Da ist es wieder, dieses Wort: In einem E-Mail-Austausch schreibt jemand, ich habe „mit all meiner Vehemenz“ reagiert. Da ich den Absender als Menschen schätze und mir an seiner Meinung liegt, bleibt diese Bemerkung hängen. Vehement bedeutet: heftig, ungestüm, leidenschaftlich. Man könnte auch sagen: machtvoll, rücksichtslos, hitzig auffahrend.
Ich habe in den vergangenen zwei Jahrzehnten lernen müssen, dass ich argumentativ nicht stark bin. Daher halte ich mich in Diskussionen öfter zurück – was mein Mann mit Freude zur Kenntnis nimmt. Kürzlich bescheinigte er mir deswegen, ich sei gemäßigter unterwegs als früher. Dieses „mit all deiner Vehemenz“ fühlt sich daher wie ein Rückschritt an. Falle ich zurück in alte Verhaltensmuster hin zu einem (für das Gegenüber) deutlich spürbaren Willen, Recht zu behalten? Gerade in besagtem E-Mail-Austausch hatte ich meine Meinung nur dargelegt, weil ich nach ihr gefragt wurde. Offenbar ließ sich zwischen den Zeilen neben aller Sach-Information eine gewisse Vehemenz spüren. Das war nicht meine Absicht – und doch kam es so spontan aus mir heraus. Es zeigt mir: Nur vorsichtig (gemäßigt) entspricht nicht meiner Persönlichkeit.
Lässt sich „all meine Vehemenz“ auch positiv verstehen? Wer vehement argumentiert, ist spontan und impulsiv, provoziert vielleicht und bewegt etwas – auch in Diskussionen. Er macht sich angreifbar (oh ja!) und riskiert, übers Ziel hinaus zu schießen. Das ist nicht nur schlecht; es ist auch mutig. Wichtiger ist es, ob ich – bei aller Vehemenz – auch den anderen sehe, ernst nehme und zuhöre. Und dann: Lasse ich mich korrigieren und entschuldige mich (wenn nötig) für die Kollateralschäden, die ich durch meine Vehemenz angerichtet habe?
Ich kann nicht aus meiner Haut und für nichts garantieren. Aber in Zukunft probiere ich es mit gemäßigter Vehemenz!