Ähnlich, anders, ähnlich …

In einer Familie lebt man miteinander, was unter anderem bedeutet, sich gegenseitig zu beeinflussen und zu prägen:

War mein Verhalten als Mutter für meine kleinen Kinder größtenteils nachahmenswert, so geht es für Teenager darum, sich grundsätzlich anders zu entscheiden. Es sei denn, sie kommen – aus freien Stücken!!! – zu ähnlichen Entscheidungen.

Einer meiner Söhne isst seit einiger Zeit nur noch selten Marmelade und fast keine Süßigkeiten mehr. Noch dazu verzichtet er mit einer Entschiedenheit auf Zucker, die mich überrascht. Ich begrüße diese plötzliche Entwicklung, scheine aber nicht deren Auslöser zu sein.

Einerseits erlebe ich die Zurückhaltung meines Sohnes als ein wenig übertrieben – und nehme an, dass dieser Zustand nicht ewig anhalten wird. Andererseits fordert mich sein konsequentes Verhalten heraus: Ich nehme es zum Anlass, mich – in dem Fall – ähnlich bewusster zu ernähren. Sein Beispiel erscheint mir (zumindest teilweise) nachahmenswert.

Es ist immer noch ein Miteinander, nur irgendwie anders.

Frei, anders zu sein

Ich habe Kinder, die noch zu Hause wohnen. Ich weiß, dass sie größer werden und selbständiger und ich sie irgendwann ziehen lassen muss. Natürlich wünsche ich mir, dass sie zu lebenstüchtigen Menschen werden. Was auch immer im Leben vor ihnen liegt – wenn sie mich lassen, werde ich Anteil daran nehmen. Was auch immer sie machen werden – ich werde sie lieben, weil ich ihre Mutter bin.

Gern möchte ich meine Töchter und Söhne entlassen in ein selbstbestimmtes Leben. Irgendwann werden sie selbst am besten wissen, wie sie leben möchten, welche Prioritäten und Ansichten sie haben, für welche Überzeugungen sie kämpfen wollen. Sie sollen ihr Leben frei gestalten dürfen. Ich will ihnen nichts vorschreiben.

Ich wollte mir irgendwann auch nichts mehr vorschreiben lassen von meinen Eltern, wollte meine eigenen Entscheidungen treffen, meine eigenen Freunde haben und auf meine Weise Beziehungen pflegen. In manchem habe ich mich bewusst oder unbewusst nach dem gerichtet, was ich von zu Hause kannte; in manchem habe ich mich bewusst oder unbewusst von dem Vorgelebten distanziert.

Weil es mir schwerfällt, mich von Erwartungen anderer zu emanzipieren, ist es mir besonders wichtig, meinen Kinder gegenüber keine konkreten Erwartungen zu formulieren. Was nicht heißt, dass ich nicht doch ziemlich klare Vorstellungen habe, was gut für sie wäre und richtig und schön. Ich formuliere (vor allem auch nonverbal) Maßstäbe: „Jesus liebt dich, Sport ist toll, Bücher sind horizonterweiternd, Musik kann Emotionen freisetzen, Beziehungen zu Menschen sind überhaupt das allerwichtigste und werden am besten so und so gepflegt. Und so weiter und so fort.“ Insgeheim knüpfe ich daran die Erwartung, dass sie diese Dinge ähnlich sehen und handhaben. Die entscheidende Frage ist wohl die: Was passiert mit unserer Beziehung, wenn meine (unausgesprochenen, aber doch konkreten) Erwartungen nicht erfüllt werden? Sind meine Kinder wirklich frei? Dürfen sie anders sein?

Ein Ausflug

Ich fahre übers Wochenende aus der Kleinstadt nach Berlin. Ich tauche ein in ein anderes Lebenstempo, in ein anderes Kulturangebot, andere Gestaltungsmöglichkeiten für Freizeit, einen anderen Lebensrhythmus. Reize kommen ungefragt und in Fülle, Tag und Nacht verlieren ihre Grenzen. Es ist schön, aber auch anstrengend. Ich halte es nicht nur aus, ich bin voll dabei und begeistert – am Ende des Wochenendes aber auch müde und in gewisser Weise froh, wieder einzutauchen in das, was ich kenne. Was meinen Alltag ausmacht. Ich habe den Eindruck, für das Leben in der Großstadt verdorben zu sein: Es überfordert mich, ich kann es nur dosiert genießen.