Was bleibt …

Lob baut auf,
Kritik – unsensibel geäußerte – entmutigt,
Verachtung demütigt,
Begeisterung steckt an,
Wut schüchtert ein,
Gleichgültigkeit verunsichert (und regt auf),
schlechte Laune geht auf die Nerven,
Ermutigung macht zuversichtlich,
Anteilnahme tut gut,
Aufmerksamkeit zeigt Wertschätzung,
Desinteresse macht wütend,
Empathie tröstet,
Schweigen macht leise,
Sprechdurchfall ebenso.

Schwarzfahren?

Ich bin mit der Bahn unterwegs. Weil ich Geld sparen möchte, wähle ich Zugbindung. Verspätung lässt mich meinen ersten Anschlusszug verpassen. Ich muss improvisieren und von der ICE-Verbindung auf eine Regionalbahn umsteigen. Auch der nächste Anschlusszug ist dadurch unerreichbar. Für die letzten Kilometer meiner Reise entscheide ich mich für eine Vorortbahn, die mich meinem Ursprungsziel sehr nahebringt, aber gar nicht dort hält – es ist für meine Freundin egal, an welchem Dorfbahnhof sie mich abholt.

Während ich im letzten Zug sitze, frage ich mich, ob mein Ticket hier überhaupt gilt. Meine Befürchtungen, gegen die Regeln zu verstoßen, lassen sich nur schwer unterdrücken. Zu allem Überfluss befindet sich direkt gegenüber meines Sitzes ein Schild, auf dem steht: „Hier drücken wir kein Auge zu. Fahren ohne gültige Fahrkarte kostet Sie mindestens 60 Euro.“ Mit dem Spruch vor Augen warte ich unentspannt die 15 Minuten ab, die die Fahrt dauert – und hoffe, dass kein Schaffner kommt. Erleichterung durchströmt mich, als die Durchsage für meinen Halt ertönt. Ich gehe zur Tür. Dort steht: „Wir hoffen, Sie hatten eine nette Fahrt mit uns.“ Etwas gequält muss ich lächeln.

Woher in mir rührt dieses tiefsitzende Bedürfnis, mich korrekt zu verhalten? Bin ich in solchen Fragen sehr deutsch – oder sehr ostdeutsch? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass ich mit einem latenten Schuldgefühl im Zug saß: „Es muss mir die 60 Euro wert sein, zur Not bezahle ich sie.“ Ich hätte nicht diskutiert, ich hätte alles zugegeben – obwohl ich ebenso tiefsitzend wusste, dass mein Handeln kein klassisches Schwarzfahren war. Trotzdem: Tief in mir drin spüre ich in solchen Fällen eine starke Grenze zwischen „richtig“ und „falsch“. Seltener kommt – für mich selbst – ein großzügiges „auch in Ordnung“ zum Einsatz. Das verbrauche ich stattdessen freigebig für andere.

Vom Reden und Hören!

Meiner Beobachtung nach ist es in den seltensten Fällen so, dass ein Gespräch nach klar definierten, alle Beteiligte zufriedenstellende Parameter abläuft. Nur mit wenigen Menschen gelingt ein Dialog nach folgendem Muster: Fragen, zuhören, abwarten, nachfragen, fertig erzählen lassen und dann vielleicht selbst vorsichtig die eigene Position dazu verkünden – aber nur, wenn das gewollt ist. Was ich stattdessen immer wieder erlebe ist: Fragen, aufs Stichwort warten und dann die eigene Geschichte zum Besten geben. In uns steckt ein unbändiger Drang, die eigenen Gedanken loszuwerden. Beim Punkt „zuhören“ wird es für viele schwer. Auch für mich!

Das Problem ist: Das Erzählen von Geschichten macht noch kein Gespräch. Ohne Zuhören geht’s nicht.

Aufgeregt

Vor mir liegt ein beruflicher Termin, bei dem ich überhaupt nicht weiß, was mich erwartet. Ich bin aufgeregt – angespannt und unsicher.

Im Herbst möchte ich allein verreisen, in ein fremdes Land und eine mir unbekannte Gegend. Ich bin aufgeregt – gespannt und neugierig.

In beiden Fällen grummelt mein Bauch, mein Herz schlägt fühlbar, ich bin nervös; in beiden Fällen beruhigen rationale Überlegungen nur bedingt. Beide Ereignisse fordern mich heraus und bringen mich weiter.

Und dennoch sind die Gefühle rund um die Aufregung ganz unterschiedlich.

Allein gelassen

„Da verließen ihn alle und flohen.“
Markus 14, 50

Wenn ich ans Abendmahl denke, merke ich, dass ich das Sterben von Jesus nicht wirklich begriffen habe. Verstanden vielleicht, aber mit dem Herzen erfasst? Ich bezweifle es. Wir reden darüber, was es Jesus gekostet hat, ans Kreuz zu gehen. Aber diese Form der Versöhnung mit Gott an sich, das Konzept Sünde in seiner ganzen Fülle – bleibt mir fremd. Und so verweile ich während des Abendmahls nicht lange beim Tod Jesu, sondern bin schnell bei der Auferstehung. Es ist, als ließe ich Jesus in seinem Sterben allein – ebenso wie die Jünger damals.

Es ist, als würde ich sagen: „Wie kannst du nur so ein Opfer bringen müssen?“

Jesus ist bewusst ans Kreuz und in den Tod gegangen, obwohl er ahnte, dass viele Menschen sich schwertun würden mit seinem Sterben. Die Erfahrung hatte er zu Lebzeiten zur Genüge gemacht und 2.000 Jahre später ist es noch immer so: Es gibt viele Menschen, die mit Jesus und Glauben und einem Sündenbock für alle nichts anfangen können. Es gibt wahrscheinlich ebensoviele Menschen, die zwar irgendwie an Gott glauben, aber insgeheim das Opfer seines Sohnes ablehnen: „Für mich musst du nicht sterben. Ich komme auch so klar in diesem Leben und mit Gott. Ich nehme dieses gesamte Opfer-Paket einfach nicht in Anspruch.“ Und schließlich sind da diejenigen, die Jesus als Sohn Gottes anerkennen und sein Opfer ebenso, die aber trotzdem weiter versuchen, allein zurecht zu kommen. Sie versuchen insgeheim, allein und aus eigener Kraft gerecht und gut zu sein. Sie sehen mehr die Auferstehung und die Versöhnung mit dem Vater als dieses brutale Sterben. Sie halten diesen Tod nicht aus, jedenfalls nicht wirklich – in seiner ganzen Heftigkeit, in seiner Grausamkeit und in seiner Gottesferne.

Ich zähle mich dazu. Ich ertappe mich bei dem Gedanken, dass ich doch auch von mir aus ziemlich nett bin – barmherzig, freundlich gütig, geduldig… Ich ertrage dieses Sterben für mich nur schwer, ich gehe gern über zum positiven Ende der Auferstehung. Aber ebenso, wie wir als Menschen ganz körperlich durch den Tod noch immer hindurch müssen, durch das Sterben und alles, was damit verbunden ist – ebenso kommt vor der Auferstehung der Tod Jesu. Und vorher seine Einsamkeit, seine Zweifel, seine Angst und die Schmerzen. Dass Jesus das alles für mich erträgt, ist kein schöner Gedanke – und deshalb halte ich diesen nicht lange aus und lasse Jesus in seinem Sterben lieber allein. Ich fühle mich wohler, wenn ich an seine Auferstehung denke und daran glaube, dass sie auch für mich gilt.

Jesus dagegen lässt mich nicht allein, weder im Leben noch im Sterben. Jesus sagt nicht: „Wie kann sie nur?“ Jesus sagt: „Ich hab` dich lieb! Es geht nicht anders, vertraue mir.“

Sommerurlaub

Meine Idee von Sommerurlaub ist eine ganz bestimmte. Warme bis heiße Tage, strahlend blauer Himmel, laue Abende – Draußenwetter für Warmduscher. Besonders wenn ich ins Wasser gehe, brauche ich es heiß: Zu schwierig ist es für mich, nach einer Meerwasser-Abkühlung wieder warm zu werden, wenn das Thermometer 24 Grad zeigt und ein leichter Wind weht.

Dieses Jahr sind wir auf einer Nordsee-Insel. Es ist schön und gut, aber nicht warm, geschweige denn heiß: Die Temperaturen bleiben in stetiger Zuverlässigkeit unter 20 Grad. Das ist – für meine Vorstellungen – nicht sommerlich, sondern fühlt sich durch den dauerhaft wehenden Wind eher herbstlich an. Normalerweise entspricht das Wetter also nicht meinen Erwartungen. Die Lösung? „Es gibt kein schlechtes Wetter, es gibt nur schlechte Kleidung“ mag stimmen, entlockt mir aber nur ein unwirsches Augenverdrehen. Also ziehe ich an, was ich in weiser Voraussicht an dickeren Klamotten mitgebracht habe, und gehe mit dem oder gegen den Wind am Meer spazieren.

In die Nordsee werde ich mich vielleicht zusammen mit ein paar verrückten Kindern stürzen – ganz kurz. Oder gar nicht. Was ich nicht tun werde: Am Strand sitzen, Strandmuschel aufbauen, Badeanzug unter die Fleece-Jacke ziehen, Handtuch bereithalten und auf das Wolkenloch warten. Meine Hoffnung auf diese Art Sommerurlaub stirbt nicht zuletzt, sie ist bereits begraben. Nur so kann ich genießen, was sich uns in Sachen Wetter bietet. Und ich freue mich ehrlich – dass es nicht regnet, dass der Wind mittlerweile schon deutlich weniger geworden ist, dass es ein Volleyballfeld in der Nähe gibt, dass die Kinder sich so gut verstehen…

Volleyball

Zwei Generationen spielen Volleyball. Wir – das sind die um die 50-Jährigen – können gut mithalten mit den 13- bis 22-Jährigen und machen auf dem Feld eine gute Figur. Alle haben wir unseren Spaß – Sport verbindet.

Nach zwei Tagen stehen auf der Haben-Seite der Alten: zwei verstauchte Finger, Meniskus-Probleme, eine Zerrung und ein mindestens überdehntes Band im Sprunggelenk. Die jüngere Generation hat am dritten Tag noch immer ihren Spaß, die Begeisterung ist ungetrübt, sie machen nimmermüde weiter. Wir Älteren sind raus und pflegen unsere Blessuren. Sport trennt?

Vereinbarkeit?

Vor kurzem sprach ich mit einer jungen Frau, Mutter von zwei Kindern, der es schwerfällt, Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen. Sie arbeitet sehr gern, ist aber auch sehr gern Mutter. Bei der Arbeit fehlt sie nicht oft und macht ihren Job gut. Dennoch fühlt sie sich unzulänglich. Einige Kollegen vermitteln ihr, dass sie nicht engagiert genug ist und zu wenig für den Job brennt. Es kränkt sie, denn sie tut, was sie kann, möchte aber auch für ihre Kinder präsent sein.

Ich kann nicht mitreden, ich habe keinen Job. Aber ich bin überzeugt: In der Regel sind die Kinder einer Mutter wichtiger als ihr Beruf. Was nicht heißt, dass Mütter nicht auch arbeiten wollen und dürfen. Wir haben sogar ein Wort dafür: Vereinbarkeit. Vereinbarkeit heißt Kompromiss. Kompromiss heißt Flexibilität – auf beiden Seiten. Weder Muttersein noch Berufstätigkeit kann man ausknipsen. Eine Mutter, die arbeitet, lässt sich darauf ein, auf „zwei Hochzeiten zu tanzen“. Das ist schwer genug, und meine Bewunderung gehört denjenigen, die beide Bereiche gut unter einen Hut bekommen.

Ich habe allerdings den Eindruck, unter Vereinbarkeit wird heutzutage weniger Kompromiss als vielmehr „ganz oder gar nicht“ verstanden. Abwechselnd ganz Mutter und ganz berufstätig. Ich glaube, das funktioniert nur in der Theorie. Ich kann verstehen, dass Arbeitskollegen nicht den Kram übernehmen wollen, der von Müttern liegengelassen wird, die bei der Arbeit weniger als alles geben. Und ebenso kann ich Mütter verstehen, die sich mehr Verständnis von ihren Arbeitskollegen wünschen, wenn ihnen die Arbeit nicht das Wichtigste ist.

Der gesellschaftliche Druck (für junge Mütter) ist sehr hoch: Gib deine Kinder in Betreuungseinrichtungen, geh arbeiten und gut. Und, wenn nicht gut, sieh zu, wie du klar kommst. Die Lösung ist nicht, Müttern die Kinder abzunehmen und das gleiche Engagement zu erwarten wie von Männern, deren Frauen zu Hause den Laden schmeißen. Die Lösung heißt nicht Vereinbarkeit, sondern Verständnis und guter Wille – auf beiden Seiten.

Vollpension

Mit zwei wachsenden männlichen Teenagern im Hotel – Vollpension wird neu definiert: „Die erhöhen die Preise, wenn wir wieder weg sind!“

Sport (2)

Ich laufe entspannt, diesmal ohne Teenager. Auf dem Rückweg überholt mich ein sehr freundlicher junger Mensch auf dem Fahrrad. Er lächelt mich an und schaut dann zu Boden: Dort entdecke ich einen klitzekleinen Rauhaardackel, der an mir vorbei wuselt. Seine Ohren flattern im Wind. Er sieht aus, als wäre er dauerhaft im Vollsprint – und als würde ihm der Gegenwind nichts ausmachen. Wieder sehe ich einen Mit-Läufer nur von hinten, aber: Den Rest der Strecke bekomme ich trotz der Anstrengung das Lächeln nicht mehr aus meinem Gesicht…