Prioritäten

Mein Mann erzählt von jungen Kolleginnen, die sich unterhalten haben über den Stress in ihrem Leben: Teilzeitstelle, kleine Kinder, Corona-bedingtes Home Schooling … Er schaut mich an und sagt: „Ich bin froh, dass du dir diesen Stress nicht antun willst.“

Stimmt, ich will das nicht. Allerdings kann ich nur für mich sprechen, nicht für Frauen allgemein. Ich hatte mit kleinen Kindern keinen Job, der mich gereizt und von dem ich Erfüllung erwartet hätte. Das Leben an sich war voll genug, mir fehlte nichts – auch wenn ich vielleicht noch freie Kapazitäten gehabt hätte. Heute sind die Tage anders gefüllt, und ich bin nicht mehr so belastbar wie früher. Aber noch immer bin ich zufrieden mit dem, was ich zu Hause tue. Meistens.

Ein Manko sehe ich trotzdem: „Ich fürchte, ich bin unseren Kindern keine Orientierung, wie man Job und Familie gut unter einen Hut bringen kann.“

„Na und?“, findet mein Mann: „Dafür bist du den Kindern eine gute Orientierung, wie wichtig Familie ist.“ Er hat recht: Man kann nicht alles haben oder machen, jeder setzt Prioritäten. Meine sind klar.

Abstand

Es ist Sonntag, ich gehe nicht mit in den Gottesdienst, um allein zu sein und still zu werden. Im Garten ist es wunderbar grün und warm, passend für einen Morgen allein. Allerdings: Eine Nachbarin sitzt telefonierend auf ihrem Rasen – ich höre jedes Wort, ohne mir Mühe zu geben. Im Hintergrund läuft ihr Radio in genau der richtigen Lautstärke: Zwar verstehe ich nichts, nur eine Art Gemurmel und die Bässe, dennoch stört es mich. Aus einem anderen Garten dringt (Sonntagmorgen, kurz vor elf) das Geräusch einer Motorsäge an mein Ohr. All diese Klänge kann ich nicht ausblenden: Die Stille hier ist mir zu laut.

Ich brauche Abstand, denke ich, setze mich auf mein Rad und fahre in die „Walachei“. Am Ende eines Feldweges finde ich eine nicht gemähte Wiese, auf der ich meine Iso-Matte ausbreiten und mich ausstrecken kann. Jede Menge Vögel zwitschern, der Wind fährt geräuschvoll durch die Blätter einiger Bäume. Auf einem nahe gelegenen Acker kümmern sich ein paar Bauern um ihr Grünfutter: Das gleichmäßige Geräusch der Trecker und Ballenwickler dringt schwach an meine Ohren, stört mich aber nicht. All das kann ich ausblenden – und „höre“ meine eigenen Gedanken: Wirklich still ist es auch hier nicht.

Ich brauche inneren Abstand, denke ich, und merke, wie schwer das ist. Zwei Stunden allein auf einer grünen Wiese sind ein guter Anfang – und ein Luxus, den nicht viele haben.

Wenn Kinder planen …

Beim Einkauf treffe ich einen Freund mit seinen beiden kleinen Töchtern. Die Dreijährige schiebt den Kinderwagen, in dem die sieben Wochen alte Schwester liegt und schläft. Wir reden ein bisschen darüber, wie es läuft mit dem Baby und was wir planen fürs Wochenende. Die drei wollen zunächst weiter – Frühstücksbrötchen holen und zurück nach Hause. „Danach“, so der Vater mit Blick auf seine Tochter, „ist für uns klar, was wir am Wochenende machen: essen und spielen.“ Ich lächle ihn an. Mit kleinen Kindern sind die Pläne fürs Wochenende überschaubar. Mit großen Kindern sind sie das auch: Die wollen essen und schlafen …

Erster Eindruck

In einem Hobby bin ich noch ganz am Anfang. Gerade musste ich zu einer neuen Trainerin wechseln. Sie ist nett und freundlich und unterrichtet anders als ihre Vorgängerin. Das ist kein Problem: Ich bin offen und versuche, ohne Vorbehalte zu sein.

Die „Neue“ hat die Expertise, die mir fehlt – sie ist seit 30 Jahren „im Geschäft“. Während unserer ersten Unterrichtseinheit erzählt sie viel davon, was sie alles schon wo gemacht hat und von wem sie trainiert wurde. Es ist vergebene Liebesmüh, denn: Ich kann nichts anfangen mit den Namen ihrer Lehrer, den Facetten ihrer Ausbildung oder den Stationen ihres Lebens. All das beeindruckt mich wenig, es sind für mich Begriffe ohne Inhalt. Was ich „zwischen den Zeilen“ verstehe, ist ihr Bedürfnis danach, wahrgenommen zu werden. Dies ist ein legitimer Wunsch: Mir geht es genauso. Nur für den ersten Eindruck ist es vielleicht ein bisschen viel – da wäre weniger mehr.

Wok sei Dank!

Mein Mann: „Dagmar, das Essen schmeckt hervorragend!“

Ich: „Ja, danke …, aber das liegt daran, dass ich das Gemüse im Wok gemacht habe. Da bleibt alles schön al dente.“

1. Kind: „Stimmt, und der Tisch ist auch so hübsch gedeckt.“

Mein Mann: „Die Töpfe und Pfannen spielen eine nicht unwesentliche Rolle für den Geschmack.“

2. Kind: „Im Grunde ist auch das Kleinstadt-Leben ein Garant für leckeres Essen.“

3. Kind: „Genauer gesagt ist die dezentrale Wohnlage – am Rande der Stadt, die Wiesen vor der Tür – ein nicht zu unterschätzender Faktor.“

4. Kind: „Diese ländliche Luft macht ebenfalls etwas aus – und für die sorgt der Kuhstall hinterm Sportplatz.“

Mein Mann: „Deine Freundin die Bäuerin ist verantwortlich, genau.“

Dem Wok sei Dank für das al dente-Gemüse; meiner Familie sei Dank für diese ad hoc-Ironie. Gott sei Dank kam das fünfte Kind erst später …

Ohnmacht

Wir können auf den Mond fliegen, Organe transplantieren, mit Atomuhren minimalste Zeitabweichungen messen, durch Teleskope das Universum erforschen. Zwischen Himmel und Erde ist uns viel und scheint uns fast alles möglich. Wenn es allerdings darum geht, Menschen miteinander zu versöhnen, spüren wir eine große Ohnmacht. Dabei entscheidet sich hier alles: Was nutzt uns all unser Können, wenn wir es nicht miteinander teilen?

Geschmack

„Über Geschmack lässt sich nicht streiten“, heißt es. Das klingt nach Harmonie pur. „Geschmacksache“ ist weder richtig noch falsch und eine sehr persönliche Angelegenheit: Zwei Menschen stimmen nur selten völlige überein; aber zwischen „gefällt mir“ und „gefällt mir nicht“ existieren oft gemeinsame Schnittmengen.

Manchmal bin ich dennoch erstaunt, wie unterschiedlich Vorlieben sind. Jemand präsentiert mir einige Lieder, die ihm gut gefallen und über die ich sagen würde: überhaupt nicht mein Geschmack, ungeeignet selbst als Hintergrund-Beschallung. Ich warte ungeduldig auf das Ende. Wir streiten nicht darüber, jedes Wort wäre zu viel. Unsere Geschmäcker haben keine gemeinsame Schnittmenge.

Gut vorbereitet

Mein Sohn fährt zu seiner mündlichen Abitur-Prüfung. Er ist gut vorbereitet auf die unterschiedlichsten Themen, die drankommen können – und natürlich nervös. Wir beten für ihn, dann schicken wir ihn los. Während er unterwegs ist, bin ich aufgeregt; irgendwann warte ich auf eine Nachricht. Auch ich bereite mich gut vor auf die unterschiedlichsten Ergebnisse, die rauskommen können: Sollte es gut gelaufen sein, werde ich mich mit ihm freuen. Sollte es nicht gut gelaufen sein, werde ich ihn trösten und ermutigen.

Später ruft er kurz an, um zu sagen, dass es super gelaufen ist. Für den Rest des Tages ist er mit einem Freund unterwegs. Ich freue mich – zunächst allein: Mit ihm kann ich das erst später tun. Darauf war ich nicht so gut vorbereitet, aber ich bin flexibel…

Perspektiv-Wechsel

Einige Wochen mit zu ausgiebigen Wasser-Gaben hatten unseren Ficus Benjamini scheinbar „fertig gemacht“ für den Ficus-Himmel. Als letzte Chance zum Austrocknen und Erholen brachten wir ihn aus dem Wohnzimmer auf die Terrasse. Der Platz, an dem er jahrelang gestanden hatte, war plötzlich leer und wir dachten: Wie schade!

Nach kurzer Zeit gefiel uns das Wohnzimmer ohne den Ficus besser als mit – es wirkte großzügiger und leerer. Wir vermissten den Benjamini sehr schnell nicht mehr und dachten: Wie schön!

Seit ein paar Tagen verliert der Ficus (auf der Terrasse) keine Blätter mehr. Wir gießen ihn behutsam wieder, er scheint neu auszutreiben. Ich ahne, dass er sich vollständig erholen wird und wir ihm seinen Platz im Wohnzimmer wiedergeben müssen. Dazu denke ich: Wie schade!

Das ist ein schönes Beispiel für einen Perspektiv-Wechsel.

Von Dusch-Schaum und Hausschweinen

Schlaghosen, Plateau-Schuhe, baggy oder skinny Jeans, Tank-Tops, Ringelsocken, zweireihige Jackets, Schulterpolster, karierte Holzfäller-Hemden… Moden kommen und gehen schnell. Manchmal ist das eine Erlösung, manchmal eine Last: Eine bestimmte Marke Dusch-Schaum (in den ausgefallensten Duft-Sorten) war kurze Zeit absolutes `Must have´ für junge Mädchen – auch für meine Tochter. Zu einem Geburtstag bekam sie von jedem Gast ein Fläschchen davon. Sieben bis zwölf dieser Exemplare stehen noch immer bei ihr im Regal – unbenutzt.

Jetzt räumt meine Tochter auf und sortiert einiges aus: „Ich brauche die Dusch-Schäume nicht mehr.“ Ich auch nicht, denke ich; aber schneller, als ich „Moment mal“ sagen kann, halte ich die Flaschen in der Hand. Mein Kind weiß: Ich werfe ungern etwas weg, was „funktioniert“, nicht abgelaufen ist oder „noch geht“. Die nächsten zwei oder drei Jahre werde ich jetzt also nach „fizzy berry“, „happy spring“ oder „tropical kiwi“ duften – und kein anderes Duschbad mehr benutzen (können). Ein Satz meines Vaters fällt mir ein: „Wenn ihr mich nicht hättet, müsstet ihr euch ein Schwein halten.“ Damit bezog er sich auf altes Brot, Wurst- oder Käsereste, die ihre besten Tage gesehen hatten, oder andere essbare Überbleibsel jeglicher Art. Dusch-Schaum kann man nicht essen – aber das Prinzip ist dasselbe.