Tolerant sollen wir sein. Gleichzeitig aber auch Profil zeigen. Das wird nicht nur von Politikern erwartet, sondern von jedem. Dabei ist es total schwer, eine gute Mischung zu finden. Eine, die Menschen in ihrer Unterschiedlichkeit gerecht wird und mir selbst trotzdem eine eigene (klare) Meinung erlaubt. Leichter ist es, Schlagseite zu haben und auf der einen oder anderen Seite vom Pferd zu fallen: Der Alte Fritz schlug vor, jeder solle „nach seiner Fasson selig“ werden. Das funktioniert im echten Leben nur solange, wie meine Glückseligkeit die meines Nachbarn nicht ausschließt. Wenn der eine am Samstagnachmittag Steine für seine Hofeinfahrt flext, kann der andere eben nicht auf der Terrasse die Ruhe genießen. Und wenn man darüber nicht reden kann, ärgert sich einer und ist nicht selig.
Eine klare Position dagegen gilt schnell als arrogant. Besonders schwierige Pflaster sind Ausländer, die Lage in Israel und Palästina sowie gern auch Glaubensfragen. Leicht wird eine feste Überzeugung gleichgesetzt mit Intoleranz. Mich in komplexen Fragen zu positionieren, ist mutig, aber unpopulär und macht mich sehr angreifbar. Dabei ist die Schwierigkeit nicht die feste Überzeugung an sich, sondern inwiefern sie andere Sichtweisen zulässt. Halte ich die Spannung aus, auf keinen gemeinsamen Nenner zu kommen mit Menschen, die mir wichtig sind? Es kommt einem Drahtseilakt gleich. Sich oben zu halten, ist anstrengend, aber für die Beziehung gut. Leichter ist es abzustürzen – entweder die Differenzen unter den Teppich zu kehren oder im Streit zu enden. Das ist schlagseitig und tut der Beziehung nicht gut.