögen und mehr Biss. 

Jedenfalls denke ich nicht in dieser Kategorie: dass ich etwas Besseres verdient hätte als jemand anderes. Meine Schmerzgrenze ist früher erreicht, das ist alles. Ich bin noch nicht einmal sicher, ob ich diese klug festgelegt habe; aber auf jeden Fall sagt sie nichts darüber aus, was ich verdient habe und was nicht.

Vater-Glück?

Mein Sohn ist übers Wochenende da und wir reden über alles Mögliche: auch über seinen Einsatz in Afrika, bei dem er einen Jugendlichen kennenlernte. Dieser hat von seinem Vater nur den Nachnamen (und möchte ihn am liebsten nicht tragen). Vor seiner Mutter fürchtet er sich; die Familie ist arm. Spender ermöglichen ihm den Schulbesuch. Der Junge ist klug, aber rebellisch und willensstark. Die Lehrer und Mitarbeiter, die ihn schon Jahre begleiten, sind freundlich und konsequent. Dennoch war und ist der Weg mit ihm bisweilen herausfordernd und mühselig. Dieses Jahr wird er die Schule abschließen – und seine Unterstützer werden auch für sein Studium aufkommen. Das ist großzügig und toll, aber nicht alles. Denn ein Mitarbeiter der Schule hat im Laufe der Zeit eine Art Vaterrolle für den Jungen übernommen und begegnet ihm liebevoll, präsent, barmherzig und verständnisvoll.

Wie jede Vater-Sohn-Beziehung ist auch diese sicher nicht frei von sehr alltäglichen Schwierigkeiten, aber unterm Strich bleibt: Es ist besonderes Glück, einen Vater zu finden, wenn der eigene diese Rolle nicht wahrnimmt. Und aus einem anderen Blickwinkel: „Es gibt kaum ein beglückenderes Gefühl, als zu spüren, dass man für andere Menschen etwas sein kann.“ (Dietrich Bonhoeffer)