Etwas von mir

Geschriebene Worte begeistern mich. Sie sprechen neben meinem Verstand auch meine Seele an. Der Inhalt ist wichtig, aber er ist nur ein Bestandteil des Gesamtpaketes. Unbedingt dazu gehört auch, wie verständlich und sinnvoll strukturiert der Schreiber ein Thema angeht. Ein weiteres Extra entsteht durch Humor oder dadurch, dass Worte mich ermutigen oder zum Nachdenken anregen. Die Sahnehaube auf allem „schmecke“ ich, wenn der Autor selbst zwischen den Zeilen sichtbar wird. Und genau das macht aus geschriebenen Worten einen Text, über den ich denke: „So möchte ich auch schreiben können!“ Vielleicht ist ein bisschen Neid im Spiel, vor allem aber eine große Begeisterung für die Kraft und Fähigkeit von Worten, Menschen wirklich zu berühren. Weil ich weiß, was das Lesen solcher Texte in mir auslösen kann, bemühe ich mich beim Schreiben – um einen interessanten Inhalt, Klarheit, ein gewisses Extra und etwas von mir.

Berufsbegleitend

Am Anfang der Corona-Krise kommunizierte ich über Mail mit einem alten Freund von mir. Er ist Mikrobiologe und schien mir ein geeigneter Ansprechpartner zu sein. An einem Abend – zwischen Kochen, Essen und dem Abwasch danach – fragte ich und bekam die eine oder andere Antwort: Wieso steigen die Infektionszahlen so rapide, was ist los in Italien? Was versteht man unter Herdenimmunität? Wie hoch sollte diese liegen, um künftig so mit Covid-19 leben zu können wie mit der „normalen“ Grippe? Und so weiter… Zum Schluss war ich nicht nur in der Küche fertig, sondern auch um ein paar Antworten schlauer.

Weil Haushalt mein Job ist, kann man das wohl eine berufsbegleitende Weiterbildung nennen.

Gut streiten

Auseinandersetzungen gehören zu Beziehungen, es geht nicht ohne. Sie können gut laufen oder weniger gut; es ist klar, was einem lieber ist. Aber: Wie geht das überhaupt – gut streiten. Ich kann das nicht. Von meiner Oma stammt der schlaue Spruch: „Liebe Seele, hab Geduld, es haben alle beide Schuld.“ Wie recht sie hatte! Der zweite Teil ist wohl wahr, der erste Teil ist sau schwer.

Dabei wäre einem mit Geduld schon sehr geholfen: Geduldig zuhören, was der andere zu sagen hat. Geduldig erklären, inwiefern man anderer Meinung ist. Geduldig bleiben, auch wenn es immer wieder um dieselben Kleinigkeiten geht. Geduldig nach einer Einigung oder einem guten Kompromiss suchen – vielleicht ist das dann schon gutes Streiten.

Wie geht`s richtig?

„Den Juden bin ich wie ein Jude geworden …, den Schwachen bin ich wie ein Schwacher geworden …, ich bin allen alles geworden… „
1. Korinther 9, 20+22

Diese Zeilen sprechen davon, wie Paulus sich in seinem Predigen anpasst an seine Zuhörer, um wirklich verstanden zu werden. Er stellte sich auf die Leute ein, mit denen er zu tun hatte. Das ist ein guter Rat, wenn man bei Menschen etwas erreichen will – sich erstmal auf sie einlassen. Dann lassen sie sich vielleicht auch auf uns und unsere Ansicht ein. Wenn ich das nur könnte! Es fällt mir ja schon schwer, in guter Art und Weise auf meine Kinder einzugehen:

Einer meiner Söhne klagte kürzlich darüber, dass Schule zwar vielleicht weniger Arbeit sei als ein Job, aber: „Wenn man – nicht als Lehrer – von seinem Job nach Hause kommt, ist man fertig. In der Schule muss man immer noch Hausaufgaben machen und für Tests und Arbeiten lernen. Da ist immer so ein Druck.“ Anstatt zuzuhören und seine Aussage zu bestätigen, lehne ich mich in meinem Stuhl zurück und bemerke: „Du weißt dich diesem Druck aber geschickt zu entziehen.“ Er schaut mich an, zischt: „Ihr versteht überhaupt nichts!“, und stürmt aus der Küche.

Manchmal habe ich den Eindruck, ich kann es nur falsch machen: Entweder ich sage die Wahrheit – und ruiniere die Stimmung. Oder ich stimme meinem Gegenüber kommentarlos zu – und schmälere die Ehrlichkeit des Miteinanders. Wie so oft hätte ich gern das richtige Händchen für die goldene Kommunikationsmitte!

Schade

Zu Weihnachten bekam ich ein Buch, das ich mir gewünscht hatte. Es enthält kurze Texte zu verschiedenen Themen. Geschrieben hat es ein Journalist und Autor, dessen Kommentare ich gern in unserer Tageszeitung lese. Diese Kolumnen sind jedesmal schlau geschrieben, kurz und aus einer interessanten Perspektive heraus formuliert. Vor ein paar Tagen fing ich mit dem Buch an – und war enttäuscht: Seine Kolumnen gefallen mir besser! Die kleinen „Anekdoten“ (in diesem Buch zumindest) sind längst nicht so gescheit geschrieben, nicht prägnant genug, erschreckend leseunfreundlich strukturiert, thematisch zu ausufernd und (für mich) nur mäßig interessant. Beim Lesen dachte ich: Es klingt, als hätte der Autor sich keine Mühe gemacht, geduldig die wesentliche Aussage herauszuarbeiten und den Texten dadurch seine besondere „Schreibe“ zu verleihen. Schade.

Recycling

Ein inzwischen verstorbener Freund schrieb seine Briefe an mich immer auf alten Rechnungen oder dergleichen. Er benutzte, was er hatte – nämlich kein „richtiges“ Briefpapier, sondern die leeren Rückseiten einseitig bedruckter Blätter. Es irritierte mich anfangs, doch ich merkte schnell: Unabhängig vom verwendeten Papier war der Briefinhalt in seinem Fall jedesmal persönlich, wertschätzend und schön formuliert – also wunderbar und höchst willkommen.

Kürzlich „erbten“ meine Töchter fast neues Briefpapier – mit Diddl-Zeichnungen. Sie haben dafür keine Verwendung. Zum einen steht Briefschreiben nicht hoch im Kurs bei ihnen, zum anderen sind sie dem Diddl-Alter längst entwachsen. Die Folge ist, dass nun ich diverse Blöcke Diddl-Briefpapier besitze und benutze. Denn, auch wenn ich erst recht nicht mehr im Diddl-Alter bin: Es fällt mir schwer, noch gut beschreibbares Papier einfach wegzuwerfen. Außerdem ist es mir nicht peinlich, darauf Briefe an Menschen jeden Alters zu schreiben und ohne erklärenden Kommentar zu verschicken.

Diddl-Briefpapier ist nicht ganz so cool wie alte Rechnungen, aber das Prinzip dahinter ist dasselbe – pragmatisches Recycling ohne Chic.

Hat Ehrlichkeit Grenzen?

Wie ehrlich sollen Menschen mir gegenüber sein? Was will ich wissen, was lieber nicht?

Noch vor einigen Jahren hätte ich – ganz klar – gesagt: Ehrlichkeit ist IMMER besser als Unehrlichkeit oder zurückhaltendes Schweigen. Der Ton ist wichtig, aber (ehrlich gesagt) vielleicht doch zweitrangig.

Mittlerweile bin ich nicht mehr so sicher. Wenn ich meinem Mann einen Gefallen tue, bin ich enttäuscht, wenn er mir – ganz ehrlich – sagt, dass ihm dieser nicht viel oder nichts bedeutet. Dass meine Kinder (ehrlich gesagt) auch ohne meine Hilfe, meinen Rat und meine Anteilnahme sehr gut leben und handeln können, stimmt mich – neben allem Stolz – auch ein wenig traurig.

Wäre es besser, mich zunehmend mit der Wahrheit zu verschonen, um mir meinen Frieden oder die Illusion eigener Bedeutsamkeit zu lassen? Wenn hinter meinem Rücken gesagt würde: „Ach, mit der kann man nicht offen und ehrlich reden.“ – Wäre mir das lieber? Ich bezweifle es.

Wenn ich ehrlich bin: Die Ehrlichkeit und ich, wir haben ein ambivalentes Verhältnis.

Gute Gespräche

Ich kenne Menschen, die eher schweigen als reden. Sie überlegen lange und ausgiebig – und sagen am Ende gar nichts. Entweder fehlt ihnen die Lust oder die Lücke, weil ständig „wer anders“ spricht. Vielredner gibt es nämlich auch, und die beanspruchen von den begrenzten Kommunikations-Gelegenheiten doch ein großes Stück: „Überlegte Schweiger“ ziehen sich dann lieber zurück in die Rolle des Zuhörers.

Letztens in einer Predigt hörte ich die Bezeichnung „gedankenloser Schwätzer“, was ja eher das andere Ende des Spektrums illustriert. Irgendwie fühlte ich mich angesprochen. Zwar will ich kein solcher Mensch sein, aber ich spürte: Von außen betrachtet (und aus Sicht eines „überlegten Schweigers“) könnte man mich so wahrnehmen. Ich rede manchmal, bevor ich nachdenke – oder währenddessen. Nicht immer ist das eine schlaue Idee, aber es ist auch nicht per se schlecht. Hinsichtlich der Kommunikation bin ich kein ausgesprochen durchstrukturierter, überlegter und bedachter Typ Mensch. Stattdessen bin ich spontan und impulsiv: Vorhandene Gedanken werde zu Worten; weitere Gedanken strömen unablässig nach. Nicht immer ist es gut, umgehend zu formulieren; aber langes Abwägen und Überlegen kann doch auch nicht immer die einzige und beste Lösung sein.

Beides – „gedankenloses Schwätzen“ und „überlegtes Schweigen“ – hat Vor- und Nachteile. Wahrscheinlich findet ein „gutes Gespräch“ irgendwo dazwischen statt. Wie immer.

Rückmeldung

Ein Freund gibt positive Rückmeldung – er nimmt Anteil, ist interessiert, ermutigt, tröstet und versteht.
Ohne diese Rückmeldung fühle ich mich nicht liebenswert oder wertgeschätzt.

Ein Freund gibt kritische Rückmeldung – er darf und wird korrigieren.
Ohne diese Rückmeldung benehme ich mich schnell daneben.

Ohne Freunde fehlt mir etwas.

Wann ist ein Brief ein Brief?

Ich habe einen Brief geschrieben, an einen alten Freund. Während ich schrieb, hatte ich diesen Freund vor Augen und im Sinn und wählte meine Ausdrucksweise so, dass sie passte – zu unserer gemeinsamen Vergangenheit, zu unseren Erinnerungen, zu unserem heutigen Miteinander.

Der Inhalt war austauschbar, der Stil nicht: Für niemanden sonst als diesen Freund formulierte ich in dieser speziellen Form und wählte die Themen aus. Niemand sonst als dieser Freund wird meinen Brief so verstehen wie er und beim Lesen dieses ganz spezielle Bild von mir vor Augen haben. Vielleicht wird ein Text nicht durchs Schreiben ein Brief, sondern erst durchs Lesen.