Es dauert

Die Kühltheke im Supermarkt ist ausgefallen – seit zwei Tagen schon. Am Samstagmorgen bekomme ich hier keine Milch, keine Butter und überhaupt keine Molkerei-Produkte. Das ist ärgerlich, denke ich, korrigiere mich aber sofort: Viel ärgerlicher ist es, dass der Inhalt von zirka zehn Metern Kühltheke in den Müll wandert. Die Mitarbeiterin, die dafür zuständig ist, sieht dementsprechend frustriert aus – und kann natürlich nicht gleichzeitig an der Kasse sitzen. Dort dauert es daher etwas länger, was die Kunden ärgert und die Kassiererin stresst. „Meinetwegen können Sie ganz entspannt sein“, beruhige ich sie, als ich dran bin. Sie schaut mich kurz an: „Heute dauert es solange, wie es dauert; aber dafür haben nicht alle Verständnis.“

`Solange, wie es dauert…´ Das klingt so, als wären die Angestellten hier normalerweise im `Eiltempo´ unterwegs – was weder ihnen selbst noch ihrer Arbeit gut tut. Das klingt auch, als müsste der Einkauf von Lebensmitteln möglichst schnell gehen. Warum? Für den Einkauf von Kleidung oder Mobiliar nehmen wir uns viel Zeit – zumindest lässt der Anblick flanierender Menschen in der Innenstadt dies vermuten. Dabei dauert es lange, bis wir nichts mehr zum Anziehen haben: Einen gefüllten Kühlschrank leer zu futtern geht blitzschnell.

Gleichgewicht

In unserem Garten wächst alles mögliche, gern auch durcheinander. Dort bin ich kein Fan von klaren Abgrenzungen – und scheue den Aufwand, diese dauerhaft zu erhalten. Zunächst sieht das gut aus: Es grünt alles irgendwie gemeinsam, für Unkraut bleibt wenig Platz. Allerdings funktioniert die gemütliche Koexistenz weder ewig noch ganz ohne mein Eingreifen. Früher oder später verändert sich die Schnittmenge weg von einer ausgewogenen Verteilung hin zu dem einen dominanten Typ Pflanze. Leider wird der Garten langweilig, wenn ausschließlich die alles andere überwuchernden Pflanzen darin gedeihen. Spätestens dann steche ich mit dem Spaten in der Hand die Grenzen neu ab – und sorge für ein gutes Gleichgewicht.

Im Zusammenleben ist es genauso: Klare Kante zu zeigen fällt uns schwer und fühlt sich nicht angenehm an. Aber ohne eindeutige Grenzen verändert sich das bunte Miteinander hin zu dem einen dominanten Typ Mensch. Leider wird unsere Gesellschaft langweilig, wenn ausschließlich die alles übertönenden Menschen darin gedeihen. Spätestens dann müssen wir den Mut haben, klare Kante zu zeigen – und für ein gutes Gleichgewicht zu sorgen.

Zwischen Respekt und Desinteresse

„Hausaufgaben in Mathe schreibe ich meistens ab“, erwähnt meine Tochter nebenbei. Ich schaue sie erstaunt an – und entscheide dann, mich nicht dazu zu äußern. Sie wird schon wissen, was sie tut: Schließlich bewältigt sie ihre Aufgaben gut ohne meine Hilfe, braucht also auch keine ungebetenen Ratschläge von mir. Bei diesem Kind ist meine Zurückhaltung ein Zeichen von Respekt – und ganz und gar angebracht.

„Kann ich Mathe abwählen?“, fragt die andere Tochter ungefähr seit einem Jahr. Die Antwort ist ein klares Nein – noch nicht. Ich unterbinde ihre Versuche, sich um Hausaufgaben zu drücken, und verordne ihr täglich eine halbe Stunde Mathe extra. Bei diesem Kind wäre meine Zurückhaltung ein Zeichen von Desinteresse – und ganz und gar unangebracht.

Der Unterschied zwischen Respekt und Desinteresse liegt manchmal nicht darin, was ich tue, sondern warum ich es tue.

Wellness

Eine bekannte Schauspielerin und Wellness-Expertin soll kürzlich gesagt haben, sie sei während des Lockdowns `total entgleist´ und habe `jegliche Selbstdisziplin abgelegt´. Das klingt dramatisch. Was ist passiert? Sie hat Brot gegessen, Pasta gekocht und jeden Abend Alkohol getrunken. All das sind Dinge, auf die sie aus Wellness-Gründen normalerweise verzichtet.

Auch andere Menschen sind durch den Lockdown `total entgleist´ und aus der Bahn geworfen worden: Sie konnten kein Brot essen, keine Pasta kochen und nicht jeden Abend Alkohol trinken. Das ist dramatisch, denn all das sind Dinge, die sie aus Wellness-Gründen sehr gern zu sich genommen hätten.

Hände

Manche Menschen benutzen ihre Hände nicht (mehr). Mit abgespreizten Fingern versuchen sie, zuzufassen, ohne anzufassen: Sie steuern ihre Einkaufswagen mit den Unterarmen durch den Supermarkt, schließen Türen mit der Schulter oder dem Fuß und betätigen Wasserhähne mit dem Ellbogen. Natürlich hat dieses Spiel seine Grenzen: Nichts fällt von allein in den Einkaufswagen, an manchen Handgriffen mühen sich Schulter oder Fuß erfolglos, Wasserhähne zum Drehen überfordern jeden Ellbogen. Ich beobachte dieses Vorgehen mit leichter Belustigung und großer Trauer: Es kommt mir wie fremdgesteuert vor – als wäre jede Oberfläche kontaminiert mit einem gefährlichen Feind! Leichtigkeit sieht anders aus; das Leben hat auch etwas mit spontanem Zupacken zu tun.

In itself

Sometimes the act of preparing for something seems to be tedious work without any measurable benefit. Still: the preparation itself might be just as important as the goal.

Sometimes a sickness seems to be a nuisance, or something much worse. But in the end the sickness itself might teach us more about ourselves than our ‘healthy self’ ever thought possible.

Sometimes studying is hard and tiring, especially when it comes to subjects which come ‘with the package’ of school, training or apprenticeship, or degree courses. Nevertheless, the ‘side effects’ of studying – such as endurance, thoroughness or perseverance – might be worth more than what I learned in the process.

I will endeavor to consistently pursue an objective (or at least hope for the better) – while still, the whole time, being aware of the path itself: getting there, or getting through, takes up much more of my time in my life.

Sonntags-Programm

Ich radele zum Gottesdienst – und bin ein bisschen schöner angezogen als an einem gewöhnlichen Wochentag. Das Wetter ist wunderbar; einige andere lockt es ebenfalls nach draußen. Viele von ihnen werkeln an und ihren Häusern und Gärten herum – und sind ein bisschen weniger schön angezogen als an einem gewöhnlichen Wochentag.

Mutig flüchten

Ertappe ich ein Kind bei einem Unrecht, kann es sich entscheiden:

Scheinbar leicht ist es, sich in eine (Not-)Lüge zu flüchten: alles abstreiten, um Ärger zu vermeiden. Meist klappt das nicht – Lügen haben kurze Beine. Kommt ein Unrecht samt der verbalen Ausflüchte nachträglich ans Licht, ärgere ich mich (vor allem über die Lüge) – und greife tendenziell zu einer schärferen Konsequenz.

Anstrengend (und mutig) ist es, die `Flucht nach vorn´ anzutreten: ehrlich dem eigenen Vergehen in die Augen schauen und das Unrecht zugeben. Dann ärgere ich mich nicht, sondern bin stolz auf mein Kind und zeige das auch. Es folgt trotzdem eine Strafe – aber diese fällt barmherziger aus.

Das Leben

„Ich bin gekommen, damit sie das Leben und volle Genüge haben sollen.“
Johannes 6, 33

Ich liebe Pfingstrosen. Bevor meine im Garten blühen, kauft mir mein Mann ein paar für die Vase. Einige davon sehen nach zwei Wochen noch ebenso aus wie am Anfang. Die geschlossenen Knospen verändern sich nicht und wirken tot. Ich kann ihnen nicht helfen, sich zu entfalten. Diesen Lebensprozess muss Gott in Gang setzen, sonst passiert nichts.

Einige Zeit später bringt mir eine Freundin zwei Pfingstrosen aus ihrem Garten mit – anfangs mit fest verschlossenen Knospen. Drei Tage später sehe (und rieche) ich, was in einer Pfingstrose steckt, die lebt.

Funktional – gestern, heute und morgen?

„Mama, ein funktionaler Rock und eine schicke Sandale – das sind Widersprüche in sich!“, erklärt mir mein Sohn. 20 Jahre hätte ich mich nun in einem vor allem praktischen Stil gekleidet, das würde reichen. Die Zeit sei mehr als reif für schöne Dinge. „Aber ich finde das Funktionale doch schön“, versuche ich meine Sicht zu begründen. Er schüttelt mitleidig den Kopf: „Nein, Mama: Funktional ist funktional – und das kann ein Rock nicht sein. Sandalen dagegen sind ohnehin ein No-go und nie `schick´.“

Er ist ehrlich, und ich bin ein bisschen traurig. Natürlich werde ich weiterhin meinen Stil tragen. Dennoch hat mir das Gespräch eröffnet, wie sehr dieser wahrscheinlich bei vielen Menschen für ein inneres Stöhnen sorgt. Meine Unwissenheit war mir lieber als die Ignoranz, die ich mir künftig zulegen muss, wenn ich `wie auch immer´ angezogen unterwegs bin.