Es lebe der Brief!

Briefe sind eine aussterbende Spezies. Nur selten bekomme ich einen, obwohl ich regelmäßig welche verschicke. Heute jedoch habe ich einen Brief bekommen. Ich bin einerseits versucht, ihn sofort zu öffnen – alles stehen und liegen zu lassen für diesen Brief. Denn: Es hat sich jemand die Mühe gemacht, an mich zu denken und den Stift zu nehmen und Papier und einzutüten, abzuschicken. Das ganze Paket. Ich bin jemandem wichtig genug für einen Brief!

Andererseits lasse ich den Brief gern noch ein bisschen liegen, ich hebe ihn auf. Für den Moment heute, an dem ich ihn nicht so dazwischen schieben muss, sondern in Ruhe lesen und genießen kann – vielleicht sogar zweimal, wenn er kurz ist oder inhaltsschwer oder beides.

Briefe können unterhaltsam sein, informativ, ein gutes Mittel gegen Langeweile, eine Form der Wertschätzung und oft eine Möglichkeit, anderen wirklich Anteil zu geben an Gedanken von „unter der Oberfläche“.

In jedem Fall ist ein Brief eine Art Unterhaltung, die heutzutage sehr selten geworden ist – und das nicht wegen der andauernd erhöhten Portogebühr. Hin und her dauert bei Briefen deutlich länger als bei Mails, SMS oder gar WhatsApp oder dem direkten Miteinander. Ein Brief-Gespräch läuft anders. Ich kann an einem Thema zwar nicht so zeitnah dranbleiben, aber ich kann mich diesem besser widmen, tiefer gehen, es manchmal durch die verflossene Zeit aus mehreren Blickwinkeln betrachten. Manchmal kann ich in Briefen mutiger Dinge ansprechen als von Mensch zu Mensch – und ebenso mutig und ehrlich (und in Ruhe!!!) auf etwas reagieren. Auch kenne ich eine, die formuliert einfach zu schön für „nur einmal ausgesprochen“. Von ihr bekomme ich besonders gern Briefe. Oder Postkarten. (Obwohl Postkarten eine ganz eigene Spezies sind.)

Irgendwann mache ich den Brief auf und freue mich. Noch ein bisschen später setze ich mich hin und schreibe eine Antwort. Es lebe der Brief!

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