Der Dukatenbaum

Wir haben einen Dukatenbaum geschenkt bekommen – jedenfalls denke ich, dass die Pflanze so heißt. Sie befand sich zunächst in einem viel zu kleinen Topf und wuchs schief. Nach dem Umtopfen hatte der Dukatenbaum noch mehr Schieflage und saß sehr locker in der Erde. Ich steckte zur (Unter-)Stützung einen Stab in die Erde. Das sah zwar nicht gut aus, hielt das Bäumchen aber aufrecht – wenn auch noch immer nur lose im Erdreich verwurzelt. Einige Wochen später entfernten wir den Stab und der Dukatenbaum kippte um, jedenfalls nahezu. „Wart`s ab“, sagte mein Mann, „wir lassen die Stütze trotzdem weg. Entweder er schafft es ohne oder überhaupt nicht.“

Keine zwei Wochen später hat sich der Dukatenbaum merklich aufgerichtet – und ist erstmals fest im Boden verankert. Endlich geschieht etwas: Die Wurzeln wachsen in die Tiefe und die oberirdischen Teile in die Höhe. Jetzt, da all unsere Hilfe weg ist, sieht die Pflanze viel besser aus als am Anfang.

Ich glaube, bei Kindern funktioniert das ebenso: Zu viel Hilfe macht Kinder unselbstständig und abhängig. Erst wenn wir uns zurückhalten, entwickeln sie eigene Kräfte und werden selbst aktiv. Anfangs mag das unbeholfen aussehen – manches misslingt vielleicht auch. Wir müssen das aushalten: Langfristig ist unser Nicht-Eingreifen die beste Unterstützung, die wir ihnen bieten können.

Hilfe in der Not

„Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen. Woher kommt mir Hilfe? Meine Hilfe kommt vom Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat.“
Psalm 121, 1+2

Ich wünsche der Bäuerin im Hofladen noch einen guten Tag und will rausgehen. „Ach, heute war schon zweimal der Schornsteinfeger hier“, antwortet sie, „da wird es wohl ein guter Tag werden.“ Wie so oft würde ich am liebsten widersprechen, für mich hört sich das nach Aberglauben an: Gelingen oder Glück hat für mich nichts mit der Sichtung von Schornsteinfegern, einem Glückspfennig oder Amuletten zu tun. Für viele Menschen scheinen diese `Glücksbringer´ aber doch relevant zu sein. Oder?

Der dänische Fußball-Nationalspieler Christian Eriksen kippt um und erleidet einen Herzstillstand. Es dauert quälend lange Minuten, bis die medizinischen Betreuer ihn reanimieren und dann lebend vom Spielfeld tragen können. In dieser Zeit steht die Zeit still für alle, die irgendwie beteiligt sind oder auch nur dabei – auf dem Spielfeld, im Stadion oder vor dem Fernseher. Niemand spielt Fußball, niemand holt sich eine Pommes oder ein Bier. Wer helfen kann, tut dies: Mitspieler leisten erste Hilfe und trösten die Freundin, andere bilden eine lebendige Schutzmauer gegen Foto- und Film-Apparate. Die meisten der nicht unmittelbar Beteiligten nehmen ebenfalls Anteil und tun etwas anderes: Sie warten und beten. Keiner von ihnen hält nach einem Schornsteinfeger Ausschau oder sucht einen Pfennig. `Glücksbringer´ sind offenbar doch nicht die erste Wahl, wenn es wirklich um etwas geht. Auch Menschen, in deren Alltag Gott kaum eine Rolle spielt, erwarten in der Not Hilfe von ihm – ich glaube: zu Recht.

Hilfe

Seit ein paar Monaten helfen die Kinder mir, die Einkäufe zu verstauen – Kühlschrank, Vorratsregal etc. Das war früher anders. Meist freue ich mich darüber, dass sie mich unterstützen. 

Seit die Kinder mir helfen, fällt es mir schwerer, den Überblick zu behalten über unsere Vorräte. Das war früher anders. Manchmal ärgere ich mich, wenn ich etwas brauche – Mehl, Salat, ein Glas Kirschen – und ins Leere greife.

Hilfe hat ihren Preis.

Hilfe in Wort (und ohne Tat)

Meine Tochter hat ihr Zimmer gestrichen. Sie hat es (mehr oder weniger) allein gemacht. Ich zumindest war nicht praktisch beteiligt – habe nicht das Zimmer ausgeräumt, Fenster und Tür abgeklebt oder einen Pinsel in die Hand genommen. Dennoch war ich Teil der ganzen Aktion: Mit Schwung und Energie plante meine Tochter wochenlang, wie und was sie machen wollte. Vorgestern sollte es losgehen – aber der Schwung war weg, stattdessen war mein Kind mut- und lustlos. Zu groß lag der Berg des tatkräftig zu renovierenden Zimmers vor ihr. Da war er, mein Moment: „Lass dich vom Ziel motivieren und nicht vom Weg abschrecken.“ In verschiedenen Variationen und mehrfach wiederholt war der Satz zwar nicht besonders schlau, aber sehr notwendig: Ohne diesen wäre das Zimmer jetzt wahrscheinlich nicht frisch gestrichen …

(Praktische Mithilfe hatte meine Tochter mehrmals dankend abgelehnt – wenn auch innerlich mit schwerem Herzen. Instinktiv wusste sie: Die verbale Ermutigung hilft mir letztlich mehr und lässt das schöne Endergebnis ganz meins sein.)

Gute Geister für mich

Es gibt ein Buch, dessen englischer Titel „Help“ ins Deutsche mit „Gute Geister“ übersetzt wurde. Darin geht es um schwarze Kindermädchen in den amerikanischen Südstaaten, die noch in den 60er Jahren in den Haushalten ihrer weißen Mitbürger angestellt waren. Wie „gute Geister“ griffen sie weißen Frauen (allerdings nicht ganz freiwillig) bei Aufgaben unter die Arme, zu denen diese keine Lust – beziehungsweise für die diese kein Händchen – hatten: kleine weiße Kinder großziehen (und sie prägen), Tafelsilber polieren, Essen kochen, Wäsche waschen.

Beim Lesen dachte ich, dass ich eine solche Hilfe nicht wunderbar gefunden hätte.

Dieses Jahr gibt es in meinem Leben „gute Geister“, die mir unerwartet (allerdings sehr freiwillig) bei Aufgaben unter die Arme greifen, zu denen ich keine Lust – beziehungsweise für die ich kein Händchen – habe: Zwei adventliche Blumensträuße schmücken seit einigen Tagen mein bis dato nur spärlich dekoriertes Haus.

Ich bin dankbar, weil genau solch eine Hilfe wunderbar für mich ist!

Berufung

Ich wollte nie Lehrerin werden. Ich wollte auch nie als Lehrerin arbeiten – und will es noch immer nicht. Trotzdem habe ich jahrelang gelehrt – hauptsächlich durch mein Vorbild, manchmal wortgewaltig:
„Du musst mit dem Fahrrad auf der rechten Seite fahren.
Wenn man einen Fehler gemacht hat, entschuldigt man sich – auch wenn es schwerfällt.
Zu einem Gespräch gehört, dass man nicht unterbricht und zuhören kann.“
Und so weiter und so fort.

Alles habe ich begleitet mit Lob und Ermutigung:
„Ja, so ist es gut.
Ich fand das wirklich mutig von dir.
Du kannst toll verlieren, das bewundere ich.“
Und so weiter und so fort.

Manches habe ich korrigiert:
„Den Topf musst du noch einmal abspülen.
Lästern macht vielleicht Spaß, aber nicht lästern ist besser.
Ohne Übung geht es nicht.“
Und so weiter und so fort.

Ob ich die Kinder damit halbwegs auf ihr Leben vorbereitet habe – wir werden es sehen. Eine Grundausstattung haben sie, irgendwann lasse ich sie ziehen. Ich übernehme keine andere Klasse. Höchstens die Enkelkinder ein ganz bisschen, falls es welche geben sollte. Dazwischen mach´ ich Ferien.