Teilen (und lernen)

Gern teilen wir die Dinge, von denen wir genug haben: Aufgaben im Haushalt, Essen, Klamotten (sofern sie passen) … Mangelware teilen wir weniger gern – technische Geräte zum Beispiel. Wir sind diesbezüglich nicht vollumfänglich ausgestattet: Zwei Kinder haben noch kein eigenes Mobil-Telefon, zwei andere teilen sich einen Computer, der Jüngste besitzt gar keinen. In Zeiten von Home Schooling kommt es daher zu Streit, wenn alle gleichzeitig ihre Schul-Aufgaben bearbeiten sollen oder wollen.

Technisches Aufrüsten würde diese Konflikte verhindern, ist aber in meinen Augen keine gute Lösung. Noch besser erscheint es mir, die Situation als Lernmöglichkeit zu schätzen: Die Kinder werden so weitermachen wie bisher, sich in Kompromissbereitschaft üben und geduldig darauf warten, wieder in die Schule gehen zu dürfen.

Ursache und Wirkung

Die Diagnose auf meinem Rezept für Krankengymnastik lautet BWS (und irgendetwas) – dort schmerzt es schon lange. Meine neue Physiotherapeutin hat sich in unseren ersten gemeinsamen Sitzungen nur wenig um meine Brustwirbelsäule und dafür mehr um mein Becken gekümmert. Sie hat mir blaue Flecken vorausgesagt (sind nicht aufgetreten) und Hausaufgaben verordnet (mache ich fast regelmäßig) – beides örtlich weit weg von meinen tatsächlichen Beschwerden. Trotzdem (oder gerade deswegen) traue ich ihr viel zu. Denn der menschliche Körper ist komplex: Wenn eine Stelle schmerzt, „funktioniert“ etwas an einer anderen Stelle nicht. Du musst verstehen, wie Muskeln, Sehnen und Gelenke im Inneren des Körpers zusammenarbeiten. Nur dann kannst du dort eingreifen, wo das Problem seine Ursache hat – und nicht nur (mäßig erfolgreich) seine Auswirkungen behandeln.

Ebenso komplex sind die menschliche Seele, Beziehungen verschiedenster Art und erst recht eine ganze Gesellschaft. In allen sind Ursache und Wirkung nur selten dicht beeinander und Probleme dadurch schwer zu beheben.

Herausfordernd

Menschen sind in unterschiedlichen Lebensentwürfen glücklich. Dabei gilt für allein Lebende ebenso wie für Familien: Regelmäßig verlassen wir unser heimisches Umfeld und treffen andere Menschen.

Während des Lockdowns sollen persönliche Kontakte auf ein Minimum reduziert werden. Allein Lebende erleben diese Zeit als herausfordernd: Der Schritt von „allein“ zu „einsam“ ist nach einigen Wochen sehr kurz und fast unvermeidlich – digitale Medien hin oder her. (Sie helfen nur unzureichend und haben nicht empfehlenswerte Nebeneffekte.)

Auch Familien erleben diese Zeit als herausfordernd: Der Schritt von „Ich liebe meine Familie“ zu „Meine Familie geht mir auf den Keks“ ist nach einigen Wochen sehr kurz und fast unvermeidlich – digitale Medien hin oder her. (Sie helfen nur unzureichend und haben nicht empfehlenswerte Nebeneffekte.)

Sicher ist Vereinsamung deutlich anstrengender und menschenfeindlicher als nervende Mitbewohner. Dennoch: An niemandem geht der momentane Zustand spurlos vorbei.

Der Hingucker

Vater und Tochter tanzen während ihrer Quarantäne-Zeit, drehen ein Video und stellen es ins Internet. Nichts daran ist perfekt: Die beiden tanzen zu typischer „gute Laune-Musik“ in ihrem Wohnzimmer; die Choreographie ist peppig, aber nicht anspruchsvoll; sie tanzen drauflos, einige Patzer sind inklusive. Die Teenager-Tochter ist schlank, bewegt sich fließend, schrittsicher und rhythmisch, sogar mit Gefühl – sie ist eindeutig die Initiatorin dieser Aktion. Der Vater macht mit. Er ist Anfang 50, von der Figur her eindeutig kein Tänzer und nicht besonders ernsthaft, aber engagiert bei der Sache: Alles an ihm tanzt – Füße, Hände, Rumpf, Gesicht. Manchmal weiß er nicht weiter, aber er kommt immer schnell „wieder rein“.

Meine Tochter raunt mir zu: „Man schaut irgendwie nur zu ihm, oder?“ Sie hat recht – beide tanzen, aber so richtig „sieht“ man nur den Vater. Woran liegt das? Eine perfekte Vorstellung liefert dieser Normalo-Mann um die 50 nicht; das schafft eher seine Tochter. Ja, er hat Taktgefühl und kann sich erstaunlich schnell bewegen. Aber vor allem hat er ganz offensichtlich viel Spaß und strahlt Leichtigkeit und Lebensfreude aus. Er nimmt sich selbst nicht zu ernst und wird doch nicht dilettantisch. Und genau dadurch ist er attraktiv und wirkt total ansteckend – ein (unvollkommener) Hingucker eben.

Playlist

CDs waren gestern, der Tonträger von heute heißt Playlist. Eine meiner Töchter mag alles mögliche und ordnet das verschiedenen dieser „Listen“ zu – 13 sind es insgesamt: Auf einer läuft nur Musik aus den 80ern, eine andere ist für ihre Lieblingslieder aus dem Bereich Lobpreis. In einer Playlist parkt sie die Lieder, von denen sie sich schon halb verabschiedet hat – aber noch nicht endgültig. Dann sind da noch einige Liedersammlungen, die sie von ihren Freunden bekommen hat: Afro-Beat zum Beispiel von der einen, russische Hits von dem anderen. Sie hat außerdem eine eigene Playlist für ruhige Stücke und eine weitere mit Klaviermusik ohne Gesang. Meine Tochter hört gern und viel Musik, aber sie „verwaltet“ außerdem regelmäßig ihre Playlists und ergänzt oder bereinigt diese.

Auch ich habe eine Playlist. Auf ihr sammle ich alles an Musik, was mir (schon lange oder erst ganz kurz) gefällt: Deutsche und englische Lieder, laute und leise, schnelle und langsame, säkulare und christliche ….. Manche sind aus meiner Jugend, andere von heute – gern lasse ich mich von meiner Tochter inspirieren. Ich ergänze, wenn mir danach ist, und werfe fast nie etwas raus. Ich benutze meine Playlist ebenso wie früher meine CDs: anschalten, hören, ausschalten.

In der Sache bin ich modern, von der Art und Weise her bleibe ich ein Kind des letzten Jahrhunderts.

Nebenbei Schule

Am Küchentisch arbeiten und lernen diejenigen unserer Kinder, die gern in Gesellschaft sind. Sie – und somit auch ich – beschäftigen sich (heute) mit Erdkunde, Latein, Französisch, Politik, Deutsch und Mathe. Ich beantworte Fragen zu dem einen oder anderen Fach und bereite irgendwann nebenbei das Mittagessen vor. Zwei weitere Kinder sitzen oben an ihren Schreibtischen; manchmal kommen auch sie nicht allein weiter. (Der Abiturient darf in die Schule.) Ich weiß nicht immer die Antwort auf fachliche Fragen, aber als ermutigendes und die allgemeine Stimmung belebendes Element bin ich super.

„Hier sieht es nach Arbeit aus“, sagt mein Mann, als er nach Hause kommt, und scheint mich ein wenig zu beneiden: „Ich schätze, du wirst durch den Lockdown zur Universalgelehrten.“ Er hat nur ein bisschen recht. Die Beschäftigung mit verschiedenen Fächern macht mir Spaß und versüßt mir das Kochen: Ich kann nebenbei altes Wissen wiederbeleben und Synapsen neu verknüpfen. Allerdings hoffe ich, die „echten“ Schüler kommen gelehrter (als vorher und als ich) aus dem Lockdown heraus.

Gott und die Zeit (2)

„Er hat alles schön gemacht zu seiner Zeit, auch hat er die Ewigkeit in ihr Herz gelegt; nur dass der Mensch nicht ergründen kann das Werk, das Gott tut, weder Anfang noch Ende.“
Prediger 3, 11

Jeder Moment für sich ist lang oder kurz, intensiv oder unwichtig; die Summe meiner Momente ist begrenzt durch Anfang und Ende. Die Zeit meines Lebens rinnt mir davon oder an mir vorbei – wie auch immer, aber weg ist sie ist nicht: Selbst die Vergangenheit ist in gewisser Weise noch heute präsent. Meine 50 Lebensjahre bis heute sind zwar vorüber, in der Rückschau bleiben es aber doch 50 Jahre – und außerdem „sieht“ man sie an mir: Wirklich vergänglich ist nicht die Zeit, sondern Dinge, Umstände und Personen.

Gott dagegen wirkt unbegrenzt, er selbst ist Anfang und Ende: Er scheint über der Zeit zu stehen und ist in jedem Moment gleich präsent – sei dieser nun vergangen oder (aus unserer Sicht) noch gar nicht geschehen. Etwas davon hat er in unser Herz gelegt: Zumindest ab und zu sehne ich mich nach der Ewigkeit, in der kein „leider verpasst“ oder „muss ich unbedingt noch“ existiert. Ich freue mich darauf, dass persönliche Befindlichkeiten und Sympathien keine Rolle mehr spielen werden – perfekter äußerer und innerer Friede, anstrengungsfrei. Besonders attraktiv, aber kaum vorzustellen: In der Ewigkeit ist jede Gemeinschaft unmittelbar – mit Jesus und mit den Glaubensgeschwistern, deren Lebenszeit mit meiner nicht oder nur teilweise übereinstimmt. In der Ewigkeit sind auch wir nicht mehr von der Zeit begrenzt.

Gott und die Zeit (1)

Wir sind ungeduldig, wenn wir mittendrin stecken in einer „Sache“, um die Gott sich doch bitte kümmern soll – es aber nicht tut. Dann beten wir: „Schöpfer des Himmels, wie viel Zeit lässt du dir noch?“ Andererseits freuen wir uns, wenn und dass Gott unser – manchmal schneckengleiches – Lebenstempo mitgeht. Wie schwerfällig und langsam wir uns auch verändern: Er weicht uns nicht von der Seite – und treibt uns erst recht nicht an. In diesen Momenten sind wir dankbar, dass Gott „alle Zeit der Welt zu haben scheint“ und uns die „Zeit lässt“, die wir brauchen.

Holz hacken ist leichter

„Man muss heutzutage flexibel einsetzbar sein, denkst du nicht?“, fragt mich ein sehr junger Angestellter unseres Supermarktes. Ich habe keine Ahnung, ich bin nicht berufstätig. „Ach ja, du bist Hausfrau“, sagt er. „Und Mutter“, ergänze ich. Er lächelt ein wenig verständnislos – so als wäre das dasselbe. „Mutter ist mehr Arbeit als Hausfrau“, schiebe ich deshalb hinterher. Jetzt schaut er tatsächlich ungläubig. Eine Frau hinter mir mischt sich ein: „Manchmal ist Holz hacken leichter.“ Sofort erinnere ich mich an mein Studium: Ich wohnte mit sieben anderen auf einem Bauernhof, die Zimmer waren nur mit Holzöfen beheizbar. Für das Brennmaterial hatten wir selbst zu sorgen. Die Frau hat recht: Holz zu hacken ist vergleichsweise leicht (und monoton); es lässt sich immer mal ein Stündchen damit füllen und irgendwann ist man fertig. Der Job als Mutter ist abwechslungsreicher, funktioniert nicht stundenweise und dauert viel länger.

Demütig lernen und lehren

„Persönlich bin ich immer bereit zu lernen, obwohl ich nicht immer belehrt werden möchte.“
Winston Churchill

Wie recht er hat, der Churchill. Wenn ich von mir aus erkenne, dass ich etwas nicht weiß oder kann, bitte ich gern um Rat oder Hilfe. Dagegen lasse ich mir nicht gern helfen, wenn mir jemand schulmeisterlich begegnet. Ich möchte meine Hilfsbedürftigkeit gern selbst erkennen – und nicht von außen darauf aufmerksam gemacht werden, dass ich allein nicht weiterkomme.

Es sei denn, es kommt Demut ins Spiel: Dann gelänge es mir als Lernender wohl, selbst dem belehrendsten Gespräch das Gute zu entnehmen, und mich zu freuen über denjenigen, der mehr weiß oder kann als ich. Andersherum tritt ein schlauer und dabei demütiger Mensch eben nicht überheblich belehrend auf, sondern hilft freundlich, ohne den anderen klein zu machen. Wie aber werden wir beide demütig? Beste Möglichkeit: Gott verändert uns dahingehend. (Möglichst mehrmals) zu merken, dass wir allein nicht weiterkommen, zerstört ebenfalls sehr nachhaltig den eigenen Größenwahn.

Dann klappt es: Wer (demütig ist und) lernen will, streckt sich empfänglich und neugierig nach Wissen und Hilfe aus; wer (demütig ist und) lehren kann, bietet respektvoll und behutsam sein Wissen an. Und schwups – sind die beiden eine gute Kombination!