Unmissverständlich

Wie reagiere ich, wenn einer sich im Ton vergreift und mir Vorwürfe macht? Es ärgert mich (vielleicht zu Recht); meine spontane Reaktion wäre, mich zu verteidigen – unmissverständlich und wahrscheinlich verletzend. Schnell diskutieren wir dann nicht mehr, sondern streiten. Stattdessen kann ich bis zehn zählen, nachfragen und mich bemühen, selbst verständnisvoll zu sein – besser noch: einfühlsam und vorsichtig. Das ist schwierig, denn so fühle ich mich weiterhin missverstanden und ungerechtfertigt beschuldigt. Aber wir bleiben im Gespräch. Manchmal ist das wichtiger, als dass ich unmissverständlich MEINE Meinung äußere (und zum Gegenangriff übergehe). Schließlich hoffe ich darauf, dass Menschen mir gegenüber ebenso einfühlsam und vorsichtig sind – und ab und an darauf verzichten, unmissverständlich IHRE Meinung zu äußern.

Erster Eindruck

In einem Hobby bin ich noch ganz am Anfang. Gerade musste ich zu einer neuen Trainerin wechseln. Sie ist nett und freundlich und unterrichtet anders als ihre Vorgängerin. Das ist kein Problem: Ich bin offen und versuche, ohne Vorbehalte zu sein.

Die „Neue“ hat die Expertise, die mir fehlt – sie ist seit 30 Jahren „im Geschäft“. Während unserer ersten Unterrichtseinheit erzählt sie viel davon, was sie alles schon wo gemacht hat und von wem sie trainiert wurde. Es ist vergebene Liebesmüh, denn: Ich kann nichts anfangen mit den Namen ihrer Lehrer, den Facetten ihrer Ausbildung oder den Stationen ihres Lebens. All das beeindruckt mich wenig, es sind für mich Begriffe ohne Inhalt. Was ich „zwischen den Zeilen“ verstehe, ist ihr Bedürfnis danach, wahrgenommen zu werden. Dies ist ein legitimer Wunsch: Mir geht es genauso. Nur für den ersten Eindruck ist es vielleicht ein bisschen viel – da wäre weniger mehr.

Wok sei Dank!

Mein Mann: „Dagmar, das Essen schmeckt hervorragend!“

Ich: „Ja, danke …, aber das liegt daran, dass ich das Gemüse im Wok gemacht habe. Da bleibt alles schön al dente.“

1. Kind: „Stimmt, und der Tisch ist auch so hübsch gedeckt.“

Mein Mann: „Die Töpfe und Pfannen spielen eine nicht unwesentliche Rolle für den Geschmack.“

2. Kind: „Im Grunde ist auch das Kleinstadt-Leben ein Garant für leckeres Essen.“

3. Kind: „Genauer gesagt ist die dezentrale Wohnlage – am Rande der Stadt, die Wiesen vor der Tür – ein nicht zu unterschätzender Faktor.“

4. Kind: „Diese ländliche Luft macht ebenfalls etwas aus – und für die sorgt der Kuhstall hinterm Sportplatz.“

Mein Mann: „Deine Freundin die Bäuerin ist verantwortlich, genau.“

Dem Wok sei Dank für das al dente-Gemüse; meiner Familie sei Dank für diese ad hoc-Ironie. Gott sei Dank kam das fünfte Kind erst später …

Ein Brief

Mit Briefen mache ich die Erfahrung: Je mehr ich selbst schreibe, umso seltener bekomme ich eine Antwort. Das ist schade, aber nicht zu ändern. Ich schreibe weiter; und ab und zu fische ich einen Antwort-Brief aus dem Briefkasten. Diesmal ist er von meiner Grundschulfreundin: Überrascht, zufrieden und erwartungsvoll gehe ich ins Wohnzimmer und lese: „Obwohl ich mich nicht oft bei dir melde, denke ich oft an dich.“ Das geht gut los – und in dem Stil wunderbar weiter. Diese meine älteste Freundin berichtet, wie sie die Zeit erlebt. Ich teile ihre Gedanken, fühle mich verstanden und bin dankbar, dass es noch so passt zwischen uns. Wir sehen uns alle paar Jahre, telefonieren gelegentlich und dann sind da diese seltenen Briefe. Da ist wenig Kommunikation, aber viel gemeinsame Sicht: Kein Wunder, dass wir seit unserer Einschulung vor 45 Jahren befreundet sind … 

Gerechte Sprache

In einer Zeitung lese ich von einer jungen Frau. Seit kurzem lebt sie mit ihrer neuen Freundin zusammen und erzählt davon, was der Corona-Lockdown für diese frische Partnerschaft bedeutet: „Wir verbringen 97 Prozent der Zeit miteinander und gehen uns nicht auf den Sack.“ (Damit könnten Säcke gemeint sein, die eine persönliche Grundstücksgrenze markieren. Allerdings ist das eine sehr ungesicherte Erklärung, die sich im Netz nur ein Mal findet.) Sicher ist: „Auf den Sack gehen“ beschreibt, dass mich etwas nervt. Der Wortlaut assoziiert jedoch eine Befindlichkeit, die in dieser Form nur Männer erleben können. Aus dem Mund einer Frau klingt die Bemerkung für mich trotzdem eindeutig. Redewendungen müssen nicht immer wörtlich völlig korrekt sein, um verstanden zu werden.

Auch im normalen Gespräch ist das, was wir sagen, nicht immer identisch mit dem, was wir meinen. Allerdings bemühen wir uns normalerweise, uns verständlich (und korrekt) auszudrücken. Um korrekten (und nicht gedankenlos diskriminierenden) Sprachgebrauch geht es auch denjenigen, die sich für eine geschlechter-gerechte Sprache einsetzen. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf lächle ich über dieses „auf den Sack gehen“ – benutzt von einer Frau, die mit ihrer Partnerin zusammenlebt.

Das Beispiel zeigt (mir jedenfalls): Wir können uns noch so sehr bemühen, unsere Sprache für oder gegen alles zu wappnen – manches davon läuft einfach ins Leere. Wie wir sprechen, wird nicht im Labor entschieden oder von vermeintlich besonders gerechten Menschen. Wir können und sollten an Sprache nicht beliebig herum-gendern, weil das gerade gut zu der speziellen Auffassung von Gleichberechtigung einiger(!) Menschen passt. Sprache (und wie wir etwas verstehen) entwickelt sich unaufhaltsam weiter – auch ohne krampfhaftes Bemühen um vermeintliche Korrektheit. Diese ist nicht der einzige Faktor in gelingender Kommunikation. Mindestens ebenso wichtig ist es, ob ich den anderen respektiere und verstehen will, ihm einfühlsam, nachsichtig und rücksichtsvoll begegne. Das widerspiegelt sich nicht notwendigerweise in der vermeintlich „richtigen“ Ausdrucksweise.

Wie ich Äußerungen empfinde, hängt nicht nur von demjenigen ab, der redet (oder schreibt), sondern auch von dem, der hört (oder liest). Es gibt genügend Beispiele in meinem eigenen Leben: Worte wie „nur Hausfrau und Mutter“, „überholtes Rollenverständnis“ und „abhängig vom Ehemann“ sind in meinem Fall korrekt. Sie werden oft leicht abfällig geäußert – ob sie mich diskriminieren oder kränken, entscheide aber immer noch ich allein.

Rückmeldung schmeckt nicht immer

Ich kann keine Knöpfe annähen, ich kann im Grunde überhaupt nicht nähen – jedenfalls nicht schön. Mit Finanzamt-Dingen beschäftige ich mich nicht gern; und Dekorieren ist weder meine Gabe noch meine Leidenschaft. Außerdem fällt es mir schwer, Geheimnisse für mich zu behalten – obwohl ich darin schon besser geworden bin. Sprich: In gewissen Bereichen bin ich talentfrei; wer dennoch behauptet, ich machte das „super“, erzählt Quatsch. Derartige Falschaussagen bewirken in mir keinerlei Anstrengung, mich zu verbessern. Was mich weiterbringen würde, wären eine ehrliche Rückmeldung und das Angebot, mir zu helfen: Jemand, der mir das richtige Nähen zeigt, die Ablage von Rechnungen mit mir zusammen macht, mich beim Dekorieren über seine Schulter schauen lässt und meine Verschwiegenheit einfordert.

Rückmeldung, die etwas bringen soll, muss ehrlich sein – und ein bisschen schonungslos. Das gilt nicht für ganz kleine Kinder; bei denen läuft mehr (bis alles) über Ermutigung: Selbst wenn ein gemalter Hund eher aussieht wie ein Wirbelsturm – egal. Ganz kleine Kinder dürfen fürs „Nichtskönnen und trotzdem Probieren“ gelobt werden! Aber irgendwann muss das aufhören, sonst werden wir zu nichts könnenden Erwachsenen – das will keiner.

Ich gebe gern zu, dass ich nicht gut nähen kann, keinen Plan habe von ordentlicher Akten-Ablage und mir der Sinn (und die Lust) fürs Dekorieren fehlt. Wenn mich jemand sachlich darauf hinweist, trifft mich das nicht emotional. Denn: Dass ich nicht gut nähen kann, macht mich nicht zu einem unfähigen oder nicht liebenswerten Menschen. Es macht mich zu jemandem, der nicht näht oder es üben müsste, um es gut zu können. Mehr nicht.

Bezogen auf Charakterschwächen aber fühle ich mich durch kritische Rückmeldung leicht persönlich herausgefordert: `Ich bin nicht verschwiegen genug?´, denke ich und ärgere mich – über mich selbst und über die klare Aussage des anderen. Sie schmeckt mir nicht, diese ehrliche Rückmeldung. Aber sie motiviert mich, mein Verhalten tatsächlich zu verändern – in diesem Fall mit (nicht) hörbarem Ergebnis.

Falscher Moment

Mein Mann ist nicht so gesprächig wie ich – oder wie ich es mir manchmal wünschen würde. Aber unter anderem beim Laufen erzählt er gern, besonders wenn ich mehr mit der Strecke kämpfe als er: Dann erklärt er, wie das Immunsystem durchs Laufen gestärkt wird, oder erläutert theologische Fragen, die ihn beschäftigen… In diesen Momenten bin ich von seinen Ergüssen eher unbeeindruckt, wenn nicht sogar genervt. Mein Mann möchte mich ablenken und die Stimmung heben. Was er sagt, lenkt mich ab – aber gerade jetzt passt es mir nicht: Ich brauche all meine Konzentration, um aufrecht bis zu Hause durchzuhalten. Daher senkt sich meine Stimmung eher, als dass sie sich hebt.

Kommunikation ist immer gut – außer im falschen Moment.

Abgeschickt

Meine Freundin bedankt sich für den Geburtstagsgruß von mir. Sie hat sich besonders über das Motiv der Karte gefreut – und über meine Worte. Leider kann ich mich weder an die Karte noch an den genauen Wortlaut erinnern. Zwar versuche ich immer, etwas Persönliches zu schreiben; aber länger als ein paar Tage speichert mein Kurzzeitgedächtnis diese Gedanken nicht ab: Anfang März haben einige Menschen Geburtstag, auch schreibe ich sehr regelmäßig andere („normale“) Briefe und rede täglich mit vergleichsweise vielen Personen …

Es ist mir ein bisschen unangenehm, dass ich meine eigenen Worte so schnell wieder vergesse. Dieses „Unwohlsein“ wird glücklicherweise überlagert von dem angenehmen Gefühl, jemandem eine Freude gemacht zu haben.

Ich könnte abfotografieren, was ich verschicke, bevor ich es verschicke. Dann würde ich den Überblick behalten – und wäre auf Dankesbriefe besser vorbereitet. Allerdings denke ich nicht daran, wenn ich etwas in einen Briefumschlag stecke: In dem Moment bin ich mit meinen Gedanken mehr bei dem anderen als bei mir …

Freundlich

Wir wecken die Kinder während des Home Schoolings. Es dauert unterschiedlich lange, bis sie tatsächlich aufgestanden sind – je nachdem, wer das Wecken übernimmt.

Ich bin freundlich: Trotz mehrmaligen Weckens und eines ernst gemeinten Tonfalls meinerseits dauert es manchmal fast eine Stunde, bis alle nicht nur wach, sondern wirklich aufgestanden sind.

Mein Mann ist auch freundlich, aber anders: Bei ihm sitzen die Kinder nach spätestens einer halben Stunde am Schreibtisch. „Wie hat Papa das geschafft?“, frage ich. Die Kinder schauen mich verwundert an: „Er hat einfach gesagt, wir sollen jetzt sofort aufstehen – aber du weißt schon, seine Stimme hatte diesen ernsten Unterton.“

Häh? Ich bin irritiert. „Du bist einfach zu nett, Mama“, bemerkt tröstend der Jüngste. Ich weiß nicht, ob mich das ermutigt oder frustriert.

Vehemenz

Da ist es wieder, dieses Wort: In einem E-Mail-Austausch schreibt jemand, ich habe „mit all meiner Vehemenz“ reagiert. Da ich den Absender als Menschen schätze und mir an seiner Meinung liegt, bleibt diese Bemerkung hängen. Vehement bedeutet: heftig, ungestüm, leidenschaftlich. Man könnte auch sagen: machtvoll, rücksichtslos, hitzig auffahrend.

Ich habe in den vergangenen zwei Jahrzehnten lernen müssen, dass ich argumentativ nicht stark bin. Daher halte ich mich in Diskussionen öfter zurück – was mein Mann mit Freude zur Kenntnis nimmt. Kürzlich bescheinigte er mir deswegen, ich sei gemäßigter unterwegs als früher. Dieses „mit all deiner Vehemenz“ fühlt sich daher wie ein Rückschritt an. Falle ich zurück in alte Verhaltensmuster hin zu einem (für das Gegenüber) deutlich spürbaren Willen, Recht zu behalten? Gerade in besagtem E-Mail-Austausch hatte ich meine Meinung nur dargelegt, weil ich nach ihr gefragt wurde. Offenbar ließ sich zwischen den Zeilen neben aller Sach-Information eine gewisse Vehemenz spüren. Das war nicht meine Absicht – und doch kam es so spontan aus mir heraus. Es zeigt mir: Nur vorsichtig (gemäßigt) entspricht nicht meiner Persönlichkeit.

Lässt sich „all meine Vehemenz“ auch positiv verstehen? Wer vehement argumentiert, ist spontan und impulsiv, provoziert vielleicht und bewegt etwas – auch in Diskussionen. Er macht sich angreifbar (oh ja!) und riskiert, übers Ziel hinaus zu schießen. Das ist nicht nur schlecht; es ist auch mutig. Wichtiger ist es, ob ich – bei aller Vehemenz – auch den anderen sehe, ernst nehme und zuhöre. Und dann: Lasse ich mich korrigieren und entschuldige mich (wenn nötig) für die Kollateralschäden, die ich durch meine Vehemenz angerichtet habe?

Ich kann nicht aus meiner Haut und für nichts garantieren. Aber in Zukunft probiere ich es mit gemäßigter Vehemenz!