Nicht dazu kommen … 

Eine Bekannte ist seit einem Jahr in Rente. Theoretisch hat sie mehr Zeit für die Dinge, zu denen sie bisher nicht gekommen ist: regelmäßig Sport, Fotos sortieren und zu Fotobüchern verarbeiten. Praktisch kommt sie immer noch nicht zu genau diesen Tätigkeiten. Sie sagt, es gäbe immer etwas anderes zu tun.

Zwar rede ich wie die Blinde von der Farbe – ich bin nicht berufstätig, sondern zu Hause beschäftigt. Entsprechend habe ich wahrscheinlich mehr Zeit, über die ich selbstbestimmt verfügen kann. Dennoch schätze ich, dass es mir ähnlich geht wie berufstätigen Menschen: Was uns wichtig ist, bauen wir irgendwie ein in unseren Alltag – wie umfangreich oder geringfügig auch immer. Ich halte die Idee für illusorisch, mit der Rente würden wir automatisch die frei verfügbare Zeit anders nutzen als bisher. Natürlich kann man sich das vornehmen – und muss dann aber auch entschlossen daran arbeiten, beispielsweise ein neues Hobby zu etablieren. Sonst kommt man (Rente hin oder her) weiter nicht zu dem, was vorher auch schon liegen geblieben ist.

Symbole – nicht für mich!

Eine Freundin fragt mich, ob ich mit Symbolen etwas anfangen kann: Man zerschneidet beispielsweise ein echtes Band, um (symbolisch) ungesunde Bindungen zu Menschen zu kappen, oder legt Verhaltensmuster (symbolisch) in eine echte Schale, um diese in der Tat abzustreifen … Ich glaube, dass solche Handlungen für Menschen eine gewisse Kraft entfalten – und vielleicht sogar nötig sind. Mich selbst spricht diese Vorgehensweise nicht an.

Ich muss mir klar werden über ein Verhalten und dessen Ursachen herausfinden. Das ist schwierig, weil oft unbewusst, und dauert seine Zeit: Es ist eine komplexe Sache, zu wissen, warum ich so reagiere, wie ich reagiere. Bin ich mir selbst auf die Schliche – und hinter meine unbewussten Beweggründe – gekommen, kann ich mich entscheiden, mein Verhalten zu ändern. Meist hinke ich meinem Verstand emotional hinterher – und reagiere trotzdem zunächst weiter so, wie ich es immer getan habe: aus dem Bauch heraus. Es dauert eine Weile, manchmal Jahre, bis ich manchen Automatismus in Verstand und Gefühl abstellen kann. Auch eine noch so symbolträchtige Handlung kann diesen Prozess nicht beschleunigen.

Nicht wirklich schlecht … 

Mein Sohn bringt eine schlechte und eine gute Nachricht aus der Schule mit nach Hause; wie immer will ich die schlechte zuerst hören: Vor zwei Wochen habe er eine Arbeit geschrieben, davon aber nichts erzählt. Er klingt nicht besonders kleinlaut – warum auch! Wie die gute Nachricht lautet, will ich wissen. Er grinst. Heute habe er sie zurückbekommen; es sei eine drei geworden. Ich freue mich mit ihm und kann mich schon in diesem Moment nicht mehr erinnern, welches die schlechte Nachricht war … 

Tag der Arbeit

1. Mai, Feiertag: Tag der Arbeit. Was liegt näher, als das wunderbare Wetter für das Trocknen der Bettwäsche zu nutzen – und die aufkommenden Frühlingsgefühle dafür, das Bücherregal auszuwischen? Kurzerhand wandern außerdem nacheinander die Gardinen in die Waschmaschine; nur zum Einölen des Parkettfußbodens kann ich mich nicht durchringen.

2. Mai, kein Feiertag, aber auch ein Tag mit Arbeit. Es ist noch Bettwäsche übrig und anderer Kleinkram (unter anderem der Fußboden). Ich mache also weiter und denke im Nachhinein: Man sollte die Feste ruhig feiern, wie sie fallen – die Arbeit wartet.

Immer mit dem Rad … 

Mein Jüngster ist mit einem Klassenkameraden verabredet – um ein Referat vorzubereiten. Logischerweise ist er nur eingeschränkt motiviert, sich auf den Weg zu machen. Der Junge wohnt etwa elf Kilometer von uns entfernt; mein Sohn geht davon aus, dass ich ihn hinbringe. Ich schlage das Rad vor – und ernte ungläubige Blicke. Seinen Ärger äußert er sowohl lautstark: „Immer mit dem Rad, schön an der frischen Luft …“, aber vor allem mit nachdrücklichen Tritten in die Pedale. Gut dass er in meiner Nähe bleiben muss, weil er nicht genau weiß, wo es langgeht: Mit dem entschlossenen Fahrtempo eines ungehaltenen Teenagers könnte ich sonst nicht mithalten.

Ich persönlich genieße die Tour: Wir wohnen in einer sehr hügelarmen Gegend; die Strecke führt uns zum Teil abseits der Straßen quer durch die Feldmark. Außerdem haben wir den Wind im Rücken – und ich versuche, nicht an meinen Rückweg zu denken.

Nach einer halben Stunde sind wir da. Jetzt kennt er den Weg, und wir beide wissen, dass die Strecke keine Überforderung für einen 14-Jährigen ist. Um es mir nicht vollends mit ihm zu verscherzen, werde ich ihn abends mit dem Auto abholen. Dieses Mal jedenfalls.

Ab und zu

„Ich kam, ich sah, ich siegte“, soll Cäsar gesagt haben. Er kommentierte damit auf eindrückliche Weise den kurzen und vernichtenden Sieg über eine befeindete Armee. Der Satz ist so einfach wie außergewöhnlich treffend, dass er seither viel zitiert wurde und sich zu einem geflügelten Wort entwickelt hat – allerdings ohne Schlacht: `Veni, vidi, vici´ funktioniert heutzutage eher, wenn zum Beispiel charismatische Menschen einer Abendgesellschaft ihren individuellen Stempel aufdrücken oder ein Sportler bei seinem Ironman-Debüt die Goldmedaille ergattert. `Kam, sah und siegte´ klingt auch deshalb noch immer so gut, weil es eben nur ganz außergewöhnliche Situationen beschreibt: Es passt nur ab und zu.

Mir sagt mein Mann nach, ich käme, sähe und annektierte – und zwar seine Aufmerksamkeit: JEDESMAL wenn ich vom Dachboden herunter ins Wohnzimmer schlendere, sei ich ziemlich deutlich ANWESEND. Es scheine mir in diesem Moment egal oder nicht bewusst zu sein, dass er bis dahin ohne mich auch gut beschäftigt war – mit der Zeitung, einem Buch oder seinen Gedanken. Ich würde, ohne Rücksicht auf Verluste, präsent sein und ein Gespräch beginnen. Wahrscheinlich hat mein Mann Recht; der Satz passt – aber nur ab und zu, nicht jedesmal.

Maria und Marta

„Als sie aber weiterzogen, kam er in ein Dorf. Da war eine Frau mit Namen Marta, die nahm ihn auf. Und sie hatte eine Schwester, die hieß Maria; die setzte sich dem Herrn zu Füßen und hörte seiner Rede zu.
Marta aber machte sich viel zu schaffen, ihm zu dienen. Und sie trat hinzu und sprach: `Herr, fragst du nicht danach, dass mich meine Schwester lässt allein dienen? Sage ihr doch, dass sie mir helfen soll!´ Der Herr aber antwortete und sprach zu ihr: `Marta, Marta, du hast viel Sorge und Mühe. Eins aber ist not. Maria hat das gute Teil erwählt; das soll nicht von ihr genommen werden.´“
Lukas 10, 38ff

Weil dies eine bekannte Geschichte ist, weiß ich, worum es geht: Marta sorgt sich um die Gäste, Maria hört Jesus zu. Marta ärgert sich darüber; Jesus meint, Maria habe das gute Teil erwählt, das ihr keiner wegnehmen könne. Wir sind alle ein bisschen zu viel Marta und sollten mehr wie Maria sein. Und insgeheim denke ich, dass die Arbeit ja erledigt werden musste und Jesus gut Reden hat. Wie soll das denn funktionieren mit dem Nichtstun, wenn da doch so viel zu tun ist? Vielleicht nacheinander: erst die Arbeit, dann das Vergnügen?

Natürlich ist das total verkürzt. Beim weiteren (sehr ausführlichen) Nachdenken darüber kommen mir zwei Gedanken in den Sinn:

Zum Einen: Aus Jesu Perspektive ist es weniger wichtig, was wir für ihn tun, und stattdessen entscheidend, was wir von ihm empfangen. Das ist leichter gesagt als getan – im wahrsten Wortsinn. Denn wir definieren uns nun mal darüber, was wir leisten, und hätten auch gern, dass andere uns als geschäftig und umtriebig wahrnehmen.

Andererseits geht es nicht ums bloße Nichtstun. Wir können mit einem Marta-Herzen zu Jesu Füßen sitzen – und die Zeit mit ihm noch immer nach unserer Agenda füllen. Besser wäre es, mit einem Maria-Herzen unseren Aufgaben nachzugehen: und alles Wollen und Gelingen (und Frieden für unsere Seele) von Jesus zu erwarten. Dafür täte es uns ganz gut, ab und an buchstäblich alles sein zu lassen – auch das `Schon-Wissen´ – und Jesus einzuladen, zu uns zu sprechen.

Inhalt und Verpackung

Auf den Inhalt kommt es an, heißt es, aber in Meinungsverschiedenheiten ist die Verpackung mindestens genauso wichtig. Ich kann noch so gute Argumente haben und genau wissen, wie es besser geht: Wenn ich möchte, dass jemand mir wirklich zuhört, muss ich mich um ein gutes Drumherum bemühen. Freundlich, wertschätzend und respektvoll sollte ich meinem Gesprächs-Partner begegnen, bestenfalls mit einem demütigen Herzen. Sonst werde ich mit meinen tollen Argumenten keinen konstruktiven Dialog anstoßen, sondern einen Schlagabtausch anzetteln.

„Wer unvorsichtig herausfährt mit Worten, sticht wie ein Schwert; aber die Zunge der Weisen bringt Heilung.“
Sprüche 12, 18

Stört nicht?

„Denn `wer das Leben lieben und gute Tage sehen will, der hüte sein Zunge, dass sie nichts Böses rede, und seine Lippen, dass sie nicht betrügen …“
1. Petrus 3, 10

Eine kleine Schummelei – stört nicht; ein bisschen lügen, um gut dazustehen – stört nicht; kurz über jemanden lästern, der nicht da ist – stört nicht; einmal mit einem verheirateten Mann flirten – stört nicht … Wirklich? 

Ich weiß nicht. Heute beim Unkrautjäten zupfte ich lauter Zeug aus den Beeten, das – in kleiner Menge – grün aussieht und neben all den gewollten Pflanzen nicht stört. Manches davon vermehrt sich über Samen, manches unterirdisch – aber alles stetig und doch recht penetrant. Ließe ich es wachsen, nähme es Überhand; also lasse ich es nicht. Etwas bleibt immer drin, was sich wieder vermehren und ausbreiten kann: Ich erwische NIE ALLES und muss dranbleiben: Jahr für Jahr, oft mehrmals. Nur so bleibt mein Garten so, wie ich ihn haben will und schön finde.

Genauso ist es mit ethisch zweifelhaften Gewohnheiten, die in kleiner Dosierung nicht zu stören scheinen: Ließe ich sie zu und gewöhnte mich sogar an sie, nähmen sie überhand – und mein Leben sähe nicht so aus, wie Gott es haben will und schön findet.

Mitbringsel

Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen – manchmal schon vorher. Ich möchte in ein paar Monaten nach Australien fliegen. Vor 31 Jahren war ich schon einmal dort und lernte (ein wenig vom) Land und (ein paar seiner) Leute kennen. Diesen Herbst passt es gut und ich mache mich ein zweites Mal auf den Weg. Weil ich mich so sehr darauf freue, habe ich meine Pläne herumerzählt. Bisher freuen sich alle mit mir; heute erhielt ich die erste Bestellung für ein Mitbringsel: Meine Nachbarn würden sich über ein Känguru freuen …

Das mit dem Beuteltier wird schwer, aber dieser (nicht ganz ernst gemeinte Wunsch) löst eine Erinnerung aus: Damals hatte ich auf dem Hinweg tatsächlich ein Mitbringsel im Gepäck: Die Frau, die mir Ruck- und Schlafsack für meine Tour verkaufte, bat mich, etwas für ihren Freund in Sydney mitzunehmen. (Ich war vertrauensvoll und rechnete nicht damit, als Drogenkurier missbraucht zu werden.) Es war ein Beutel Tiere: Gummibären von Haribo. Die Übergabe an meinem ersten Abend in Sydney mündete in einer Kneipentour mit einem sehr freundlichen australischen Haribo-Fan.

Ein Känguru darf sicher nicht mit ins Flugzeug; ich werde sehen, welches Mitbringsel sich stattdessen anbietet – mindestens: `was zu erzählen´.