Erstaunlich

Unsere Kinder haben Stallgeruch: Viele unserer Familien-Gepflogenheiten übernehmen sie unbewusst und unkritisch. Sie machen keine Schulden, sind gern pünktlich und grundsätzlich ehrlich, gestalten Gespräche aktiv mit und so weiter. An manchen „Eigenarten“ reiben sie sich natürlich und warten darauf, unabhängig zu werden: Das Fahrrad wird langfristig vielleicht nicht das Fortbewegungsmittel erster Wahl bleiben. Aber insgesamt ist es erstaunlich, wie automatisch sie unser Verhalten übernehmen.

In anderen Fragen grenzen sie sich ab: Mir tut es zum Beispiel körperlich und seelisch gut, mich täglich draußen zu bewegen. Dieses Bedürfnis ist ein Stallgeruch, den zwei unserer Kinder einfach nicht annehmen. Sie gehen tagelang nicht aus dem Haus und bleiben ganz vergnügt dabei. Es ist erstaunlich, wie leicht sie sich von unserem Verhalten distanzieren.

(Nicht) rekordverdächtig

Manchmal träume ich laut von einem eigenen Eintrag im Guinnessbuch der Rekorde – ich weiß nicht, warum. Mein Mann schaut mich verständnislos an, wenn ich von diesem Wunsch erzähle. Er teilt ihn nicht und kann sich nicht vorstellen, dass dieser leicht umzusetzen ist.

Manche Menschen stehen im Guinnessbuch, ohne es zu wollen – weil sie zum Beispiel den größten Brustumfang/die längsten Beine/den größten Mund von allen Menschen haben. Dies sind keine Rekorde, auf die ich aktiv hinarbeiten könnte – oder wollte. Auch die längsten Fingernägel sind für mich kein realisierbares Ziel, obwohl sie theoretisch im Rahmen des Erreichbaren lägen. Andere Rekorde erfordern Kraft, Ausdauer oder besondere Intelligenz: Für all diese bin ich wahrscheinlich ungeeignet, mindestens aber zu wenig ambitioniert.

Dann sind da noch die Einträge, die einer großen Leidenschaft entspringen oder interessant klingen: So und so viele Hamburger auf einmal essen zum Beispiel, Bierdeckel sammeln, sich eine Menge Wäscheklammern innerhalb von einer Minute ins Gesicht heften – auf solche Ideen komme ich einfach nicht! Dafür fehlen mir die Initiative und der Ideenreichtum. Ich könnte mich höchstens um Aufnahme bemühen mit meiner Angewohnheit, Kurznachrichtendienste ausschließlich für lange Nachrichten zu nutzen. Das ist heutzutage mindestens eine seltene Fähigkeit, noch dazu nicht „zeitgemäß“ und deshalb besonders. Wahrscheinlich beeindruckt sie aber leider niemanden: So leicht ist es eben nicht mit dem Guinnessbuch der Rekorde.

Falsch verstanden

Von meinem Mann weiß ich, dass ich einen Hang zum Malapropismus habe: Ich verwende (Fremd-)Wörter gern falsch – unabsichtlich. Vielleicht liegt es am fehlenden Latein- und Griechisch-Unterricht während meiner Schulzeit. Oder ich bin einfach vergesslich. Ironisch, sarkastisch und zynisch zum Beispiel kann ich nur schwer auseinanderhalten. Ich weiß, dass sie ähnliche Verhaltensweisen beschreiben, aber die genauen Unterschiede sind mir nicht klar.

Manchmal merke ich zusätzlich, dass ich nicht nur mit der Bedeutung von Fremd-Worten Schwierigkeiten habe: In der Zeitung lese ich eine kurze Nachricht über eine bekannte Schauspielerin, die beruflich eine Auszeit nimmt. Sie sagt, sie wolle sich lieber um ihre Töchter kümmern (sechs und acht Jahre alt). „Aufopfernd“ steht über dieser Notiz – für mich verwirrend. Aufopfernd soll es sein, wenn man seine eigenen Kinder betreut, anstatt arbeiten zu gehen? Das klingt, als wäre Kindererziehung eine vor allem entbehrungsreiche Tätigkeit. Kinder sind eine Lebensaufgabe, fordern uns heraus, beanspruchen uns enorm und lehren uns alles mögliche – aber vor allem sind sie ein Geschenk.

Als aufopfernd empfinde ich es nicht, dass ich mich um unsere Kinder kümmere. Aber das hat vielleicht etwas mit meinem Hang zum Malapropismus zu tun.

Eingestimmt

In anderthalb Wochen besuche ich einen meiner ältesten Freunde; wir haben uns lange nicht gesehen. Der Alltag überlagert ein wenig die Vorfreude auf diese gemeinsame Zeit. Um mich einzustimmen auf meinen Ausflug in die Vergangenheit, höre ich Herbert Grönemeyer – funktioniert wunderbar.

Universal and unique

Our God is universal: he created heaven – the whole universe with all its stars and planets – and earth, including the right conditions for life to happen in the first place and everything that lives (plants, people, animals from ants to elephants … ).

And our God deals with us in a unique way: he cares about and responds to my own attitudes, wishes and dreams, sometimes encouraging me through something in such an unbelievably gentle way that it moves me to tears.

Falscher Moment

Mein Mann ist nicht so gesprächig wie ich – oder wie ich es mir manchmal wünschen würde. Aber unter anderem beim Laufen erzählt er gern, besonders wenn ich mehr mit der Strecke kämpfe als er: Dann erklärt er, wie das Immunsystem durchs Laufen gestärkt wird, oder erläutert theologische Fragen, die ihn beschäftigen… In diesen Momenten bin ich von seinen Ergüssen eher unbeeindruckt, wenn nicht sogar genervt. Mein Mann möchte mich ablenken und die Stimmung heben. Was er sagt, lenkt mich ab – aber gerade jetzt passt es mir nicht: Ich brauche all meine Konzentration, um aufrecht bis zu Hause durchzuhalten. Daher senkt sich meine Stimmung eher, als dass sie sich hebt.

Kommunikation ist immer gut – außer im falschen Moment.

Zu lang?

Ich liebe es zu kommunizieren. Sehr gern tausche ich mich mit Menschen aus – vorzugsweise schriftlich und ausführlich. Das geht besonders gut durch Briefe oder auch E-Mails. Aber in den vergangenen 20 Jahren sind Briefe immer seltener und E-Mails immer kürzer geworden. Stattdessen kommunizieren viele hauptsächlich mittels diverser Kurznachrichten-Dienste. Das reicht den meisten Menschen, denn sie schreiben ohnehin nur noch sehr kurze Nachrichten.

Das ist mir bekannt. Mein Mann erinnert mich, dass die meisten Menschen auch nur noch sehr kurze Nachrichten lesen: Was zu lang aussieht, werde entweder nur kursorisch gelesen oder sofort gelöscht. Für Ausführlichkeit habe niemand Zeit; außerdem gehe die einzelne Nachricht unter in der Flut eintreffender Informationen. Auf den Inhalt komme es schon lange nicht mehr an, meint er, entscheidend sei die Länge.

Soll ich mein Schreibverhalten lieber anpassen an das heute übliche Leseverhalten? Mein Mann nickt. In der Kürze liegt die Würze, das kenne ich – und weiß, dass es stimmt. Aber: Gilt das immer?

Ist mir wichtiger, was ich schreiben oder wie ich es schreiben will? Beides gleichzeitig scheint nicht mehr zu funktionieren: Entweder ich dosiere bewusst, damit nur ja keiner meiner Gedanken verlorengeht. Oder ich bleibe meinem Stil treu. Am besten, ich mache ich es einfach mal so und mal anders. Denn letztlich lag es noch nie und liegt es auch heute nicht in meiner Hand, was der Empfänger mit meinen Worten macht. Er kann sich wegen der Länge gegen das Lesen entscheiden. Er kann auch das Gute behalten und den Rest ignorieren. Oder er wird alles lesen und denken: Das klingt nach Dagmar, fühlt sich an wie ein Wort-Tsunami und bringt mich zum Lächeln.

Zu kurz oder lang genug?

Ich kenne jemanden, der sagt, das Leben sei zu kurz – für schlechte Flachbildschirme, für langsame Autos, nicht gedämpfte Turnschuhe, undichte Regenjacken oder minderwertige Soundanlagen… Manchmal amüsiert mich seine Einstellung, aber sie beeindruckt mich auch: Es ist ihm wichtig, das Leben hier auf dieser Erde zu genießen. Er liebt schöne Dinge; aber er weiß auch, dass diese nicht entscheidend sind. Deshalb pflegt er treu seine Freundschaften, ist ausgesprochen großzügig und zuverlässig, unterstützt und fördert Menschen – selbst wenn sie anderen Überzeugungen frönen, ist ein guter Chef (mit Leitungskompetenz) und einiges mehr.

Ich möchte lernen von seinem Mut, sich intensiv dem zu widmen, was ihm wichtig ist: Mein Leben ist zu kurz für Zurückhaltung. Zwar bin ich jenseits der Lebensmitte, aber das soll mich nicht bremsen. Wie heißt es: Wir bereuen eher, was wir nicht gemacht haben. Also werde ich demnächst Reitstunden nehmen. Erstmal für ein paar Monate – danach sollte ich wissen, ob mein Leben lang genug ist für ein neues Hobby.

Trübe Aussichten?

Am Anfang der Woche sah die Wetterprognose laut meiner Wetter-App nicht gut aus: Jeden Tag sollte es regnen – mit einer Wahrscheinlichkeit von 60 bis 90 Prozent. Der Montag ging, am Dienstag konnte ich nachmittags wider Erwarten doch laufen gehen, den Mittwoch über regnete es überhaupt nicht. Heute scheint von allem etwas dabei zu sein: Wind, Regen, Sonne – mit der richtigen Kleidung geht draußen doch einiges.

Manchmal ist es gut, das große Ganze zu sehen. So kann ich im Voraus planen und halte mich nicht umsonst mit Details auf, die erstmal unwichtig sind: Wenn es die ganze Woche regnen soll, werde ich mit dem Frühjahrsputz im Garten erst später anfangen. In anderer Hinsicht ist es gut, sich trotz trüber Aussichten einen Tag nach dem anderen vorzunehmen: Wenn es die ganze Woche regnen soll, werde ich mein Bedürfnis nach frischer Luft spontan einbauen – und mich freuen über die weniger trüben Momente.

Das große Ganze wahrnehmen und sich davon nicht den Blick auf das Jetzt und Hier versperren lassen – für mich ist das ein guter, weil gelassener Umgang mit dem Wetter. Ich möchte ihn gern erlernen und ausweiten. Er hilft mir in Konflikten, angesichts beängstigender Diagnosen und in Bezug auf die Unwägbarkeiten des Lebens allgemein.

Abgeschickt

Meine Freundin bedankt sich für den Geburtstagsgruß von mir. Sie hat sich besonders über das Motiv der Karte gefreut – und über meine Worte. Leider kann ich mich weder an die Karte noch an den genauen Wortlaut erinnern. Zwar versuche ich immer, etwas Persönliches zu schreiben; aber länger als ein paar Tage speichert mein Kurzzeitgedächtnis diese Gedanken nicht ab: Anfang März haben einige Menschen Geburtstag, auch schreibe ich sehr regelmäßig andere („normale“) Briefe und rede täglich mit vergleichsweise vielen Personen …

Es ist mir ein bisschen unangenehm, dass ich meine eigenen Worte so schnell wieder vergesse. Dieses „Unwohlsein“ wird glücklicherweise überlagert von dem angenehmen Gefühl, jemandem eine Freude gemacht zu haben.

Ich könnte abfotografieren, was ich verschicke, bevor ich es verschicke. Dann würde ich den Überblick behalten – und wäre auf Dankesbriefe besser vorbereitet. Allerdings denke ich nicht daran, wenn ich etwas in einen Briefumschlag stecke: In dem Moment bin ich mit meinen Gedanken mehr bei dem anderen als bei mir …