Begleitet oder allein

Eine ältere Frau, die ich kenne, lebt allein und hat wenige Kontakte. Regelmäßig geht sie mit Hund und Rollator spazieren. Manchmal treffe ich sie, ab und zu gehen wir ein Stück gemeinsam. Letztens sah ich sie mit einer Frau, die sich als eine offiziell engagierte Begleiterin entpuppte. Ich sprach beide an und erkundigte mich bei meiner Bekannten, wie es ihr geht. Die Antwort war gewohnt langsam und kurz; sofort klinkte sich ihre Begleiterin engagiert ein. Sie redete schnell, fast ohne Punkt und Komma und übernahm dominant die Gesprächsführung. Leider war es mir dadurch fast unmöglich, ein paar Worte direkt mit meiner Bekannten zu wechseln.

Solch ein Begleitservice ist eine gute Sache: Menschen unterstützen ältere (und vielleicht einsame) Mitmenschen im Alltag und verbringen Zeit mit ihnen. Für diesen Dienst ist es gut, wenn man leicht ein Gespräch initiieren kann – und sich dabei auf denjenigen einlässt, dem man seine Zeit schenkt. `Reden ist Silber, Schweigen ist Gold´ enthält mindestens ein Körnchen Wahrheit. Ich wünsche meiner Bekannten jedenfalls, dass ihre Begleiterin sowohl redet als auch zuhört. Sonst würde ich mich schon während des begleiteten Spaziergangs darauf freuen, danach wieder allein zu sein – und meine Ruhe zu haben.

Fraktionszwang – nichts für mich?

Fraktionsdisziplin (oder: Fraktionszwang) nennt man es, wenn Mitglieder einer Partei einheitlich abstimmen. Das dient einer berechenbaren Beschlussfassung und soll stabilisierend wirken. Ich weiß nicht, ob es auch ohne ginge. In letzter Zeit habe ich mir die eine oder andere Bundestagsdebatte angesehen. Der jeweilige Redner wird mindestens von der eigenen Fraktion gefeiert – und beklatscht. Es scheint auch hierbei ein gewisser Fraktionszwang zu existieren. Das ist wahrscheinlich parteipolitisch klug und auf jeden Fall ermutigend für denjenigen, der vorn steht. Soweit kann ich das nachvollziehen.

Dabei ist es völlig egal, ob der Redner höfliche und respektvolle Worte wählt oder sich im Ton vergreift; geklatscht wird trotzdem. Soweit geht mein Verständnis nicht: Im persönlichen Miteinander und mehr noch auf Regierungsebene sollte es verbal weder polemisch noch verletzend zugehen. Wer andere beschimpft, disqualifiziert sich meiner Meinung für den konstruktiven Austausch – und ebenso für Zwischenapplaus. Ich würde mich bei manch verbalem Ausrutscher (auch eines Parteikollegen) eher fremd-schämen als Beifall zu zollen. Daran würde auch ein existierender Fraktionszwang nichts ändern. (Wahrscheinlich disqualifiziert mich das – unter anderem – für eine Karriere im Bundestag.)

Wer was wie was wo?

„… das hat er dann aber nicht gemacht!“, beendet mein Mann beim Reinkommen unser Gespräch. Unsere Tochter geht gerade die Treppe hoch und hakt sofort nach: „Wer hat was nicht gemacht?“ Wir müssen beide lächeln, denn das kommt regelmäßig vor: Eins der Kinder schnappt nur den Rest einer Unterhaltung auf und möchte wissen, worum es ging. Wir erklären kurz, über wen und was wir gesprochen haben – zu kurz aus Kinder-Sicht: „Äh, warum, wie jetzt?“ Letztlich endet es damit, dass wir nach und nach alles wiederholen. Meist ist es nicht geheim, worüber wir sprechen, für die Kinder jedoch belanglos. Aber das wissen sie ja vorher nicht! Unser ehrliches „Es ist nicht so wichtig!“ verstärkt deshalb nur die Neugier. Erst nachher, wenn `wer – was – wie – was – wo?´ befriedigend geklärt ist, verfliegt ihr Interesse sehr zügig. Aber dann haben wir schon deutlich länger über etwas gesprochen, was von Anfang an nicht besonders wichtig war.

Ein besonderer Gruß

Vor meiner Haustür steht ein Gruß aus Frühlingsblumen, Leckereien und einer Karte. Eine Freundin schreibt mir, wie sie mich und mein Tun aus der Ferne wahrnimmt – und lobt mich dafür. Was für mich selbstverständlich ist, wird dadurch besonders. „Du sollst wissen, dass du gesehen und wertgeschätzt bist von Gott und von Menschen“, schreibt sie. Für diese Frau ist es selbstverständlich, zu benennen, was andere gut machen. Diese Gabe ist besonders, sie streichelt die Seele – heute ist es meine.

Einkaufserlebnis in Variationen

Ich kaufe meine Kartoffeln oft bei den Bauern in der Nähe. Die Bäuerin hat dabei immer Zeit für einen kleinen Plausch und erweitert jedesmal meinen Horizont. Der Bauer selbst dagegen behält seine Gedanken (und sein Wissen) für sich; bei ihm gilt: kurz, knapp und wortlos. 

Kosten und Nutzen von Kritik

Wenn ich kritisiere, will ich den anderen (meist) nicht ärgern, sondern etwas verändern. Leider funktioniert das nicht immer – es sei denn, meine Kritik ist konstruktiv und der andere baut mit. Durch viele erfolglose Kritik-Versuche habe ich gelernt, dass zwei Dinge entscheidend sind: der richtige Zeitpunkt und ein freundlicher Ton. `Direkt und spontan´ ist zwar total ehrlich, bringt den anderen jedoch leicht dazu, sich verteidigen zu wollen. Kompromisse sind dann mindestens sehr schwierig, wenn nicht gar unmöglich. Für den Ton ist `Understand before you´re understood´ ein hilfreiches Motto: Erst wenn ich den anderen verstehe, wird er mich auch verstehen! Solches Reden kostet mich Zeit und den Willen, vom anderen her zu denken – ist aber konstruktiv: Ich baue an einer `Brücke´, auf der wir uns unabhängig vom Streitpunkt treffen können. Der Rest liegt beim anderen, der konstruktiv hören muss. Das kostet ihn Zeit und den Willen, sich auf mich einzulassen. Am Ende nutzt es uns beiden: Wir kommen uns näher, selbst wenn unsere Positionen weiterhin weit auseinanderliegen.

Unwort

Ab 20. März soll es weitreichende Lockerungen geben. Beibehalten werden wahrscheinlich `nur´ die Maskenpflicht (beispielsweise an Schulen), Abstandhalten, bestimmte Testauflagen und vielleicht noch einige andere Kleinigkeiten. Sollte es tatsächlich so passieren, würde ich `Lockerungen´ schon jetzt als Unwort des Jahres 2022 vorschlagen. Aber man soll ja den Tag nicht vor dem Abend `in die Tonne treten´, oder wie hieß das doch gleich?

On being polite, helpful or/and honest

“I felt I could help ease things for you a bit by bringing something (and it would also be the polite way of doing things …)”, a friend of mine writes in a text message. I smile. We invited her and her husband over to our place for an evening together – and for a shared meal of Raclette. Immediately after accepting the invitation she asked whether they could bring anything. I declined her offer – hence her surprisingly honest reply.

I know how it is: you are invited to someone else’s home, you have to get the kids ready for bed and the babysitter, you haven’t yet shaken off the stresses of the working week and you are looking forward to an evening out. Sometimes, having to bring something is the last thing on earth you want to do. Out of politeness you still offer your help, but actually you want to be just a guest with no responsibility for two hours – not even having to take back the leftovers of your little contribution to the evening.

On the other hand: as parents of younger kids you sometimes want to invite someone over for an evening. Perhaps you feel a bit daunted by the work it involves – but, out of politeness, you don´t feel free to ask for help. Because of this, I sometimes ask (especially the hosts who have younger kids): “Can I bring anything?” I don’t want to be polite, I want to help ease things a bit for the other one. Sometimes I get an honest answer.

Auf- und Abrüstung

Kürzlich sagte Dr. Andreas Gassen, Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, in einem Interview, in den letzten zwei Jahren hätten Politiker zum Teil `rhetorisch aufgerüstet´. Sie sollten jetzt so langsam wieder `semantisch abrüsten´. Wunderbare Formulierung – und ganz meine Meinung.

Sisyphos

Ich liebe die deutsche Sprache und habe ein Faible für schöne Formulierungen – vor allem in geschriebenen Texten. Außerdem ist mir die richtige Schreibweise wichtig; ich lese gern und oft Korrektur. In dem Weihnachtsbrief, den wir an über 80 Leute verschicken, ist mir leider dennoch ein Fehler unterlaufen: Ich habe Sysiphus geschrieben und meinte Sisyphos. Das u würde ja noch gehen – latinisiert heißt es gern auch Sisyphus-Aufgabe. Aber i und y sind in jedem Fall vertauscht. Ich bin sicher, die meisten Empfänger des Briefes werden es nicht merken; mir ist es dennoch unangenehm. Jetzt bin ich die, die nicht weiß, wie man Sisyphos richtig schreibt. Dabei stimmt das gar nicht (mehr)! Aber das ließe sich nur klären, würde ich den Fehler in allen Kopien korrigieren – fast eine Sisyphos-Aufgabe.