Pralinen und Kröten

„Denn ein Mensch, der da isst und trinkt und hat guten Mut bei all seinem Mühen, das ist eine Gabe Gottes.“
Prediger 3, 13

In einer Mail berichtet ein Freund traurig von einer alten Bekannten: Nach 20 Jahren Ehe verlässt sie Mann und zwei Kinder. Sie wolle endlich ihre Bedürfnisse ausleben, habe sie ihm gesagt, nach all der Zeit als Hausfrau und Mutter und Hintanstellen der eigenen Träume. Ich bin erschüttert, obwohl ich ahne, welche Gedanken sie bewegen: Es ist die Frage, wie sehr man die Schuld für die eigenen Entscheidungen dann doch bei den anderen sucht. Ich kann das auch gut, aber es ist gar nicht gut. Wir treffen unsere Entscheidungen selbst, normalerweise zwingt uns keiner in diesem Land. Wenn wir unzufrieden werden (oder im Nachhinein sind), müssen wir bedenken, was die Alternative gewesen wäre und ob wir mit deren Folgen besser hätten leben können: Ich als Vollzeit-Mutter kann mich fragen, warum ich mich nur um die Kinder gekümmert habe und noch kümmere. Aber ebenso muss ich mich auch fragen, ob ich sie zugunsten einer eigenen Karriere gern in fremde Hände gegeben hätte.

Wir bekommen ein Leben meist nur als Paket, aber wir hätten gern nur die Pralinen: erfolgreich im Job, sich in die Kinder investieren und sie prägen, tolle Ehe, interessante Hobbys, intensive Freundschaften. Doch neben den Pralinen hocken die Kröten: Irgendetwas bleibt (zumindest phasenweise) auf der Strecke, irgendeine Sehnsucht in uns ungestillt. Es ist nicht immer gleich einfach, Verluste zu akzeptieren und gute Prioritäten zu setzen und dauerhaft `Ja´ zu sagen zu dem Lebensstil, für den man sich entschieden hat – mit allen Konsequenzen.

Der Teufel kennt unsere Schwachstellen und Sehnsüchte, vor allem die nicht befriedigten. Er macht uns gern darauf aufmerksam: Und dann sehen wir klar, was uns fehlt, und nur im Nebel, welche Schätze wir haben. Ich kenne das gut. Aber wir merken oft eine Weile nicht, dass dies nur eine Sicht der Dinge ist… Und dann scheint das Ausbrechen die einzige oder zumindest eine gute Alternative zu sein – weil das bisher Gelebte scheinbar nicht mehr auszuhalten ist. Aber dabei geht ganz viel kaputt und werden die Verluste noch viel höher sein. Nur überblicken wir das in dem Moment nicht oder wollen es gar nicht wissen.

„Der Teufel geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge.“
1. Petrus 5, 8

Vorbehalte

„Ist er nicht der Zimmermann, Marias Sohn, und der Bruder des Jakobus und Joses und Judas und Simon? Sind nicht auch seine Schwestern hier bei uns? Und sie ärgerten sich an ihm.“
Markus 6, 3

Jesus kommt in seine Heimat zurück – und merkt, dass er dort nicht viel ausrichten kann: „`Ein Prophet gilt nirgends weniger als in seinem Vaterland und bei seinen Verwandten und in seinem Hause.´ Und er konnte dort nicht eine einzige Tat tun, außer dass er wenigen Kranken die Hände auflegte und sie heilte.“ (Markus 6, 4)

Für Jesus galten dieselben Spielregeln, denen wir heute unterworfen sind: Gegen die Vorbehalte von Menschen, gegen ihr Schubladendenken und ihr festlegendes „Ich weiß, wer du bist und wie du tickst“ können wir wenig tun. Sind wir einmal „eingetütet“, bleiben wir dieselben – egal, wie sehr wir uns tatsächlich verändern. Auf den ersten Blick ist das wirklich schade – für uns: Wir werden nicht umfänglich wahrgenommen und vielleicht sogar völlig falsch verstanden. Auf den zweiten Blick ist es wirklich schade – für den anderen: Sein „Wissen“ verhindert, dass er staunt über uns oder sich reibt an uns, in jedem Fall aber inspiriert wird. Insgesamt ist es schade – für beide: Die Begegnung bleibt oberflächlich, nicht spannend; die Beziehung entwickelt sich nicht weiter.

„They tripped over what little they knew about him and fell, sprawling. And they never got any further.“ Mark 6, 3 ( The Message) „Sie stolperten über das Wenige, das sie von ihm wussten, fielen und blieben ausgestreckt liegen. Und dann kamen sie nicht weiter.“ (frei übersetzt)

Weihnachtlich

„Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids.“
Lukas 2, 10+11

Jedes Jahr in der Weihnachtszeit erzählen mir Leute, sie würden sich nicht „weihnachtlich“ fühlen. Es liegt meist daran, dass es zu warm ist. Dieses Jahr kommt das Corona-Virus mit allen Umständen dazu – und sorgt offenbar für extra „nicht-weihnachtlich“.

Ich bin unsicher, was ich davon halten soll. Was meinen wir mit „weihnachtlich“? Wir zünden Kerzen an und backen Kekse, die wir nur in dieser Zeit essen. Eine meine Töchter spielt auf dem Klavier auch Lieder wie „Ich steh` an deiner Krippen hier“ und „Herbei, oh ihr Gläubigen“. An der Eibe vor der Tür hängt eine Lichterkette, im Wohnzimmer steht seit gestern ein Tannenbaum. Aber ist das „weihnachtlich“ oder einfach schön?

Dass es nicht besonders kalt ist oder gar schneit, ärgert mich höchstens für die Kinder – mir selbst sind Temperaturen über Null Grad gerade recht. Zimt-Geruch, Glühwein und Winter-Teemischungen? Bitte nur in Maßen, denn ich mag auch in der Weihnachtszeit lieber Obst und dieselbe Schokolade, die ich das ganze Jahr über gern esse. Kerzenlicht finde ich gemütlich – weil es früh dunkel wird; Stollen schmeckt und passt zum Winter – wie der Spargel zum Frühsommer. All das gehört zu Weihnachten, aber für ein weihnachtliches Gefühl sorgt es bei mir nicht. Es erzeugt höchstens eine bestimmte Erinnerung.

„Weihnachtlich“ kann für mich nur heißen: Der allmächtige Gott, der Schöpfer des Universums, ist Mensch geworden in Jesus. Er liebt uns und wünscht sich eine Beziehung zu uns. In der Hektik des Jahresendes ist es schwer genug, mir dessen bewusst zu sein und darüber zu staunen. Dabei ist dieser Jesus der einzige Trost, auf den wir uns verlassen können! Gerade dieses Jahr merken wir, wie wenig sicher selbst die „weihnachtliche Normalität“ ist. Gerade dieses Jahr gilt das „Fürchtet euch nicht!“, das die Geburt Jesu begleitet. Darüber hinaus gilt, was Jesus am Ende seines Lebens seinen Jüngern sagte: „Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Enden.“ (Matthäus 28, 20)

Dieselbe Sprache?

Vor einiger Zeit lasen wir einen Liedtext von Paul Gerhardt, in dem es hieß:

„Ich will von deiner Lieblichkeit bei Nacht und Tage singen, mich selbst auch dir nach Möglichkeit zum Freudenopfer bringen. Mein Bach des Lebens soll sich dir und deinem Namen für und für in Dankbarkeit ergießen; und was du mir zugut getan, das will ich stets, so tief ich kann, in mein Gedächtnis schließen.“

Die verwendete Sprache ist zwar Deutsch, aber mehrere hundert Jahre alt und dadurch schwer verständlich und sperrig: Es ist dieselbe Sprache und doch nicht dieselbe Sprache. Wenn ich mich auf solche Liedtexte einlasse und auf die Wahrheit dahinter, kann ich sie mögen. Leichter ist es, mich von der „alten Sprache“ abschrecken zu lassen und die Wahrheit der Worte gar nicht zu hören.

Ein neueres Lied von Albert Frey bringt etwas ähnliches zum Ausdruck, hört sich aber ganz anders an:

„Jeden Tag ein Stückchen sterben, loszulassen, was mich hält. Vieles muss noch anders werden, bis es passt in Gottes Welt. Manche Träume muss ich lassen, Wünsche bleiben unerfüllt. Mir bleibt nichts als zu vertrauen, dass du meine Sehnsucht stillst. Jesus, nimm zu in meinem Leben; Jesus, mein Herz will ich dir geben. Du sollst wachsen, und ich muss kleiner werden; Jesus, nimm du in mir zu.“

Bei diesem Text kann es noch immer passieren, dass ich mich ihm von vornherein verschließe. Das hat dann aber nichts mit dem veralteten Deutsch zu tun, sondern mit der fehlenden Überzeugung, dass Gott und Jesus relevant sind für unser Leben.

Nicht meine Weisheit

„Die Weisheit aber von oben her ist zuerst lauter, dann friedfertig, gütig, lässt sich etwas sagen, ist reich an Barmherzigkeit und guten Früchten, unparteiisch, ohne Heuchelei.“
Jakobus 3, 18

Unparteiisch kann ich nicht. Das ist schade, aber es ist die Wahrheit. Bekannte von mir streiten sich – sehr unschön. Aus meiner Sicht ist ziemlich klar, wer von beiden sich dabei fair verhält und wer nicht. Ich halte das nur schwer aus; es macht mich wütend – obwohl ich selbst gar nicht betroffen bin. „Urteile nie über einen anderen, bevor du nicht einen Mond lang in seinen Mokassins gelaufen bist“, heißt es bei den Indianern in Nordamerika. Das fällt mir schwer. Dabei stimmt es: Es gibt immer mehrere Sichtweisen; Schuld ist nie eindimensional und leicht zu benennen.

Vielleicht liegt es daran, dass mein Denken nicht zu trennen ist von meinen Emotionen:
Ich weiß im Kopf: Es gibt nicht nur eine Realität, jeder hat Gründe für sein Verhalten. Es gibt selten nur schwarz-weiß.
Ich spüre im Bauch: Da wird jemand verletzt, und das macht mich wütend.
Aber fast nie hat nur einer Schuld an einem Streit.

Ich sollte gütig sein, mir etwas sagen lassen (beiden zuhören), unparteiisch und barmherzig vermitteln und den Frieden suchen. Leider bin ich weit entfernt von dieser „Weisheit von oben“. Ich muss sie mir von Gott schenken lassen.

The one and only peace

„Don`t worry about anything, instead, pray about everything. Tell God what you need, and thank him for all he has done. Then you will experience God`s peace, which exceeds anything we can understand. His peace will guard your hearts and minds as you live in Christ Jesus.“
Philippians 4, 6+7

This peace of God is so different from what we could create ourselves. It is beyond grasp and explanation. It needs to (and can only) be received.

Nicht durch mich

„Der Segen des Herrn allein macht reich, und nichts tut eigene Mühe hinzu.“
Sprüche 10, 22

Am Wochenende sah ich unseren Ältesten Fußball spielen, nur kurz – mit meinem Jüngsten, im Wohnzimmer. Der Große ist doppelt so schwer wie der Kleine und hätte diesen fast überrannt, aber natürlich hat er es nicht getan. Stattdessen: viel Gelächter. In den vergangenen 19 Jahren ist aus diesem ehemaligen Baby ein junger Mann geworden – und ganz viel davon, was ich heute in ihm sehe, hat er nicht uns zu verdanken. 

Natürlich habe ich ihn geboren, gefüttert und ihm alles mögliche beigebracht etc. Aber seine äußere Erscheinung, der Kern seiner Persönlichkeit und was ihm in seinem Leben bisher alles passiert (und nicht passiert) ist, sind Gottes Geschenke an ihn – und uns. Wir als Eltern haben ihn begleitet, ja, aber letztlich haben wir nur gefördert und ermutigt, was schon da war: Er ist gesund und belastbar, initiativ und impulsiv, lernfähig und gesprächig, außerdem zuverlässig und treu, freundlich und in der Lage, Rücksicht zu nehmen. Er kann sich freuen und bedanken, andere trösten und bei Bedarf in den Arm nehmen. Manchmal ist er zu laut, stur und was weiß ich – gehört alles zu ihm und ist nicht mein Verdienst …

„Wenn der Herr nicht das Haus baut, so arbeiten umsonst, die daran bauen. Wenn der Herr nicht die Stadt behütet, so wacht der Wächter umsonst.“
Psalm 127, 1

Der erste Schritt

„Ich will euch trösten, wie einen eine Mutter tröstet …“
Jesaja 66, 13

Väter sind lösungsorientiert, das ist großartig. Sie ermutigen durch Worte und bleiben dabei schön sachlich. Dadurch helfen sie, die Perspektive zu wechseln – und dann spiele ich vielleicht morgen doch wieder mit dem Mädchen, das mich heute so blöd angemacht hat. Aber letztlich machen Väter dadurch oft den zweiten Schritt vor dem ersten.

Wenn die Seele weint, braucht sie erstmal keine Ablenkung („Anderen geht es noch schlechter.“), keine pauschale Ermutigung („Wird schon wieder.“) und auch keine gute Alternative („Dann gehst du eben nicht zur Bahn, sondern zur Polizei.“). Ein trauriges Herz braucht Trost, den es spüren kann. Wieso sagt Gott dann hier nicht: „Ich will euch so trösten, dass ihr es im Herzen spürt“? Gott spricht oft in Beispielen zu uns; wir verstehen ihn dann besser. Und weil Trost eine zutiefst empathische Aktion ist, sagt „wie eine Mutter tröstet“ alles.

Denn in Empathie sind Mütter besser. Zwar fehlen uns manchmal die Worte, und wir haben selten eine Lösung: So ticken wir nicht. Stattdessen wagen wir uns hinein in das Elend des anderen – durch eine Umarmung, durch Zuhören und dadurch, dass wir die Verzweiflung des anderen zulassen. Dadurch vermitteln wir Nähe und sagen ohne Worte: „Deine Traurigkeit darf sein, ich ertrage sie mit dir zusammen.“ Genau dadurch erfährt die Seele Trost und Annahme. Und das ist der erste Schritt. Danach kann der zweite kommen – gern mit Ablenkung, Ermutigung und Alternativen. Darin sind Väter super; aber trösten können Mütter besser.

(Zwei Ermutigungen für Väter: Es gibt Ausnahmen; und der zweite Schritt ist genauso wichtig wie der erste.)

Mein Fokus

„Gott ist unsere Zuversicht und Stärke, eine Hilfe in den großen Nöten, die uns getroffen haben. Darum fürchten wir uns nicht, wenngleich die Welt unterginge und die Berge mitten ins Meer sänken, wenngleich das Meer wütete und wallte und von seinem Ungestüm die Berge einfielen. Dennoch soll die Stadt Gottes fein lustig bleiben… Gott ist bei ihr drinnen, darum wird sie fest bleiben; Gott hilft ihr früh am Morgen.“
Psalm 46, 1-5a+6

Wo man hinschaut und hinhört: Der Fokus liegt auf dem Corona-Virus. Seit Monaten geht es darum, mal mehr und mal weniger – gerade wieder mehr. Es ist nicht so leicht, sich gedanklich mit etwas anderem zu beschäftigen, obwohl es genug anderes gäbe. Alles erscheint unwichtig, Corona scheint wichtiger zu sein. Das Virus hat sich breit gemacht in unserer Welt – egal was wir persönlich davon halten und welche Meinung wir dazu vertreten. Diesem „Corona-Fokus“ etwas entgegen zu halten, tut gut.

Gestern im Gottesdienst ging es vor allem um Jesus – wie wohltuend. Dort haben wir Corona den Raum versagt, den dieses Virus in unserem Leben und unserem Denken beansprucht. In den Fokus meiner Gedanken und meines Lebens gehört kein Virus – und auch nicht die `ergriffenen Maßnahmen´. In den Fokus meiner Gedanken und meines Lebens gehört Jesus selbst. „Die Stadt Gottes“ (die Gemeinde Gottes) kann „fein lustig bleiben“, denn „Gott ist unsere Zuversicht und Stärke, eine Hilfe in den großen Nöten, die uns getroffen haben“. Noch versinken die Berge nicht im Meer oder fallen ein; aber selbst dann gälte für die Gemeinde Gottes: „Gott ist bei ihr drinnen, darum wird sie fest bleiben …“

Glauben

„Es ist aber der Glaube eine feste Zuversicht auf das, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht.“
Hebräer 11, 1

Überzeugt und ohne Zweifel: Ich glaube an einen Gott, der allmächtig, allgegenwärtig, gütig, barmherzig, gerecht und liebevoll ist.

Die greifbarste Verbindung zwischen Gott und mir ist das Gebet. Egal, ob ich für bestimmte Anliegen bete – für Versöhnung, um Heilung, für Gelingen – oder es um meine seelische Befindlichkeit geht: Ich wünsche mir eine Antwort. Wird mein Gebet in der von mir erwarteten Weise erhört – alles super. Gebetserhörungen stärken meinen Glauben.

Was aber, wenn die Antwort anders ausfällt, als ich es mir vorgestellt hatte? Darf Gott mir unverständlich bleiben, sich mir entziehen und meine Wünsche (scheinbar oder tatsächlich) nicht erfüllen? Schwächt das meinen Glauben? 

Zaghaft und meiner selbst nicht sicher: Ich glaube an einen Gott, auch wenn ich ihn nicht sehen und verstehen kann, er mir unverständlich eingreift (oder gar nicht) oder meine Gebete nicht nach meinen Vorstellungen erhört.

Die Frage ist weniger, ob ich glaube, dass Gott alles tun kann. Die Frage ist, ob ich glaube, dass er es immer gut mit mir meint – und mich nie allein lässt. „Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen“, heißt es an anderer Stelle (Römer 8, 28). ALLE Dinge sind gemeint: auch die nicht erhörten Gebete, die nicht erfüllten Wünsche, die nicht gelungenen Vorhaben und die Pläne, die umsonst waren oder zerstört wurden durch das, was stattdessen geschehen ist. Glauben heißt, weiter zu hoffen und nicht zu (ver)zweifeln, auch wenn sich nichts tut.