Ich bin mit der Bahn unterwegs. Weil ich Geld sparen möchte, wähle ich Zugbindung. Verspätung lässt mich meinen ersten Anschlusszug verpassen. Ich muss improvisieren und von der ICE-Verbindung auf eine Regionalbahn umsteigen. Auch der nächste Anschlusszug ist dadurch unerreichbar. Für die letzten Kilometer meiner Reise entscheide ich mich für eine Vorortbahn, die mich meinem Ursprungsziel sehr nahebringt, aber gar nicht dort hält – es ist für meine Freundin egal, an welchem Dorfbahnhof sie mich abholt.
Während ich im letzten Zug sitze, frage ich mich, ob mein Ticket hier überhaupt gilt. Meine Befürchtungen, gegen die Regeln zu verstoßen, lassen sich nur schwer unterdrücken. Zu allem Überfluss befindet sich direkt gegenüber meines Sitzes ein Schild, auf dem steht: „Hier drücken wir kein Auge zu. Fahren ohne gültige Fahrkarte kostet Sie mindestens 60 Euro.“ Mit dem Spruch vor Augen warte ich unentspannt die 15 Minuten ab, die die Fahrt dauert – und hoffe, dass kein Schaffner kommt. Erleichterung durchströmt mich, als die Durchsage für meinen Halt ertönt. Ich gehe zur Tür. Dort steht: „Wir hoffen, Sie hatten eine nette Fahrt mit uns.“ Etwas gequält muss ich lächeln.
Woher in mir rührt dieses tiefsitzende Bedürfnis, mich korrekt zu verhalten? Bin ich in solchen Fragen sehr deutsch – oder sehr ostdeutsch? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass ich mit einem latenten Schuldgefühl im Zug saß: „Es muss mir die 60 Euro wert sein, zur Not bezahle ich sie.“ Ich hätte nicht diskutiert, ich hätte alles zugegeben – obwohl ich ebenso tiefsitzend wusste, dass mein Handeln kein klassisches Schwarzfahren war. Trotzdem: Tief in mir drin spüre ich in solchen Fällen eine starke Grenze zwischen „richtig“ und „falsch“. Seltener kommt – für mich selbst – ein großzügiges „auch in Ordnung“ zum Einsatz. Das verbrauche ich stattdessen freigebig für andere.