Spielraum

Was passiert, ist nur ein Teil der Wahrheit.

Mindestens ebenso wichtig wie ein Erlebnis selbst (jetzt) sind die Erfahrung (später), die wir daraus gewinnen, und die Erinnerung (noch später), die wir damit verbinden. Was geschieht, ist und bleibt, was es ist und war; meine Interpretation unterliegt einem gewissen Spielraum: Ich entscheide oft erst im Nachhinein darüber, wie ein Erlebnis mich prägt und was in meiner Erinnerung haften bleibt. Das in dem Moment Vordergründige, muss nicht die Hauptsache bleiben.

Was passiert, ist nur ein Teil der Wahrheit.

Risikobereit

Ich würde mich nicht als risikofreudig einschätzen; dennoch vermeide ich nicht alle Risiken um jeden Preis. Einige nehme ich in Kauf und lasse mich durch sie nicht bremsen in dem, was für mich Lebensqualität ausmacht. Außerdem hoffe ich – wie viele andere auch –, dass „alles gut geht“:

Ich fahre Auto, obwohl ich weiß, dass jährlich viele Menschen bei Autounfällen sterben.
Ich habe Kinder, obwohl Elternschaft riskant ist: Kinder kosten, bestimmen Tages- und Nachtabläufe und machen mich emotional verletzlich – mein Leben lang.
Ich verzichte auf Wechselduschen, obwohl sie mein Immunsystem stärken würden.
Ich überlasse meinem 19-jährigen Sohn das Auto, obwohl Menschen seines Alters oft in Unfälle verwickelt sind.
Ich esse nicht gewaschenes Obst, obwohl die Luftverschmutzung in den vergangenen 30 Jahren deutlich zugenommen hat.
Ich erlaube meinen älteren Kindern, ein Handy zu benutzen, obwohl ich ahne, dass der Konsum digitaler Medien mehr schadet als nutzt.
Ich bin verheiratet, obwohl Ehen scheitern können.
Ich lasse mich bisher nicht gegen Grippe impfen, obwohl Menschen an ihr sterben.

Denn: Ich lasse der Angst vor möglichen Risiken nicht das letzte Wort – sie ist kein guter Ratgeber. Das gilt auch für meine Einstellung zum Corona-Virus, das ich ernst nehme, aber nicht fürchte. Grundsätzlich bin ich zufrieden, wie wir in Deutschland damit umgehen. Manche der ergriffenen Vorbeuge-Maßnahmen halte ich jedoch für unverhältnismäßig und bezweifle ihren Sinn. Sie beeinträchtigen nicht nur die Lebensqualität, sondern schränken die Freiheit ein und spalten unser Volk. Ich bin erschrocken, wie sehr „Corona“ die Berichterstattung in den Medien beherrscht. Meiner Einschätzung nach überbewertet dies das Virus und schürt die Angst. Andere wichtige Themen kommen zu kurz. Diese „Nebenwirkungen“ empfinde ich als besorgniserregend; sie sind für mich realer als die Gefahr, an Covid-19 zu erkranken.

Wenn ich diese Meinung vertrete, gelte ich leicht als ignorant, fahrlässig oder einer Verschwörungstheorie zugeneigt. Dabei bin ich einfach nur besorgt und möchte lieber meine Meinung sagen als aus Angst schweigen. Vielleicht werde ich deshalb belächelt, gemieden oder mit wütenden Gegenargumenten bedacht: Dieses Risiko nehme ich in Kauf.

Mutter im Paket

Mutter: Das klingt weich, zärtlich und zugleich kraftvoll und entschlossen. Ich liebe, ermutige, tröste, versorge, verteidige … Meine Kinder finden das super – ich auch. 

Mutter: Das klingt nach ´kompromisslos` und ´am längeren Hebel`. Ich bin Stein des Anstoßes, setze Grenzen und lege Regeln fest. Meine Kinder finden das anstrengend – ich auch.

An meiner mütterlichen Autorität scheuern sie sich ihre Widerworte und Unarten ab – und erfahren Schliff und Korrektur. 

Von mir ausgesprochene Verbote würden die Kindern manchmal gern ignorieren – und orientieren sich trotzdem daran.

Meine Regeln laden die Kinder zum Übertreten ein – und sind doch ein geschätzter Rahmen.

Für die weichen Mutter-Attribute sind die Kinder heute dankbar, für die anstrengenden werden sie erst später dankbar sein. Das ganze Mutter-Paket bekommen sie heute schon.

Haben oder Sein

Es ist egal, ob ich viel habe oder wenig; entscheidend ist, ob ich bin.

Unsere Lebenszeit auf dieser Erde ist begrenzt. Wir wissen nur nicht, wann genau sie endet. Manche versuchen deshalb, das Leben zu füllen – koste es, was es wolle: Sie investieren in Besitz, Reisen, spektakuläre Erlebnisse.

(Bauchspeicheldrüsen-)Krebs nivelliert alles. Mit dem konkreten Ende vor Augen verlieren Dinge ihren Reiz. Wir merken, wie kostbar es ist, am Leben zu sein – egal, wie lange. Denn: Auf dieser Erde „haben“ wir immer nur das Jetzt und Hier.

Spazieren gehen

Beim Spazierengehen treffe ich viele Hundebesitzer und ab und an Mütter mit Kinderwagen. Viele von ihnen sind währenddessen nicht mit ihrem Kind, sondern mit ihrem Handy beschäftigt.

Ich ging früher auch mit unseren Kindern spazieren. Entweder das jeweilige Kind schlief – wie wohltuend und entspannend für uns beide. Oder aber das Kind war wach, schaute umher und hörte zu: Vogelgezwitscher, Windrauschen, Autos/Trecker – Hintergrundgeräusche beim Spazierengehen. Ich schwieg oder wir redeten – das Kind und ich. Vordergrundgeräusch beim Spazierengehen.

Wenn ich heute mit den Kindern spazieren gehe, schweigen oder reden wir miteinander, immer noch.

Wissen oder vermuten?

Ein Argument der Gegner der Corona-Maßnahmen ist, dass die Lage in Deutschland (hinsichtlich der Erkrankung mit Covid-19) unproblematisch ist und eben nicht so wie in anderen Ländern. Dass es bei uns so gut läuft, beweist natürlich nicht, dass das Corona-Virus ungefährlich ist und wir keine Maßnahmen brauchen.

Ein Argument für die Corona-Maßnahmen ist, dass wir die Lage in Deutschland (hinsichtlich der Erkrankung mit Covid-19) ziemlich gut im Griff haben. Dass es bei uns so gut läuft, beweist natürlich nicht, dass allein die Maßnahmen Grund dafür und nicht in Frage zu stellen sind.

Wir wissen eben nicht, was wäre, wenn wir anders agieren würden. Wir können nur den Ist-Zustand betrachten oder im Nachhinein schlussfolgern – vollständig erklären kann niemand. Fakten überblicken wir nur begrenzt, Zusammenhänge zwischen Ursache und Wirkung erschließen sich uns nie 100-prozentig. Wir vermuten und prognostizieren; letztlich bleibt ein Rest Spekulation – nur leider gibt das keiner gern zu…

Pflichtanruf

„Ich sollte mich mal wieder melden“, denke ich, bevor ich den Telefonhörer in die Hand nehme. Der Angerufene wird sich freuen – das weiß ich; aber das ist es nicht, was mich motiviert. Ich greife zum Hörer, weil ich ein schlechtes Gewissen habe und das Gefühl, einer Erwartung entsprechen zu müssen.

Vielleicht wäre es besser, nicht anzurufen – ehrlicher wäre es auf jeden Fall. Aber wäre es auch weise und liebevoll? Kann ich einfach aufhören, mich aus einem Verpflichtungsgefühl heraus zu melden, und schauen, was passiert?

Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass ich Pflichtanrufe nicht mag und sie trotzdem tätige.

Das Leben

Das Leben ist kurz und geht schnell vorüber.

Früher waren wir „jung und unerfahren“; heute sind wir plötzlich „die Älteren mit Lebenserfahrung“. Die Jahre dazwischen verliefen unter dem Motto „Versuch macht klug“. Es wird genauso weitergehen. Das Leben bleibt ein Übungsfeld: schwer plan- und nicht vorhersehbar – es hilft, flexibel zu bleiben.

Jüngere dagegen nehmen uns anders wahr – und halten uns vielleicht sogar für klug. Dabei sind wir nur ein bisschen abgeklärter: Heute können wir besser einschätzen als früher, was geht und was nicht. Wir wissen, was wir können und wollen – und wovon wir lieber die Finger lassen. In uns wichtigen Fragen nehmen wir kein Blatt mehr vor den Mund; über Oberflächliches reden wir ungern. Wir halten das Schweigen aus, denn fürs Drumherumreden ist uns unsere Zeit zu schade.

Das Leben ist kurz und geht schnell vorüber.

Betrifft mich nicht? – Weitersagen!

Einige Arbeiter haben monatelang das Pumpwerk in unserer Siedlung saniert. Als sie fertig werden, abbauen und die Baustelle verlassen, bedanke ich mich und verabschiede sie. Weil ich schon mal da bin, darf ich mir das sanierte Pumpenhäuschen anschauen. Ich war noch nie drin, sehe aber: alles ist neu und schick.

Bevor ich gehe, weist mich ein Mann darauf hin, dass Feuchttücher nicht ins Klo gehören. „Ich weiß und benutze ohnehin keine“, antworte ich ehrlich – und ein bisschen eilig. „Kosmetiktücher sollten da auch nicht rein“, schiebt er hinterher. Ich schüttel den Kopf. Er grinst und schließt mit den Worten: „Na, dann aber – weitersagen!“ Klar, denke ich.

Im Nachhinein beschämt es mich, dass es mir vor allem um meine weiße Weste ging. „Betrifft mich nicht“ ist nicht hilfreich, wenn uns jemand auf etwas hinweist. Dieser Mann hat das Pumpwerk in unserer Siedlung auch nicht durch Feuchttücher im Klo verstopft – er wohnt in einem anderen Bundesland und arbeitete hier nur ein paar Wochen. In meiner Nachbarschaft leben diejenigen, deren Feuchttücher ihn beschäftigt haben. An sie kann ich seinen Hinweis weitergeben – ich wohne hier. „Weitersagen“ ist auf jeden Fall besser als „Betrifft mich nicht“.

Über Feuchttücher spreche ich normalerweise nicht mit meinen Nachbarn. Ich sollte es tun – aber wie? Am besten geht es wohl genauso direkt, wie der freundliche Arbeiter es getan hat: „Feuchttücher gehören nicht ins Klo!“

Lieber nicht perfekt!

Perfektion ist ein großes Ziel – und manchmal sehr erstrebenswert:

Eine medizinische Operation sollte richtig (möglichst perfekt) ausgeführt werden; ein Pilot sollte wissen, wie man ein Flugzeug richtig (möglichst perfekt) fliegt. Und so weiter und so fort.

In Bezug auf menschliche Beziehungen dagegen ist Perfektionismus als Ziel oft fehl am Platz: Wenn ich erst in Beziehung trete, sobald ich genau (möglichst perfekt) weiß wie, werde ich kaum etwas wagen: kein Kind in die Welt setzen, niemandem meine Liebe erklären, kein schwieriges Gespräch beginnen. Und so weiter und so fort. Wie arm wäre das Leben!