Reif fürs Leben

Wir wollen uns zugehörig fühlen und gleichzeitig eigenständig sein. Manchmal streitet das eine mit dem anderen: Passe ich mich an und gehe Kompromisse ein (um der Verbundenheit willen) oder ziehe ich `mein Ding´ durch (um der Eigenständigkeit willen)?

Ein Zeichen von emotionaler Reife soll es ein, wenn beide Bedürfnisse in Balance sind und wir uns mal für das eine, mal für das andere entscheiden können – ohne unsere Persönlichkeit dabei zu verleugnen.

Kleider machen Leute tragen Kleider

Im Anzug wirkt Mann seriös, in der Jogginghose dagegen eher etwas luschig. Saubere und gepflegte Kleidung lässt darauf schließen, dass jemand auf sich achtet. Und stillvoll und stillos sind nicht nur Geschmackssache: In Bezug auf Kleidung ist weniger nicht unbedingt mehr.

Natürlich kann man mit Kleidung auch etwas vortäuschen, was jeglicher Grundlage entbehrt: Hemd und Krawatte lassen auch ein Schlitzohr seriös wirken – zumindest auf den ersten Blick; und ein überzeugter Bewegungsmuffel kann mit entsprechendem Outfit durchaus einen sportlichen Eindruck erzeugen.

Die meisten von uns kleiden sich natürlich gern so, wie es ihrer Persönlichkeit entspricht. Insofern sagt die Wahl der Kleidung auch etwas aus über den Charakter dessen, der in ihr steckt: ob es der Person mehr um ihr Outfit geht oder sie sich der jeweiligen Situation entsprechend kleiden (und verhalten) kann. Meine Tochter beobachtet in der Schule, dass der Kleidungsstil häufig eng korreliert mit der Arbeitshaltung – bei Schülern (und vielleicht sogar bei Lehrern?). An den Klamotten erkennt man, was ihnen wichtig ist: die Schule, alles andere als die Schule oder vor allem ihr eigener Auftritt.

Ein Programm

Mit Computerprogrammen habe ich nicht viel am Hut: Sie müssen funktionieren, ohne dass ich verstehe, warum. Mit Tutorials habe ich normalerweise auch nicht viel am Hut: Sie sind oft viel zu ausführlich oder aber schwer nachzuvollziehen – und deshalb für mich vom Lernformat her unattraktiv.

Für meine neue Arbeitsstelle könnte es nötig werden, mich mit einem Kalkulationsprogramm deutlich besser auszukennen als bisher. Am liebsten würde ich bei jemandem `in die Schule gehen´. Aber mir fällt niemand ein, der kompetent ist, gut erklären kann und außerdem noch Zeit hat. Notgedrungen, aber etwas halbherzig, suche ich mir ein Tutorial im Internet; es dauert zwei Stunden. 

Nach einer Stunde bin ich total begeistert. Es ist zwar sehr ausführlich, aber das ist in diesem Fall gerade richtig. Der Tutor weiß, wovon er spricht und worauf es ankommt; außerdem ist er super gründlich. Ich selbst scheine über ein gewisses mathematisches Verständnis zu verfügen, kann ihm folgen und staune hinsichtlich dessen, was mit diesem Programm alles möglich ist. 

Theoretisch bin ich jetzt schon fast ein Profi. Morgen schaue ich den zweiten Teil; danach werde ich ganz praktisch üben. Mal sehen, ob sich all mein neues Wissen dann anwenden lässt oder ich an grenzenloser Selbstüberschätzung leide.

Fragil

Der Keller war endlich trocken, die Gummistiefel noch nicht weggeräumt. Drei Tage später ist das Wasser wieder da – glücklicherweise nicht in derselben Menge wie zuvor, aber eben doch nass. Ob es am Tauwetter liegt oder woran auch immer: Der Grundwasserstand bleibt eine fragile Größe und ist noch immer nah am Überfließen. Wir lassen die Waschmaschine, wo sie ist, und bleiben auf der Hut. Es ist noch nicht vorbei.

Ein (un)erfülltes Leben

Das neue (geleaste) Auto eines jungen Mannes ist ein echtes Schmuckstück. Natürlich hat es einen Motor sowie die üblichen vier Räder und fährt von A nach B. Zusätzlich enthält es jede Menge Schnickschnack: Sitz- und Lenkradheizung, Spurhalte-Automatik, Bedienung im `Cockpit´ per Touch, Innenraumbeleuchtung mit frei wählbaren Farben … Wir freuen uns mit dem begeisterten Auto-Mieter, machen uns selbst aber wenig aus derartigen Extras. In unseren Augen sind es Gimmicks – lustige oder sonst attraktive Zugaben von geringem materiellem Wert. Diese Extras sind `nice to have´, aber keineswegs notwendig. Nicht nur die Autobranche lebt davon, Antworten auf die ausgefallensten Sehnsüchte anzubieten, ohne dass potentielle Kunden vorher danach gefragt hätten. In vorauseilendem Gehorsam sozusagen und absolut eigennützig; schließlich kostet jedes Extra Geld. Die Standards für eine Grundausstattung verschieben sich: immer und immer weiter. 

Zum einen investieren wir dadurch mehr Geld, als uns lieb ist – und fühlen uns vielleicht ärmer, als wir sind. Zum anderen verlernen wir, mit unerfüllten Träumen zu leben. Das finde ich schade: Es ist eine gute Lebensschule, sich (materiell) begnügen zu müssen und zu erleben, dass man trotzdem sehr zufrieden sein kann. Wie sagte Bonhoeffer so schön? „Es gibt ein erfülltes Leben trotz vieler unerfüllter Wünsche!“ 

Nicht zu sprechen!

Ich suche mir die Nummer eines Bekannten heraus und rufe ihn an. Am anderen Ende ertönt das fragende und leicht mürrische „Hallo?“ eines Menschen, dessen Stimme ich nicht kenne. Unsicher und ein bisschen eingeschüchtert stelle ich mich vor und frage, ob das die Nummer meines Bekannten ist. „Sicher nicht“, sagt die Stimme – deutlich weniger mürrisch als amüsiert. Ich bin verwirrt und entschuldige mich: „Oh, das tut mir leid, ich habe mich verwählt.“ Mein Gesprächspartner reagiert entspannt und inzwischen ausgesprochen freundlich: „Alles gut, macht gar nichts. Einen schönen Tag noch und viel Glück!“ Ich lege lächelnd auf: Wie schnell sich die Stimmung ändern kann!

Hinterher frage ich mich, ob ich Anrufe von unbekannten Nummern ebenfalls in leicht mürrischem Tonfall entgegennehme. Sicher ist, dass auch ich ehrlich freundlich auf jeden reagiere, der mich fälschlicherweise oder aus Versehen anruft.

Nur sehr selten erhalte ich Telefonanrufe, die mich wirklich nerven (Vertreter oder Verkäufer) oder tatsächlich stören (ich gehe nicht ran, wenn ich nicht abkömmlich bin). In Zukunft will ich darauf achten, mit einem Lächeln in der Stimme ans Telefon zu gehen. Der Anrufer freut sich – ob er mich nun sprechen will oder nicht.

Mit ohne Schiedsrichter

Ich komme mir manchmal vor wie ein Schiedsrichter: Wenn zwei Kinder sich streiten, möchte ich am liebsten eingreifen – und (sozusagen) von der Seitenlinie aus schlichten. Dabei funktioniert das höchst selten.

Erstens kenne ich die Vorgeschichte nicht: die Sticheleien, den Ärger, das nervige Verhalten des einen oder anderen. Was sich im Streit selbst offenbart, ist nur die Spitze des Eisbergs – sozusagen das überlaufende Fass. Von den vielen Tropfen vorher habe ich als Mutter oft keine Ahnung.

Zweitens bin ich voreingenommen. Meist tut mir derjenige leid, der im konkreten Streit gerade zu unterliegen scheint oder (scheinbar?) unfair angegangen wird. Und schon neige ich dazu, eher parteiisch zu bewerten, was gerade passiert, als möglichst neutral die Gesamtsituation zu betrachten.

Und drittens: Im Moment des Streitens ist ein Mittler fast nie erwünscht. Versuche ich es doch, gerate ich leicht zwischen die Fronten. Für Höflichkeit ist mitten im Streit kaum Raum und Zeit; stattdessen wird scharf geschossen. Wenn ich also schlichten will, muss ich die Schusslinie meiden und warten, bis sich die Gemüter wieder beruhigt haben. Ganz oft erledigt sich die ganze Angelegenheit dann von selbst: Unsere Kinder vertragen sich schneller wieder, als ICH es angesichts des vorangegangenen verbalen Schlagabtauschs für möglich gehalten hätte – ganz ohne Schiedsrichter.

Normalzustand: ignorant

Manche Beschwerden kommen überraschend und schnell – ein Hexenschuss zum Beispiel: In einem unerwarteten Moment ist es geschehen, der Muskel `macht zu´; starker stechender Schmerz ist die Folge und die sonst übliche Mobilität plötzlich stark eingeschränkt. Ich spüre Muskeln, die ich normalerweise erfolgreich ignoriere.

Dieser Zustand hält ein paar Tage an; die Heilung erfolgt sehr langsam. Nur ganz allmählich entspannt sich der Muskel wieder. Zunächst sind vorsichtige Bewegungen möglich: bewusst und kontrolliert ausgeführt.

Erst viel später stellt sich die übliche Beweglichkeit wieder ein – wenn der Schmerz nicht nur den Körper, sondern auch das Hirn verlassen hat. Dann bin ich wieder die Alte – vollkommen ignorant hinsichtlich dessen, was alles funktionieren muss, damit ich sorglos und schmerzfrei durch meine Tage springen kann.

David und ich

„Mit meinem Gott kann ich über Mauern springen“, heißt es in Psalm 18 (Vers 20). Der Satz stammt von dem jungen David, der Goliath mit seiner Schleuder mutig entgegentritt, weil er weiß, dass Gott für ihn kämpft. Ein anderer Satz von David lautet: „Ich bin matt geworden und ganz zerschlagen; ich schreie vor Unruhe meines Herzens.“ (Psalm 38, 9) Er passt eher zu einem traurigen, mutlosen und frustrierten David, der in seinem Leben sowohl zum Ehebrecher als auch zum Mörder wurde.

Auch bei mir gibt es diese Momente, in denen ich mich fühle, als wäre mir alles möglich; nichts kann mich stoppen, Gott und mich. Dann starte ich mit Schwung in meine Tage, egal ob die Sonne scheint oder es regnet, ob ich viel oder wenig zu tun habe. Ich kenne aber auch das Gefühl, dass ich nur funktioniere – oder nicht einmal mehr das. Wenn mich zum Beispiel ein Hexenschuss ausbremst und mir alles zu viel ist, was mir normalerweise so leicht von der Hand geht. Oder aber ich habe einfach keine Lust auf Routine-Arbeiten, die meinem Leben Sinn und Struktur geben. Selbst das, was mir Spaß macht, ist dann nicht attraktiv. Diese Tage sind sehr selten, aber manchmal kommen sie aus heiterem Himmel und lassen sich nicht so einfach überwinden.

Ich habe kein gutes Rezept gefunden, wie ich damit umgehe: Selbst zum Spazierengehen kann ich mich dann kaum aufraffen; meine Gebete klingen leer. Aber wenn ich angesichts eines Mäuerchens aus Schwere am liebsten rufen würde: „Scotty – wegbeamen!“, dann tröstet mich der Gedanke an David, der diese Phasen auch kannte und ehrlich benennt. Die Bibel nennt ihn einen Mann Gottes (1. Samuel 13, 14).

Ertappt

Alle Süßigkeiten, die oben im Küchenschrank liegen, haben eine sehr geringe Halbwertszeit. Daher lagern wir manches im Keller: Was nicht direkt vor Augen und eben nicht leicht erreichbar ist, hält einfach länger. Während eines Kellergangs will ich im Vorbeigehen ein, zwei Gummibärchen schlickern. Die Tüte ist jedoch stabiler, als ich dachte; ich muss ein bisschen fummeln. Sofort tönt es von oben: „Was machst du da, Mama, was gönnst du dir?“ Ich zucke zusammen und nehme die Tüte mit hoch – wo ich wahrscheinlich insgesamt nur ein oder zwei Gummibärchen davon abbekomme.

Ein Leben mit Kindern ist bereichernd und herausfordernd und basiert auf einer Menge Transparenz. Kinder nehmen uns Eltern als Vorbild und prüfen ganz genau, ob wir selbst leben, was wir von anderen erwarten. Daher achten wir (unter anderem) auf Tischmanieren, sagen die Wahrheit, fluchen nicht und lästern nicht über andere. Aber eins kann doch passieren: Wir spüren, wie es ist, beim heimlichen Naschen ertappt zu werden!