Herausfordernd

„Dein Körper macht mit dir, was er will“, sagt mein Mann. Er hat recht: Die Wechseljahre bescheren mir gelegentlich gänzlich unerwartete Temperatur-Schwankungen – vorzugsweise dann und dort, wann und wo es nicht passt. Ich traue mir selbst nicht mehr über den Weg und rechne ständig damit, entweder weniger oder mehr anziehen zu müssen. Es fühlt sich an wie ein totaler Kontrollverlust: klingt herausfordernd, ist es auch … 

Meine flexiblen Ohren

Morgens um halb sechs im Bett hören meine Ohren alles: zum Beispiel das liebliche Gezwitscher der Vögel, die um diese Zeit ihre Liedchen trällern. Für den besonders eindrücklichen Klang sitzen sie dabei auf dem Busch direkt vor dem Schlafzimmerfenster – obwohl das wahrscheinlich gar nicht nötig wäre. Selbst mit dem Kissen überm Kopf, funktionieren meine Ohren hervorragend. (Glücklicherweise gewöhnt sich mein Gehirn nach einigen Wochen Frühling daran, so dass ich zwar immer noch alles höre, aber nicht mehr aufwache.)

Bei anderen Gelegenheiten höre ich ebenso gut, verstehe aber nichts: wenn mein Mann mit mir über unsere Finanzen sprechen will zum Beispiel. Die Akustik ist nicht das Problem, die Materie schon. Es ist kein Zufall, dass ich die Verwaltung unserer Geld-Geschäfte freiwillig und gern aus der Hand gegeben habe.

Dann sind da noch die Momente, in denen meine Ohren ihren Dienst mehr oder weniger verweigern – wahrscheinlich weil ich höflich bin: wenn ich so gern wüsste, was die Kinder kurz vor meinem Geburtstag Wichtiges zu besprechen haben; oder wenn ich in einem langweiligen Gespräch festhänge und von der viel interessanteren Unterhaltung anderer nur Fetzen mitbekomme.

Manchmal hätte ich am liebsten gar keine Ohren: wenn ich mich in meinem nach unten offenen Dachboden-Zimmer konzentrieren will und alle anderen sich lautstark unterhalten – gern über mehrere Etagen hinweg. Ich verstehe kein Wort, höre aber alles.

Eins ist klar: Meine Ohren sind super flexibel.

Unverändert

Aus einer Laune heraus krame ich alte Zeugnisse hervor. Die Noten verbesserten sich im Laufe der Schulzeit; die Beurteilungen blieben vom Tenor her gleich, zum Beispiel:

„ … ist eine sehr lebhafte Schülerin …“,
„ … muss unbedingt ordentlicher werden …“,
„ … versucht, ihr impulsives Verhalten, bewusst unter Kontrolle zu bringen …“,
„ … muss sich um größere Konzentration bei der Arbeit bemühen …“,
„ … neigt dazu, ungeduldig zu werden, wenn andere ihre Meinung darlegen …“,
„ … sollte sich darin üben, bedächtiger zu arbeiten …“

Als ich meinem Mann diese alten Einträge von `vor seiner Zeit´ vorlese, nickt er schmunzelnd: Das Kind von damals ist in der Frau von heute noch immer erkennbar.

Offenbar kann man nur wenig aus seiner Haut; grundsätzliche Anlagen im Temperament lassen sich durch den Verstand höchstens kanalisieren, aber nicht eliminieren. Gut wenn die einzigartige Mischung unserer Charaktereigenschaften – trotz aller Vernunft – immer noch durchscheint. Sie sagt mehr über uns aus als Noten allein.

Vorübergehend emotional zerstört

Ziemlich spontan hatte ich eine großartige, aber verrückte Idee. Ich war fest entschlossen und total begeistert – und fühlte mich wie ein prall aufgepumpter Luftballon. Einer, dem ich davon erzählte, meldete – sachlich und berechtigt – Bedenken an; an eine Umsetzung meiner Idee war danach nicht mehr zu denken. Ich fühlte mich, als würde mir jemand die Luft ablassen. Einen Tag lang lief nur die leere Hülle von mir durchs Haus. Heute habe ich mich wieder gefangen, aber noch immer spüre ich die Entmutigung. Wenn man himmelhoch jauchzend unterwegs ist, kann der Boden der Realität eine emotional zerstörerische Wirkung entfalten – glücklicherweise nur vorübergehend.

Mein Zimmer – mein Leben

Das Zimmer meiner Tochter ist selten aufgeräumt – und wenn doch, dann hält dieser Zustand immer nur wenige Tage. Normalerweise herrscht in ihrem Reich Unordnung: Saubere Wäsche stapelt sich auf dem Tisch. Bereits getragene Klamotten, die halb ausgepackte Sporttasche, große und kleine Zettel liegen auf dem Boden herum, benutztes Geschirr … Offene Schubladen ergänzen den Eindruck, als wäre hier kürzlich jemand überstürzt aufgebrochen (oder so). Es stimmt, meine Tochter bricht tatsächlich häufig überstürzt auf – allerdings nicht, weil sie permanent in Eile wäre. Zwar reicht die Fülle ihrer Tage locker für zwei Leben, aber es existieren auch Phasen des Stillstands: Weil meine Tochter meist bis kurz vor knapp die Ruhe weg hat, kann sie selten ebenso ruhig aus dem Haus gehen. Entsprechend chaotisch und unsortiert hinterlässt sie ihr Zimmer – kommt aber hervorragend damit zurecht: „Mein Zimmer ist wie mein Leben“, sagt sie. Nur ab und zu scheint es ihr selbst zu viel zu werden. Dann weicht sie aus ins gut sortierte Zimmer ihrer Schwester oder kommt zu uns nach unten …

Im Garten – geht doch

Mein Mann hat zwei Kletterhortensien gekauft, inklusive der zu ihnen passenden Blumenerde: „Wenn du magst, kannst du sie einpflanzen; das Wetter passt ja.“ Das klingt nach einem ersten Garteneinsatz im Frühling – eine Idee, die mich selten begeistert. Denn NACH dem Winter und direkt vor Ort ist viel zu tun, was IM Winter und aus sicherer Terrassenentfernung nicht zu sehen ist: Das Unkraut sprießt offenbar schon geraume Zeit; abgestorbene Pflanzenreste verschwinden doch nicht von allein (altes Laub auch nicht) und auch der Rasen befindet sich schon wieder in der Wachstumsphase. Buchstäblich überall sind potentielle Ecken, an denen ich mich stundenlang abarbeiten könnte, ohne dass hinterher viel zu sehen wäre.

Angesichts von Wind und Nieselregen hatte ich daher heute Morgen wenig Lust auf Garten, wusste aber, dass gerade feuchte Kälte genau richtig ist fürs Pflanzen. `In einer halben Stunde bist du fertig´, überredete ich mich selbst, `Hortensien einbuddeln und gut.´ Ich wechselte in mein Gartenoutfit und ging an die Arbeit. 20 Minuten später waren die Kletterhortensien versorgt. Danach verteilte ich die ausgegrabene Erde anderswo im Garten, versetzte ein paar Narzissen (damit sie besser zu sehen sind) und entfernte, was mir an Unkraut in den Blick kam. Anderthalb Stunden später hatte ich mehr erledigt als geplant (aber weniger als möglich) und ein super Gefühl im Bauch: Mein erster Garteneinsatz war überschaubar und vom Vorher-Nachher-Effekt her wahrscheinlich ein größerer Erfolg als jeder, der dieses Jahr noch folgen wird.

Hochintelligent

„Sie sind beide hochintelligent …“, sagt eine Freundin über zwei Eheleute, die sich eine Art Rosenkrieg liefern. Hochintelligent– das Wort hallt in mir nach. Es ist nicht das erste, das mir zu den beiden eingefallen wäre. Was ist eigentlich damit gemeint, wenn jemand hochintelligent ist? Bin ich gekränkt, weil mich sicherlich niemand als hochintelligent bezeichnen würde? Und: Würde ich das überhaupt gern sein wollen – hochintelligent?

Für mich kommt es auf den Kontext an: Wenn ich jemanden mag, weil er liebenswert ist und warmherzig, empathisch, bescheiden und lebenstauglich – dann klingt hochintelligent nach einer weiteren positiven Eigenschaft, wie ein Bonus sozusagen. Verhält sich dagegen jemand arrogant, dominant, vielleicht sogar manipulativ, dann passt `hochintelligent´ gut hinein in die Reihe der seelenlosen Fakten, die menschliche Nähe sehr schwer machen. Intellekt ist eben nur ein Aspekt des Menschseins – und auf keinen Fall der entscheidendste.

Einkaufswagen-Offenbarung

Mit ein paar Frauen rede ich über Erlebnisse im Supermarkt. Was geht uns durch den Kopf, wenn wir sehen, was andere Leute aufs Kassenband legen: „ … vor allem Junk Food … ganz schön viel Alkohol … reicht nur für einen Junggesellen … welch seltsame Mischung aus Süßkram und Bio-Tomaten …“ Bis wir selbst dran sind mit dem Bezahlen, checken wir – wie unbewusst und (nicht) wertend auch immer – die Einkaufsgewohnheiten anderer.

Meine eigenen Einkäufe geben wohl ebenso Anlass zur Spekulation; es hilft nichts: Was ich einkaufe, verbrauchen fünf Leute, die täglich kochen, gern Obst und Gemüse essen, in Maßen schlickern … und einiges mehr.

Zeige mir deinen Einkaufswagen – und ich sage dir, wer du bist.

Nur ein kurzer Schreck?

Ich gehe auf einem kombinierten Geh-/Radweg, von hinten kommen Radfahrer. Um ihnen Platz zu machen, laufe ich ganz links. Plötzlich ertönt dicht neben meinem Ohr ein lauter Schrei; ich zucke zusammen. Drei Teenager radeln sehr nah und feixend an mir vorbei. Ich schaue ihnen hinterher und entspanne mich nur langsam wieder.

Natürlich ist mir nichts passiert, die jungen Menschen wollten mich nur erschrecken – es ist ihnen gelungen. Ich empfinde ihr Verhalten als rücksichtslos und ein bisschen feige. Ich konnte ihre Gesichter nicht sehen und frage mich: Würden sie mit ihrer Mutter auch so umgehen? Warum machen Jugendliche so etwas, soll das cool oder mutig sein? Mein Schreck war nur kurz, aber ich denke noch eine Weile darüber nach.