Voll peinlich

Vor einiger Zeit wurde ich gefragt, ob ich meinen Kinder peinlich bin. Na klar, dachte ich – welche Mutter ist ihren Kindern nicht peinlich? Ich rede in der Öffentlichkeit zu laut oder bewege mich im Takt der Musik, die in Verkaufshäusern aus den Lautsprechern schallt. Es kann auch sein, dass ich in einem Restaurant so laut über etwas Lustiges lache, dass meine Kinder mich zischend zur Ordnung rufen. Oder ich spreche Söhne oder Töchter in der Schul-Teeküche mit „Na, mein Schatz“ an – voll peinlich.

Aus Liebe zu meinen Kindern versuche ich, mich in ihrer Gegenwart anders zu verhalten. Es gelingt nicht immer. Dennoch bleiben sie in solchen Momenten voll nett und barmherzig mir gegenüber. Ich freue mich darüber, denn ich weiß: Innerlich sind sie voll genervt.

Wetterfühlig?

Gestern regnete es mehr oder weniger den ganzen Tag. Mal stärker, mal weniger stark, zwischendurch intensiviert zu einer Art Schneeregen. Morgens war ich noch halbwegs trocken mit dem Rad durch den Nieselregen gekommen; ab Mittag ging draußen gar nichts mehr.

„Na, traut ihr euch raus?“, schien das Wetter uns zu fragen.

Gegen das Wetter kann man nichts tun. Manchmal ziehen wir uns wetterfeste Jacken an und gehen trotzdem raus. Gestern nicht, gestern wirkte jeder Protest zwecklos.

Deshalb lautete unsere Antwort: „Nö, wir bleiben hier drinnen. Bei DEM Wetter kann man ja gar nichts machen!“

Gar nichts? „Stimmt nicht“, dachten wir und buken Zimtschnecken. Schon beim Backen wunderbar duftend, beim Essen noch warm, weich, locker und süß – lecker.

Als wir glückselig das Ergebnis unserer Back-Aktion verzehrten, hatte der schlimmste Regen sich verzogen. Das klang nach: „Wenn meine Bemühungen um eine Schlecht-Wetter-Stimmung so ins Leere laufen, habe ich keinen Bock mehr.“

Geht doch.

Einfach so

2019 war ein ganz normales Jahr für uns. In unserem privaten Leben gab es keine Katastrophen und keine großen Höhepunkte. Es war trotzdem schön, keine Frage, nur ohne große Amplituden – es verlief einfach so vor sich hin. Dafür bin ich dankbar.

In meiner Küche hängt ein großer Terminkalender für alles, was so ansteht: Arztbesuche, Schulveranstaltungen, private Einladungen, manche Klassenarbeitstermine etc. Manches davon trage ich mit einem gewissen Vorlauf ein – den Kalender fürs nächste Jahr kaufe ich deshalb meist schon im Herbst und hänge ihn hinter den aktuellen. Gestern nahm ich den von 2019 einfach so ab und legte ihn in den Papiermüll.

Jetzt hängt da nur noch der Kalender für 2020, teilweise schon gefüllt mit Arztterminen, Schulveranstaltungen, privaten Einladungen, manchen Klassenarbeitsterminen etc. Dieses Jahr verläuft weiter – wie das letzte – einfach so vor sich hin. Das kann sich ändern, aber momentan ist es so. Dafür bin ich dankbar.

Auf den ersten Blick erinnert in meiner Küche nichts mehr an das vergangene Jahr, die sichtbaren Spuren von 2019 sind entsorgt. Das täuscht. Wahr ist: Die Erfahrungen und Erlebnisse von 2019 haben uns geformt – teilweise nicht ganz so sichtbar, aber dennoch mehr oder weniger deutlich. Kein Jahr lassen wir einfach so hinter uns, auch kein ganz normales. Einfach so lässt sich nur ein Kalender entsorgen – zum Glück!

Auf die Verpackung kommt es an?

In einem Werbeprospekt las ich – erwartungsgemäß – kurz nach Neujahr den Schriftzug: „Gute Vorsätze – sportlich verpackt“. Dazu abgebildet und angepriesen waren die üblichen Utensilien für regelmäßiges Laufen – Shirts, Hosen, Laufschuhe, Jacken. Es mag sein, dass derartige Produkte Anfang Januar tatsächlich mehr verkauft werden als sonst. Ob das aber auch heißt, dass die Käufer ab sofort mehr Sport machen?

Ich gebe zu: Welche Angewohnheit ich im vergangenen Jahr nicht etablieren konnte, wird sich nicht durch eine Silvester-Entscheidung und das „richtige Equipment“ in meinem Alltag verankern lassen. Wie schön die Verpackung auch aussehen mag – auf den Inhalt kommt es an.

Vernebelte Sicht

Gestern war es neblig – umfassend und flächendeckend. Ein Blick nach draußen zeigte: Die Sicht ist schlecht. Erst gegen Mittag begann die Sonne, den Nebel von oben ein wenig „wegzudampfen“. In dieser Zeit ging ich spazieren – noch eingehüllt von dichtem Nebel, Sichtweite unter 30 Metern. Auf der einzigen Brücke, die meinen Weg überspannt, erahnte – und hörte – ich einen radfahrenden Vater mit seinen Kindern: „Das ist nur Bodennebel, seht ihr, der ist nur unten am Boden.“

Ich musste schmunzeln und schüttelte verwundert den Kopf. Bodennebel kenne ich gut. Der hängt wie dicke Wattebüschel über – vornehmlich feuchten – Wiesen. Die Sichtweite in Beinhöhe beträgt maximal 30 Zentimeter, wenn überhaupt. Die Luft darüber, auf Augenhöhe, ist deutlich vom Bodennebel abgegrenzt und viel besser zu durchblicken. Was wir gestern hatten, war eindeutig KEIN Bodennebel, sondern ganz normaler Nebel – umfassend und flächendeckend. Nur in dem kleinen Moment, als die Sonne von oben den Nebel „auffraß“, konnte man vielleicht noch von einer Art Bodennebel sprechen – aber zwei Minuten später war auch das vorbei.

Wenn alles zu spät ist

Ich kann nicht nähen, überhaupt nicht. Zum einen habe ich es nie gelernt und besitze keine Nähmaschine. Zum anderen sind mir auch das Sockenstopfen und Knopf-Annähen ein Gräuel. Es kommt nichts Schönes dabei heraus, wenn ich Nadel und Faden in die Hand nehme.

Dafür kenne ich Frau P., eine begabte Schneiderin: Reparatur- oder Korrekturarbeiten in Sachen Stoff sind bei ihr bestens aufgehoben. Frau P. war schon häufig der letzte Rettungsanker für Löcher in Hosen, sich öffnende Nähte, zu lange oder zu weite Sachen oder für Jackenärmel, die durch Kaninchenzähne geschädigt sind. Ich bezahle, Frau P. repariert – und alle sind zufrieden.

Ab und zu reißt jedoch etwas entzwei, was den normalen Beanspruchungen des Alltags einfach nicht mehr gewachsen ist. Mir geschieht das häufig mit Oberteilen, die ich gern, viel und lange getragen habe. Irgendwann kommt der Tag, da geben diese Sachen nach: Es braucht keine große Strapaze, und schon ertönt das mir bekannte Geräusch zerreißenden Stoffes. Meist ignoriere ich es und schaue nicht gleich hin, denn ich weiß instinktiv: Was sich meinen Augen bietet, ist ein Zustand, den man mit „nicht mehr zu retten“ treffender nicht beschreiben könnte. Es ist bedauerlich, aber dann ist es selbst für die Rettungsbemühungen einer begabten Schneiderin zu spät!

Stau-Analyse

Kleidungsstücke werden durchs Tragen zu Wäsche. Das Waschen verwandelt Wäsche wieder in Kleidungsstücke. Die einen sind zum Anziehen geeignet, die andere nicht. Ich beschäftige mich im Wechsel mit Kleidung und Wäsche, unterstützt von meiner Waschmaschine und diversen Wäscheleinen. Für die nicht abreißende Zufuhr an verschmutzter Wäsche sorgen vor allem die fünf in unserem Haushalt lebenden Kinder. Die Folge – ein Wäsche-Kreislauf.

Wenn Kinder fehlen, geht der Kreislauf zunächst so weiter. Über Silvester sind zwei von ihnen auf einer Freizeit. Sie verabschiedeten sich herzlich von mir und hinterließen zwei Dinge: aufgeräumte Zimmer – erwünscht und super – und eine volle Wäschekiste – unerwünscht und nicht so super. Die Folge – ein Wäsche-Stau.

In der Ruhe einer temporär verkleinerten Familie wasche ich mich in gewohntem Tempo durch die Wäscheberge, ohne dass der Nachschub in gewohnter Weise gewährleistet ist. Dadurch werde ich in den nächsten Tagen kurzzeitig der Illusion erliegen, alle Kleidung sei sauber, trocken und wieder in den Schränken. Die Folge – eine Wasch-Pause.

Ein oder anderthalb Tage später werden die ausgeflogenen Kinder heimkehren – und mit ihnen (sehr viel, weil drei Tage gesammelt) neue Wäsche. Die Folge – ein Wäsche-Stau.

Der aus dem Rhythmus geratene Wäsche-Kreislauf braucht dann noch ein paar weitere Tage, bis er wieder in alter Stetigkeit funktioniert.

These: Nach einem ähnlichen Prinzip entstehen und verschwinden Staus auf der Autobahn, wobei das durch Reisende verursachte Verkehrsaufkommen ähnlich schwer vorhersehbar ist wie das durch reisende Kinder verursachte Wäsche-Aufkommen.

Eindrücke

Als ich 40 wurde, erhielt ich ein „Buch“ mit Briefen an mich. Unterschiedliche Leute hatten mir geschrieben: langjährige Weggefährten, Verwandte und einige der Freunde und Bekannten, die mich zu dem Zeitpunkt noch nicht lange kannten. In einem dieser Briefe schilderte eine dieser neuen Freundinnen, wie sie mich wahrgenommen hatte, bevor sie mich kennenlernte: Für sie war ich die „junge Frau mit dem Doppel-Kinderwagen und den vielen Kindern, meist zu Fuß unterwegs“. Ihr Eindruck von mir war positiv und erleichterte uns die erste persönliche Begegnung, die erst später stattfand.

Ich finde das interessant: Wir sind und leben so vor uns hin und sind uns unserer Außenwirkung manchmal gar nicht bewusst.

Solange wir einen guten Eindruck hinterlassen: schön. Es wäre manchmal motivierend, davon zu wissen, es geht aber auch ohne. Der Beziehung tut es trotzdem gut – wenn auch einseitig.

Sobald wir einen schlechten Eindruck hinterlassen: nicht schön. Dann wäre es wichtig, davon zu wissen, um klarstellen, uns entschuldigen oder korrigieren zu können. Der Beziehung tut es sonst nicht gut – wenn auch einseitig.

Bedürfnisse und Wünsche

Eine Freundin wies mich kürzlich hin auf den feinen Unterschied zwischen Bedürfnissen und Wünschen:

Was ich brauche, muss sein; was ich mir wünsche, wäre schön.

Was ich brauche, bleibt ziemlich gleich – egal, wie es mir geht. Klar.
Was ich mir wünsche, vermehrt sich – je besser es mir geht. Komisch.

Persönlichkeit

Einer meiner Söhne hat einen bestimmten Stil, Dinge zu erledigen. Was er macht, macht er richtig. Er schreibt ordentlich, radiert, wenn nötig, schneidet sorgfältig aus, sortiert mit System und räumt gründlich auf. Er braucht Zeit dafür, er ist nicht der Schnellste; aber das Ergebnis hat Hand und Fuß. Nichts davon tut er in der Form, weil ich es ihm sage. Er tut es, weil er nicht anders kann – er ist ein gewissenhafter Mensch. Etwas luschig zu tun, widerspricht seiner Persönlichkeit.

Ich oder wir als Eltern haben das nicht in ihn hineingelegt. Natürlich sehe ich Tendenzen davon in seinem Vater, es könnte also genetisch sein. Aber auch das käme ja nicht von ungefähr, sondern ist von Gott geschenkt. Ich staune darüber, wie stabil derartige Anlagen bereits in einem Kind verankert sind. Im Verlauf des Lebens lernt man noch eine ganze Menge, das ist klar. Aber das grundsätzliche „WIE“ einer Persönlichkeit ist keine variable Komponente – und nur in Maßen von uns als Eltern beeinflussbar.

Der Hang zur Gründlichkeit bei diesem Sohn hat wunderbare Aspekte; aber natürlich weiß ich, dass jede gute Gabe eine Kehrseite hat: Dem Gewissenhaften wohnt der Drang zur Perfektion inne – und die kann einen selbst begrenzen und andere nerven. Dem Impulsiven dagegen (auch ein solcherart geprägtes Exemplar Kind gibt es in unserer Familie) fallen Entscheidungen leichter, er wird mit Aufgaben schneller fertig und hat eher den Mut zur Lücke – aber die Resultate sind manchmal unbefriedigend, die Lösungswege zu wenig bis zu Ende durchdacht.

Ich möchte in meinen Kindern gern die guten Anlagen sehen, fördern und wertschätzen und gleichzeitig auf die Begrenzungen derselben hinweisen. Allen gleichermaßen möchte ich mitgeben: „Macht das Beste daraus!“