Flexibel verplant

Ich beobachte bei meinen Kindern den starken Wunsch, ihr eigenes Ding zu machen. Eltern haben dabei wenig zu melden. Das war bei mir in meiner Jugend genauso. Dafür habe ich bei Freunden übernachtet oder nächtliche Fahrten mit dem Rad auf mich genommen. Für weiter entfernte Orte musste ich im Vorfeld planen, wie und mit wem ich diese OHNE die Hilfe meiner Eltern erreichen konnte.

Der Wunsch, ihr eigenes Ding zu machen, ist bei Jugendlichen heute noch derselbe wie zu meiner Zeit. Eltern bleiben noch immer außen vor; nur geplant wird nicht mehr: Für meine Kinder und ihre Freunde ist es ganz normal, Verabredungen erst einige Stunden vorher zu treffen oder wieder abzusagen. Sie seien lieber `spontan´, heißt es dann, `und flexibel´. Allerdings hat diese Flexibilität einen Preis, den ich früher nicht bezahlen wollte oder konnte: `Schnell noch irgendwohin´ oder `mitten in der Nacht zurück´ funktioniert oft nur mit dem Auto. Dafür wird heutzutage sehr spontan auf äußerst flexible Eltern zurückgegriffen. Manchmal sind diese mit ihrer Verfügbarkeit das Einzige, was junge Menschen bei `ihrem eigenen Ding´ selbstverständlich einplanen.

Spontan und flexibel

Meine Tochter kommt nach der zehnten Stunde aus der Schule; mit ihr spült eine alte Bekannte zur Terrassentür herein. Es ist eine der vielen Susannes meiner Generation. Sie sei schon den ganzen Tag mit dem Rad unterwegs und wolle spontan bei mir Rast machen, bevor sie in ein Konzert ganz in meiner Nähe gehen möchte. Wenn´s passt.

Ich bin gerade mit dem Wischeimer bewaffnet im Haus unterwegs: Der Maler bearbeitet mit dem Kärcher unsere Fassade. Aus diesem Anlass wische ich von innen die Rollläden ab, die er von außen abspritzt. Außerdem läuft unter der Haustür munter Wasser in den Flur. Und wegen des am nächsten Tages umschlagenden Wetters würde ich gern noch fix den Rasen mähen … Es passt also nicht 100-prozentig. Aber was soll´s: Diese Susanne habe ich lange nicht gesehen.

Während ich den angefangenen Rollladen fertig putze, ist meine Tochter gastfreundlich und kocht einen Kaffee. Danach setze ich mich dazu und wir erzählen eine Weile. Gegen halb sechs sagt mein Überraschungsgast: „Eine gute Stunde würde ich gern noch bleiben – kann ich etwas helfen?“ Mir fällt nichts ein – ob sie auch eine Weile allein klarkommen würde? Sie nickt fröhlich und setzt sich ans Klavier. Ich bin dankbar, dass sie so unkompliziert ist, und gehe in den Garten. Nach dem Rasenmähen reden wir noch ein bisschen, dann macht Susanne sich auf den Weg zu ihrem Konzert.

Ich mag spontane Gäste, sie sind mir herzlich willkommen – besonders die, die ebenso flexibel auf mich eingehen wie ich auf sie.

Grenz-Erweiterung

Ich laufe immer im selben Tempo – denke ich. Tatsächlich stimmt das schon seit einigen Jahren nicht mehr: Ich fühle mich zwar noch immer so schnell wie früher, werde aber – altersbedingt – immer langsamer. Nur wenn ich die Zeit stoppe, registriere ich den Unterschied. (Also stoppe ich die Zeit nicht oder nur höchst selten.)

Die Zeit selbst ist mir egal; ich habe kein Ziel im Kopf, das ich erreichen möchte. Dennoch breche ich manchmal aus meinem normalen Trott aus und fordere meinen Körper heraus. Nur dadurch verhindere ich, dass ich immer schneller immer langsamer werde: Wenn ich beweglich bleiben möchte, muss ich regelmäßig an die Grenze gehen – oder darüber hinaus: Das ist (buchstäblich) kein Spaziergang, setzt aber vorher unbekannte körperliche Reserven frei.

Was für den Körper gilt, stimmt ebenso für den Geist: Geistig beweglich bleibt nur, wer gedanklich an die Grenze geht – oder darüber hinaus. Dabei kann eine neue Sprache helfen, ein Musikinstrument, eine Debattier-Runde … Auch die Beschäftigung mit Sichtweisen jenseits meiner eigenen Denk-Grenzen trainiert die mentale Flexibiliät: Das ist herausfordernd, beflügelt aber den Geist.

Starr oder flexibel

Meine Tochter macht eine Exkursion mit ihrer Klasse. Ein Schüler erscheint nicht pünktlich am Bus, und wird angeschrieben: Er hat verschlafen, versichert aber, sich jetzt schnell auf den Weg zu machen. Dieser Schüler schwänzt nie und hat – im Gegensatz zu vielen anderen – tatsächlich Lust auf diesen Ausflug in die Naturwissenschaft. Die Lehrerin wartet drei Minuten über die Zeit und bricht dann mit dem Rest der Klasse auf; der verspätete Schüler verpasst den Bus. Dieser starre Umgang mit Pünktlichkeit wirft einen dunklen Schatten auf diese ansonsten sehr schöne Tugend und hilft zudem keinem Menschen. Wie schade!

In der Schule wird eine Klausur geschrieben; als Entschuldigung gilt nur ein ärztliches Attest. Zwei Schüler erscheinen nicht: Einer hat Covid-19, der andere ist ein Flüchtling, der aus anderen Gründen nicht erscheinen kann. Der Lehrer lässt beide nachschreiben – auch ohne ärztliches Attest. Dieser flexible Umgang mit einer Regel entwertet dieselbe nicht und hilft noch dazu den beiden Menschen. Wie schön!

Mir fällt die Geschichte von Jesus ein; seine Jünger raufen am Sabbat Ähren aus (und essen die Körner). Für die Pharisäer sieht das wie Arbeit aus: „Wie können sie nur!“, denken und sagen sie dann auch – in anklagendem Ton. Sie mögen Jesus nicht und suchen ständig nach etwas, das sie ihm `ankreiden´ können. Und was antwortet Jesus, der die Regeln besser kennt, aber auch barmherziger ist als jeder Pharisäer? „Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbat willen.“ (Markus 2, 27) Wie wahr!

Ein flexibles `Wir´

„Wir nennen diese Landschaft hier das Alpenvorland“, bemerkt mein Mann auf unserer Autofahrt in den Süden. „Welches `Wir´ hast du da jetzt bemüht?“, frage ich zurück. Er lächelt: „Ach, da bin ich ganz flexibel.“

Es ist eine Gabe, wenn man sich – je nach Situation und Bedarf – flexibel zu denjenigen zählt, die Bescheid wissen.

Mach ich, klar

Ich sage zwar: „Ich lebe“, doch fühlt es sich manchmal eher an wie: „Ich werde gelebt“. Ich reagiere an manchen Tagen mehr, als dass ich agiere. Da ruft gleich morgens jemand an, ob ich zwei Kinder hüten kann, weil das kleine Geschwisterbaby auf die Welt kommt. Mach ich, klar. Während die beiden Jungen hier frühstücken, meldet sich eine Freundin, ob ich abends für sie Taxi spielen könnte – Fuß kaputt und aber ein wichtiger Arzttermin auswärts. Mach ich, klar. Das Mittagessen kommt mir in die Quere – heute sind wirklich alle sieben zur gleichen Zeit mittags zu Hause. Mach ich, klar. Ich habe mich verplant und muss dringend noch was einkaufen. Mach ich, klar. Meine Tochter braucht nachmittags Motivation, ihren Kaninchen Löwenzahn zu pflücken – und Gemeinschaft ist die beste Motivation, also pflücken wir zusammen. Mach ich auch, klar.

Am Ende solcher Tage fühle ich mich fremdgesteuert. Das wäre sicher anders, wenn ich einen „richtigen“ Job hätte mit klar umrissenen Aufgaben und Terminen und Präsenz-Zeiten. Hab ich aber nicht. Mein Job ist Mutter und Hausfrau – und das kann man so verstehen und so verstehen, so leben und so leben. Bei „Mutter“ ist ganz viel „selbst Schuld“ dabei, ganz viel eigene Überzeugung, wie ich eine einmal übernommene Aufgabe wahrnehme und erfüllen will. Viel, was ich für richtig, wichtig und nötig halte. An manchen Tagen bin ich für alles mögliche zuständig – Allzweckwaffe Mama.

Von mir als „Hausfrau“ müssen die meisten Aufgaben nicht sofort erledigt werden. Es gibt kaum Termindruck. Anfragen an meine Zeit kann ich leichter mit „Mach ich, klar“, beantworten als berufstätige Frauen. Das ist schön, da ist viel Freiheit. Das sehen andere auch so. Allerdings komme ich mir bisweilen vor wie Verfügungsmasse, die je nach Bedarf einsetzbar ist – Allzweckwaffe Hausfrau. Mit diesen beiden Jobs ist es bisweilen schwierig, Tage nach eigenen Vorstellungen zu gestalten. Anstelle ausgereifter Pläne passe ich an, modifiziere, plane flexibel, richte das oder das noch ein… Auch dafür habe ich mich entschieden, als ich Hausfrau und Mutter geworden bin.