Ich liebe die deutsche Sprache und habe ein Faible für schöne Formulierungen – vor allem in geschriebenen Texten. Außerdem ist mir die richtige Schreibweise wichtig; ich lese gern und oft Korrektur. In dem Weihnachtsbrief, den wir an über 80 Leute verschicken, ist mir leider dennoch ein Fehler unterlaufen: Ich habe Sysiphus geschrieben und meinte Sisyphos. Das u würde ja noch gehen – latinisiert heißt es gern auch Sisyphus-Aufgabe. Aber i und y sind in jedem Fall vertauscht. Ich bin sicher, die meisten Empfänger des Briefes werden es nicht merken; mir ist es dennoch unangenehm. Jetzt bin ich die, die nicht weiß, wie man Sisyphos richtig schreibt. Dabei stimmt das gar nicht (mehr)! Aber das ließe sich nur klären, würde ich den Fehler in allen Kopien korrigieren – fast eine Sisyphos-Aufgabe.
Besondere Typen
In unserer Tageszeitung ist ab und zu ein Porträt enthalten – unter dem Obertitel `Mittendrin: Typen´. Dort werden ganz normale Menschen vorgestellt, keine Honoratioren oder so. Ihre Lebenswege sind sehr verschieden und verlaufen oft ein wenig `um die Ecke´. Ich mag dieses Format: Es stellt das Besondere in den Mittelpunkt, das sich in JEDEM Leben finden lässt.
Kürzlich kannten wir denjenigen, um den es ging. Besonders interessiert lasen wir gerade dieses Porträt. Danach fragte ich meinen Mann, wann er denn `dran´ sei. Er sah mich gleichermaßen entsetzt und belustigt an: „Ich weiß nicht, wie man auf diese Seite kommt – zum Glück!“ Ich kann ihn verstehen: Er mag diese Art Aufmerksamkeit nicht. Und gerade deswegen würde ich das sehr, sehr lustig finden.
Von Werten
Werte haben sich verschoben: Einerseits existiert eine Art political correctness, die ganze Gesellschaften aufteilt in `alte weiße Männer´ und andere. Andererseits kommen Politiker heutzutage mit mehr Dreck am Stecken davon als noch vor zehn Jahren: Plagiate sind salonfähig geworden; und manche `Affären´ perlen an Politikern ab, ohne einen Fleck zu hinterlassen.
Ich verstehe weder das eine noch das andere.
Volksvertreter
`Von der schwäbischen Alb aus ist Berlin weit weg´, lautete vor einigen Wochen eine Überschrift in einer Zeitung. Eine Frau von der Alb schrieb darüber, wie wenig sie sich von der Berliner Umwelt- und Klimapolitik berücksichtigt fühle. Ökostrom und Car-Sharing funktionieren auf der Schwäbischen Alb nicht ebenso wie in Berlin. Ich konnte sie gut verstehen.
In der gleichen Zeitung stand kürzlich ein Porträt über einen deutschen Politiker. Er ist kein `hohes Tier´ in der Bundespolitik – außerhalb seines Bundeslandes kennen ihn wahrscheinlich nicht so viele. Er ist trotzdem besonders, weil er nahbar ist und sich selbst treu geblieben. Jeder, der will, kann seine Festnetz-Nummer haben und ihm persönlich seine Anliegen schildern: „Wenn mich einer anruft, bin ich dran. So war das, so ist das, und so wird das bleiben“, so lautet das Motto von Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales in NRW. Aber viel wichtiger als sein Name ist etwas anderes. In dem Artikel heißt es: „Er spricht über das, worin er den Kern der Demokratie sieht: dass einer, der das Volk vertritt, das Volk auch verstehen muss.“
Dem stimme ich zu. Verständnis für Menschen wächst nur, wenn man ihre Probleme kennt. Dazu muss man dort mit den Menschen sprechen, wo sie leben und arbeiten – als Mit-Mensch. Nur wenige Politiker können sich dieses Kümmern zeitlich erlauben: Das Arbeitspensum eines Berufspolitikers ist immens – Schreibtisch-Arbeit, Sitzungen, Vorträge, Debatten. Ob sich Bürgernähe so erreichen lässt, weiß ich nicht. Den `Menschen aufs Maul zu schauen´, ist deutlich kleinschrittiger, glanzloser. Aber vielleicht sollten Politiker es versuchen? Menschen würden sich von ihnen dann sicher besser verstanden und vertreten fühlen – in der Schule, in Arztpraxen, auf dem Bauernhof und auf der schwäbischen Alb.
Wenn die wüssten!
Manche meiner Ansichten sind für andere wahrscheinlich nur schwer nachvollziehbar. Umgekehrt gilt das sicher ebenso. Bei manchen Themen halte ich mich daher bewusst zurück – vor allem wenn mein Gegenüber sehr überzeugt wirkt. Innerlich lächelnd denke ich dann: Wenn der/die wüsste, welche Position ich habe!
Ich halte zum Beispiel nichts vom Gendern in der Sprache, das kann ich ganz pauschal so sagen: Ich fühle mich als Frau damit nicht besser repräsentiert und finde `Gendersprache´ weder geschrieben noch gesprochen attraktiv oder einen Gewinn. Dabei weiß ich, dass Sprache sich weiterentwickelt – und ich eine Menge davon wahrscheinlich `mitmache´, ohne es zu merken. Was mich aber stört, ist die Vehemenz, mit der Sprache heutzutage in eine geschlechtsneutrale Form gezwungen wird: Sternchen zu schreiben oder mit Gender-Pause zu sprechen ist (in bestimmten Kreisen) `längst überfällig´ und gehört zum guten Ton; es MUSS quasi so sein. Eine davon abweichende Sicht gilt leicht als rückschrittlich, wenn nicht sogar arrogant oder diskriminierend – und wird nur schwer toleriert.
Ein anderes Beispiel ist die Diskussion über das Gedicht von Amanda Gorman, einer schwarzen Amerikanerin, das diese zur Amtseinführung von Joe Biden vortrug. Als es ins Deutsche übersetzt werden sollte, `durfte´ das kein weißer Mann tun. Stattdessen suchte man dafür eine Frau – sie sollte möglichst noch in anderer Hinsicht eine Minderheit repräsentieren. Letztlich übernahmen drei Frauen den Auftrag. Ob das die Übersetzung besser gemacht hat – wer weiß es? Wir werden es nie herausfinden, es ist auch nicht (mehr) wichtig. Mich hat das irritiert: Einem weißen Mann wird von vornherein unterstellt, er könne die Worte (und Gefühle, Gedanken) einer schwarzen Frau nicht angemessen übersetzen. Eine solche Sichtweise ist mir zu eng. Zum einen kann nur Amanda Gorman selbst sagen, was sie mit ihrem Gedicht genau meinte – und was vielleicht auch einfach nur gut klang. Zum anderen gehören zu einem Text immer zwei: Autor und Leser. Ich schätze, selbst Amerikaner verstehen das Gedicht unterschiedlich. 300 Millionen Menschen haben nicht denselben Erfahrungs-, Bildungs- und Ideologie-Hintergrund. Wie viel schwieriger ist es für Nicht-Amerikaner, verwendete Metaphern und Bezüge richtig einzuordnen – selbst wenn sie formal korrekt übersetzt sind? Und zum dritten bin ich sicher, dass eine Übersetzung IMMER das Original verändert: Die perfekte gemeinsame Schnittmenge zwischen Autor und Übersetzer existiert nicht. Man kann sich um sie bemühen – klar; aber dabei sind äußere Merkmale nur ein Aspekt. Sprachgefühl, fachliches Können, Erfahrung und die Bereitschaft, einen Text zu durchdringen und verständlich in eine andere Sprache zu übertragen, sind mindestens ebenso wichtig – und haben wenig mit Geschlecht oder Hautfarbe zu tun.
Drittes Beispiel: Die SPD hat ihre Ministerposten fast paritätisch mit Frauen und Männern besetzt. Ich finde das nicht grundsätzlich gut oder schlecht. Es stimmt, dass Männer in der Vergangenheit dominant vertreten waren in: Literatur, Musik, Politik, Kirchengeschichte. Frauen kümmerten sich hauptsächlich um Aufgaben im Haushalt und der Kindererziehung. Ich finde, beide Bereiche sind gleich wichtig für das menschliche Miteinander. Wer was machte, ergab sich auch aus unterschiedlichen Gaben und Interessen. Diese haben durchaus etwas mit dem Geschlecht zu tun – und sind nicht nur ein Konstrukt patriarchalischer Strukturen. Hilft uns eine Quote, damit alles gleichberechtigt zugeht? Ich bezweifle es – fürchte aber, damit anzuecken.
Unterschiedliche Positionen an sich sind kein Problem, wenn sie mich auch manchmal herausfordern. Schwierig wird es, wenn Intoleranz und Ausschließlichkeit ins Spiel kommen. Diese sind keine gute Gesprächsgrundlage; den Diskurs empfinde ich dann als anstrengend und (nicht nur ein bisschen) verlogen. Wir KENNEN alle nur unsere ganz persönliche Wahrheit. Jeder von uns bringt seine Geschichte mit, seine Prägung und seinen sehr begrenzten Einblick. Solange das jedem klar ist, bin ich weiter gern mit Menschen zusammen, die anderer Meinung sind. Bei manchen Themen halte ich mich aber bewusst zurück – vor allem wenn mein Gegenüber sehr überzeugt wirkt. Innerlich lächelnd denke ich dann: Wenn der/die wüsste, welche Position ich habe!
Selbstwert(gefühl)
„ … Ich habe Ägypten für dich als Lösegeld gegeben, Kusch und Seba an deiner Statt, weil du in meinen Augen so wert geachtet und auch herrlich bist und weil ich dich lieb habe …“
Jesaja, 43, 3b+4
Wie wertvoll ich mich fühle, schwankt – manchmal täglich.
Wie wertvoll ich bin, hängt nicht davon ab, was ich kann oder was nicht.
Denn: Für Gott habe ich einen Wert an sich. Das ist alles, was zählt.
Geringfügig
„Mach doch bitte ein paar Bilder von deinem Eltern. Euch eine gute Zeit zusammen. Der beste Ehemann auf den Planetem“, schrieb mir mein Mann am vergangenen Wochenende. Ich musste schmunzeln – die Fehler waren gewollt: Er liebt es, Dativ- und Akkusativ-Endungen zu vertauschen. Manchmal fragt er, was `dort auf den Zettel steht´ oder – heute beim Haare-Schneiden – `wo er jetzt hin soll mit seinen Kopf´. Er liebt so etwas: Eine geringfügige Veränderung hat eine durchschlagende Wirkung – ich reagiere IMMER darauf. Nach Meinung meines Mannes belebt das die Kommunikation und sorgt für Erheiterung und Entspannung. Ich höre jedes Mal das Schmunzeln in seiner Stimme (und muss selbst lächeln). Was ursprünglich der Auslöser war für diese Marotte, weiß er selbst nicht mehr. Vielleicht ein Schüler zu viel, der am Lehrerzimmer den Wunsch äußert, `Herr Sowieso´zu sprechen. Auf jeden Fall nutzt mein Mann mittlerweile sehr oft die Gelegenheit, n und m zu vertauschen – am liebsten in Possessivpronomen.
Ich bin froh, dass sein Vorbild die Sprache unserer Kinder nicht mehr negativ beeinflusst. Sie können ebensogut wie ich unterscheiden, was richtig ist und was nicht – und lächeln über die verbalen Kapriolen ihres Vaters. Weniger amüsant finde ich, dass er inzwischen (quasi offizielle) Verstärkung erhält: In unserer Zeitung fand ich diese Woche zwei Überschriften(!), die meinen Mann in seinem Spleen bestätigen. Eine davon lautete: `Geringfügigen Gebrauchsspuren sind erlaubt´.
Emotional
Emotional ist spontan, echt und mitreißend.
Emotional ist aber auch unberechenbar, schwankend und manchmal übers Ziel hinausschießend.
Viele Stärken haben eben auch eine Schwachstelle …
Wichtig
Bein uns um die Ecke öffnet ein Schreibwarenladen mit Post-Filiale um 9 Uhr. Heute Morgen – kurz vor 9 – warf ich einen Brief in den Briefkasten; einige Leute standen vor der Tür. Einer der Wartenden klopfte ungeduldig an die Scheibe: `Wenn 9 Uhr dran steht, muss die Tür pünktlich um 9 Uhr aufgeschlossen werden´, schien der Mann zu denken. Klar, so ist das – in Deutschland jedenfalls.
In einigen afrikanischen Ländern läuft es anders. Eine Freundin von mir hat einige Jahre an der Elfenbeinküste gelebt. Zeitangaben orientieren sich an dem Grundsatz: `Komm ich jetzt nicht, komm ich später – es sei denn, ich habe Gäste!´. Es ist dort nicht so wichtig, pünktlich zu sein – `gastfreundlich´ ist viel wichtiger.
Im Supermarkt wird eine zweite (oder dritte) Kasse geöffnet, wenn mehr als drei, vier Leute anstehen. Nicht selten geht dem ein ungeduldiges „Zweite Kasse bitte!“ eines Kunden voraus. Die Kassiererin arbeitet zügig und ohne Pause – es geht darum, schnell fertig zu werden. Klar, so ist das – in Deutschland jedenfalls.
Eine Bekannte kommt ursprünglich aus Brasilien; im vergangenen Jahr war sie in ihrer alten Heimat. Im Supermarkt fiel ihr auf: Der Kassierer ließ sich Zeit und redete währenddessen ausführlich mit jedem Kunden. Niemand in der Schlange nahm daran Anstoß oder wurde ungeduldig – die Wartenden nutzten die Zeit ebenfalls für ein Gespräch. Es ist dort nicht so wichtig, schnell fertig zu werden – `entspannt´ ist viel wichtiger.
Advent – Jesus kommt (trotzdem)
Dieses Jahr schleicht sich die Adventszeit fast unbemerkt an uns vorbei: Zu sehr geht es in den Medien um Corona – Infektionszahlen, Maßnahmen, angepasste Verordnungen. Ich entscheide mich trotzdem und gerade jetzt für andere Gedanken:
„Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter; und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst; auf dass seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende auf dem Thron Davids und in seinem Königreich, dass er´s stärke und stütze durch Recht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit.“
Jesaja 9, 5+6