Auf meinem Spaziergang komme ich am Haus einer Bekannten vorbei; wir kennen uns vom Sehen. Heute wischt sie sich ein paar Tränen ab. Was los sei, frage ich. „Ach, nur Freudentränen, alles gut“, sagt sie, „meine Tochter hat mir gerade geschrieben: Sie hat für ihre Masterarbeit eine 1,0 bekommen!“ Ich gratuliere und bleibe kurz stehen. Im weiteren Gespräch erfahre ich, dass sie mittlerweile allein wohnt. Ihr Sohn ist ebenso erwachsen wie die Tochter; der Mann hat sich vor einigen Jahren von ihr getrennt. Das tut mir leid, aber sie winkt ab: „Es geht mir gut; ich habe meine Ruhe. Nur in solchen Momenten, da fehlt einem doch etwas.“ Ich nehme sie spontan in den Arm; sie bedankt sich.
`Geteiltes Leid ist halbes Leid´, heißt es. Für die schönen Momente unseres Lebens gilt dasselbe: Allein weiß man manchmal nicht, wohin mit seiner Freude. Besser ist es, wenn jemand da ist, der sich mit-freut.
Als ich weitergehe, denke ich an die Tochter. Heute will sie mit ihren Freunden feiern und morgen die Mutter besuchen. Kinder allein lebender Eltern fühlen sich unweigerlich verantwortlich, den fehlenden Partner zu ersetzen. Es ist toll, wenn sie das gern tun; aber es kann auch eine Bürde sein.