Ein besonderer Gruß

Vor meiner Haustür steht ein Gruß aus Frühlingsblumen, Leckereien und einer Karte. Eine Freundin schreibt mir, wie sie mich und mein Tun aus der Ferne wahrnimmt – und lobt mich dafür. Was für mich selbstverständlich ist, wird dadurch besonders. „Du sollst wissen, dass du gesehen und wertgeschätzt bist von Gott und von Menschen“, schreibt sie. Für diese Frau ist es selbstverständlich, zu benennen, was andere gut machen. Diese Gabe ist besonders, sie streichelt die Seele – heute ist es meine.

Einkaufserlebnis in Variationen

Ich kaufe meine Kartoffeln oft bei den Bauern in der Nähe. Die Bäuerin hat dabei immer Zeit für einen kleinen Plausch und erweitert jedesmal meinen Horizont. Der Bauer selbst dagegen behält seine Gedanken (und sein Wissen) für sich; bei ihm gilt: kurz, knapp und wortlos. 

Kosten und Nutzen von Kritik

Wenn ich kritisiere, will ich den anderen (meist) nicht ärgern, sondern etwas verändern. Leider funktioniert das nicht immer – es sei denn, meine Kritik ist konstruktiv und der andere baut mit. Durch viele erfolglose Kritik-Versuche habe ich gelernt, dass zwei Dinge entscheidend sind: der richtige Zeitpunkt und ein freundlicher Ton. `Direkt und spontan´ ist zwar total ehrlich, bringt den anderen jedoch leicht dazu, sich verteidigen zu wollen. Kompromisse sind dann mindestens sehr schwierig, wenn nicht gar unmöglich. Für den Ton ist `Understand before you´re understood´ ein hilfreiches Motto: Erst wenn ich den anderen verstehe, wird er mich auch verstehen! Solches Reden kostet mich Zeit und den Willen, vom anderen her zu denken – ist aber konstruktiv: Ich baue an einer `Brücke´, auf der wir uns unabhängig vom Streitpunkt treffen können. Der Rest liegt beim anderen, der konstruktiv hören muss. Das kostet ihn Zeit und den Willen, sich auf mich einzulassen. Am Ende nutzt es uns beiden: Wir kommen uns näher, selbst wenn unsere Positionen weiterhin weit auseinanderliegen.

Unwort

Ab 20. März soll es weitreichende Lockerungen geben. Beibehalten werden wahrscheinlich `nur´ die Maskenpflicht (beispielsweise an Schulen), Abstandhalten, bestimmte Testauflagen und vielleicht noch einige andere Kleinigkeiten. Sollte es tatsächlich so passieren, würde ich `Lockerungen´ schon jetzt als Unwort des Jahres 2022 vorschlagen. Aber man soll ja den Tag nicht vor dem Abend `in die Tonne treten´, oder wie hieß das doch gleich?

On being polite, helpful or/and honest

“I felt I could help ease things for you a bit by bringing something (and it would also be the polite way of doing things …)”, a friend of mine writes in a text message. I smile. We invited her and her husband over to our place for an evening together – and for a shared meal of Raclette. Immediately after accepting the invitation she asked whether they could bring anything. I declined her offer – hence her surprisingly honest reply.

I know how it is: you are invited to someone else’s home, you have to get the kids ready for bed and the babysitter, you haven’t yet shaken off the stresses of the working week and you are looking forward to an evening out. Sometimes, having to bring something is the last thing on earth you want to do. Out of politeness you still offer your help, but actually you want to be just a guest with no responsibility for two hours – not even having to take back the leftovers of your little contribution to the evening.

On the other hand: as parents of younger kids you sometimes want to invite someone over for an evening. Perhaps you feel a bit daunted by the work it involves – but, out of politeness, you don´t feel free to ask for help. Because of this, I sometimes ask (especially the hosts who have younger kids): “Can I bring anything?” I don’t want to be polite, I want to help ease things a bit for the other one. Sometimes I get an honest answer.

Auf- und Abrüstung

Kürzlich sagte Dr. Andreas Gassen, Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, in einem Interview, in den letzten zwei Jahren hätten Politiker zum Teil `rhetorisch aufgerüstet´. Sie sollten jetzt so langsam wieder `semantisch abrüsten´. Wunderbare Formulierung – und ganz meine Meinung.

Sisyphos

Ich liebe die deutsche Sprache und habe ein Faible für schöne Formulierungen – vor allem in geschriebenen Texten. Außerdem ist mir die richtige Schreibweise wichtig; ich lese gern und oft Korrektur. In dem Weihnachtsbrief, den wir an über 80 Leute verschicken, ist mir leider dennoch ein Fehler unterlaufen: Ich habe Sysiphus geschrieben und meinte Sisyphos. Das u würde ja noch gehen – latinisiert heißt es gern auch Sisyphus-Aufgabe. Aber i und y sind in jedem Fall vertauscht. Ich bin sicher, die meisten Empfänger des Briefes werden es nicht merken; mir ist es dennoch unangenehm. Jetzt bin ich die, die nicht weiß, wie man Sisyphos richtig schreibt. Dabei stimmt das gar nicht (mehr)! Aber das ließe sich nur klären, würde ich den Fehler in allen Kopien korrigieren – fast eine Sisyphos-Aufgabe.

Geringfügig

„Mach doch bitte ein paar Bilder von deinem Eltern. Euch eine gute Zeit zusammen. Der beste Ehemann auf den Planetem“, schrieb mir mein Mann am vergangenen Wochenende. Ich musste schmunzeln – die Fehler waren gewollt: Er liebt es, Dativ- und Akkusativ-Endungen zu vertauschen. Manchmal fragt er, was `dort auf den Zettel steht´ oder – heute beim Haare-Schneiden – `wo er jetzt hin soll mit seinen Kopf´. Er liebt so etwas: Eine geringfügige Veränderung hat eine durchschlagende Wirkung – ich reagiere IMMER darauf. Nach Meinung meines Mannes belebt das die Kommunikation und sorgt für Erheiterung und Entspannung. Ich höre jedes Mal das Schmunzeln in seiner Stimme (und muss selbst lächeln). Was ursprünglich der Auslöser war für diese Marotte, weiß er selbst nicht mehr. Vielleicht ein Schüler zu viel, der am Lehrerzimmer den Wunsch äußert, `Herr Sowieso´zu sprechen. Auf jeden Fall nutzt mein Mann mittlerweile sehr oft die Gelegenheit, n und m zu vertauschen – am liebsten in Possessivpronomen.

Ich bin froh, dass sein Vorbild die Sprache unserer Kinder nicht mehr negativ beeinflusst. Sie können ebensogut wie ich unterscheiden, was richtig ist und was nicht – und lächeln über die verbalen Kapriolen ihres Vaters. Weniger amüsant finde ich, dass er inzwischen (quasi offizielle) Verstärkung erhält: In unserer Zeitung fand ich diese Woche zwei Überschriften(!), die meinen Mann in seinem Spleen bestätigen. Eine davon lautete: `Geringfügigen Gebrauchsspuren sind erlaubt´.

Verbrannte Erde

Zwei Menschen sind nie komplett einer Meinung – und liegen sehr selten Welten auseinander. Um miteinander im Gespräch zu bleiben, sollten wir uns nicht auf die Unterschiede konzentrieren, sondern auf die Gemeinsamkeiten: „Ich kann verstehen, dass du das so siehst“, hätte ich sagen können, als ich kürzlich mit jemandem uneins war – aber ich habe es nicht getan. Stattdessen habe ich meine Position dargelegt und verteidigt. Jetzt haben wir in unserer Kommunikation etwas `verbrannte Erde´, um die wir beide in Zukunft einen Bogen machen werden. Im Nachhinein tut mir mein mangelndes Feingefühl leid: Hinterher und in der Theorie ist man immer klüger.

Zweierlei Maß?

Vor einem halben Jahr übten einige Künstler Kritik an den Corona-Maßnahmen – mittels ironischer Videos, die sie ins Internet stellten. Unmittelbar darauf konnte man in den öffentlichen Medien Reaktionen darauf lesen oder hören: Die Beteiligten wurden heftig angegriffen und für ihre Aktion verurteilt. Diese sei sowohl in der Sache als auch im Stilmittel der Ironie völlig unangemessen gewesen, hieß es. Einige der Beteiligten zogen sich daraufhin sofort zurück, andere wurden wochenlang öffentlich beschimpft.

Vor ein paar Tagen übte eine Journalistin Kritik am Verhalten der Ungeimpften – mittels einer anderthalb minütigen, fast schon aggressiven Hetz-Tirade. Im ersten Moment hielt ich ihre Äußerungen für eine Parodie. Aber die Frau meinte ernst, was sie sagte: dass alle Ungeimpften sich unsolidarisch verhielten und Schuld seien am Tod tausender Menschen. Die Frau verkündete ihre Meinung in unmissverständlichem Ton – nämlich wütend, herablassend und anklagend. Ich fand ihre Äußerungen sowohl in der Sache als auch im Ton völlig unangemessen; anderen geht es ebenso. Aber bis heute habe ich in den öffentlichen Medien keinerlei Reaktion zu diesem Kommentar gelesen – niemand schimpft.