Geschenkt

„Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul“, heißt es. Das Motto hat Grenzen, aber bei mir sind diese ziemlich weit gezogen. Als eine meiner Töchter sich eines ihrer alten Fotoalben ansah, staunte und lachte sie über ihre Outfits: „Kunterbunt, Mama, und irgendwie alles durcheinander gewürfelt – wie hast du uns denn angezogen?“

Nun ja, wir bekamen halt viel geschenkt und benutzten die Klamotten auch. Die Kinder kannten es nicht anders und waren zufrieden – und ich auch. Manches hätte ich so nicht selbst gekauft, mancher Chic wäre uns dadurch entgangen, manches Nur-Praktische ebenso.

Mir selbst ging es als Kind ebenso – und weil die Auswahl an sich und das Angebot im Osten Deutschlands vor 40 Jahren überschaubarer war als heute, trug ich fast alles „Abgelegte“ mit Begeisterung.

Mittlerweile sind wir wählerischer geworden. Meine Mädchen sind älter, haben ihren eigenen Stil und einen klaren Geschmack. Die Jungen sind ohnehin dem Erb-Alter entwachsen. Auch die Zeiten haben sich geändert: Das Bewusstsein für „in“ oder „angesagt“ entwickeln Kinder heute schon viel früher – oder zumindest früher als ich damals.

Zwar bin auch ich längst dem Erb-Alter entwachsen, aber ich gehe auch sehr ungern einkaufen. Von daher freue ich mich, wenn doch etwas bei mir ankommt, was meiner Tochter nicht passt oder gefällt und für eine Endvierzigerin geeignet ist. Vor ein paar Jahren waren das ein Paar Wanderschuhe. Sie sind bequem, passen, sind robust und hochwertig. Allerdings gab es sie geschenkt überhaupt nicht in meiner Farbe. Egal, ich zieh sie trotzdem an. Ich seh´ sie ja nicht, mein Blick geht eher geradeaus. Und dem geschenkten Gaul schaue ich in bestimmten Fällen eben immer noch nicht ins Maul.

Wenn die Worte fehlen

Ich war vor Jahren bei einer Beerdigung. Trauerfeier, Bestattung, hinterher noch in ein Lokal zum Kaffeetrinken. Die Gäste kannten sich größtenteils untereinander und hatten sich lange nicht gesehen. In den Gesprächen ging es um den Austausch von Informationen über einander: „Wie geht es dir, was machst du so, wie geht es den Kindern?“ Der Anlass unseres Zusammenseins rückte in den Hintergrund und so auch die Person, um die wir trauerten.

Ich war damals eine der Jüngeren, eher eine Randfigur, aber etwas fiel mir auf: Durch den Tod war eine Lücke entstanden. Diese Lücke war voll mit Worten über uns, nicht über den Toten. Das fand ich schade. Nach ein wenig Überwindung stand ich auf und erzählte von ihm. Wie ich ihn erlebt und was ich an ihm geschätzt hatte und welche Besonderheit mich immer an ihn erinnern würde. Meine „Rede“ unterbrach den Gesprächsfluss – kurz. Danach ging das Miteinander weiter; aber einige sagten: „Danke für deine Worte; die Erinnerung tat gut.“

Wenn anderen die Worte fehlen, möchte ich mich trauen: Der Tod reißt eine Lücke; er darf nicht auch noch die Erinnerung nehmen.

Mental

Einige Jahre hintereinander nahm ich an einem kleinen Triathlon teil – nicht besonders ehrgeizig und nur mäßig erfolgreich. „Dabei sein ist alles, der Weg ist das Ziel“, war meine Devise. Es gab natürlich wie überall ein paar sehr sportliche Experten, für die diese private Veranstaltung eine willkommene Vorbereitung auf weitere Sport-Ereignisse der kommenden Saison darstellte. Deren Trainingspläne unterschieden sich mit Sicherheit von meinem, der beinhaltete: Ein Jahr Vorfreude plus normale wöchentliche Laufrunden, normale Fortbewegung per Fahrrad und normalerweise kein Schwimmprogramm.

Entsprechend „vorbereitet“ habe ich mich regelmäßig der Herausforderung Triathlon gestellt, das Schwimmen überlebt, beim Radfahren keine zu schlechte Figur auf meinem Tourenrad gemacht und mit dem Laufen einen versöhnlichen Abschluss hinbekommen. Am Ende stand: Gesamt-Distanz geschafft, Disziplin-Wechsel so gut wie möglich absolviert und zugleich stolz und insgeheim enttäuscht im Ziel. Stolz auf die Überwindung meines inneren Schweinehundes und enttäuscht, dass es nie zum Siegertreppchen reichte. Ein Freund – ähnlich unambitioniert und regelmäßig dabei wie ich – errang folgerichtig ebenfalls nie den ersten Platz. Vor Jahren schrieb er mir in einem Brief: „Stecke voll in Triathlon-Vorbereitung (rein mental).“ Beide wussten (und wissen) wir, dass das nur zum Dabeisein reicht, zu mehr nicht.

Eine Bemerkung meiner Pilates-Trainerin letzte Woche ging in die gleiche Richtung: „Dagmar, du musst die Bewegung auch machen, nicht nur denken….“ Probieren kann man´s ja mal.

Knausrig oder maßvoll

Bei uns gibt es immer wieder Verhandlungen ums Geld. Nicht alle sind gleich bescheiden – und es ist nicht so leicht, zwischen maßvoll und knausrig zu unterscheiden. Wie viel gebe ich aus für was, welche Einteilung ist gut? Jeder handhabt das anders; aber der Überfluss, in dem wir heutzutage leben, macht ein Maßhalten schwer.

Wenn immer genug da ist, bereitet das mein Kind nicht darauf vor, sich genügen zu lassen, auf etwas sparen oder sich zwischen zwei Wünschen entscheiden zu müssen. Vielleicht geht das Leben so weiter, vielleicht wird mein Kind von Anfang an einen sehr lukrativen Job haben. Vielleicht auch nicht. In beiden Fällen ist es für mich ein Wert, sich freiwillig zu beschränken und NICHT alles GLEICH zu erwerben, wonach mir der Sinn steht. Wie aber vermittle ich diesen Wert, ohne als eine knausrige Mutter wahrgenommen zu werden, die ihrem Kind eine Freude nicht gönnt?

Vorleben allein scheint nicht auszureichen: Ich bin in diesen Fragen nicht Orientierung für mein Kind, die Freunde sind es. Und diese scheinen ALLE aus Elternhäusern zu kommen, in denen ALLES möglich ist und ALLES möglich gemacht wird. Wenn ich meinem Kind glauben darf. Dagegen kann ich nur als knausrig wahrgenommen werden – ob ich es will oder nicht.

Nicht meine Welt

Ich kann es nicht mehr hören – der Rekordmeister FC Bayern München. Dieser Tage schießt und gewinnt er sich schon wieder hin zum nächsten Meistertitel in der Bundesliga, möglichst auch noch zum Gewinn des sogenannten Triple aus DFB-Pokal, Champions League und Deutscher Meisterschaft. Es ist langweilig und nervig und für mehr als die halbe Fußball-Nation nicht erfreulich – und da kann man jetzt den Bremern gar keinen Vorwurf machen. Die haben schließlich alles getan, um Schlimmeres zu vermeiden. Aber die penetrante Dominanz der Bayern sorgt mal wieder dafür, dass wir mit langweiliger Konstanz immer denselben Verein als besten deutschen feiern – oder ertragen – müssen.

Im Grunde interessiere ich mich wenig für Fußball, es ist nicht meine Welt. Deutschland-Spiele lösen einen gewissen Nationalpatriotismus bei mir aus, aber in den einzelnen Ligen kenne mich nicht wirklich aus. Seit ich fußballspielende Söhne habe, die beide Fans des FCB sind, geht die Bundesliga nicht mehr ganz so spurlos an mir vorüber wie früher. Vor einigen Jahren tauchte ich daher ein in die Fußball-Realität und schlug ich mich auf die Seite von – natürlich – Borussia Dortmund. Dieses Jahr sah es anfangs ganz gut aus, dann aber passierten solche unangenehm eindrucksvollen Kantersiege wie 6:0 gegen Mainz oder 5:0 gegen Dortmund selbst. Meine Güte – geht’s noch? Macht das überhaupt noch Spaß, bei Bayern immer zu gewinnen? Weniger geht nicht, zweiter Platz ist nicht gut. Nicht ganz oben zu stehen – ein No-go! Ich weiß es nicht.

Man könnte sagen, dass die Bayern-Spieler selbst nichts dafür können. Sie sind einfach zu gut, überragend eben, sie haben Teamgeist, spielerische Klasse, den absoluten Siegeswillen und natürlich auch eine sehr motivierende Konkurrenz innerhalb des Vereins. Dieser hat genug Geld und eine unvergleichlich kraftvolle Prominenz in seiner Führungsetage. Wahrscheinlich stimmt eben alles, und deshalb gewinnen sie alles und immer wieder. Und natürlich wollen sie gewinnen – wer will das nicht?

Was ich aber wirklich überhaupt nicht verstehe, wirklich, ist: Warum wollen alle bei Bayern spielen??? Es ist doch nicht nur das ständige Siegen; es ist auch dieser immense Druck, der dort herrscht, und die Gefahr, schneller wieder auf der Bank zu landen, als es einem lieb ist. Geht es noch um das Spielen oder nur noch um den Sieg? Aber wahrscheinlich bin ich nicht genug Fußball-Fan, nicht genug auf Wettkampf ausgerichtet, nicht genug Fan ohnehin. Letztlich ist es mir egal. Spätestens wenn meine fußballspielenden Söhne nicht mehr zu Hause wohnen werden, wird mich die Lage in der Bundesliga-Tabelle kaum noch jucken – es ist eben nicht meine Welt.

Wind

Vor einigen Tagen war es sehr windig. Es wehte stark und unablässig, meist aus Osten. Die Sonne schien ebenso unablässig, ihre Kraft wurde aber durch den Wind abgemildert. Es war nicht wirklich kalt, aber es fühlte sich kalt an. Jackenwetter – zumindest für Menschen wie ich, die schnell frieren. Abgesehen davon ist mir der Wind auf den Keks gegangen. Die Wehgeräusche im Haus, sobald ein Fenster geöffnet war, die aufschlagende Terrassentür – nervig. Das Radeln im Wind – mit ihm und gegen ihn – gleichermaßen anstrengend. Nicht schön. Und ich erinnerte mich an eine Formulierung aus „Mittagsstunde“ von Dörte Hansen:

„Man machte es am besten wie das dünne Pferd, man duckte sich und blieb ganz still, den Rücken in den Wind, den Kopf gesenkt, norddeutsche Schonhaltung. Dem großen Mahlwerk möglichst wenig Angriffsfläche bieten, man gewöhnte sich das an, wenn man hier aufgewachsen war.

Man hatte hier als Mensch nicht viel zu melden. Man konnte gern rechts ranfahren, aussteigen, gegen den Wind anbrüllen und Flüche in den Regen schreien, es brachte nichts. Es ging hier gar nicht um das bisschen Mensch. Das hier war Altmoränenland, es hatte ewig unter Gletschereis gelegen, es war geschliffen und verschrammt, das bisschen Wind und Regen machte ihm nichts aus.“

Weil ich aber nicht in Nordfriesland lebe, sondern am Rand der Lüneburger Heide, bin ich noch genervt vom Wind (auch ohne Regen). Anstatt ihn hinzunehmen wie eine Naturgewalt, gegen die man ohnehin nichts ausrichten kann. Und die – anders als in Nordfriesland – nur ab und zu und nicht immerzu nervenaufreibend über die niedersächsische Tiefebene pfeift. Ich weiß, Wetter geht noch schöner – undankbares Menschlein…

Gewohnheitstiere

Die Familie war in verschiedene Gruppen getrennt. Jedes Grüppchen hatte auf seine Weise eine gute Zeit und sich an den neuen Zustand gewöhnt. Nun sind wieder alle zusammen – und rasseln aneinander. Ständig. Es knirscht im Getriebe. Ein wenig hat es den Anschein, als würde der Platz nicht mehr ausreichen. Wo es zu fünft ganz gut auszuhalten war, ist für sieben eindeutig zu wenig Raum. Also wird provoziert, sich provoziert gefühlt und gestritten. Schade eigentlich. Eigentlich lieben wir uns sehr. Aber nach solchen „anderen Zeiten“ kommen wir uns eben auch sehr ins Gehege und an unsere Grenzen des freundlichen Miteinanders.

In zwei, drei Tagen wird es wieder besser gehen, da bin ich sicher. Es braucht eine gewisse Zeit, dann werden wir uns wieder eingeschuckelt und aneinander gewöhnt haben. Aber noch sind wir in der Phase, in der jeder denkt: „Es war so schön ohne die anderen.“

PS: Vermitteln hilft nur bedingt. Wir als Eltern werben um Verständnis, stoßen aber nicht auf offene Ohren. Nur die Zeit hilft. Es geht nicht über den Kopf, es geht über den Bauch – und der braucht ein paar Tage, sich wieder an den neuen alten Status quo zu gewöhnen.

Dringlich oder wichtig?

„Ich kann es mir nicht leisten, schlechte Qualität zu kaufen“, sagt jemand, den ich schätze. „Ich kann es mir leisten, manche Dinge gar nicht zu kaufen“, sage ich. Wie viel wir besitzen und wie wenig davon wir wirklich nötig haben – dazwischen lebt und herrscht der Gott des Konsums!

Werbung richtet sich an unser Empfinden für „wichtig“ und „dringlich“: „Dies und das ist wichtig für dich! Du solltest dem ersten Kaufimpuls nachgeben und heute noch zuschlagen, ein solches Angebot kommt so schnell nicht wieder.“ Dabei ist Eile kein guter Ratgeber. Je länger ich ohne etwas auskomme, umso weniger dringlich wird mir die Anschaffung selbst…

Was ich alles besitzen würde, wenn ich immer dem ersten Kauf-Impuls gefolgt wäre – eine Menge Zeug. Was ich mir alles leisten kann (aber nicht muss), weil ich dem ersten Kauf-Impuls nicht gefolgt bin – auch eine Menge Zeug. Beide Mengen haben glücklicherweise nichts zu tun mit der Befriedigung meiner wirklich wichtigen Wünsche…

Nicht perfekt

Letztens bekam ich eine Karte, auf der stand: „Ich bin nicht perfekt, und ich arbeite auch nicht daran.“ Beruhigend, dass es anderen auch so geht.

Muss-nicht-Ferien

Es sind Ferien, und die Teenager schalten von einem Tag auf den anderen um auf „Chill-Modus“. Sie können tatsächlich den ganzen Tag nichts tun, sich nicht langweilen und trotzdem gut schlafen. „Keine Lust zu gar nichts“, scheint ihr Motto zu sein. Ich dachte, ich kann das nicht. Aus dem Alter bin ich raus.

Diese Ferien zeigten: Ich kann das auch. Die erste Woche war ich krank, die zweite faul. Das Fehlen von zwei Kindern – weniger Essen, weniger Wäsche – löste eine Lawine von Bequemlichkeit aus. Weniger „muss ich“ führte zu mehr „muss nicht“: Gartentätigkeiten? Keine Lust. Flur renovieren? Keine Lust. Unternehmungen mit den verbliebenen drei Kindern organisieren? Keine Lust. Mein Tun fuhr sich von selbst runter auf das unbedingt Notwendige. Darüber hinaus lief nicht viel.

Nächste Woche sind die Ferien vorbei. Ich könnte mich davor fürchten, könnte zweifeln, ob ich jemals wieder dem normalen Alltag standhalten kann. Ich tue es nicht. Ich kenne das schon. Nächsten Mittwoch geht die Schule wieder los. Am Mittwoch wird das Weckerklingeln die Ferien auf brutale Art beenden. Am Donnerstag werde ich den Schulalltag mit all seiner Struktur wieder zu schätzen wissen – und mit Tatkraft an die Extras gehen, die ich in den Ferien liegengelassen habe. Die Lust dazu ziehe ich aus den „Muss-nicht-Ferien“.