Laufenten und mehr

Seit einigen Monaten wohnen auf einem Grundstück bei uns in der Siedlung Hühner und Laufenten. Vor allem die Laufenten mag ich: Ihr aufrechter Gang ist einfach drollig – sie wirken permanent neugierig. Außerdem erinnern mich die Tiere an meine Studenten-WG im Umland von Freising. Unsere Laufenten damals waren vor allem für die Schneckenbekämpfung in unserem Gemüsegarten zuständig – mit mäßigem Erfolg. Sie waren absolut verfressen, machten jede Menge Dreck und entwischten immer mal wieder zu den Nachbarn … All das ist 30 Jahre her und währte nur einen Sommer. Aber wenn ich heute an den Laufenten hier vorbeilaufe, sind mir meine wunderbaren Studien-Jahre in Bayern wieder sehr präsent.

Gast-Augen?

Ich erwarte Gäste zum Frühstück. Bevor sie kommen, schaue ich mit vermeintlichen `Gast-Augen´ und bemerke vor allem das, was ich sonst kaum wahrnehme: die schluderlich abgestellten Schuhpaare im Flur, das nicht geputzte Küchenfenster, die Arbeitsplatte, auf der sich alles Mögliche tummelt. Also räume ich auf, bevor ich das Frühstück vorbereite.

Meine Gäste freuen sich über den reich gedeckten Tisch – und bemerken vor allem das, was ich als Gast ebenso wahrnehmen würde: Sie wundern sich über die ordentlich abgestellten Schuhpaare im Flur und registrieren weder das nicht geputzte Fenster noch die Dinge, die sich auf der Arbeitsplatte tummeln. Stattdessen sind sie dankbar, dass ich eingeladen hatte: „Schön war´s bei dir – schön, sich mal wieder zu treffen und zu reden.“

Oh, je!

Ein Nachbar pflastert seinen Hof; die fertigen Flächen sehen wunderbar aus. Da er gerade eine Augenentzündung hat, fällt es ihm schwerer als sonst: Die Steine hätten `oben´ und `unten´, sagt er. Ich sehe keinen Unterschied. „Da muss man aber sehr genau hinschauen“, beruhige ich ihn. Er nickt und meint, seine Frau würde genau das tun. Wie wär´s mit einer Sonnenbrille für seine Frau? Das sei keine gute Idee, sagt er kopfschüttelnd, lieber mache er es so, wie sie es will: „Happy wife – happy life!“ Spontan lächele ich – und frage mich im selben Moment, inwiefern es meinem Mann genauso geht wie meinem Nachbarn … 

Mit dem Rad?

Klimaschützer wollen alles Mögliche verändern: Heizungen, Auto-Antriebe, den öffentlichen Nahverkehr. Dazu fordern sie, dass von Staats wegen stärker vorgeschrieben wird, wie der Einzelne sich verhalten sollte. Grundsätzlich bin ich für Klimaschutz, aber staatlich verordnete Auflagen sehe ich eher skeptisch. Stattdessen wünschte ich mir, dass individuelles Pro-Klima-Verhalten belohnt und gefördert wird – nicht nur teure Investitionen in Solaranlagen und erneuerbare Energien. 

Nehmen wir die Mobilität. Der öffentliche Nahverkehr auf dem Land oder in Kleinstädten ist weniger gut ausgebaut als in der Großstadt. Entsprechend fahren bei uns und im Umland einige Leute mit dem Rad und viele mit dem Auto. Es ist teuer, Buslinien einzurichten, mit denen kaum einer fährt. Günstiger ist offensichtlich die Einführung von Fahrradstraßen: Sie sollen den Umstieg aufs Rad attraktiver machen. Das ist gut gedacht – reicht aber nicht aus. Denn das Problem liegt meiner Meinung nach woanders: Wichtiger wäre es, Radfahrer und ihre Bedürfnisse überall und überhaupt zu beachten: Ein überraschender Wetterumschwung sorgte am vergangenen Samstagmorgen für verschneite Straßen sowie Rad- und Gehwege. Das Räumfahrzeug schob den Schnee von der Straße – wie immer – auf den daneben liegenden Radweg. Logischerweise fahren dann nur noch diejenigen Rad, die das ohnehin tun: weil sie kein Auto haben oder dieses aus Überzeugung stehenlassen. Für die anderen braucht´s bei schlechtem Wetter mehr als ein paar Fahrradstraßen …

Vorübergehend

Frederick Buechner empfand Wehmut, als seine Töchter zum College gingen – wie bei jedem Abschied. Aber er wusste, sie würden noch oft als Familie zusammenkommen. Erst im Nachhinein realisierte er, dass dieser Abschied anders war. Von da an würden die Mädchen ihre Eltern weiter besuchen, aber nie wieder bei ihnen zu Hause sein. Das bisherige Miteinander war endgültig vorüber.

Bei uns ging vor anderthalb Jahren der Älteste zum Studium und vor sechs Monaten der zweite Sohn ins Ausland. Im Gegensatz zu Buechner wusste ich im Moment des Abschieds jedesmal: Wir sind noch immer Familie – aber das `Vorbei´ hat schon begonnen.

Im Sommer wollen wir zu sechst zum Flughafen fahren und den Rückkehrer abholen. Nach einem Jahr sind wir dann (mal wieder) zu siebt unterwegs. Wir freuen uns sehr darauf, auch weil klar ist, dass dieser Zustand nur vorübergehend sein wird – und kostbar.

Theater

Im Theater sitzen wir vor vier jungen Menschen. Vor der Aufführung unterhalten sie sich angeregt miteinander – gelegentlich unterbrochen von einem energischen „Zzsch …“ aus der eigenen Reihe (sozusagen). Während der Vorstellung interpretieren sie flüsternd, aber für mich dennoch vernehmbar, was auf der Bühne passiert. Es stört mich ein bisschen: Im Zuschauerraum eines Theater herrscht normalerweise Ruhe; kommentierende Gespräche kenne ich nur aus dem Kino – und schätze sie auch dort nicht.

Als es zur Pause läutet, höre ich von hinten: „Ich habe ja mal in der Theater-AG meiner Schule mitgemacht; aber das hier ist schon eine ganz andere Nummer.“ Das wundert mich nicht; ich halte mich mit einer Bemerkung zurück. Wie schön, dass junge Leute dem Theater gegenüber aufgeschlossen sind. Dafür nehme ich ihr klärendes Getuschel direkt hinter mir gern in Kauf.

Vorurteil

Während ich auf dem Bahnsteig auf einen (verspäteten) Zug warte, sprintet ein junger Mann die Treppe hoch. Als er das leere Gleis erspäht, verzieht er enttäuscht sein Gesicht. `The train is running late!´, rufe ich ihm spontan zu. Es ist beruhigend gemeint, könnte jedoch missverstanden werden – schließlich sind wir in Deutschland. „Der Zug kommt später“, wäre angemessener gewesen. Zwar ist der junge Mann dunkler Hautfarbe und sind auch in unserer Stadt viele Migranten und Flüchtlinge unterwegs – aber beides MUSS nicht unbedingt miteinander zu tun haben. In diesem Fall liege ich richtig: Der Reisende kommt aus Ruanda und spricht (noch) besser Englisch als Deutsch. Während wir gemeinsam auf den Zug warten, reden wir über sein Herkunftsland, Deutschkurse, Studienmöglichkeiten …

Ich liebe die englische Sprache und freue mich über jede Gelegenheit, sie anzuwenden. Trotzdem ist es wahrscheinlich ein Vorurteil, das mich beim Anblick eines dunkelhäutigen Menschen spontan zum Englischen greifen lässt – wie unbewusst auch immer.

Keine große Sache

Auf Äpfeln aus dem Supermarkt klebt oft ein kleines Schild – meiner Meinung nach unnötig, aber nicht zu ändern. In jedem Fall muss das Schild abgezogen werden, bevor man den Apfel waschen und essen kann. Es gehört in den Müll; das ist keine große Sache. Dennoch finde ich diese Schildchen fast täglich irgendwo anders: auf der Arbeitsplatte direkt neben der Spüle, auf einem benutzten Frühstücksbrettchen, an der Klinke der Kellertür. Es ist einerseits faszinierend, wie konsequent die Kinder sich der Müllentsorgung in diesem Fall verweigern. Sie wählen den Weg des geringsten Aufwands. Andererseits ist es frustrierend, wie konsequent die Kinder die Müllentsorgung in diesem Fall jemand anderem überlassen – meistens mir. 

Ich sollte die Schildchen konsequent ignorieren, bekomme das aber nicht hin. Es macht mir weniger aus, den Kindern ihren Müll hinterher zu räumen, als den Müll der Kinder in meinem Wohnraum zu ertragen. Konsequent wäre es, die Schildchen direkt in die Zimmer der Kinder zu bringen – so wie ihre anderen Besitztümer, die sie anstrengungslos fast täglich irgendwo liegen lassen. Allerdings scheinen meine (Auf-)Räumaktionen meine Kinder NICHT zu beeindrucken; und der Weg zum Mülleimer ist für mich kürzer. Also entsorge ich die Schildchen selbst, es ist keine große Sache: Ich wähle den Weg des geringsten Aufwands.

Aufschieberitis und ihre Folgen

Eine meiner Töchter verschiebt Schul-Aufgaben gern nach hinten, wenn sie andere wichtige Dinge zu tun hat – also eigentlich fast immer. Am Ende gerät sie dann regelmäßig unter Zeitdruck und muss last minute alles geben. In Sachen Zeitmanagement besteht noch Luft nach oben. Ich als Mutter weiß, dass sie daran wahrscheinlich nur dann etwas ändert, wenn es zu unbequem wird: wenn sie merkt, dass sich die Suppe nur schwer auslöffeln lässt, die sie sich eingebrockt hat. Von daher wäre es aus erzieherischer Sicht konsequenter, meine Tochter mit den Folgen ihres Handelns allein zu lassen.

Dennoch gab es unlängst wieder einen Fall, bei dem ich unterstützend zum Löffel gegriffen habe – sozusagen: Ich half ihr beim Korrekturlesen ihrer Facharbeit, nur Stunden vor der fälligen Abgabe. Pädagogisch war das vielleicht unklug, auf der Beziehungsebene meinem Empfinden nach weise. Manchmal bin ich als Mutter lieber barmherzig als belehrend – wissend, dass eine andere wichtige Lektion fürs Leben dadurch besser hängenbleibt: Zugewandte Gnade ist eine liebevolle Alternative zu distanzierter Konsequenz – und wahrscheinlich oft eindrücklicher.

Makellos oder echt?

Die Kirschen, die ich auf meinen Tortenboden lege, sind ungleichmäßig: einige rund und groß, die meisten eher klein und manche durchs Entsteinen mehr oder weniger zerfetzt. Auf dem Foto im Backbuch tauchen die suboptimalen Exemplare nicht auf – obwohl sie wahrscheinlich oft in der Überzahl sind. Auch in der Werbung sind Äpfel immer gleich groß und `genau richtig´ rot, und Prospekte enthalten nur Fotos von perfekt arrangierten Mahlzeiten.

Dabei entsprechen diese geschönten Bilder nicht der Realität; ich finde das schade. Es ist einerseits verständlich, dass nur das Beste gezeigt werden soll: Schließlich will man Kunden gewinnen – und die lassen sich vielleicht besser locken mit tollen Fotos. Andererseits zeigen diese eine makellose Wirklichkeit, die nicht real ist: Food Stylisten verwenden neben echten Lebensmitteln auch Stoffe wie Holz, Lycerin, Gummi, Wachs … Insofern zeigt das perfekte Foto eines Kirschkuchens eine nicht essbare Illusion. Dagegen sieht mein Kirschkuchen vielleicht fehlerhaft aus – aber er schmeckt.