Hilfe

Seit ein paar Monaten helfen die Kinder mir, die Einkäufe zu verstauen – Kühlschrank, Vorratsregal etc. Das war früher anders. Meist freue ich mich darüber, dass sie mich unterstützen. 

Seit die Kinder mir helfen, fällt es mir schwerer, den Überblick zu behalten über unsere Vorräte. Das war früher anders. Manchmal ärgere ich mich, wenn ich etwas brauche – Mehl, Salat, ein Glas Kirschen – und ins Leere greife.

Hilfe hat ihren Preis.

Ein Brief

Mit Briefen mache ich die Erfahrung: Je mehr ich selbst schreibe, umso seltener bekomme ich eine Antwort. Das ist schade, aber nicht zu ändern. Ich schreibe weiter; und ab und zu fische ich einen Antwort-Brief aus dem Briefkasten. Diesmal ist er von meiner Grundschulfreundin: Überrascht, zufrieden und erwartungsvoll gehe ich ins Wohnzimmer und lese: „Obwohl ich mich nicht oft bei dir melde, denke ich oft an dich.“ Das geht gut los – und in dem Stil wunderbar weiter. Diese meine älteste Freundin berichtet, wie sie die Zeit erlebt. Ich teile ihre Gedanken, fühle mich verstanden und bin dankbar, dass es noch so passt zwischen uns. Wir sehen uns alle paar Jahre, telefonieren gelegentlich und dann sind da diese seltenen Briefe. Da ist wenig Kommunikation, aber viel gemeinsame Sicht: Kein Wunder, dass wir seit unserer Einschulung vor 45 Jahren befreundet sind … 

Ideal versus super

Aus Sicht des Unkrauts sind die derzeitigen Wetterbedingungen ideal – es ist warm und ausreichend feucht. Alles (vor allem das Unkraut) wächst darum schneller, als mir lieb ist. Ich mag es zwar grün, aber es ist mir nicht egal, WAS da grünt und wächst – und vor allem nicht, in welcher Menge. Eine geringes Unkrautaufkommen toleriere ich schon aus Selbstschutz: Mein Rücken scheint für stundenlanges Hocken nicht trainiert genug zu sein, ich bin nicht pingelig. Ein oberflächlicher Blick durch unseren „pflegeleichten“Garten zeigt mir nur ein paar harmlose grüne Hälmchen. Erst wenn ich mich auf die Knie bewege, offenbart sich mir, was ideale Wetterbedingungen tatsächlich für das Unkrautwachstum bedeuten. Bei näherer Betrachtung sind die „harmlosen Hälmchen“ ein üppiger Bewuchs, der noch dazu dabei ist, sich exponentiell zu verbreiten – nicht so super.

Dennoch ist mir ideales Wetter – warm und feucht – kein Dorn im Auge. Im Gegenteil: Was dem einen nutzt, dient manchmal auch dem anderen. Bei „warm und feucht“ wächst es sich nicht nur wunderbar, es jätet sich auch hervorragend! Die Wärme lockt Frostköttel wie mich nach draußen; und der feuchte, lockere Boden gibt jede Unkrautwurzel leicht her. Typische Win-win-Situation – die sich in verregneten Jahren mehrmals durchleben lässt. Allerdings habe ich im Sommer nichts gegen eine Pause und tausche „warm und feucht“ (ideal) gern ein gegen „warm und trocken“ (auch super).

Abschied

Ich versuche, meinen ältesten Sohn hochzuheben – und scheitere grandios. Großes Gelächter auf allen Seiten, aber auch ein leichtes Erschrecken bei mir: Wie sollte ich ihn retten, wenn ihm etwas zustieße? Er lächelt dazu und denkt über solchen Quatsch nicht nach. Recht hat er: Mein leicht tragbarer dreieinhalb Kilo schwerer Sohn ist heute fast viermal so lang wie vor 20 Jahren – und wiegt unhandliche 83 Kilogramm. Den schleppe ich nicht mehr einfach mit mir herum. Auch in anderer Hinsicht kann, muss und will ich nicht mehr für ihn verantwortlich sein. Und er kann, muss und will ohne mich weiterziehen. Es ist Zeit, Abschied zu nehmen (ein paar Monate bleiben uns noch).

Genug

„Jesus, du allein bist genug, du bist alles für mich“, heißt es in einem Lied. Ich singe es gern – obwohl es nicht ganz wahr ist: An so viel anderem hängt mein Herz (auch):

Ich genieße die ehrlichen und liebevollen Beziehungen zu meinen Liebsten.
Es ist großartig, gesund zu sein: Ich ahne nur, wie eine ernsthafte Erkrankung mich physisch und psychisch herausfordern würde.
Theoretisch weiß ich, dass Wohlstand nicht alles ist. Praktisch wäre finanzielle Unsicherheit mindestens herausfordernd für meine alltägliche Zufriedenheit.
Ich lebe in Frieden und relativer Freiheit – besondere Umstände, die ich nicht missen möchte.

All das ist wunderbar, sehr vergänglich – und doch nicht genug. Wirklichen Halt in den Höhen und Tiefen des Lebens finde ich nur bei Jesus: „Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.“ (Johannes 14, 27)

Zu viel?

Dreimal schon hatte ich eine Gürtelrose, zweimal mit Symptomen, einmal ohne. Ich weiß, wie unangenehm das ist und wie lange eine vollständige Erholung dauert. Auch mit verspannten Muskeln habe ich manchmal zu tun – und erlebe diese als ebenso beeinträchtigend und oft langwierig. Beide Symptome treten auf, wenn etwas „zu viel“ ist in meinem Leben und ich aus dem Gleichgewicht gerate. Seit drei Tagen habe ich Schmerzen: Erst fühlten sie sich nach Verspannung an, später ähnelten sie denen einer Gürtelrose. Mit gängigen Schmerzmitteln kann ich sie kontrollieren. Gleichzeitig „fahre“ ich nur noch mit halber Kraft durch meine Tage und schone mich. Ich versuche, mich auf angenehme Dinge zu fokussieren und „mir keinen Stress zu machen“. Das gelingt nur begrenzt: Zwar kann ich meine Arbeit reduzieren und an schöne Dinge denken; aber innerlich bin ich in Alarmbereitschaft: „Schau dort nicht hin“ motiviert schließlich jedes Kind, eben genau dort hinzuschauen… 

Zu viel ist nie gut, weder zu viele Gedanken noch zu viel Arbeit. Ich brauche eine gute Balance. Ich möchte nicht nur dann daran denken, wenn ich Schmerzen habe – ob sie nun von einer Gürtelrose kommen oder ich nur verspannt bin.

Gleichrangig

Ich liebe die Vorfahrtregelung „rechts vor links“: Sie lässt den Verkehr besser fließen als Haupt- und Nebenstraße, ist eindeutig und dennoch weniger statisch als ein Stoppschild oder eine Ampel. Woher man kommt und der immer wieder unterschiedliche Verkehr entscheiden darüber, wer zuerst fahren darf. Hier gilt nicht das Recht des Stärkeren – und genauso wenig kann der Schwächere immer erwarten, dass Rücksicht genommen wird. An einer Kreuzung bei uns in der Nähe freue ich mich oft über diese Gleichstellung, die mit „rechts vor links“ verbunden ist. Gestern fuhr ich mit dem Rad darauf zu – von vorn kam ein Auto, von links ein Bus. Beide waren kurz vor mir an der Kreuzung und mussten auf mich warten, denn für mich kam niemand von rechts. Die Straßen sind gleichrangig, aber in dem Moment hatte ich als die Schwächste den Vorrang. 

So ähnlich funktioniert eine demokratische Gesellschaft: Es gibt Starke und Schwache – und keiner von beiden ist immer im Recht. Das Miteinander muss anders geregelt werden als darüber, wer am lautesten schreit, am meisten Geld hat oder am schutzbedürftigsten ist. Jeder ist mal in der Pole-Position, nur dann funktioniert es.

Selten kommen aus allen Richtungen Fahrzeuge. Wer dann zuerst fahren darf, ist nicht mehr eindeutig – wir müssen uns einigen. Jetzt greifen „aufeinander achten“ und „nachgeben“; Menschen schaffen das, wenn sie wollen.

Ich staune

Das Pferd wiegt etwa 400 Kilogramm, ich deutlich weniger. Trotzdem lässt es sich jede Woche von mir putzen, satteln, trensen und dann sogar reiten. „Das hast du super hinbekommen, Dagmar“, lobt mich meine Reitlehrerin, wenn mir etwas gelingt. Ich freue mich und schiebe trotzdem jeden Erfolg auf das Pferd: „Na, der ist ja auch schlau; er weiß beim dritten Schrittwechsel, was ich von ihm will.“ Die Reitlehrerin verdreht die Augen: „Stimmt, aber wenn Pferde nicht schlau wären, würden sie sich überhaupt nicht von uns reiten lassen. Du machst das wirklich gut.“ Es ist wunderbar, dass sich dieses große, lebendige Wesen von meinen noch stümperhaften Muskelhilfen bewegen und motivieren lässt. Ich staune darüber – und über meine Freude am Zusammensein mit diesem Tier. Nach anderthalb Monaten erwische ich mich dabei, wie ich „mein Süßer“ zu ihm sage…

Isoliert betrachtet

Viele Positionen zu einem Thema ergeben ein großes buntes Ganzes – das ist manchmal unübersichtlich und anstrengend, aber verbindend. Auch die Meinungen zu Corona sind sehr vielfältig, ja. Aber sie ergänzen sich nicht zu einem Potpourri verschiedener Sichtweisen. Es hat den Anschein, als könne man sie nur isoliert betrachten. Das ist weniger anstrengend, aber leider auch nicht so bunt.

Ich bin nicht allein

Ein älterer Herr holt sich täglich beim Bäcker in unserer Siedlung sein „Frühstücks-Abo“: eine Zeitung und eine Tüte mit Brötchen. Es liegt immer schon bereit, so dass er blitzschnell fertig ist. Dann steigt er in sein Auto und fährt ab. Ich kenne ihn und begegne ihm manchmal, er wohnt bei uns um die Ecke und werkelt oft in seinem Garten. Es wundert mich, dass er als Rentner diese paar hundert Meter mit dem Auto zurücklegt. Angesichts der Klimadebatte ärgert es mich vielleicht sogar ein wenig: So wird das schwer mit den Klimazielen.

Die Situation erinnert mich an einen Bericht in der ZEIT: Ein Mann in meinem Alter steigt für den Arbeitsweg vom Auto um aufs Rad und schreibt von seinen Erfahrungen. Er ist kaum noch krank und ausgelasteter. Als Radfahrer erlebt er wunderbare Sonnenaufgänge, beobachtet Kraniche im Herbst und Gänse im Frühjahr und erlebt den Stadtalltag intensiver. Nach drei Jahren, verschiedenen Fahrrädern und einem Unfall mit Folgeschäden fährt er weiter (wieder) Rad. Sein Fazit fällt dennoch vernichtend aus: Die Straßen gehörten den Autos, Radfahrer seien lediglich Verkehrshindernisse, schreibt er. Der ADFC irre mit der Annahme, „es brauche bloß bessere Infrastruktur, dann würden auch aus traditionellen Autofahrern begeisterte Radfahrer.“ Denn, schreibt er: „Glaube ich nicht, angesichts der trägen Masse von Menschen …, die sogar samstags mit dem Auto 800 Meter zum Bäcker fahren, um da sechs Brötchen zu kaufen.“

Diese „träge Masse“ erlebe ich auch. Gleichzeitig freue ich mich über gleichgesinnte Radfahrer hier und anderswo: Ich bin nicht allein; andere empfinden ähnlich wie ich.