Schild(bürg)er-Streich

Durch unsere Felder und Wiesen verläuft eine schmale asphaltierte Straße. Sie wird vor allem von Fahrradfahrern und Fußgängern genutzt – manchmal auch von einem Bauern auf seinem Trecker. Autos fahren nur selten, denn hier wohnen nur wenige Menschen; und eine echte `Durchfahrt´ ist aufgrund einer Sperre nicht möglich. Einige Feldwege kreuzen, aber es ist weder unübersichtlich noch gefährlich: Der sehr überschaubare Verkehr regelt sich bisher durch gegenseitige Rücksichtnahme aller Beteiligten.

Vor einigen Tagen wurden mehrere Straßenschilder installiert; in Zukunft regeln sie den Verkehr. Wie gesagt: Es geht um Wege, die abseits `normaler´ Straßen liegen und weder unübersichtlich noch gefährlich sind. Ich nehme diese Aktion beim Spazierengehen mit ratlosem Kopfschütteln zur Kenntnis – und halte sie für völlig Sinn-frei, wenn nicht sogar für unglücklich: Wo sonst können Bürger im öffentlichen Raum noch üben, frei von starren Vorgaben miteinander zurechtzukommen – flexibel, freundlich und rücksichtsvoll?

Eine Seite und eine andere

Lieferdienste sind modern und beliebt oder neumodisch und verhasst – je nachdem, wie man sie betrachtet. Einerseits garantieren sie einen bestimmten Standard: hohes Liefertempo, breites Sortiment, günstige Preise, 24/7-Bestellmöglichkeit. Dadurch erleichtern sie die Selbstversorgung für Leute, die nicht mehr so gut zu Fuß sind. Auch Menschen, die es permanent eilig haben oder zu faul sind, selbst einkaufen zu gehen, nutzen diesen Service und finden ihn praktisch. Auf dieser (einen) Seite sind Lieferdienste also eine super Sache.

Andererseits sorgen Lieferdienste für: unvorteilhafte Arbeitsbedingungen für die Angestellten (ständiger Zeitdruck, anspruchsvolle Kunden, mittelprächtige Bezahlung), sterbende Tante Emma-Läden und angemietete Ladenzeilen, die als innenstadtnahe Lager dienen und das Stadtbild verschandeln. Auf dieser (anderen) Seite sind Lieferdienste also nicht so eine super Sache.

Von außen und von innen

Am Wegesrand steht ein Pilz; sein Stiel ist lang, der Schirm schmal: wie zugeklappt. Zwei Tage später ist derselbe Pilz noch immer da, aber anders; sein Schirm ist ausgebreitet: wie aufgeklappt. Wasser und Nährstoffe bewirken dieses Wachstum – von innen heraus. Es ist zwecklos (wenn nicht unmöglich), diesen Vorgang von außen beschleunigen zu wollen. Am Schirm geht etwas kaputt, wenn man ihn mit den Händen `entfalten´ möchte.

Ich denke an (ungefragte, oft wiederholte, aber grundsätzlich gut gemeinte) elterliche Ratschläge: `Esst weniger Zucker, treibt mehr Sport, trefft euch lieber analog oder lest ein Buch…´ Ich kann von außen auf sie einreden und es wird nicht viel passieren. Mittlerweile erlebe ich, dass die Kinder früher oder später selbst auf manch schlaue Idee kommen – aber erst, wenn sie selbst soweit sind. Vorher bewirkt zu viel Einmischung genervtes Augenverdrehen, Ohren `auf Durchzug´ und inneren Rückzug. Am Respekt der Kinder für die Eltern geht etwas kaputt, wenn letztere ein bestimmtes Verhalten erreichen wollen.

Mit zunehmendem Alter stecken in Kindern genug Ressourcen, um mündig zu entscheiden. Manche davon haben sie von uns: Wasser und Nährstoffe in Form von Erziehung und gelebtem Vorbild. Was sie daraus machen und wann, ist ihre Sache, aber oft wunderbar anzuschauen. Früher oder später entfalten sie (scheinbar) ganz allein ihr eigenes Lebenskonzept – von innen heraus. Alles hat seine Zeit.

Frage und Antwort (2)

In der Begegnung mit Prominenten, Politikern oder anderen Berühmtheiten meines Alters zischt mir die Frage durch den Kopf: „Warum ist der (oder die) Bundestagsabgeordneter, Vorstandsvorsitzende, berühmter Schauspieler oder Koryphäe auf seinem Wissensgebiet – und ich nicht?“

Ich finde keine Antwort – weder spontan noch nach längerer Überlegung; es hätte ebensogut mich `treffen´ können, eine ganz andere (beziehungsweise überhaupt eine bemerkenswerte) Laufbahn einzuschlagen. Stattdessen überlege ich: „Bin ich glücklich mit dem, was ich habe und bin?“ Solange ich diese Frage mit einem `Ja´ beantworte – wie zaghaft auch immer –, ist die andere Antwort nicht so wichtig.

Ein Holzbrett

Ein Freund schenkt mir ein Holzbrett, das er selbst gemacht hat. Es gefällt mir, ich freue mich darüber. Außerdem empfinde ich noch mehr: Ich staune über seine Kreativität, bewundere seine Fertigkeit und bin berührt von der Mühe, die er sich gemacht hat, um mir eine Freude zu machen.

Das Beste: Es ist nicht nur ein schönes Geschenk, sondern ein praktisches.

Familie: genau das

Als Familie macht man Dinge gemeinsam: wohnen und essen, diskutieren, streiten, lachen und weinen, spielen, manchmal sogar arbeiten. Einfach so zweckfrei zusammen zu sein – das ist wunderbar und außerdem genau das, was Familie am Leben hält.

Doch so schön das Miteinander auch ist: Man muss auch mal raus, allein sein, andere Menschen treffen. In einem guten Maß ist diese Unabhängigkeit wichtig und belebend – sowohl für den Einzelnen als auch für die ganze Familie.

Was aber, wenn man sich zu sehr unabhängig macht von der Familie? Dann leidet das Familienleben – ob man es will oder nicht. Einfach so zweckfrei zusammen zu sein: Das ist offenbar für einige (in einem bestimmten Alter) nicht sehr attraktiv und bleibt aber genau das, was Familie am Leben hält.

Selbstdarstellung: authentisch

Wie ich auftrete, muss nichts zu tun haben damit, wer ich tatsächlich bin – aber alles damit, wer ich gern wäre. Ich zeige mein wahres Ich oder nicht – je nachdem, wie ich wahrgenommen werden möchte. Dabei kann ich total ehrlich sein oder in allem so tun als ob – es liegt in meiner Hand. Sicher ist: Einige werden mich mögen (oder das, was ich ihnen von mir offenbare), andere nicht. Es ist unmöglich oder mindestens furchtbar schwierig, alle von mir zu begeistern. Leichter (und tendenziell attraktiv) ist es, einfach ich selbst zu sein – nämlich authentisch.