Ein Job: geschenkt!

Sehr lange hatte ich keinen Job, sondern genug zu tun in und mit der Familie. Nach zwei Jahrzehnten ohne Beruf zweifelte ich erheblich, ob ich das überhaupt noch könnte – „richtig“ arbeiten. Bei meinem ersten Versuch in einem Büro bestätigten sich dann auch fast alle meiner Befürchtungen: starre Arbeitszeiten, schlecht organisiert und das Miteinander nicht kollegial. Die Arbeit an sich war kein Problem – ich merkte, ich kann lernen.

Inzwischen habe ich gewechselt und kann nur staunen: Der neue Job ist abwechslungsreich, interessant und wie auf mich zugeschnitten. Ich kann meine Arbeitszeit selbst einteilen; es ist sinnvoll, was ich tue. Die Kollegen begegnen mir freundlich und wertschätzend. Meine Chefin vertraut mir und überlässt mir, wie ich meinen Kram erledige. All das ist ein riesiges Geschenk, mit dem ich – auf meine alten (Berufs)tage – nicht gerechnet hätte. 

Fleiß: geschenkt!

„Du bist fleißig!“ In einem gewissen Alter klingt das irgendwie ein bisschen übertrieben: zu ordentlich, zu strebsam, zu angepasst und jedenfalls nicht cool. Ich hätte mich als Jugendliche sicher nicht gefreut über die lobende Feststellung, fleißig zu sein – selbst, wenn sie zugetroffen hätte.

Während ich aufwuchs, war ich umgeben von fleißigen Menschen. Meine Großmütter und meine Eltern arbeiteten viel und beschwerten sich nie. Es gehörte zu ihrem Leben dazu, etwas zu tun: einfach machen, egal ob beruflich oder in Haus und Hof. Gefühlt musste ich oft mithelfen und tat es selten klaglos. Insgesamt hatte ich natürlich größere Freiheiten als meine Eltern in ihrer Kindheit – war mir dieser aber nicht bewusst.

Von mir unbemerkt prägten diese menschlichen Vorbilder mein heutiges Tun: Ich bin fleißig. Das macht mich nicht stolz, sondern dankbar. Fleiß erleichtert meinen Alltag. Er ist ein Geschenk, dass ich erst nicht haben wollte und heute sehr schätze.

(K)eine saubere Sache?

Wie so viele fahre ich ab und zu mit der Bahn, mindestens zweimal im Jahr: Dieses Mal geht es nach Wittenberg zum Treffen mit meinen ältesten Freundinnen aus der Grundschule. Irgendetwas klappt immer nicht, so dass ich mich über die eine Stunde extra Unterwegs-Sein nicht ärgere. Im Gegenteil: So hat unsere Gastgeberin etwas länger Zeit zwischen Feierabend und Besuch. Direkt nach der Begrüßung fragt sie mich erstaunt, ob ich mir nicht die Hände waschen wolle. Okay, denke ich, kann ich machen.

Die dritte Freundin kommt erst am Abend – mit dem Auto. Das liegt nicht nur an der ungünstigen Verbindung, wie ich mitbekomme: „Ich finde Zugfahren so eklig“, erzählt sie, „ich muss hinterher immer direkt duschen und alle Klamotten in die Wäsche tun.“

Vielleicht bin ich ein kleines bisschen abgestumpft, aber diese Art von Reinlichkeit ist mir fremd. Ich bin 55 Jahre alt und erfreue mich bester Gesundheit. Ich ekele mich höchst selten und dusche oder wasche mich, wenn mein Körper schmutzig ist. Eine Bahnfahrt, der Kontakt mit jemandes anderen Sitzplatz, das Betätigen einer Zug-Tür oder ähnliches motivieren mich bestenfalls zum Händewaschen. Und selbst daran muss man mich manchmal erinnern … 

Ewiggestrig?

Die jungen Frauen heutzutage würden sie aufregen, erzählt eine Bekannte. Sie würden mit Füßen treten, wofür „wir in den 70er Jahren gekämpft haben“: nämlich ihr Leben selbstbestimmt zu gestalten. „Diese jungen Frauen arbeiten nicht und sagen, es reicht ihnen, es ihrem Mann schön zu machen“, sagt sie und macht eine Drehbewegung mit der Hand, „vielleicht, indem sie am Herd stehen und Pudding rühren.“ Ich nehme an, sie spricht von den sogenannten Tradwives, traditionellen Ehefrauen und empfinde ihre Bemerkung als anmaßend und unsensibel. Denn zwar bin ich kein junges Mädchen, aber eine von diesen Frauen. Ich war sehr, sehr lange zu Hause mit meinen Kindern – in den Augen meiner Bekannten wahrscheinlich „nicht arbeitend, sondern Pudding rührend“.

In dem Moment bin ich sprachlos und frage mich, was ich zu meiner Verteidigung hervorzubringen habe – erstmal nichts. Hinterher fällt mir mehr ein, aber da ist unser Treffen vorbei …

Ich weiß, dass ich von den Frauen profitiere, die vor mir für Gleichberechtigung gekämpft haben. Ihnen habe ich es zu verdanken, dass ich frei bin, wählen zu gehen, zum Beispiel, oder einen Beruf auszuüben. Das ist für mich so großartig wie selbstverständlich. Wie ich diese Freiheit nutze, muss niemand bewerten – sonst ist es keine Freiheit. Keine Frau tritt irgendetwas mit den Füßen, wenn sie nicht wählen geht oder um ihrer Kinder willen zu Hause zu bleibt! Es ist eben keine Frage von „besser, fortschrittlich oder gleichberechtigt“, ob ich Vollzeit arbeite oder gar nicht. Aber es ist ewiggestrig, Frauen vorschreiben zu wollen, wie sie ihr Leben gestalten. 

Jahr für Jahr

Jedes Jahr im Herbst stutzen wir die Büsche in unserem Garten. Anfangs waren die Kinder klein und nur bedingt eine Hilfe, aber gern mit dabei. Auch die Büsche waren damals noch klein.

Einige Jahre später schwand die Begeisterung der Kinder in dem Maße, in dem die Büsche wuchsen. Trotzdem gingen wir zusammen raus und beendeten diese Garten-Einsätze mit Würstchen am Stock überm offenen Feuer.

Jetzt sind fast alle Kinder ausgezogen, der Jüngste hat sich praktischerweise aus dem Staub gemacht. Wir schnippeln und häckseln wieder zu zweit. Entsprechend langsam kommen wir voran. Am Ende sind wir mit dem Ergebnis zufrieden, wie jedes Jahr. Aber, ganz ehrlich, ich vermisse die murrenden Kinder mehr als die Würstchen am Stock.

Lass was von dir hören!

„… wie schön, mal wieder deine Stimme zu hören“, schreibt mir eine Freundin in einer kurzen digitalen Nachricht. Ich stutze, denn ich hatte sie nicht angerufen, sondern ihr einen Brief geschickt. Sie wählt ihre Worte mit Bedacht, das weiß ich. Insofern lese ich ihre Formulierung mit großer Freude: In dem, wie ich ihr geschrieben habe, was ich ihr geschrieben habe, konnte sie meine Stimme hören. Dafür bin ich dankbar und fühle mich motiviert, meinem liebsten Hobby weiter nachzugehen.

Die vergangenen Monate waren derart angefüllt mit allem Möglichen, dass ich nur sehr selten Stift und Papier zur Hand nahm. Das muss sich ändern. Denn persönliche Briefe sind tatsächlich bestens geeignet, „etwas von sich hören zu lassen“.

Ein wunderbar sonniger Samstag

Pünktlich zum Wochenende scheint am Samstag die Sonne – nach wolkenverhangenen Nieseltagen. Meine Wäsche trocknet draußen; die versammelte Nachbarschaft kümmert sich um ihre Gärten. Ich könnte das auch tun oder spazieren gehen oder mit dem Rad irgendwohin fahren oder laufen gehen: auf jeden Fall das Wetter ausnutzen und frische Luft schnappen.

Stattdessen nutze ich, dass erst niemand und dann „nur“ ein krankes Kind zu Hause ist und ich hier frei walten kann. Ich putze die Badezimmer gründlich, bringe die Terrassenstühle in den Keller und verpacke deren Polster für die nächsten fünf bis sechs Monate, verarbeite einige unserer eigenen Äpfel, rücke hässlichen Spinnweben an schwer zugänglichen Orten zu Leibe und setze Hefeteig an für Pizza zum Abendbrot. Zwischendurch lüfte ich viel, schaue nach meinem kränkelnden Sohn und koche ihm Tee.

Bis auf meine samstägliche Einkaufstour mit dem Rad bin ich kaum draußen. Früher wäre es mir wie ein Sakrileg erschienen, solches Wetter nicht vor der Tür zu genießen. Heute nutze ich den wunderbar sonnigen Samstag für alles Mögliche drinnen und bin am Ende höchst zufrieden.

Gut bestückt

Ein Kind zieht aus, ein anderes kommt aus dem Ausland zurück, sortiert sich kurz und macht sich dann auf zum Studieren. Die älteren Geschwister sind in den Semesterferien immer mal wieder in ihrem alten Zuhause, bis ihr nächstes Studienjahr losgeht. Es ist ein Kommen und Gehen; wir werden nicht fertig mit dem Abschiednehmen.

Die elterliche Hütte ist wie das Base Camp am Mount Everest: gut bestückt mit Vorräten und Personal, hervorragend geeignet als gemütliche und heimelige Auftank-Station für Vorüberziehende beim Auf- oder Abstieg.

An der Ampel

Ich warte an der Ampel, dass es Grün wird. Auf dem Bürgersteig steht eine Familie, die offensichtlich migrantisch sind: Vater, vier Kinder, Mutter mit Kopftuch und langem Gewand. Der Vater hält eine Zigarette in der einen Hand und einen Kaffee „to go“ in der anderen. Seine vier kleinen Söhne sind alle ähnlich gekleidet und wuseln herum. Die Mutter zieht einen großen Koffer hinter sich her, obendrauf noch eine kleine Tasche. Über dem Arm hängt ihre Handtasche.

Die Aufgabenverteilung ist interessant, denke ich – und mir fremd. Ich bin sicher kein ausgesprochener Knigge-Fan und auch nicht unemanzipiert. Dennoch gönne ich der Frau den Kaffee und wünsche dem Mann den Koffer in die Hände. Wenn nicht um der Frau willen, so doch um der vier Jungen willen, die irgendwann zu Männern heranwachsen werden. Sollten sie das in unserem Land tun, haben sie auch das Rollenverständnis im Gepäck, das ihre Eltern ihnen vorleben. Multikulti mag sich toll anhören; andere Länder, andere Sitten spricht sich leicht – und birgt doch so viel Konfliktpotential. Wir unterschätzen die Macht der Kultur.

Schnell und einfach

Wenn man Schulden hat, sollte man erst die abzahlen, die am geringsten sind – selbst wenn die Zinslast bei größeren Beträgen mehr ins Gewicht fällt. Das liegt daran, dass es motiviert, wenn eine Sache von der to-do-Liste abgearbeitet ist. Um den Abbau weiterer Schulden bemüht man sich engagierter, wenn es schon einmal gelungen ist. Bei Aufgaben ist es ebenso: immer erst das tun, was schnell und einfach erledigt werden kann.

Schulden habe ich nicht. In Bezug auf Aufgaben bin ich grundsätzlich motivierter, wenn mir etwas Spaß macht. Zum Beispiel bügele ich nicht gern und verschiebe es von einer to-do-Liste auf die nächste: auch bei (noch) wenig Bügelwäsche und ohne Rücksicht auf die logische Konsequenz. Denn leider wächst der Wäscheberg dadurch munter weiter. Spätestens wenn jemand nach frisch gebügelten Hemden sucht, gehe ich motiviert ans Werk. Nur leider geht´s dann nicht schnell und einfach.